Bunte Blüten an grünen Stängeln
Am Magnus-Hirschfeld-Ufer erinnert ein neues Denkmal an die erste homosexuelle Emanzipationsbewegung, die von Berlin in die Welt ging



Das in der Nacht angeleuchtere Denkmal wurde vom Bildungs- und Sozialwerk des Lesben- und Schwulenverbands Berlin- und Brandenburg mit Mitteln der Lotto-Stiftung Berlin sowie Spenden von Vereinen und Privatpersonen errichtet.



Der Bau wurde durch Spenden und Lotto-Mittel finanziert. Im Koalitionsvertrag hat die rot-rot-grüne Landesregierung vereinbart, für die Instandhaltung Sorge zu tragen. Wer an dem Denkmal beteiligt war, ist auf einer Schrifttafel unten an den grünen Stilen der bunten Calla-Pflanzen vermerkt.



Die Bild- und Texttafeln informieren über langen Weg, den Hirschfeld und seine Mitstreiter zurücklegen mussten, um den Diskriminierungsparagraphen 175 abzuschaffen.



Der Mediziner Magnus Hirschfeld (1868-1935) weilte gerade im Ausland, als sein Institut demoliert und geschändet wurde. Nach Berlin konnte er nicht mehr zurück kehren.



Eines der Bilder zeigt, wie sich Nazis über die Bücher und Schriften in dem Hirschfeld-Institut hermachten. Dort aufgefundene Dokumente halfen der Gestapo bei der unbarmherzigen Jagd auf so genante 175-er.



Das Ende 2003 vom Bundestag beschlossene Denkmal zur Erinnerung an die von den Nationalsozialisten verfolgten und ermordeten Homosexuellen steht am Rand des Berliner Tiergarten gegenüber dem Denkmal für die ermordeten Juden Europas. Entworfen wurde der Betonkubus von dem Künstlerduo Michael Elmgreen und Ingar Dragset als beständiges Zeichen gegen Intoleranz, Feindseligkeit und Ausgrenzung gegenüber Schwulen und Lesben, die auch die neue Gesetzesinitiative und vollmundige Politikerbekenntnisse nicht ganz auszuräumen vermögen. (Fotos/Repros: Caspar)

Die Berliner Denkmallandschaft hat Zuwachs bekommen. Am Magnus-Hirschfeld-Ufer im Ortsteil Moabit hat Justizsenator Dirk Behrendt am 7. September 2017 eine Erinnerungsstätte für die weltweit erste homosexuelle Emanzipationsbewegung eingeweiht. Sechs vier Meter hohe Calla-Blüten ragen als Symbole für sexuelle Vielfalt in den Himmel. Die ursprünglich südafrikanische Lilienpflanze mit dem botanischen Namen Zantedeschia können je nach Art im Sommer wie im Winter sowohl im Zimmer als auch im Garten blühen. Benannt nach dem altgriechischen Wort kalós für schön bezieht sich die Calla auf die Nymphe Kallisto und die Muse der Dichtung und Wissenschaft Kalliope. Die Calla besitzt gleichzeitig sowohl weibliche als auch männliche Blüten.

Die überlebensgroß an grünen Stängeln in den Himmel ragenden Blüten in den Regenbogenfarben ergänzen zwei schon länger an diesem Ort aufgestellte Metallstelen, die in Bild und Schrift an den Kampf gegen die Unterdrückung von Homosexuellen im Deutschen Reich während der Kaiserzeit und in der nationalsozialistischen Diktatur erinnern. Die Tafeln machen gleichzeitig darauf aufmerksam, dass es in Berlin eine starke Bewegung gab, die für die Rechte der Schwulen und Lesben überall auf der Welt kämpfte und für die Abschaffung diskriminierender Strafparagraphen eintrat. Eigentlich sollte es schon im Herbst 2016 eingeweiht werden, doch es gab Verzögerungen bei der Baugenehmigung. Die Gestaltung erfolgte in Verbindung mit der Universität der Künste Berlin durch eine Gruppe von Künstlerinnen und Künstlerinnen. Ihre Namen sowie die beteiligten Firmen und Institutionen sind in der Bodenplatte dankbar vermerkt.

Die Initiative für das Denkmal kam vom Lesben- und Schwulenverband Berlin-Brandenburg (LSVD). Anders als die Gedenkstätte im nahen Tiergarten gegenüber dem Denkmal für die von den Nationalsozialisten ermordeten Juden Europas will die neue Erinnerungsstätte oberhalb des Spreeufers vis à vis des Bundeskanzleramtes und der Kongresshalle nicht explizit an die Verfolgung und Ermordung von Homosexuellen während der NS-Zeit erinnern, sondern die Emanzipationsbewegung um den Arzt Magnus Hirschfeld würdigen. Das von ihm gegründete Wissenschaftlich-humanitäre Komitee (WhK) war der erste Versuch in der Geschichte, sich gegen antihomosexuelle Strafgesetze zu organisieren und die Öffentlichkeit sachlich über das "Wesen der mann-männlichen Liebe" aufzuklären. Als weltweit erste Organisation stritt das Komitee dafür, sexuelle Handlungen zwischen Männern zu entkriminalisieren. Hirschfelds Wirken hatte in Deutschland und der Welt Einfluss auf Bestrebungen, diesbezügliche Straftatbestände abzuschaffen oder abzumildern.

Heil- und Zufluchtstätte

1919 errichtete Hirschfeld auf dem Gelände zwischen dem heutigen Bundeskanzleramt und der Kongresshalle, dem heutigen Haus der Kulturen der Welt, das Institut für Sexualwissenschaft. Das villenartige Haus mit der Adresse In den Zelten 9a/10 steht nicht mehr. Der Arzt war 1910 hierher gezogen. Sein Institut für Sexualwissenschaft wurde 1924 vom preußischen Staat als gemeinnützige Dr. Magnus-Hirschfeld-Stiftung anerkannt und verstand sich als "Stätte der Belehrung und Forschung" sowie als "Heil- und Zufluchtsstätte". Es trat mit wissenschaftlichen Studien hervor, die Berlin zu einem Zentrum der Sexualkunde werden ließen. 1933 wurde das Institut von den Nazis demoliert. Die dort versammelten Bücher und Schriften landeten bei der Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 auf dem Scheiterhaufen, der auf dem Berliner Opernplatz angezündet wurde. Ein Trupp johlender Braunhemdenträger führte dem Triumphzug eine aus dem Institut gestohlene Hirschfeld-Büste voran. Da sich Hirschfeld gerade auf einer Weltreise befand, als Hitler an die Macht kam, blieb ihm der Anblick seines geschändeten und von der Nazipresse übel beleumdeten Instituts erspart. Wäre er in die Hand der Gestapo gefallen, hätte er die Torturen wohl kaum überstanden und niemals mehr in Freiheit gekommen. Hirschfeld starb 1935 in Nizza. Dass 2013 an der Bibliothek der Humboldt Universität zu Berlin zum 80. Jahrestag der Bücherverbrennung das "Archiv für Sexualwissenschaft" mit einigen tausend Büchern und Dokumenten neu gegründet werden konnte, ist eine späte Wiedergutmachung an dem Vorkämpfer für die Rechte der Homosexuellen.

Die Schande des Rechtsstaats

Bundesjustizminister Heiko Maas hat im März 2017 bei der Vorlage eines Gesetzentwurfs im Deutschen Bundestag die Verurteilung homosexueller Männer in der Nachkriegszeit als Schandtat des Rechtsstaats kritisiert. Der in der Nazizeit noch verschärfte Paragraf 175 habe Berufswege verstellt, Karrieren zerstört und Biografien vernichtet. Den wenigen Opfern, die heute noch leben, soll endlich Gerechtigkeit widerfahren. "Der Staat hat Schuld auf sich geladen, weil er so vielen Menschen das Leben erschwert hat. Der Paragraf 175 StGB war von Anfang an verfassungswidrig. Die alten Urteile sind Unrecht. Sie verletzen jeden Verurteilten zutiefst in seiner Menschenwürde. Diese Schandtaten des Rechtsstaats werden wir niemals wieder ganz beseitigen können, aber wir wollen die Opfer rehabilitieren", sagte Maas. Per Gesetz werden alle nach 1945 gesprochenen Urteile wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen aufgehoben. Betroffene sollen eine Entschädigung von pauschal 3.000 Euro pro Urteil und zusätzlich 1.500 Euro pro erlittenes Jahr Haft erhalten. Die Bundesrepublik Deutschland, in der es über Jahrzehnte eine weit verbreitete Abneigung gegen Schwule und Lesben gab und auch heute noch gibt, wenn auch versteckt und verdruckst, hatte den 1935 durch die Nationalsozialisten verschärften Paragrafen 175 des Strafgesetzbuchs übernommen. Bis zu seiner Entschärfung 1969 wurden nach Schätzungen rund 50.000 Männer zu teils mehrjährigen Haftstrafen verurteilt und danach noch einmal etwa 3500. Die DDR hat 1968 den Paragraphen zwar abgeschafft, doch waren dort Homosexuelle nicht gut gelitten und wurden auch von der Stasi überwacht.

13. September 2017

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