Gute Christen und kluge Untertanen
Vor 300 Jahren führte Preußens Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. die Schulpflicht in Preußen ein, doch der Erfolg war mäßig



Das königliche Edikt von 1717 über die Schulpflicht in Preußen war gut gemeint, ließ sich aber nur schwer durchsetzen.



Bei seinen trinkfreudigen Kumpanen fühlte sich Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. besonders wohl, der feindsinnige und wissbegierige Kronprinz Friedrich (II.) oben rechts sieht dem Treiben im Tabakskollegium voll Verachtung zu.



Der Grafiker Daniel Chodowiecki zeigt, wie ein armer Bauer mühsam einen Text zu lesen versucht.



Das Schloss Rekahn ist seit 2001 Museum, Gedenkstätte und Forschungszentrum. In allen Räumen ist der Geist des Gutsherren und Bildungspolitikers Friedrich Eberhard von Rochow präsent.



Im Schulmuseum wenige Schritte vom Rekahner Schloss entfernt wird gezeigt, wie ein Klassenraum während der Kaiserzeit ausgesehen hat. Wer möchte, kann auf den kleinen Holzbänken Platz und mit einem Federkiel schreiben. (Fotos/Repros: Caspar)

Er wollte nicht über ungebildete Menschen herrschen, ihm lag daran, dass Kinder und Erwachsene in seinem Reich lesen, rechnen, schreiben und manch anderes können. Die Rede ist vom preußischen Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I., der vor 300 Jahren die Schulpflicht für Kinder zwischen fünf und zwölf Jahren einführte. Der Monarch war kein Freund höherer Bildung und verweigerte seinem wissensdurstigen Sohn, dem späteren König Friedrich II., dem Großen, eine solche, hatte damit aber keinen Erfolg. Der gottesfürchtige, gelegentlich mit dem Stock auf seine Untertanen prügelnde Soldatenkönig hatte erkannt, dass Schulbildung eine wichtige Wirtschaftsressource eines modernen Staates und auch beim Führen von Kriegen und für die Bindung der Untertanen an Gott und zum Herrscherhaus eine Rolle spielt. All das sollte in der Schule ermittelt werden. Die Untertanen sollten außerdem befähigt werden, in der Bibel zu lesen und Kirchenlieder mitzusingen, aber auch königliche Edikte zu lesen und zu verstehen.

"Wir vernehmen missfällig und wird verschiedentlich von denen Inspectoren und Predigern bey Uns geklaget, dass die Eltern, absonderlich auf dem Lande, in Schickung ihrer Kinder zur Schule sich sehr säumig erzeigen, und dadurch die arme Jugend in große Unwissenheit, so wohl was das lesen, schreiben und rechnen betrifft, als auch in denen zu ihrem Heyl und Seeligkeit dienenden höchstnötigen Stücken auffwachsen lassen.", ließ der Herrscher am 28. September 1717 in einem Edikt seine Untertanen wissen. Er verordnete, dass an Orten, wo es Schulen gibt, die Eltern bei "nachdrücklicher Strafe" ihre Kinder für zwei Dreier wöchentliches Schulgeld täglich oder wenn sie "bey ihrer Wirtschaft benötiget seyn, zweimal in der Woche" in die Schule schicken sollen. Falls die Eltern das Geld nicht aufbringen können, soll die Gebühr aus Almosen bezahlt werden. Außerdem sollten die Prediger vor allem auf dem Lande stets am Sonntagnachmittag "Catechesation" mit ihren Gemeinden halten, also Religionsunterricht erteilen.

Hier die Theorie, dort die Praxis

Aus dem Text geht hervor, dass es Unterricht nur dort geben wird, wo schon Schulen existieren, auch wurde nichts gesagt, ob neben Jungen auch Mädchen unterwiesen werden sollen und überhaupt woraus der Unterricht besteht und wer ihn erteilt. Aus der preußischen Geschichte ist bekannt, dass dazu gern ausgemusterte Unteroffiziere und Kriegsinvaliden verwendet wurden, die selber nur geringe Schulbildung hatten, es aber gut verstanden, ihren Zöglingen den Stoff einzubläuen. Zum Unterricht "verdonnert" wurden auch Handwerker und Tagelöhner. Doch da sie alle zumeist selber nur schlecht als recht lesen, schreiben und rechnen konnten und außerdem miserabel bezahlt wurden, war von diesen Helfern in Sachen Schulbildung wenig zu erwarten.

Zwar hieß es in einer Schulfibel aus dem 18. Jahrhundert "Schön ist der Glocke Klang, / Du hörst ihn gern mein Kind; / Ruft er zur Schule dich, / so geh geschwind geschwind". Aber die Realität sah anders aus. Denn oft schlug die Schulglocke vergeblich an, weil Kinder auf dem Feld auf dem Bau oder in einer Handwerkerstube arbeiten mussten, um ein wenig Geld zum kärglichen Familienunterhalt hinzuzuverdienen. In der Regel erhielten Kinder aus "besseren Kreisen" Privatunterricht durch Geistliche oder Studenten. Prinzen und Prinzessinnen sowie Kinder adliger Familien bekamen selbstverständlich die beste Ausbildung. Manche Jungen aus diesen privilegierten Kreisen gingen zur Universität und unternahmen Bildungsreisen quer durch Europa.

Das General-Edikt des Soldatenkönigs war die eine Sache, der graue Alltag eine ganz andere. Denn viele Leute auf dem Lande und den Städten weigerten sich, ihre Kinder zum Unterricht zu schicken, denn sie wurden als Arbeitskräfte gebraucht. Außerdem fehlten überall Schulen, und wo es welche gab, befanden sie sich nicht selten in schlechtem Zustand. Die Kinder mussten eng zusammengepfercht lernen, aber wenigstens durften sie, ja mussten sie lernen. Das Edikt von 1717 hatte zwar geringe Wirkung, aber ein Anfang war gemacht. Das 1763 von Friedrich II. erlassene Generallandschulreglement sah, "um auf die folgende Zeit in den Schulen geschicktere und bessere Untertanen bilden und erziehen zu können", eine Schulpflicht von acht statt sechs Jahren vor. Der Unterricht sollte regelmäßig je drei Stunden vor- und nachmittags nach einem festen Lehrplan und mit ordentlich ausgebildeten Lehrern stattfinden. Es dauerte aber noch viele Jahrzehnte, bis die allgemeine Schulbildung durchgesetzt wurde. Dies gelang erst, nachdem zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Kinderarbeit im Deutschen Reich verboten war.

Obwohl es in Preußen die Schulpflicht gab, konnten nicht alle Landeskinder unterrichtet werden, und wenn ein Sohn aus dem Volk (Töchter waren ausgeschlossen!) mal ein Gymnasium oder gar eine Universität besuchte, hatte das mit viel Glück, Talent und Protektion zu tun. Im ausgehenden 18. Jahrhundert mühte sich der Gutsherr Friedrich Eberhard von Rochow in Reckahn (Landkreis Potsdam-Mittelmark), der Dorfjugend, und zwar Jungen wie Mädchen, eine gediegene Bildung zu vermitteln. Er wusste, dass die Entwicklung des Staatswesens, aber auch die Ökonomie vom Stand der Bildung wesentlich beeinflusst wird. Unterricht auf dem Lande, das war für die auf dem Feld und im Stall arbeitenden Bauernkinder die Ausnahme, denn sie hatten fürs Lesen und Schreiben keine Zeit. Rochow ermöglichte den Kindern seiner Bauern den Schulbesuch und fand damit in ganz Europa große Aufmerksamkeit und Nachahmer.

Zwischen Fibel und Bibel

Das Schloss Reckahn ist sowohl Museum und Gedenkstätte als auch Forschungszentrum, eine international geachtete Adresse, die auch viele ausländische Besucher anlockt. Träger ist der Verein Historisches Reckahn e. V., der das stattliche Herrenhaus auch für Tagungen und Konzerte nutzt und auch zu privaten Feiern zur Verfügung stellt. Mit Blick auf die Preußenfeiern 2001 hatte die Brandenburgische Schlösser GmbH das barocke Herrenhaus von Dach bis Keller saniert. In DDR-Zeiten war die Schule ziemlich heruntergekommen, doch seit 16 Jahren zeigt sich der wieder auf seine ursprünglichen Strukturen und Raumaufteilungen zurückgeführte Bau in altem Glanz. Rund zwei Millionen Euro kostete die Renovierung, mit der auch ein wichtiges Zeugnis märkischer Schlossbaukunst zu neuem Leben erweckt wurde.

Auf eigene Kosten hatte Rochow eine Dorfschule mit zwei Unterrichtsräumen nicht weit von seinem Gutshaus entfernt eingerichtet. Wer Lust und Zeit hat, kann sich in einem nachgestalteten Schulraum umschauen und sich auch in eine der engen Schulbänke zwängen. Rochow engagierte den Lehrer Heinrich Julius Bruns, dessen Grab sich auf dem benachbarten Friedhof befindet. Der Gutsherr war sich auch nicht zu schade, selber zu unterrichten. Außerdem trat er als Autor pädagogischer Traktate in Erscheinung, die zu den besonderen Schaustücken der mit Gemälden, Karten und Grafiken bestückten Ausstellung gehören. Immer wieder nachgedruckt und in zahlreiche Sprachen übersetzt wurde sein erstmals 1776 veröffentlichtes Buch "Kinderfreund - Ein Lesebuch zum Gebrauch in Landschulen", ein Wegweiser zu elementarem Wissen, der sich nach Rochows Worten "zwischen Fibel und Bibel" bewegte. "Dieses Buch ist der Armen wegen so wohlfeil. Denn es muss in jedes Schulkindes Händen seyn. Sonst könnten viele Kinder zugleich daraus nicht lesen lernen", heißt es im Vorwort.

Erstaunlich sind die Wirkungen der Rochow'schen Ideen in Brandenburg-Preußen und darüber hinaus. So erfährt man beim Rundgang durch die Ausstellung im Schloss, dass sich vor über 200 Jahren Bildungsexperten und Politiker aus aller Herren Länder in Reckahn die Klinke in die Hand gaben und überall in Europa begeistert über das Pilotprojekt in der Mark Brandenburg berichtet wurde. Es gehörte zur Tragik des ungewöhnlichen Gutsbesitzers, dass er die Reformen in Preußen zu Beginn des 19. Jahrhunderts von der Bauernbefreiung und kommunalen Selbstbestimmung bis zu Verbesserungen im Bildungssektor und im Militärwesen nicht mehr erleben und mitgestalten konnte. Er starb 1805, ein Jahr vor einem Krieg, den Preußen gegen Frankreich verlor. Der Hohenzollernstaat stürzte in eine tiefe Krise, die ihm nach deren Überwindung und den gewonnenen Befreiungskriegen von 1813 bis 1815 einen kulturellen, wirtschaftlichen und auch bildungspolitischen Höhenflug sondergleichen bescherte.

29. September 2017

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