Wo die SA ihren Blutrausch auslebte
Ehemalige Kaserne am Werner-Voß-Damm unweit des Berliner Südkreuzes wurde zur Gedenkstätte umgestaltet



Was sich nach der Errichtung der NS-Diktatur vor 80 Jahren in den Kellern des SA-Gefängnisses ereignete, schildert eine Ausstellung.



Eine Tafel vor dem Haus Werner-Voß-Damm 54 a erinnert an die Gräuel der Nationalsozialisten nach 1933.



Angehörigen der Terror- und Mördertruppe SA wurde von der Naziregierung Straffreiheit für alles zugesichert, was sie tun, und das haben sie skrupellos ausgenutzt.





Tafeln im Geschichtsquartier Südkreuz berichten über die Kasernenbauten an der General-von-Pape-Straße und was dort geschehen ist. Die Tafel mit dem Ballon weist auf einen sensationellen Aufstieg im Jahr 1901 hin. (Fotos: Caspar)

Unmittelbar nach der Errichtung der NS-Diktatur wurden überall in Berlin und im ganzen Deutschen Reich Jagd auf Juden, Kommunisten, Sozialdemokraten, Gewerkschafter und andere zu Staats- und Volksfeinden abgestempelte Personen gemacht und tausende Menschen in die Folterstätten der SA, Polizeigefängnisse und Konzentrationslager verschleppt. Die am 24. Februar 1933 gegründete Feldpolizei der SA-Gruppe Berlin-Brandenburg war eine mit Verhaftungen und Folterungen befasste Sonderformation, die später die Bezeichnung Feldjägerkorps erhielt. Da den Angehörigen dieser und weiterer Terroreinheiten von der Regierung ausdrücklich Straffreiheit zugesichert wurde, mussten sie nicht befürchten, für ihre Verbrechen zur Rechenschaft gezogen zu werden. So konnten sie ihren Blutrausch ungehindert ausleben. "Wer in Ausübung dieser Pflichten von der Schusswaffe Gebrauch macht, wird ohne Rücksicht auf die Folgen von mir gedeckt", sicherte der preußische Ministerpräsident und spätere Reichsmarschall Hermann Göring seinen Untergebenen zu und drohte ihnen zugleich mit dienststrafrechtlichen Folgen, wenn sie in falscher Rücksichtnahme versagen sollten. "Jeder Beamte hat sich stets vor Augen zu halten, dass die Unterlassung einer Maßnahme schwerer wiegt, als begangene Fehler in der Ausübung". Sinngemäß galt die Anweisung auch für die als Hilfspolizisten eingesetzten SA-Leute. Gegen einige von ihnen wegen ungeklärter Todesfälle angestrengte Untersuchungen verliefen auf Weisung von ganz oben im Sande.

Die Unterkunft der Feldpolizei befand sich in einem während der Kaiserzeit angelegten Kasernengelände im Berliner Bezirk Tempelhof mit der Adresse Papestraße 1/4 Haus H. Hier waren etwa 2000 Menschen aus Berlin und dem Land Brandenburg unter unbeschreiblichen Verhältnissen inhaftiert. Bislang sind etwa 500 Personen namentlich bekannt, die in der Kaserne leiden musste, doch war die wirkliche Zahl weitaus größer. Historiker rechnen mit etwa 30 Häftlingen, die hier erschlagen oder zu Tode gefoltert wurden. Einigen Gefangenen gelang nach der Entlassung die Flucht ins Ausland, wo sie in antifaschistischen Zeitungen und in Büchern darüber berichteten, was die SA-Leute ihnen angetan haben.

Misshandlungen und Scheinerschießungen

Verhaftungen durch die Polizei und die SA konnten jederzeit erfolgen, und wer in der Papestraße eingeliefert wurde, war wie in anderen Gefängnissen dieser Art auch schrecklichen Torturen ausgesetzt. Es wird von Schläge mit Stöcken und Peitschen - 50 für Sozialdemokraten, 100 für Kommunisten - , schmerzhaften Turn- und Exerzierübungen, Scheinerschießungen, stundenlangem Strammstehen und anderen Qualen bei ständigem Nahrungsentzug berichtet. Die hygienischen Verhältnisse und die medizinische Betreuung in den kalten und feuchten Kellerräumen des SA-Gefängnisses Papestraße waren völlig unzureichend und verschärften noch die verzweifelte Lage der von der Außenwelt abgeschnittenen Männer und Frauen. "Abgesehen von dem persönlichen Leid wirkte schwer auf mich, dass ich die fortgesetzten Misshandlungen von anderen, mir unbekannten Menschen mitansehen musste. Es wurde einem Gefangenen die Haut unter den Fußsohlen mit Feuer abgebrannt, zuerst mit der Zigarette, dann mit Streichhölzern, dann mit einer Papierfackel", schrieb der nach seiner Entlassung in die Schweiz geflohene Nervenarzt Dr. Fritz Fränkel an Eides statt. Während der Schreie der Gepeinigten sei im ersten Stock gesungen und Harmonika gespielt worden. Bei der Entlassung musste sich der schwer misshandelte Mediziner zu strengstem Stillschweigen verpflichten. Wenn er mit seiner Familie Deutschland nicht "endgültig" verlässt, würde er "nicht wieder zum Vorschein kommen", drohten die Peiniger. Der Fall Fränkel ist sowohl im Gedenkort SA-Gefängnis Papestraße als auch im "Braunbuch über Reichstagsbrand und Hitlerterror" (Basel 1933) mit weiteren Fällen von Rechtsbeugung, Folter und Mord dokumentiert. In dem Buch wird geschildert, dass den Häftlingen medizinische Hilfe nur dann gewährt wurde, wenn zu befürchten war, dass sie an den Folgen der ihnen zugefügten Misshandlungen sterben, bevor man ihnen Informationen über "Komplicen" abgerungen hat.

Kaum jemand wurde zur Rechenschaft gezogen

Seit Sommer 2013 ist im Keller der ehemaligen SA-Kaserne Papestraße mit der Adresse Werner-Voß-Damm 54 a unweit des S-Bahnhofs Südkreuz eine Gedenkstätte eingerichtet. Sie dokumentiert in Bild und Schrift die Zustände in dem SA-Gefängnis und schildert auch, wie die Häftlinge versuchten, einander beizustehen. Das dort wütende SA-Feldjägerkorps zog im Dezember 1933 in die Alexanderkaserne gegenüber der Museumsinsel im Berliner Bezirk Mitte um und verrichtete dort seine schweren Misshandlungen weiter. Nach dem Ende der NS-Herrschaft verblasste die Erinnerung an die Verbrechen in der SA-Hölle Papestraße. Erst in den frühen neunziger Jahren konnte das Haus H als derjenige Ort identifiziert werden, in dessen Kellerräumen die Menschen unter qualvollen Bedingungen bei Kälte, Hunger, Durst und ständiger Todesangst zwischen wenigen Tagen und mehreren Monaten gefangen gehalten wurden.

Die SA-Schläger wurden, bis auf wenige Ausnahmen, nach 1945 nicht zur Rechenschaft gezogen. In drei Fällen sprach das Berliner Landgericht mehrjährige Zuchthausstrafen gegen ehemalige SA-Feldpolizisten und einen Spitzel aus, der Regimegegner bei der Polizei angezeigt hatte. 1981 wurde am Haus Werner-Voß-Damm 62 eine den Opfern des frühen Naziterrors gewidmete Gedenktafel angebracht. Man wusste damals noch nicht, dass wenige Häuser weiter der eigentliche Ort der Naziverbrechen war. 1996 veröffentlichten Mitglieder der Geschichtswerkstatt Papestraße das Buch "SA-Gefängnis Papestraße - Spuren und Zeugnisse". Die Forschungen gingen weiter und sind auch in die Gestaltung der neuen Ausstellung eingeflossen.

23. November 2017

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