Die da oben, wir hier unten
In der hierarchisch strukturierten Gesellschaft Preußens ließen sich Standesschranken nur schwer überwinden



Der Ständebaum des namentlich nicht bekanten Petrarca-Meisters zeigt, wie im 16. Jahrhundert, und nicht nur da, die Gesellschaft von oben nach unten und von unten nach oben strukturiert war.



In der streng gegliederten Ständegesellschaft des 16. Jahrhunderts war genau vorgeschrieben, wer welche Kleidung tragen durfte und was Männern und Frauen verboten war.



Adolf Menzel bildete in einer Biographie von Franz Kugler über Friedrich den Großen aus dem Jahr 1840 die Insignien des 1701 gegründeten Königreichs Preußen ab.



Friedrich der Große, Voltaire und ihre Zeitgenossen huldigen auf diesem Blatt von 1895 Adolph Menzel zu seinem 80. Geburtstag. Mit der Verleihung des Schwarzen Adlerordens 1898 wurde der Maler und Grafiker in den Adelsstand erhoben.



Der Fürst der Physik genannte Hermann von Helmholtz wurde als Bürgerlicher geboren. Sein Marmordenkmal steht im Ehrenhof der Humboldt-Universität zu Berlin. (Foto/Repros: Caspar)

Preußen war ein Ständestaat, wie er im Buche steht. Hier hatte jeder seinen Platz, Standesschranken konnten nur mit großer Anstrengung und vielen Opfern überwunden werden, wenn überhaupt. An erster Stelle in der Gesellschaftspyramide stand der Adel. Er war die Stütze der Monarchie, wurde gehätschelt und getätschelt, hatte viele Privilegien und musste kaum Steuern zahlen. Angehörigen adliger Familien bekamen die lukrativsten Stellen am kurfürstlichen beziehungsweise seit 1701 königlichen Hof, in der Armee und der Verwaltung. Ihnen vertrauten die Hohenzollern noch am ehesten, weil auch sie Angehörige der Kaste mit langem, vornehmem Stammbaum waren. Zu Misstrauen hatten die Kurfürsten und Könige aus der Familie, die seit 1415 die Mark Brandenburg und die anderen zum Kurstaat und Königreich gehörenden Gebiete beherrschten, immer Anlass. Sie konnten sie sich ihrer Position nie sicher sein, denn es gab Kräfte, die ihnen die Macht streitig machten. Deshalb wurde, wer der Dynastie gefährlich werden konnte, entweder an goldene Ketten gelegt und mit Vorrechten ausgestattet, die kein Bürger hatte, oder gewaltsam aus dem Weg geräumt.

Jedem das Seine

Geheiratet wurde in Adelskreisen, im Bürgertum und unter Landleuten nur innerhalb dieses Zirkels. Wer als Adliger "unterm Stand" ehelichen wollte, brauchte dazu eine Genehmigung durch den Landesherrn, und die erging höchst selten. Friedrich II., den man auch den Großen nannte, verweigerte "gemischten" Ehen in der Regel seine Zustimmung, weil er nicht wollte, dass die ihm ergebene Adelsgesellschaft irgendwie verwässert wird. Nach dem antiken Motto "Suum cuique" (Jedem das Seine), das auch den Stern des preußischen Adlerordens schmückt, war jedem ein bestimmter Platz in der Gesellschaft zugewiesen, und diesen hatte er gefälligst mit seiner ganzen Person auszufüllen. Vom Adel ging es hinunter zu den Beamten, Geistlichen, Gelehrten, Künstlern und Kaufleuten bis zu den Handwerkern und Bauern sowie zu den Tagelöhnern, Leibeigenen, Dienstboten und anderen in armseligen Verhältnissen lebenden Gruppen. Frauen spielten in dieser Männergesellschaft eine untergeordnete Rolle.

Dass man mit einem "von" im Namen und einer möglichst langen Ahnentafel weiter kommt als ohne diese Vorzüge, war bekannt, weshalb Friedrich II. immer wieder Anträge erreichten, jemandem einen schönen Titel zu verleihen oder ihn in den Adelsstand aufzunehmen. "Ein Brauer ist ein Brauer, / ein Brauer nützt dem Staat, / nur nicht als Kommerzienrat", ließ er einen Bierhersteller wissen, und einem Tierarzt, der Hofrat werden wollte, bot der König als Ersatz den Titel "Vieh-Rath" an. Einer Nobilitierung stimmte der König nur in Ausnahmefällen bei besonders tüchtigen und ihm vertrauten Mitarbeitern oder auch bei Soldaten zu, die "durch den Degen Meriten", also Verdienste, erworben haben, dies natürlich als Ansporn, aber auch in der Absicht, die so Ausgezeichneten eng an sich zu binden. "Ich gebe aber nicht zu, dass Officiers sich mit Kaufmanns Töchtern heirathen und also wird von Eurer intendirten Heirath um so weniger was werden, als denen Subalternen solches ohnedem nicht gebühret", lautet eine von vielen ruppigen Antworten auf das Heiratsgesuch eines adligen Leutnants. "Man adelt nur diejenigen Leute, die Verdienste haben und sich vorzüglich meritiert gemacht. Aber nicht Kerls, die bloß reich werden", gab der König Bürgersleuten zu verstehen, die Rittergüter oder einen Adelstitel erwerben wollten. Das Zitat unterstreicht die Verachtung, die der König für Pöbel und Canaillen, also Leute außerhalb seines Standes, empfand.

An der Spitze der Pyramide

Welche Konflikte sich zwischen Adligen und Bürgerlichen abspielen und welche Mauern zwischen ihnen aufgerichtet waren, hat Friedrich Schiller in seinem Drama "Kabale und Liebe" aus dem Jahr 1784 hervorragend dargestellt, und auch Theodor Fontane hat in seinen Romanen das Fortleben dieser schon lange überholten und dennoch zählebigen Standes- und Klassenschranken thematisiert. Zum Adel zu gehören, war zwar mit vielen Vorteilen verbunden, aber noch lange kein Garantieschein für ein materiell auskömmliches, ja luxuriöses Leben. "Armer Adel" war ein gängiges Schlagwort. Viele adlige Gutsbesitzer, und es gab bis ins 19. Jahrhundert nur solche mit einem "von" im Namen, waren hochverschuldet und blickten neidvoll auf manche Bürgersleute, die es aufgrund fleißiger Arbeit und sorgsamen Umgangs mit Geld zu Wohlstand und Ansehen gebracht hatten. Dass unter diesen auch manche Juden waren, schürte Ressentiments und Neid, doch ist das eine andere Geschichte.

Die Inzucht tat den adligen Familien, wo es ein schier unüberwindbares Geflecht von Verwandtschaftsgraden gab und auch schon mal Cousins und Cousinen heiraten konnten, nicht gut. Erbkrankheiten und Degeneration kamen in diesen Kreisen vor, aber auch die Dominanz bestimmter äußerer Merkmale und besonderer Begabungen. Bestes Beispiel ist die im Hause Hohenzollern über viele Generationen weit verbreitete Musikalität.

Der Adel bildete die Spitze der Pyramide. Das war in Preußen so und in anderen feudal bestimmten Staaten auch. Frankreich war vor der Revolution von 1789 bestimmt durch drei Klassen - Adel, Geistlichkeit, Bürgertum. In Preußen war die Untergliederung differenzierter mit fließenden Übergängen. Vom Adel ging es über die Kaste der Geistlichkeit und der Gelehrten zu den Kaufleuten und Handwerkern hinab zu den Bauern, Tagelöhnern und den anderen Gruppen. Frauen spielten in dieser von Männern bestimmten Hierarchie übrigens eine untergeordnete Rolle. Sie waren bis ins 20. Jahrhundert vor dem Gesetz nur ein "Anhängsel" ihrer Väter und Ehemänner, hatten nichts zu melden, bekamen meistens keine gute Bildung, wurden schlechter als Männer bezahlt und durften bis zum Ende der Monarchie 1918 nicht einmal wählen. Und wenn sich Frauen zu Wort meldeten und für ihre Rechte stritten, dann wurde dieses Streben zumeist als ungehörig und unerhört angesehen.

Gekaufte Titel

Nur selten gelang es Leuten bürgerlichen Standes, die sich herausragende Verdienste um Thron und Armee gemacht hatten, durch Nobilitierung in diesen exklusiven Zirkel des Adels zu gelangen. Das "von" vor dem Namen war schon mancher Anstrengung wert. Wer sehr viel Geld berappen konnte und bei Hofe angesehen war, kam in den Genuss dieses Titels. Die Industriellenfamilien Krupp und Siemens und wie sie alle heißen, wurden auf diese Weise geehrt, aber auch der Maler Adolph Menzel, der Physiker Hermann Helmholtz, der Bildhauer Adolf Hildebrand und andere wurden mit dem Adelstitel bedacht und mit hohen Orden ausgezeichnet. Die Verleihung des Schwarzen Adlerorden, Preußens höchster Auszeichnung, durch Kaiser Wilhelm II. verschaffte Menzel den volkstümlichen Titel "Kleine Exzellenz".

Die größte Chance, in der Ständegesellschaft aufzusteigen, bot sich beim Militär. Vom französischen Kaiser Napoleon I. ist der Ausspruch überliefert, jeder Soldat trage den Marschallstab im Tornister. Damit war gemeint, dass Anstrengung und Tapferkeit auf dem Felde und vor dem Feind mit Titeln und Orden belohnt werden. Und so kamen vor über 200 Jahren erstmals in größerer Zahl auch Bürgerliche auf preußische Offiziersstellen. Dem König blieb nichts anderes übrig, weil das Reservoir in den eigenen Kreisen für solche Positionen nicht ausreichte.

Die altpreußische Ständegesellschaft wurde offiziell nach dem Sturz der Monarchie in der Novemberrevolution von 1918 abgeschafft. Laut Verfassung war jeder vor dem Gesetz gleich. Aufgehoben wurde auch das Dreiklassenwahlrecht, das die Wähler nach ihrem Einkommen und gesellschaftlichen Stand unterteilte und damit auch diskriminierte, abgeschafft. De facto aber blieben die Standesgrenzen bestehen und sind, seien wir mal ehrlich, auch heute gelegentlich spürbar. Während in Österreich nach der Umstellung der Monarchie in eine Republik alle Adelstitel offiziell abgeschafft wurden, bestanden diese im Deutschen Reich als Bestandteil des Namens weiter. Heute kann ein "von" hilfreich sein, doch wer sonst nichts vorzuweisen hat, ohne Anstrengung in der Regel nicht weiter.

28. Februar 2017

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