Die 4 war eine halbe 8

Reguläre Jahreszahlen sind eine Errungenschaft des späten Mittelalters / Ungewöhnliche Angaben lassen sich gut auflösen







In Nürnberg wurden besonders viele Münzen mit Chronogrammen geprägt.
Die Inschrift unter der Stadtansicht ergibt das Jahr 1631, die auf der
Münze zum zweihundertjährigen Reformationsjubiläum das Jahr 1717.




Der Taler des ungarischen Königs Ladislaus II. trägt die arabisch geschriebene
Jahreszahl 1506, der dänische Taler ist mit 1523 datiert.




Das Sechs-Livres-Stück mit Kopf des 1793 hingerichteten Königs Ludwig XVI.
zeigt auf der Vorderseite die Jahreszahl 1792 und auf der Rückseite die Angabe
L'AN 4 DE LA LIBERTÉ (Jahr 4 der Freiheit). (Repros: Caspar)


Es hat über 2000 Jahre gedauert, bis Jahreszahlen, wie wir sie gewohnt sind, auf Münzen gebräuchlich wurden. Viele Münzen der Neuzeit sind, wie die in der Antike und im Mittelalter, nicht oder nur verschlüsselt datiert, doch ist es möglich, die Entstehungszeit relativ genau festzustellen. Dort, wo Daten in Um- und Aufschriften versteckt sind, kann man ohne Schwierigkeit die leicht vergrößerten römischen Zeichen addieren. Die zeitliche Bestimmung von Münzen und Medaillen erfordert einige Übung. Namen von Herrschern und Münzmeistern, Angaben über Ämter und die Länge von Regentschaften liefern Hinweise, um ein Geldstück und seit der Renaissance eine Medaille datieren zu können. Päpstliche Gepräge trugen lange Zeit statt der Jahreszahlen Angaben über die Dauer des Pontifikats des Heiligen Vaters, was die Entstehungszeit des Geldstücks offen legt. In Veröffentlichungen über den Stuhl Petri und seine Inhaber kann man leicht die Zeitspanne finden, in denen die Päpste amtiert haben. Um die zeitliche Einordnung von päpstlichen Münzen und Medaillen leicht zu machen, werden dort schon seit langem zu den Pontifikaten auch noch die üblichen Zahlen in lateinischer Form oder mit arabischen Ziffern mitgeliefert.

Bei den Münzen der französischen Republik sind ungewohnte Zählweisen nach dem 1792 eingeführten Revolutionskalender zu finden. Das Jahr I begann am 22. September 1792 und endete am 21. September 1793. Münzen mit der Bezeichnung "An I" (Jahr 1) können demnach sowohl im Jahr 1792 als auch 1793 geprägt worden sein. Die Zählung endete unter der Regentschaft Kaiser Napoleons I. offiziell mit dem Jahr XIV am 31. Dezember 1805. Dieses 14. Jahr des französischen Revolutionskalenders begann erst am 23. September 1805. Über die verschiedenen Zählungen einschließlich der unterschiedlichen Kalendarien, Jahresanfänge, beweglichen Feiertagen und ähnliches gibt es eine Vielzahl Literatur und Tabellen. Empfohlen sei das "Taschenbuch der Zeitrechnung des deutschen Mittelalters und der Neuzeit" von Hermann Grotefend, das der Schweriner Archivar in mehreren Auflagen herausgebracht und immer wieder neu bearbeitet hat. 1984 edierte der Berliner transpress Verlag einen Reprint.

Während Datierungen nach christlichem Kalender auf mittelalterlichen Urkunden einen festen Platz haben, kommen Jahreszahlen auf Münzen des Mittelalters sehr spärlich vor. Man benötigte sie nicht, denn die Silber- und Goldstücke waren durch Bildnisse, Inschriften und Wappen ausreichend definiert. Römische Ziffern auf einer seltenen dänischen Münze werden, obwohl lückenhaft, als 1248 gelesen und wären damit als ältestes Beispiel einer solchen Datierung. Im 14. Jahrhundert, als man silberne Groschen nach französischem Vorbild in großen Mengen prägte, sind da und dort Jahreszahlen vermerkt. Die wahrscheinlich älteste Datierung in Deutschland stammt von 1372 und erscheint als ANNO DOMINI MCCCLXXII auf einem Aachener Groschen. Nach der Tradition beginnen die Angaben links stets mit dem höchsten Wert, in diesem Fall also mit 1000 (M), es folgen die Jahrhunderte C sowie die kleineren Ziffern.

Erwähnt sei, dass bis weit in die Neuzeit lateinische Inschriften auf deutschen Münzen üblich waren. Dies hat mit der weiten Verbreitung der Sprache der alten Römer zu tun, die die gebildete Welt besser beherrschte als das, womit sich das einfache Volk verständigte. Während man die seit 1486 in Tirol und dann auch anderenorts geprägten Guldengroschen anfangs nur MONETA NOVA, also neue Münze, nannte oder überhaupt keine Währungsbezeichnung auf den talerförmigen Silberstücken vermerkte, ging man im römisch-deutschen Reich erst seit dem 17. Jahrhundert langsam dazu über, diese Stücke korrekt Thaler oder - in Preußen - als Reichsthaler zu nennen.

Als Erzherzog Sigismund von Tirol seine Halbguldiner und Guldiner prägen ließ, versah er diese ganz ungewöhnlich großen und schweren Münzen mit den Jahreszahlen 1484 und 1486. Das war eine bewusste Entscheidung, denn sie sollte die Modernität dieser "Moneta nova" unterstreichen. Verschiedene Fürsten und Städte des ausgehenden 15. Jahrhunderts ahmten die Novitäten des "münzreichen" Sigismunds nach. So gibt es Guldengroschen des Herzogs René II. von Lothringen von 1488, aus dem Bistum Sitten von 1498, von Stadt und Kanton Bern aus dem Jahr 1494 sowie Salzburger Rübentaler mit der Jahreszahl 1504.

Viele Fürsten und münzprägende Städte verzichteten jahrzehntelang auf die Datierung ihrer Geldstücke. Während kursächsische "Klappmützentaler" zwischen 1500 und 1525 in großer Zahl undatiert geprägt wurden, haben die sächsischen Herrscher bisweilen auch Jahreszahlen auf ihre Münzen setzen lassen, so auf den seltenen Katharinentaler von 1505 und auf Schreckenberger Groschen von 1498. Frühe Münzen des Kurfürstentums Brandenburg sind ebenfalls undatiert und nur durch die darauf abgebildeten beziehungsweise genannten Fürsten sowie durch Münzmeisterzeichen und andere Hinweise zeitlich einzuordnen. Neben den undatierten Stücken gibt es auch solche, die die Jahreszahl nur verstümmelt wiedergeben. Viele Münzen des 16. Jahrhunderts geben nur die beiden letzten Ziffern der Jahreszahl an. 69 oder 72 sind danach in 1569 und 1572 zu ergänzen.

Ein System, warum Münzen datiert wurden und andere nicht, ist schwer auszumachen. Bei undatierten Geldstücken konnte die Entstehungszeit verschleiert werden, doch auch mit Jahreszahlen versehene Münzen müssen nicht unbedingt in dem Jahr entstanden sein, das auf ihnen vermerkt ist. Bestes Beispiel sind die österreichischen Mariatheresientaler von 1780, die bis heute ganz offiziell mit dieser ein stolzes Alter vortäuschenden Jahreszahl geprägt werden.

Während im Mittelalter ausschließlich römische Zahlenbuchstaben zur Datierung verwendet wurden, kamen im Verlaufe des 15. Jahrhunderts von den Arabern übernommenen Ziffern in Mode. So gibt es Münzen, auf denen die 7 wie ein Haken nach unten zeigt, die 4 als halbe 8 geschrieben wird und die 5 wie eine nach unten schauende 2 erscheint. In Veröffentlichungen über die Geschichte der Schrift und Zahlen sind auch solche Wandlungen erläutert, so dass man dort auch Fragen an die eigene Sammlung beantworten kann.

Die Identifizierung römischer Ziffern bereitet keine Schwierigkeiten. Jeder kennt die I, V, X, L, C, D und M, also die 1, 5, 10, 50, 100, 500 und 1000. In der Barockzeit, als Allegorien und Sinnsprüche auf Münzen und Medaillen besonders beliebt waren, wurden auch Inschriften zur Wiedergabe von Jahreszahlen verwendet. Die Angaben über das Entstehungsjahr des betreffenden Stücks beziehungsweise ein Ereignis, dessen durch die Prägung gedacht wurde, sind in lateinischen und manchmal auch deutschen Inschriften versteckt. Graveure hatten hoben die römischen Zahlen hervor, indem sie die betreffenden Buchstaben etwas größer als die übrige Schrift schnitten.

Dieses Verfahren kann man auf zahllosen Münzen und Medaillen beobachten. Auch die durch Ringprägung in der Barockzeit erzeugten Schriftränder dienten als Überbringer von sinnigen Sprüchen und Jahreszahlen. Wer sich auf die so genannten Chronogramme, also die Kombination von Inschriften und Jahreszahlen, spezialisiert, bekommt eine stattliche Zahl an Belegen zusammen. Eine Medaille von 1699 etwa zeigt den sächsischen Kurfürsten und polnischen König August den Starken im Schmuck seiner Insignien. In arabischen Ziffern ist die Jahreszahl 1699 auf der Rückseite neben einer knienden Frau als Symbolfigur der Stadt Kaminec vermerkt. Die Randschrift "DIVIno annVente nVMIne eX Voto nun InIqVo non InIVstro InIVsto FeLICIter et gloriose recuperatvm" enthält Großbuchstaben DIVIVVMIXVIIVIIVLICI, die zusammen gezählt die Zahl 1699 ergeben. Eine andere sächsische Medaille von 1733 mit dem Bildnis des Nachfolgers, Kurfürst Friedrich August II., als König von Polen August III., trägt auf der Rückseite eine deutsche Widmung, in der ebenfalls eine Jahreszahl versteckt ist. Um die Ansicht der berühmten Berg- und Domstadt Freiberg ist zu lesen: "freyberg DIe aLte VnD getreVe VersprICht DIe aLte treV aVfs neVe". Die Großbuchstaben DILVDVVICDILVVV ergeben das Jahr, in dem der Sohn Augusts des Starken die Macht übernahm. Ein Dukat des Kurfürstentums Trier präsentiert die lateinische Rückseiteninschrift "pro Deo aC Chara Mea pLebe treVirens". Die Buchstaben DCCMLVII bedeuten die Jahreszahl 1757.

Namentlich die Freie und Reichsstadt Nürnberg hat sich den Spaß erlaubt, manche ihrer Münzen durch Chronogramme zu datieren. Münzmeister und Stempelschneider wussten von ihren Mitbürgern, dass sie des Lateinischen mächtig sind und etwas mit den groß geschriebenen Buchstaben anfangen können. So findet man in Nürnberg-Sammlungen verschiedene Taler, Halbtaler und andere Werte aus dem frühen 17. Jahrhundert, die durch Chronogramme datiert sind. Die Sprüche unter den Stadtansichten wünschen der Stadt und der Welt alles erdenklich Gute. Die dreizeilige Inschrift auf einem Stadtansichtstaler "CanDIDa paX reDeat paX regnet In orbe et In Vrbe" (Es kehre der glänzende Friede wieder und herrsche auf dem Erdkreis und in der Stadt) ergibt die Jahreszahl 1628. Auch die Gedenkprägung im Werte eines halben Talers zur 200-Jahrfeier der Reformation ist mit einem Chronogramm versehen. In der vierzeiligen Inschrift "martInVs LVtherVs theoLogIae DoCtor" verbirgt sich die Zahl 1717. Die Manie, durch versteckte Jahreszahlen die Leute zu verblüffen, fand - wenigstens in Nürnberg - bald darauf ein Ende. Das letzte Chronogramm findet sich auf einem Taler von 1721 in der Rückseitenumschrift "aVgVsto DoMIno tVta aC seCVra parente est norimberga" (Sicher und ruhig ist Nürnberg in der Vaterschaft des erhabenen Herrn).

So könnte man in Monographien zur Münzgeschichte einzelner Herrscherhäuser und Städte sowie den Angeboten des Handels weitere Beispiele finden. Mit einem dreifachen Chronogramm wurde im Jahre 1666 Herzog Augusts des Jüngeren auf verschiedenen Talern gedacht. Wer sucht, findet auch auf Münzen anderer Herrscher weitere Beispiele für Chronogramme. Sie konnten sich als Sonderform der Jahreszahl allerdings nicht durchsetzen, denn zu kompliziert und umständlich war die Datierung. Das zeigt sich schon darin, dass die Zahlen oft in lateinischer oder arabischer Schreibweise auf dem gleichen Stück wiederholt wurden.

12. November 2016

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