Das Geheimnis des Magnushauses
Zeitzeugen erinnern an schlimme Erlebnisse in Gefängnissen des sowjetischen Geheimdienstes



Dem vornehmen Magnushaus am Kupfergraben, der Museumsinsel gegenüber, sieht man nicht an, dass hier nach dem Zweiten Weltkrieg gefoltert wurde.





Seit 1886 gab es in der Fröbelstraße 15 das größte Asyl der Stadt, genannt Städtisches Obdach und inoffiziell die "Palme" nach einer in den Anfangsjahren im Vorraum stehenden Topfpalme. Die Häuser mit auffälliger Klinkerfassade boten für bis zu 5000 Menschen in 40 Schlafsälen eine Übernachtungsmöglichkeit.





Entlang der Außenfassade der damaligen Haftstätte an der Fröbelstraße/Prenzlauer Allee hat die Künstlerin Karla Sachse ein Schriftband mit Gedanken und Hoffnungen der Gefangenen des sowjetischen Geheimdienstes und ab 1950 des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit angebracht. Auf dem Gelände aufgestellte Tafeln berichten in Bild und Schrift und einer solchen Draufsicht über die Geschichte der Bauten an der Fröbelstraße und das Schicksal der Menschen, die dort gefangen gehaltenen wurden.



Was sich jenseits der deutsch-sowjetischen Propaganda abspielte, war offiziell kein Thema, aber viele Leute in und außerhalb der DDR ließen sich nicht einlullen. (Fotos: Caspar)

Das Magnushaus am Kupfergraben gegenüber der Museumsinsel ist ein vornehmes Stadtpalais. In dem nach seinem Bewohner, dem Berliner Physiker Gustav Magnus, benannten Gebäude wurde 1845 die Physikalische Gesellschaft gegründet. 1911 zog der bekannte Theaterregisseur Max Reinhardt in das Haus aus dem 18. Jahrhundert ein. Eine Gedenktafel nennt Magnus und Reinhardt, doch fehlt ein Hinweis, dass sich in dem Gebäude gleich nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ein sowjetischer Verhör- und Folterkeller befand. Der Berliner Historiker Peter Erler hat ermittelt, dass das Magnushaus und etwa 50 weitere quer durch die damalige Viersektorenstadt Gefängnisse und Verhörzentralen des NKWD (Volkskommissariat für Innere Angelegenheiten), der GPU (Staatliche Politische Verwaltung), des militärischen Geheimdienstes und anderer Dienststellen waren. Der damals neunzehnjährige Berliner Hans Corbat beispielsweise hat seine Erlebnisse in der ehemaligen Kellerwohnung von Hans Reinhardts Chauffeur beschrieben. Wo man heute seine Garderobe abgibt, wurden er und andere Gefangene angebrüllt, mit Fäusten geschlagen und mit Stiefeln getreten. Laute Radiomusik und das Geschrei der Gequälten, Hunger, Kälte, unbeschreibbare sanitäre Verhältnisse und die immer gleichen Fragen der Vernehmer nach angeblichen Verbrechen haben sich diesem und den anderen Gefangenen tief eingebrannt.

Für viele von der Straße weg verhaftete oder bei Dunkelheit aus den Wohnungen abgeholte Personen waren die überfüllten, stickigen Keller des Magnushauses die erste Station auf einem Leidensweg, der nicht selten vor sowjetische Exekutionskommandos oder in sibirische Arbeitslager führte. Rund 200 000 deutsche Zivilisten waren bis in die fünfziger Jahre hinein in Stalins Gefängnissen unter der Anschuldigung eingekerkert, Kriegsverbrechen begangen oder als "Werwölfe" an Sabotageakten gegen die Besatzungsmacht mitgewirkt zu haben. Rund 35 000 von ihnen wurden in die Straflager geschickt oder erschossen. In den letzten Kriegsmonaten gab es Pläne, die Partisanenorganisation Werwolf in den von den Alliierten besetzten Gebieten Anschläge und Überfälle ausführen zu lassen. Die Freischärlerorganisation war im September 1944 vom Reichsführer SS Heinrich Himmler gegründet worden. Nach der altgermanischen Figur eines Menschen, der sich in einen Wolf verwandeln kann und als Verbündete des Teufels aus dem Hintergrund und dem Dunkeln überfallartig Tod, Angst und Schrecken verbreitet, sollten sich der Geheimtruppe Angehörige der NSDAP, der SS, der Wehrmacht und Hitlerjugend anschließen. Sie hatten den Befehl. Attentate in den besetzten Gebieten auszuführen, die Bevölkerung von Kapitulationen abzuhalten und die Zusammenarbeit mit den Besatzungstruppen zu torpedieren.

Deutsch-sowjetische Freundschaft

Obwohl der von der SS trainierte, von der Wehrmacht ausgerüstete und von der Goebbels-Propaganda ideologisch aufmunitionierte Werwolf praktisch nur wenig zum Zuge kam, weil sein Rückhalt in der Bevölkerung gering war und sie auch kaum noch Interesse an der Fortführung des Krieges hatte, war seine moralische Wirkung nicht gering. Vor allem Stalins Rote Armee und sein Geheimdienst richteten große Anstrengungen auf die Zerschlagung der nationalsozialistischen Terrororganisation, und wo Spuren von ihr nicht zu finden waren, zog man auch Unbeteiligte zur Rechenschaft, was in der Regel Erschießung oder Verschleppung in sowjetische Straflager und Zuchthäuser bedeutete. Gewaltsame Übergriffe und Terrorakte von Angehörigen der Roten Armee gegenüber der deutschen Bevölkerung wurden auch damit gerechtfertigt, dass verbrecherische Anschläge von Werwolf-Leuten mit aller Gewalt unterbunden werden müssen. Das Thema war in der DDR tabu, weil es auf die Legende von der deutsch-sowjetischen Freundschaft einen Schatten warf. Durch abenteuerliche Erzählungen, ob sie einen realen Hintergrund hatten oder nicht, sind Geschichten vom Werwolf bis heute lebendig.

Einzelheiten über die Vorgänge in sowjetischen Gefängnissen und Verhörkellern vermittelt die vor einigen Jahren erschienene Publikation "GPU-Keller - Arrestlokale und Untersuchungsgefängnisse sowjetischer Geheimdienste in Berlin (1945-1949)" (77 Seiten, 3 Euro). Bei der Buchvorstellung im Magnushaus betonte Peter Erler, dass die Forschungen über dieses "vergessene und verdrängte Kapitel deutscher Nachkriegsgeschichte" erst am Anfang stehen. Wichtige Akten befänden sich in Moskau unter Verschluss, viele Einzelheiten ließen sich nur durch Befragung von Zeitzeugen klären, deren Zahl immer mehr abnimmt. Wer in einen dieser Keller kam, wusste zumeist nicht, wo er sich befindet. Das erschwere die Identifizierung.

Die meisten Orte konnten im Ostteil der Stadt ausgemacht werden, so die Zentralkommandantur der Sowjetischen Militäradministration an der Luisenstraße im Bezirk Mitte, ferner das Haus Prenzlauer Allee 63, wo eine Gedenkinschrift an die Opfer kommunistischer Gewaltherrschaft erinnert, oder Gebäude in der heutigen Magdalenenstraße und Am Tierpark in Lichtenberg, ferner in einer ehemaligen Fabrik an der Gounodstraße in Weißensee oder in einem ehemaligen SA-Lokal in Köpenick. Als die Sowjets kurze Zeit vor Ankunft der Amerikaner, Briten und Franzosen im Westteil Berlins herrschten, unterhielte sie auch dort Verhör- und Folterkeller. Erler hat unter anderem die Adressen Stuttgarter Platz 19 in Charlottenburg, Forster Straße 5 in Kreuzberg, die Hauptstraße 125 in Schöneberg, die Lepsiusstraße 104 in Steglitz und das Amtsgericht Karl-Marx-Straße 76/77 in Neukölln ausfindig gemacht.

Abgeholt, verhört, verschwunden

Was sich nach dem Ende der Naziherrschaft in den GPU-Kellern abspielte und wie die Verhöre abliefen, ist Zeitzeugen noch heute in schlimmer Erinnerung. Bei der Vorstellung der vom Bund der Stalinistisch Verfolgten e. V. herausgegebenen Broschüre schilderte Jutta Petenati, wie sie als damals Sechzehnjährige Anfang August 1945 "abgeholt", also verhaftet wurde, und zermürbenden Verhören ausgesetzt war. Deren Ziel war es, ihr ein Geständnis über angebliche Verwicklungen in Naziverbrechen und den Besitz von Waffen zu entlocken. Sie sollte auch Namen von Komplizen nennen. "Ich konnte nichts sagen, denn ich wusste nichts. Es ging aber wohl auch um eine spätere Mitarbeit als Spionin für die Besatzer", sagte sichtlich bewegt Jutta Petenati. Sie wurde nach zweieinhalb Wochen entkräftet und stark traumatisiert aus einem Folterkeller in der Torstraße (Mitte) entlassen. Aber damit war die spätere Kindergärtnerin ihre Verfolger noch lange nicht los, die sie immer wieder, allerdings vergeblich zur "Mitarbeit" aufforderten. Erst durch die Flucht nach West-Berlin konnte sie sich befreien, doch die Erinnerung an die Brutalitäten im GPU-Keller ist sie nie losgeworden.

Das gilt auch für zwei andere Zeitzeugen. Der damals 15jährige Schüler Horst Jänichen und der 22jährige Rundfunkvolontär Werner Rösler wurden bei den Verhören geschlagen und getreten und nach abgepressten Geständnissen zu hohen Freiheitsstrafen verurteilt. Keiner hat je erfahren, wie der Geheimdienst ausgerechnet auf sie gekommen ist. Denunziation mag auch hier im Spiel gewesen sein. Hubertus Knabe, der Leiter der Gedenkstätte im ehemaligen Stasi-Gefängnis Hohenschönhausen, hofft, dass sich weitere Zeitzeugen melden. Mit der Veröffentlichung von Adressen und ersten Einzelheiten sei ein wichtiger Schritt gemacht, um dieses traurige Kapitel aufzuarbeiten, das so wenig nicht in das vor allem im Osten propagierte Bild von den sowjetischen "Befreiern" passt.

Wer hörte nachts die Schreie?

Das Denkzeichen mit weißer Schrift auf schwarzem Grund erinnert an die dunkle Vergangenheit von Haus 3 des Bezirksamtes, in dessen Kellern das sowjetische Volkskommissariat für Innere Angelegenheiten (NKWD) eine Haftstätte unterhielt. Sie wurde 1950 wurde an das spätere Ministerium für Staatssicherheit übergeben und bestand nach jetzigen Erkenntnissen bis 1956. Zeitzeugen berichten, dass in dem Gefängnis Menschen inhaftiert wurden, die im Verdacht standen, Gegner der sowjetischen Besatzungsordnung beziehungsweise der von der SED dominierten staatlichen Organe der DDR zu sein. Oft wurden die Männer, Frauen und Jugendlichen von Nachbarn und Arbeitskollegen denunziert, und den Gefangenen war es kaum möglich, ihre Verhörer von der Unsinnigkeit der Beschuldigungen zu überzeugen. Die Zitate an der Wand sind Fragen, die damals von den Gefangenen, aber auch von deren Angehörigen und Freunden gestellt worden sein dürften, und es ist gut, dass man sie nun an den gelben Klinkerwänden lesen kann: "wie kalt war die Wand? Was fühlte der kahl geschorene Kopf?" wo stand der Kübel? wie viel Wert hatte ein Krümel Zucker? Was sagten geflüsterte Worte? Wie viel Schweigen vertrug das Ohr? wann half ein Gedicht? wer hörte nachts die Schreie? Wohin traf der erste Schlag? Wer achtete auf die Schatten am Fenster? Wer suchte die Verschwundenen? Wie groß war die Angst vor den eigenen Worten?"

Selbstverständlich war es in der DDR streng verboten, Fragen nach politischen Gefangenen und nach Folterstätten zu stellen, weil es diese offiziell nicht gab und Menschen, die ins Visier der Staatssicherheit und Klassenjustiz gerieten, als bloße Kriminelle abgetan wurden. Erst nach 1989/90 war es möglich, dieses mit dem Mantel des Schweigens bedeckte Kapitel der DDR-Geschichte zu lüften und aufzuarbeiten. Schon gar nicht war es erlaubt, die Rechts- und Gesetzestreue der sowjetischen Besatzer in Zweifel zu ziehen. Denn da die deutsch-sowjetische Freundschaft, was immer man darunter verstand, über allem stand und die Propaganda war da unerbittlich, den Mythos von der uneigennützig für die deutschen Freunde tätigen Besatzungsmacht zu pflegen, die den Menschen Kultur, Brot und Frieden bringt.

22. November 2017



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