Heimkehr der Bilderbibel
Restaurierte Fenster aus dem Mittelalter schmücken die Marienkirche in Frankfurt an der Oder







Die innen und außen mit mittelalterlichen und neueren Kunstwerken geschmückte Marienkirche in Frankfurt (Oder) ist im Sommer vom 1. Mai bis 31. Oktober von 10 bis 18 Uhr und im Winter vom 1. November bis 30. April von 10 bis 16 Uhr geöffnet.







Viele Besucher kommen in die Frankfurter Marienkirche, um die eindrucksvollen Glasmalereien und weitere Ausstattungstücke zu bewundern.



Die Zeichnung von Johann Stridbeck aus dem Jahr 1691 zeigt die Frankfurter Marienkirche und die sie umgebenden Gebäude. (Fotos/Repro: Caspar)

Man nannte sie im Mittelalter heilige Lehrer - jene farbenfreudigen Glasfenster in Kirchen und Klöstern, die den Gläubigen Szenen aus der Bibel sowie Legenden von Märtyrern nahe brachten. Solche Unterweisungen waren nötig, weil die wenigsten Menschen lesen und schreiben konnten und auch nicht verstanden, was ihnen in lateinische Sprache gepredigt wurde. Sonnenstrahlen, die durch die Bleiverglasungen fielen, tauchten die Kirchen in ein mystisches Licht und machten aus ihnen göttliche Räume auf. Gemeinden und einzelne Stifter ließen sich die Fertigung der Scheiben viel Geld kosten. In nachmittelalterlicher Zeit hat man unzählige Fenster aus religiösen Gründen und in bilderstürmerischer Absicht zerstört, oder weil sie nicht mehr "à la mode" waren. Was übrig blieb, wurde erst im 19. und 20. Jahrhundert als wertvoll entdeckt und als erhaltenswert anerkannt.

Seither sind sie Gegenstand intensiver Forschung und aufwändiger Erhaltungsmaßnahmen. Dafür steht am Potsdamer Neuen Markt eine Arbeitsstelle der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften zur Verfügung. Die Arbeitsstelle des Corpus Vitrearum Medii Aevi (CVMA) besteht über 60 Jahre und war in DDR-Zeiten, beim Institut für Denkmalpflege in der Brüderstraße 13 in Berlin (Ost) angesiedelt, eines der wenigen wissenschaftlichen Projekte des zweiten deutschen Staats mit gesamtdeutscher und gesamteuropäischer Ausrichtung.

Gesamtdeutsche Forschungen

Im Rahmen des CVMA werden die mittelalterlichen Glasmalereien entweder in ausgebautem Zustand oder von Gerüsten aus fotografiert und untersucht. Die erst in der Nahsicht sichtbaren Schäden und in den vergangenen Jahrhunderten vorgenommene Eingriffe und Veränderungen werden dokumentiert und aufgrund systematischer Archivrecherchen rekonstruiert. Außerdem werden die Bildprogramme sowie historische und künstlerische Zusammenhänge mit dem Ziel untersucht, die Ergebnisse in Inventarbänden zu publizieren. Neben den Forschungen begleitet die Arbeitsstelle die durch Umwelt- und andere Schäden notwendigen Restaurierungsmaßnahmen. Bei ihren Untersuchungen kann die Arbeitsstelle ein umfangreiches Bildarchiv nutzen, dessen älteste Bestände aus der Zeit um 1900 stammen.

Von dem im Zweiten Weltkrieg zerstörte Gotteshaus in der Stadt an der Oder existierten bis zum Beginn der 1990-er Jahre nur die Umfassungsmauern. Wenn man in der Ruine stand, konnte man bis in den blauen Himmel schauen, überall hatten sich Pflanzen breit gemacht. Durch den sukzessiven Wiederaufbau sowie die Restaurierung des Kirchenschiffes und seiner künstlerischen Ausstattung konnte ein herausragendes Zeugnis gotischer Baukunst und ein großartiges Bau- und Kunstdenkmal zurückgewonnen werden. Unter Glockengeläut wurden vor einigen Jahren im Beisein von Landespolitikern und Kirchenvertretern aus Russland nach Frankfurt an der Oder zurückgekehrte Bleiglasfenster der Öffentlichkeit übergeben. Elf Meter hoch, füllen sie viele Jahre lang als schmerzlich empfundene leere Stellen im Chor der Sankt Marienkirche.

Rückgabe nach langem Exil

Die über drei hohe Fenster verteilten farbenprächtigen Scheiben stammen aus dem 14. Jahrhundert. Im Zweiten Weltkrieg aus Sicherheitsgründen ausgebaut und in Potsdam eingelagert, waren die Marienfenster 1945 von der Roten Armee als Beutekunst requiriert und nach Sankt Petersburg mitgenommen worden. Der Rückführung gingen zähe Verhandlungen mit der russischen Regierung voran, die bis heute nur in Ausnahmefällen zur Rückgabe so genannter Beutekunst bereit ist. Nach fast 60jährigem Exil in Sankt Petersburg kehrte die Bilderbibel im Sommer 2002 in die Stadt an der Oder zurück. Sechs Motive galten als verschollen, die dann aber später wieder auftauchten. Farbenprächtig bis ins Detail erzählen die Bilder die Schöpfungsgeschichte und das Leben Christi. Einmalig ist auch die die Darstellung des Antichrist auf einem Kirchenfenster. Die Einlagerung in der Sankt Petersburger Eremitage unter quasi musealen Bedingungen ist den Scheiben gut bekommen, denn sie blieben all die Jahre von schädigenden Einflüssen verschont, ein Vorzug, den mittelalterliche Glasfenster anderer Kirchen nicht genießen, weil sie täglich Wind und Wetter und aggressiven Umweltbedingungen ausgesetzt sind.

Die Restauratorin Gerlinde Möhrle und ihre Kolleginnen nahmen sich der Scheiben an, hellten verdunkelte Partien wieder auf und sorgten durch Auftrag von Spezialwachs dafür, dass sie ihre Leuchtkraft bewahren. Wo Glas zerbrochen war, wurde es vorsichtig gekittet, und manchmal mussten auch neue Bleistege eingezogen werden. Diffizil war die Befestigung des so genannten Schwarzlots. Die von den alten Meistern mit dem Pinsel aufgetragenen schwarzen bis grauen Striche und Schattierungen lassen aus den durch Bleistege verbundenen Glasstücken erst die von uns so bewunderte Malerei entstehen. Wo Zeichnungen der Gesichter, Hände, Kleider oder auch die Ornamentierungen verloren waren, hat man verzichtet, sie in mittelalterlichem Stil neu zu erfinden. Damit die 116 Scheiben, aus denen die drei Kirchenfenster gebildet werden, keinen Schaden etwa durch Feuchtigkeit und Frost, aber auch durch Steinwürfe nehmen, bekamen sie eine vom Betrachter kaum wahrnehmbare Schutzverglasung, die auch der Bildung von Kondenswasser und Ablagerungen vorbeugt.

Insgesamt betrugen die Kosten für Restaurierung und Einbau der Bilderbibel sowie Arbeiten im Chorbereich 3,1 Millionen Euro. Diese Summe setzte sich aus Bundes- und Landesmitteln sowie aus kommunalen Zuschüssen und Spenden aus der Bevölkerung zusammen. Beteiligt waren auch die Deutsche Bundesstiftung Umwelt und die Ostdeutsche Sparkassenstiftung. Letztere legt zu jedem Spenden-Euro zwei weitere dazu. Spenden lohnt sich also. Unter dem Titel "Der gläserne Schatz. Die Bilderbibel der St. Marienkirche in Frankfurt (Oder)" hat Frank Mangelsdorf im Verlag Das Neue Berlin ein reich illustriertes Buch veröffentlicht, das die Geschichte und Aussage, die Odyssee, Heimkehr und Restaurierung der Frankfurter Marienfenster schildert und die einzelnen Felder vorstellt.

28. Juli 2017

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