Reise in die Vorgeschichte
Im Museumspark Rüdersdorf bei Berlin blieben über 200 Jahre alte Industriebauten erhalten



Die 1804 erbauten Rumfordöfen wurden in den vergangenen Jahren als wichtige Zeugnisse der Industriegeschichte restauriert. Von sechs blieben zwei erhalten.



An einen preußischen Minister, der sich um den Rüdersdorfer Tagebau verdient gemacht hat, erinnert das Bülowportal mit der Jahreszahl 1816. Riesige Löwenköpfe flankieren die Inschrift



Die Grafik aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bildet Rüdersdorfer Bauten und einen der Kanäle ab.



Wie eine mittelalterliche Burg ist der Seilscheibenpfeiler gestaltet. Er diente dem Transport des im Tagebau gebrochenen Kalksteins.



Ein eindrucksvolles Denkmal der Industriegeschichte der Kaiserzeit ist die Schachtofenbatterie, die von 1871 bis 1967 in Betrieb war.



In die Luken der Schachtofenbatterie wurden die klein geschlagenen Kalksteine geworfen, durch die Öfen darunter wurden sie stark erhitzt.




In der riesigen Halle unter der Schachtofenbatterie erhält man eine Ahnung davon, unter welch körperlich anstrengenden und gesundheitsschädlichen Bedingungen die gebrannten Steine aus den Öfen geholt und weiter verarbeitet wurden. (Fotos/Repro: Caspar)

Rüdersdorf, östlich von Berlin direkt an der A 10 im Landkreis Märkisch Oderland gelegen, hatte lange Zeit den Ruf als Drecknest. Hier wurde in DDR-Zeiten unter unbeschreiblichen Zuständen und ohne Rücksicht auf den Umweltschutz Kalk im Tagebau gebrochen und in schwarz qualmenden Öfen gebrannt, um aus der durch Hitzeeinwirkung chemisch umgewandelten Masse Mörtel und Zement zu gewinnen. Das alles ist Geschichte, wird aber im Museumspark Rüdersdorf mit alten Industriebauten sowie auf Bild- und Schrifttafeln dokumentiert. Menschen und Natur haben sich in den vergangenen Jahren nach dem Einbau von Filteranlagen erholt. Heute produziert und vertreibt die CEMEX Deutschland AG in einem hochmodernen Zementwerk Baustoffe. Die Produktionsstufen reichen vom Tagebau über die Rohmahlung, dem Brennprozess und die Zementmahlung bis hin zum Versand. In den vergangenen Jahren wurden die Filteranlagen so umgebaut, dass sie den vorgeschriebenen Grenzwert für Staub von 10 mg/m³ einhalten.

Die mächtigen Kalkablagerungen rund um Rüdersdorf sind Rückstände eines Meeres, das die Gegend vor 240 Millionen bedeckt hat. Im "Haus der Steine" gleich beim Eingang sind Fossilien und Mineralien ausgestellt, die auf dem weitläufigen Tagebaugelände entdeckt wurden und heute noch gefunden werden. Unter sachkundiger Führung kann man bei geologischen Wanderungen Fossilien suchen, bestimmen und auch mitnehmen. Immer zu Beginn des Monats Juli lädt der Museumspark Rüdersdorf zum traditionellen Bergfest ein. Besucher haben die Möglichkeit, sich in sachkundigen Führungen über Tradition und Gegenwart des Kalkbergbaus zu informieren. Auch wer an anderen Tagen kommt, erfährt, dass schon vor über 750 Jahren in Rüdersdorf Kalkstein abgebaut wurde. Im Mittelalter taten das Zisterziensermönche, nach der Aufhebung ihres Klosters in Zinna übernahmen die brandenburgischen Kurfürsten die Regie.

Auf Kanälen bis nach Berlin

Sehenswert sind zwei aus dem frühen 19. Jahrhundert stammende Steinöfen, die nach ihrem englischen Konstrukteur, dem Earl (Grafen) Benjamin of Rumford, benannt sind. In diesen während der vergangenen Jahren sorgsam restaurierten Bauten von pyramidenförmiger Gestalt wurde der in kleine Stücke zerschlagene Kalkstein gebrannt. Indem er durch Befeuerung zum Glühen gebracht wurde, verwandelte er sich in Branntkalk. Das Material wurde zermahlen und in Fässern transportiert. Mit Wasser und Sand vermengt, hat man es zur Herstellung von Mörtel für den Hausbau verwendet. Die urtümlich anmutenden Rumfordöfen besitzen Seltenheitswert. Nicht einmal in England blieben die eindrucksvollen Zeugnisse der Industriegeschichte erhalten. Wenn Besucher sie durchstreifen, kommen sie auch in Räume, die bis in die 1970-er Jahre bewohnt waren. Zum Glück haben weitblickende Rüdersdorfer das Inventar vor der Vernichtung, so dass man einen guten Einblick in die einfache, ja spartanische Lebensweise derer gewinnen kann, die hier gewohnt haben.

Halb Berlin besteht aus den in ausgesprochener Knochenarbeit gewonnenen Rüdersdorfer Baustoffen. Viele Gebäude sind mit Kalksteinplatten verkleidet. Der aus dem Ort vor den Toren der Stadt stammende Mörtel hält die Ziegelsteine zusammen, die an anderer Stelle im Land Brandenburg hergestellt wurden. Die im Rüdersdorfer Tagebau gebrochenen Steine und der in mächtigen Öfen gewonnene Branntkalk gelangte mit Kähnen auf Kanälen sowie über die sich anschließende Seenkette nach Berlin, das im späten 19. Jahrhundert einen großen Bedarf an Kalksteinen, Mörtel und Zement aus Rüdersdorf hatte. Im Verlauf des 19. Jahrhundert übernahm die Eisenbahn den Transport. Da man in Preußen großen Wert auf gut gestaltete Industrie- und Wirtschaftsbauten legte, hat man die Öffnungen dieser Kanäle mit steinernen Bögen eingefasst. Eines der klassizistisch gestalteten Eingangsportale trägt die Jahreszahl 1816. Riesige Löwenköpfe flankieren die Inschrift, die an den um den Industriestandort Rüdersdorf verdienten Minister Ludwig Friedrich Graf von Bülow erinnert. Ein anderes Tor ist dem um die Entwicklung von Wirtschaft und Kultur verdienten Minister Friedrich Anton von Heinitz gewidmet. An ihn erinnert eine Straße, die von einer Rüdersdorfer Straßenbahnhaltesteller in Autobahnnähe direkt in den Museumspark führt.

Einige raffiniert konstruierte Industriebauten aus dem 19. Jahrhundert stehen noch. Ins Auge fallen am Eingang zu dem Museumspark die nach ihrem Konstrukteur, dem englischen Grafen Benjamin Rumford, benannten Rumfordöfen, die in den vergangenen Jahren sorgfältig restauriert und so zur Freude aller an Landes- und Industriegeschichte interessierten Zeitgenossen vor dem Verfall und aus dem Dornröschenschlaf geweckt wurden. Von den ehemals sechs Öfen blieben zwei erhalten. Denkmalpfleger und Heimatfreunde hüten sie wie ihren Augapfel gehütet.

Da die Kapazität der recht urtümlich anmutenden Rumfordöfen begrenzt war, wurden sie um 1871, als gerade das deutsche Kaiserreich gegründet war, durch eine neuartige Schachtofenbatterie abgelöst, die bis 1967 in Betrieb war. Zum Glück wurde dieses technische Denkmal, wie andere historische Bauten auf dem Betriebsgelände auch, nicht abgerissen. Eine denkmalpflegerische Dokumentation wurde in der späten DDR-Zeit angelegt, doch kamen konkrete Rettungsmaßnahmen erst nach der Wiedervereinigung 1990 zustande. Unter den röhrenartig in den Himmel ragenden Öfen erstreckt sich ein riesiges Gewölbe, in dem der in den Öfen erhitzte Kalkstein weiterverarbeitet wurde. Riesige, mit Staub bedeckte Fabrikhallen in der Umgebung sind verlassen, denn die Zementgewinnung und -verarbeitung findet in der Ferne statt.

Umweltschutz blieb auf der Strecke

Besucher des Museumsparks haben die Möglichkeit, sich bei sachkundigen Führungen oder ganz individuell über Tradition und Gegenwart des Kalkbergbaus zu informieren, aber auch eine Reise in die Urgeschichte zu unternehmen. Denn die mächtigen Kalkablagerungen sind Rückstände eines Meers, das die Gegend vor 240 Millionen bedeckt hat. Wer möchte, kann bei den Führungen, mit Helm und Hammer bewaffnet, nach solchen Rückständen suchen.

In einer kleinen Freiluftausstellung zu Füßen der Schachtofenbatterie sind auf Fotos aus der Kaiserzeit dunkel qualmende Schlote und schwitzende Männer beim Abladen der zum Brennen bestimmten Kalksteine beziehungsweise vor den glühend heißen Ofenlöchern zu sehen, die immerzu mit Kohlen befeuert werden mussten. Die Bilder unterstreichen, dass die Arbeit in den Rüdersdorfer Kalkwerken ein ausgesprochener Knochenjob war. Im Zweiten Weltkrieg mussten hier Zwangsarbeiter schuften, in DDR-Zeiten waren neben regulären Beschäftigten auch Gefangene eingesetzt. Auf die Umwelt wurde zu allen Zeiten keine Rücksicht genommen, ist weiter zu erfahren. Der Ausstoß aus den Schloten ohne Filter betrug täglich über hundert Tonnen, der sich in der ganzen Gegend absetzte und die Gesundheit der Bewohner beeinträchtigte. Vor allem in der Nacht rieselte Zementstaub auf Menschen, Pflanzen, das Erdreich und die Bauten in Rüdersdorf und Umgebung. Und so konnte es geschehen, dass Hausdächer einstürzten, weil sie die Last der steinharten Schichten nicht mehr aushielten.

Wenn sich Rüdersdorfer Einwohner sowie Arbeiter, die in dem Volkseigenen Betrieb eingesetzt waren, über den Staub beschwerten, der die Lungen angriff und schwere Gesundheitsschäden hervorrief, wurde ihnen achselzuckend vorgehalten, sie würden nicht verstehen, "dass bei modernen neuen Industrieanlagen nicht die technologischen Voraussetzungen für die Reinhaltung der Luft geschaffen werden können". Filteranlagen würden die Produktion drosseln, und da Rüdersdorfer Zement ein wichtiger Devisenbringer ist, könne man sich solche Einschränkungen nun einmal nicht leisten. Das ist zum Glück Vergangenheit, doch ist es gut, wenn man sich ihrer erinnert.

7. August 2017

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