Stolpersteine wieder am alten Platz
Erinnerung in der zum Weltkulturerbe gehörenden Hufeisensiedlung im Ortsteil Britz an Kämpfer gegen das Hitlerregime



Das Todesjahr 1941 auf dem neuen Stolperstein für Stanislaw Kubicki stimmt nicht, es müsste 1942 heißen, weshalb ein neuer hergestellt werden soll.



Im Wohnhaus seiner Eltern an der Onkel-Bräsig-Straße wohnt Stanislaw Karol Kubicki, der heute 91 Jahre alte Sohn des Widerstandskämpfers.



Die rote Litfaßsäule am der Kreuzung Fritz-Reuter-Allee/Lowise-Reuter-Ring berichtet über die Geschichte der Hufeisensiedlung, ihre Erbauer und Bewohner und wie sich die Leute heute gegen neonazistische Umtriebe zur Wehr setzen.



Ein 1980 unweit eines kleinen Teiches aufgestellter Gedenkstein ehrt Bruno Taut und Martin Wagner, die Erbauer der Hufeisensiedlung.



Wesentlich im Original erhalten sind die Häuser der Hufeinsensiedlung, die Straßen gehen von dem wie ein Hufeisen geformten Häuserring aus. (Fotos: Caspar)

Einen Monat nach dem schändlichen Diebstahl von Stolpersteinen in der Hufeisensiedlung im Berliner Bezirk Neukölln (Ortsteil Britz) sind nach und nach Stolpersteine in der Onkel-Bräsig-Straße und an anderen Stellen zum Gedenken an Menschen erneut verlegt worden. Sie erinnern an Menschen, die ihr Leben im Kampf gegen das Hitlerregime verloren haben. Die erste durch eine Sicherung aus Beton fest in den Boden eingelassene Messingplatte ehrt vor dem Haus Onkel-Bräsig-Straße 46 den Widerstandskämpfer, Maler und Schriftsteller Stanislaw Kubicki, der 1942 ermordet wurde. An anderer Stelle verlegte Stolpersteine ehren Hans-Georg Vötter, Wienand Kaasch, Getrud Seele, Georg Obst und weitere Widerstandskämpfer, die ebenfalls von den Nazis ermordet wurden. Bei den Feierstunden wurde darauf hingewiesen, dass Rechtspopulisten und Neonazis hinter der Schändung stecken oder direkt daran beteiligt waren. Bisher konnten die Täter nicht dingfest gemacht werden, die Fahndung aber läuft. So verschieden die sieben Männer und Frauen waren, an die in der Hufeisensiedlung durch die kleinen Messingplatten mit eingeschlagenen Namen und Daten erinnert wird, so ist ihnen doch eines eigen: persönlicher Mut, Unbeirrbarkeit unter Folter und in der vollständigen Isolation sowie Lauterkeit ihrer Motive.

Wachsam, mutig und standfest

Der vor dem früheren Wohnhaus von Stanislaw Kubicki liegende Stolperstein ehrt einen Künstler, dessen Werke 1933 von SA-Schergen bei Haussuchungen zerstört wurden. Dem deutschen Staatsbürger polnischer Abstammung gelang 1934 die Flucht nach Polen, wo er auf dem Gut der Grafen Mycielskis in Kobylepole bei Posen ein Denkmal zu Ehren von Marschall Józef Pi?sudski schuf. Nach dem Überfall der Wehrmacht auf Polen am 1. September 1939 schloss sich Kubicki dem Widerstand an in Polen an. Als Kurier brachte er Informationen von dort nach Berlin in die Botschaft des von Japan abhängigen Staates Mandschukuo zur Weiterleitung nach London. Außerdem schmuggelte er Geld zur Unterstützung des Widerstands zurück nach Polen. Mitte 1941 wurde Kubicki verhaftet. Ob er an die Gestapo verraten wurde oder der Geheimpolizei bei einer Razzia in die Hände fiel, ist nicht bekannt. Sein letzter Brief aus dem Pawiak-Gefängnis in Warschau trägt den Poststempel vom 14. Januar 1942.

Stanislaw Kubickis heute 91 Jahre alter Sohn schilderte bei der Stolperstein-Verlegung, wie er damals die Gestapoleute hinters Licht führte, indem er sich als besonders strammer Hitlerjunge ausgab. Seine Mutter habe zu ihm später bewundernd gesagt: "Junge, ich wusste gar nicht, wie du so ungeheuer lügen kannst." Stanislaw Karol Kubicki lebt nach wie vor in dem Haus seiner Eltern. Nach dem Ende der Nazidiktatur war er Mitgründer der Freien Universität Berlin sowie Professor für Klinische Neurophysiologie und Kunstwissenschaftler. Der Emeritus kümmert sich auch heute um das malerische Werk seiner Eltern, organisiert Ausstellungen und verleiht Hinterlassenschaften seiner Eltern und ihrer avantgardistischen Freunde an deutsche und internationale Ausstellungen.

Hufeisern gegen rechts

Indem bei den Stolperstein-Verlegungen aus der Lebensgeschichte der früheren Bewohner der Hufeisensiedlung berichtet wurde, riefen die Teilnehmer zu Mut, Wachsamkeit und Standfestigkeit auf. Dies tut auch eine Litfaßsäule an der Kreuzung Fritz-Reuter-Allee/Lowise-Reuter-Ring, die nicht nur über die Entstehungsgeschichte der 1927 bis 1931 nach Plänen von Bruno Taut und Martin Wagner erbauten Hufeisensiedlung berichtet, sondern auch darauf hinweist, dass hier viele Menschen gewohnt haben, die sich während der Weimarer Republik dem Kampf für die Verbesserung der sozialen Verhältnisse und gegen die drohende faschistische Gefahr verschrieben haben und während der NS-Diktatur Widerstand leisteten. Zu ihnen gehörten Heinrich Vogeler und Erich Mühsam. Nach 1933 haben die Nazis politisch und aus rassistischen Gründen missliebige Bewohner aus den Häusern vertrieben. Stramme Nazis machten sich in ihnen breit. Einer war der SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann, der als "Spediteur des Holocausts" auf schreckliche Weise in die Geschichte des 20. Jahrhunderts eingegangen ist.

Auf der Litfaßsäule wird festgestellt: "Gerade auch im Rückblick auf die Geschichte der Siedlung, in deren Rahmen Bewohner schon einmal Repressalien ausgesetzt waren, erklärten sich viele Nachbarn solidarisch mit den Betroffenen und setzen sich seither dafür ein, ein Leben in Vielfalt und Freiheit unabhängig vom Lebensentwurf, Herkunft, Weltanschauung und Religion zu erhalten und zu bewahren. Dazu gehört sowohl die Erinnerung an politisch und rassisch verfolgte (ehemalige) Bewohner als auch die aktuelle Unterstützung von Flüchtlingen, die in unmittelbarer Nachbarschaft der Hufeisensiedlung leben." Beim Besuch der Siedlung ist außerdem zu erfahren, dass sich 2012 dort die Bürgerinitiative "Hufeisern gegen rechts" gegründet hat, nachdem es Brandanschläge und tätliche Übergriffe durch Neonazis gegeben hat, nur weil sich Bewohner geweigert hatten, deren Hetzflugblätter anzunehmen. Beim Rundgang fallen ungewöhnliche Straßennamen wie Hüsung, Dörchleuchtingstraße oder Miningstraße ins Auge. Abgeleitet sind sie von Romanen und Figuren aus dem Werk des niederdeutschen Schriftstellers Fritz Reuter, der auch Namensgeber einer von der U-Bahnstation Blaschkoallee abgehenden Straße ist.

Auf der UNESCO-Liste des Weltkulturerbes

Sechs Berliner Wohnsiedlungen aus den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts wurden 2008 in die UNESCO-Liste für das Welterbe-Liste aufgenommen worden. Das Welterbe-Komitee hatte 2008 im kanadischen Quebec einem entsprechenden Antrag stattgegeben. Nach den königlich-preußischen Schlössern und Gärten in Potsdam sowie im Berliner Ortsteil Glienicke und der Museumsinsel hat Berlin nun eine dritte Welterbe-Position inne. Aufgenommen wurden als herausragende Zeugnisse des sozialen Wohnungsbau im frühen 20. Jahrhundert die Gartenstadt Falkenberg in Treptow (1913-1915 erbaut von Bruno Taut), die Schillerpark-Siedlung im Wedding (1924-1930 erbaut von Bruno Taut und Franz Hoffmann), die Großsiedlung Britz Hufeisensiedlung in Neukölln (1925-1931 erbaut von Bruno Taut und Martin Wagner), die Wohnstadt Carl Legien im Prenzlauer Berg (1928-1930 erbaut von Bruno Taut und Franz Hillinger), die Weiße Stadt in Reinickendorf (1929-1931 erbaut von Bruno Ahrends, Wilhelm Büning und Otto Rudolf Salvisberg) und die Großsiedlung Siemensstadt in Charlottenburg und Spandau (1929-1931 erbaut von Otto Bartning, Fred Forbat, Walter Gropius, Hugo Häring, Paul Rudolf Henning und Hans Scharoun).

Die bis heute weitgehend original erhaltenen Wohn- und Erholungsgebiete wurden ausgewählt, weil sie besonders authentisch die sozialreformerischen Anstrengungen der Weimarer Republik verdeutlichen. Die Bauten und Gärten sind in guten Händen, der Welterbetitel bringt ihnen zusätzliche Zuwendung und Aufmerksamkeit, aber auch die Verpflichtung, sie zu pflegen und Veränderungen nur mit Zustimmung der Denkmalpflege vorzunehmen.

7. Dezember 2017

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