U-Bahn fuhr zumeist oberirdisch
In einigen Bahnhöfen kann man sich in die Geschichte Berlins vertiefen



Im U-Bahnhof Spittelmarkt sind Aufnahmen von Ferdinand Albert Schwartz an den
Wänden befestigt. Eine Tafel am Eingang würdigt den berühmten Stadtfotografen.







Die beiden Schwartz-Fotos von der Stralauer Straße und von Weidendammer Brücke
aus den Jahren 1884 und 1887 zeigen die enge Bindung von Berlin an das Wasser.




Am Hausvogteiplatz lebt das friederizianische Berlin auf farbigen
Illustrationen des späten 18. Jahrhunderts einmal auf.




Wer sich für ältere Stadtgeschichte interessiert, kann sie in der Station
Märkisches Museum anhand der immer größer werdenden Doppelstadt
Berlin-Cölln studieren. (Fotos: Caspar)

Als sich am 15. Februar 1902 ein Konvoi vom Bahnhof Warschauer Straße in Richtung Zoologischer Garten in Bewegung setzte, begann in Berlin das U-Bahnzeitalter. Der Name der Unterpflasterbahn oder, wie wir heute sagen, der Untergrundbahn und verkürzt U-Bahn signalisiert, dass die Züge tatsächlich untertage durch die kaiserliche Metropole fuhren. Das ist allerdings ein Irrtum, denn die Berliner U-Bahn war weitgehend eine Hochbahn, die sich auf Stelzen oberirdisch durch die Reichshauptstadt schlängelte. Nur ein kleiner Streckenabschnitt der U 1 fuhr tatsächlich unter Tage. Eröffnet wurde die Strecke mit einer Sonderfahrt des preußischen Ministers für öffentliche Arbeit, von Abgesandten der damals selbständigen Gemeinden Berlin, Charlottenburg und Schöneberg und von Vertretern der beteiligten Betriebe und der Banken. Auf einem Empfang im Maschinensaal am Gleisdreieck wurden festlichen Ansprachen gehalten und im Auftrag des Kaisers auch Orden verliehen.

Manche unter Denkmalschutz stehende U-Bahnhöfe sind noch weitgehend im Originalzustand erhalten. Obwohl ursprünglich nur eine sehr einfache und kostensparende Bauweise geplant war, hat man sie doch schon in der Kaiserzeit prächtig ausstaffiert. Da sich Berlin gerade zur Weltmetropole mauserte, wollte man anderen Hauptstädten auch in dieser Beziehung nicht nachstehen, und so setzten sich jene Künstler und Architekten durch, die nach "ansprechender Wirkung der Bahn auf das Stadtbild" verlangten. Dabei hat man manchen Stilmischmasch zugelassen. Die Station Warschauer Straße und die sich anschließende Oberbaumbrücke, die Friedrichshain und Kreuzberg verbindet, ahmt märkische Backsteingotik nach. Neorenaissance, Neobarock, Neue Sachlichkeit und Schick der fünfziger Jahre präsentieren sich in anderen Bahnhöfen. So kann man mit der U-Bahn auch eine Reise durch die Baustilkunde unternehmen, ohne einen Fuß bewegen zu müssen. Wer sich Zeit nimmt und öfter mal auf einer Station aussteigt, kann Bilder aus dem alten Berlin betrachten, aber auch Schöpfungen von Künstlern aus unseren Tagen bewundern.

Die kaiserliche Reichshauptstadt hinkte, was Untergrundbahnen betrifft, anderen Metropolen erheblich nach. Das U-Bahnzeitalter wurde in London eröffnet, wo bereits 1863 eine Tunnelverbindung zwischen den Bahnhöfen Paddington und Farringdon Street geschaffen wurde. Da hier Dampfloks mit ihren stinkenden Rauschwaden hindurch fuhren, war die Strecke nicht sehr populär. 1879 hatte Werner (von) Siemens auf der Berliner Gewerbeausstellung sein elektrisch betriebenes Schienenfahrzeug vorgestellt und ein Jahr später erste Pläne für eine "sauber" betriebene Bahn vorgestellt. Dem genialen Konstrukteur schwebte eine Art Tram vor, die durch die Stadt schwebt, aber auch in die Tiefe zu gehen vermag, wo es die Verkehrsverhältnisse verlangen.

Da Siemens in Berlin nicht wie gewünscht zum Zuge kam, baute seine Firma zwischendurch die U-Bahn in Budapest. Der Erfolg in der ungarischen Metropole gab den Bestrebungen an der Spree den nötigen Schwung, und so erfolgte 1896 der erste Spatenstich in der Gitschiner Straße, in Höhe des Patentamtes. Es sollte dann noch sechs Jahre dauern, bis der Bau der rund zehn Kilometer langen "Stammstrecke" vollendet war. Viel Zeit war verstrichen, weil die Berliner Behörden erhebliche Einwände gegen die Neuerung hatten. Sie befürchteten, die unterirdischen Abschnitte könnten das eben erst fertig gestellte Netz für die Wasserver- und Wasserentsorgung gefährden. Hinzu kam, dass sich die damals noch selbstständigen Städte Berlin, Charlottenburg und Schöneberg erst nach langen Verhandlungen über die Gewinnbeteiligung an der U-Bahn, Streckenverlauf, Grundstücksverkäufe usw. einigten. Außerdem warnte man vor einer "Verschandelung" der Stadt durch die auf Stelzen gebauten oberirdischen Trassen.

Die Neuerung verschlang pro Kilometer U-Bahn die damals ungeheure Summe von 2,5 Millionen Mark. Darin waren Kosten für Grundstücksankäufe, ober- und unterirdische Bahnhöfe und Durchbrüche durch Häuserzeilen einbegriffen. Das Gemeinschaftsunternehmen der Firma Siemens & Halske und der Deutschen Bank schaffte bis 1913 ein Streckennetz von 36 Kilometer, heute verfügt die U-Bahn über 147 Kilometer.

Entgegen allen Unkenrufen eroberten sich die Berliner vor hundert Jahren das neue Verkehrsmittel schnell. Dabei half, dass in der Presse kräftig Reklame für die Novität gemacht wurde, die sehr schnell zu einer Sehenswürdigkeit der Extraklasse avancierte. Da man anfangs einen nicht zu bewältigenden Ansturm befürchtete, wurden die Fahrpreise mit 30 und 50 Pfennigen für zwei unterschiedliche Klassen recht hoch angesetzt. Schon bald kostete das Ticket 10 und 15 Pfennige, was damals immer noch viel Geld war. Bereits im Eröffnungsjahr 1902 zählte man 19 Millionen und 1903 bereits 30 Millionen Fahrgäste.

Gegen die Beliebtheit der U-Bahn kamen Nörgler wie der Theaterkritiker und Schriftsteller Alfred Kerr nicht an. Er empfand Unbehagen und rang sichtlich nach Worten, als er schrieb: "Die Bülowstraße hat sich verändert. Welcher verblüffender Anblick: das Eisengestell einer Überbahn, rot lackiert und grau gestrichen, steigt in plumper Scheußlichkeit empor zwischen den Häusern, zwischen den Bäumchen, barbarischer, ekliger, gottverlassener, blöder, bedauernswerter, mickriger, schändlicher, gerupfter, auf den Schwanz getretener sieht nichts in der Welt aus". Mit den Jahren entstand ein sehr modernes Verkehrsnetz sowohl unter der Erde als auch oberirdisch. So haben Benutzer der U-Bahn das Vergnügen, sich die Stadt auch von oben anzuschauen. Bequem ist es heute wie damals, unterhalb der auf Stelzen fahrenden Bahn zu laufen. Der "längste Regenschirm" der Welt oder auch "Magistratsregenschirm" erlaubt es, trockenen Fußes lange Strecken durch die Stadt zurückzulegen.

Beschädigung durch Bombentreffer und Artilleriebeschuss legten die U-Bahn im Zweiten Weltkrieg zeitweilig lahm, doch nachhaltiger wirkten sich die Sperrmaßnahmen nach dem Bau der Mauer aus. Brutal wurde das ausgeklügelte Verkehrsnetz unterbrochen. An und unter der Mauer endete auch die U-Bahn, und wo es sich nicht vermeiden ließ, rauschten die Züge ohne Halt durch die dunklen Geisterbahnhöfe. Erst nach dem Fall der Mauer wurden die Transitstrecken mit großen Kosten reaktiviert, so dass heute die U-Bahn das wohl schnellste und sicherste Mittel ist, von der Warschauer Straße nach Krumme Lanke, von Spandau nach Pankow, von Alt Tegel nach Alt-Mariendorf und in andere Stadtviertel zu kommen.

4. Januar 2017

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