Entrechtet, verhöhnt, deportiert und ermordet
Neuer Gedenk- und Lernort in Moabit erinnert an die so genannten Judentransporte in die Vernichtungslager



Die Gedenkstätte auf der Putlitzbrücke nahe des Berliner S-Bahnhofs Westhafen weist den Weg zu den Gleisen des ehemaligen Güterbahnhofs Moabit.





Junge Kiefern säumen den Erinnerungs- und Lernort zwischen der Quitzowstraße und der Ellen-Epstein-Straße, die nach der im Oktober 1942 in Riga ermordeten jüdischen Pianistin benannt ist.



Ein von Peter Herbrich, Jürgen Wenzel und Theseus Bappert geschaffenes Mahnmal für die über 55 000 von den Nazis ermordeten Berliner Juden steht auf dem Gelände der früheren Synagoge in der Levetzowstraße.



Die von Karol Broniatowski gestaltete Gedenkwand am Bahnhof Grunewald ist den Juden gewidmet, die von hier aus in den Tod gefahren wurden.



Geschaffen von Nicolaus Hirsch, Wolfgang Lorch und Andrea Wandel, dokumentieren die Inschriften auf den Bahnschwellen die Deportationszüge, die von Berlin in die Vernichtungslager fuhren. (Fotos: Caspar)

Im ehemaligen Güterbahnhof Moabit wird an die Deportation der Berliner Juden und anderen Verfolgten während der NS-Zeit erinnert. Die Gestaltung des im Juni 2017 eingeweihten Gedenk- und Lernorts wurde mit 180 000 Euro von der Stiftung Deutsche Klassenlotterie gefördert. Mit der neuen Gedenkstätte ist die Topographie des Naziterror in Berlin um eine weitere Station des Grauens ergänzt worden. Das Berliner Künstlerkollektiv Raumlabor hatte die lange vergessene, in einem Gewerbegebiet nahe des S-Bahnhofs Westhafen gelegene Anlage gestaltet. An einem Stück Gleis, das dort eher zufällig erhalten blieb, wurden 24 Kiefern gepflanzt, deren Stämme weiß gestrichen sind. Zwei Tafeln aus braun patiniertem Cortenstahl an den Eingängen Quitzowstraße und Ellen-Epstein-Straße informieren über die Deportation der von den Nazis als Volksfeinde und Rasseschänder verunglimpften Menschen. Zielorte der so genannten Osttransporte waren Auschwitz, Lodz, Riga, Minsk, Theresienstadt und der Distrikt Lublin.

Die Menschen mussten 1942 und danach von der in ein Sammellager umgewandelten Synagoge an der Levetzowstraße zwei Kilometer durch ein dicht bebautes Wohnviertel bis zur Quitzowstraße laufen. Von dort aus war es nicht mehr weit bis zu den Gleisen auf dem Güterbahnhof Moabit. Auf den Tafeln wird in deutscher und englischer Sprache festgestellt "Das alles geschah unter aktiver Beteiligung von Behörden und Unternehmen und unter den Augen der Anwohnerinnen und Anwohner."

Todesmut der stillen Helfer

Durch die vom Berliner Gauleiter, Propagandaminister Joseph Goebbels, forcierte Terrormaßnahme sollte die Reichshauptstadt "judenfrei" gemacht werden. Dass der Plan im Rahmen der "Endlösung der Judenfrage" in seiner ganzen Brutalität nicht ganz verwirklicht wurde, hat mit der Hilfe zu tun, die den vom Tod bedrohten Menschen zuteil wurde. So konnten einige hundert Jüdinnen und Juden sowie Kinder untertauchen und die Befreiung erleben. Dem Todesmut der stillen Helfer setzt eine Ausstellung neben der Blindenwerkstatt Otto Weidt in der Rosenthaler Straße 39 in der Nähe des S-Bahnhofs Hackescher Markt ein ergreifendes Denkmal.

Auf der Putlitzbrücke über den Gleisen des Bahnhofs Putlitzstraße in der Nähe des Westhafens, von dem aus Berliner Juden in die Konzentrations- und Vernichtungslager fahren mussten, wurde 1987 ein Mahnmal aus poliertem Stahl eingeweiht, das der im uckermärkischen Brüssow tätige Bildhauer Volkmar Haase als zweifacher Grabstein gestaltet hat. Auf dem einen ist der Davidstern mit einer Inschrift darunter dargestellt, der andere erhebt sich in den Himmel und endet, leicht abgeknickt, in einer Treppe, die ins Nichts führt. Die Inschrift beschreibt die Situation derer, die von dem Deportationsbahnhof in den sicheren Tod geschickt wurden: "Stufen, die keine sind. Eine Treppe, die keine Treppe mehr ist. Abgebrochen. Symbol des Weges, der kein Weg mehr war. Für die, die über Rampen, Gleise, Stufen und Treppen diesen letzten Weg gehen mussten. Vom Bahnhof Putlitzbrücke wurden in den Jahren 1941-1944 zehntausende jüdischer Mitbürger in Vernichtungslager deportiert und ermordet."

Sammelstelle in leerer Synagoge

Ein weiteres Mahnmal für die über 55 000 von den Nazis ermordeten Berliner Juden steht ein paar Kilometer weiter in der Levetzowstraße. Das Gemeinschaftswerk des Bildhauers Peter Herbrich sowie der Architekten Jürgen Wenzel und Theseus Bappert weist auf die hier im Jahr 1914 eingeweihte Synagoge hin, die den Pogrom am 9. November 1938 überstanden hatte und so der jüdischen Gemeinde auch im Zweiten Weltkrieg zur Verfügung stand. Mit 2000 Plätzen war das Gotteshaus die größte Synagoge Berlins. Es wurde 1944/5 weitgehend zerstört und 1956 im Zuge einer baulichen "Vergangenheitsbewältigung" im damaligen Westberlin abgerissen wie viele andere Ruinen auch, die es verdient hätten, dass man sie aufgebaut hätte.

Auf Weisung der Gestapo mussten 1941 aus der Synagoge in der Levetzowstraße alle gottesdienstlichen Einrichtungen entfernt werden. Das Gebäude wurde in ein Sammellager für Juden umgewandelt, die evakuiert oder verschickt werden sollten, so die amtlich-verniedlichende Bezeichnung der Gestapo für die Deportation. Ein Augenzeuge, Siegmund Weltlinger, berichtete: "Technisch erfolgten anfänglich Abtransporte in der Weise, dass die Jüdische Gemeinde auf Anforderung der Gestapo zu den einzelnen Transporten eine aufgegebene Anzahl von Menschen zusammenstellen musste. Dies war eine furchtbare Aufgabe für die verantwortlichen Persönlichkeiten. Im Anfang versuchte man nur die Unverheirateten zu verschicken. Bald aber nützten keinerlei Erwägungen mehr; die Gestapo, welch alle Listen besaß, bestimmte selbst die Opfer, und sogenannte Reklamationen von Persönlichkeiten, die sich durch besondere Verdienste einen großen Ruf erworben hatten, konnten später auch nicht mehr berücksichtigt werden. Zum Schluss mussten alle daran glauben, die nicht in sogenannter Mischehe lebten."

Das Mahnmal besteht aus mehreren Elementen. Hinten ragt schräg in den Himmel eine symbolische Rampe. In die Eisenplatte sind Daten und Zahlen über die Transporte jüdischer Berliner in die Vernichtungslager eingeschnitten. Zwischen dieser Rampe und einem nachgebildeten Eisenbahnwaggon auf Schienen steht auf einem Sockel ein in Marmor gehauenes Bündel von Menschen, das durch ein Stahlseil zusammengeschnürt ist. Im Wagen, wie er für die Transporte benutzt wurde, erkennt man ebenfalls die Umrisse von Menschen. Auf einer Bodenplatte sind Ansichten von Berliner Synagogen zu erkennen, die von den Nazis geschändet oder vernichtet beziehungsweise im Krieg zerbombt wurden.

Erinnerung und Mahnung am Bahnhof Grunewald

Vom Bahnhof Grunewald wurden zwischen 1941 und Frühjahr 1945 tausende Juden in die Konzentrations- und Vernichtungslager abtransportiert. An das unvorstellbare Leid erinnern Gedenktafeln und zwei Mahnmale. Rechts neben dem Bahnhofseingang steht eine Gedenkstätte, die von Karol Broniatowski geschaffen wurde. Sie besteht aus einer 18 Meter langen Betonmauer parallel zur Straße. In sie sind Körper gleichsam hinein gedrückt. So kann man nur noch die Umrisse jener Menschen schemenhaft wahrnehmen, die von hier aus in den Tod geschickt wurden. Die Symbolik sagt, dass die Opfer der nationalsozialistischen Rassenpolitik verschwunden und trotzdem in der Gegenwart präsent sind. Auf einer Bronzetafel wird an die mehr als 55 000 Juden Berlins erinnert, "die zwischen Oktober 1941 und Februar 1945 vorwiegend vom Güterbahnhof Grunewald aus durch den nationalsozialistischen Staat in seine Vernichtungslager deportiert und ermordet wurden. Zur Mahnung an uns, jeder Missachtung des Lebens und der Würde des Menschen mutig und ohne Zögern entgegenzutreten".

Die Holocaust-Überlebende Inge Deutschkron schrieb in ihrem Buch "Ich trug den gelben Stern" (Köln 1978), dass die Deportationszüge vom Bahnhof Grunewald abfuhren, "weil einige Berliner am Lehrter Bahnhof Zeugen der ersten Deportationen geworden waren und nicht unbedingt zustimmende Bemerkungen gemacht hatten. Vielleicht hatte es die Gestapo dort am Waldesrand auch leichter, die Leute noch einmal ungestört zu filzen und jenen, die da geglaubt hatten, ein bisschen Geld oder ein Goldstück, in einen Rocksaumen eingenäht, könne ihnen eine Hilfe werden, unter Hohngelächter auch noch das letzte abzunehmen. […] Über BBC hörten wir im November 1942 das erste Mal von Vergasungen und Erschießungen. Wir konnten und wollten es nicht glauben. Die Reihen um uns lichteten sich". Eine andere Zeugin, Marta Mierendorff, notierte, was sich zur Weihnachtszeit 1942 ereignete: "Die Gemeinde war von der Aktion, arbeitende Juden direkt von den Arbeitsstellen zum Güter- (oder) Verladebahnhof Grunewald bringen zu lassen, informiert. Mitarbeiter, u. a. mein Mann, wurden von der Gestapo ,abkommandiert', in die verlassenen Wohnungen zu gehen und die Kinder zum Bahnhof zu bringen, um sie mit den Eltern ,auf Transport' zu schicken.[…] Man denke: Während ein Teil der Bevölkerung unter den Tannenbäumen saß, lief diese Aktion, unbemerkt von den Nichtbetroffenen, planmäßig ab".

22. Juni 2017

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