Steiniger Weg zur Emanzipation
Kurfürst Friedrich Wilhelm hob 1671 den Judenbann auf, und die Nazis führten ihn 1938 wieder ein



Juden waren im Mittelalter schlimmer Verfolgung ausgesetzt, und manche von ihnen haben Christen als angebliche Jesusmörder verbrannt, wie diese farbige Miniatur zeigt.



Nach dem Pogrom von 1510 hat man Juden, die man an spitzen Hüten erkennt, zum Tod verurteilt und qualvoll hingerichtet. Bild aus einer Holzschnitfolge in einem "Summarius" genannten Buch von 1511, das die Ereignisse beschreibt.



Das kurfürstliche Edikt von 1671 gewährt Wiener Juden Zuzug nach Berlin, verweigert ihnen aber eine eigene Synagoge.



Das jüdische Altersheim neben dem Friedhof an der Großen Hamburger Straße existiert nicht mehr. An seiner Stelle erinnert eine aus ausgemergelten Personen bestehende Bronzegruppe an die Verfolgung und Ermordung der Berliner Juden während des Nationalsozialismus.



Grabsteine am Friedhofseingang erwähnen in hebräischer Schrift hier bestattete Wiener Juden, die sich unter der Schirmherrschaft des Großen Kurfürsten in Berlin-Cölln ansiedeln durften.



Durch einen im Dezember 1938 verfügten Bann wurde Juden das Betreten bestimmter Straßen und Plätze sowie der Aufenthalt in und neben ausgewählten Gebäuden verboten.(Fotos/Repros: Caspar)

Im Jahre 1671 hob der Große Kurfürst Friedrich Wilhelm den seit einem Jahrhundert bestehenden Judenbann über Berlin und die Mark Brandenburg auf. Als erste siedelten sich aus Wien vertriebene Juden in der Stadt an der Spree an. Unter ganz anderen Vorzeichen und Zielen wurde 1938 erneut über der Stadt der Judenbann verhängt, begleitet von terroristischer Ausgrenzung und den Deportationen in die nationalsozialistischen Konzentrations- und Vernichtungslager.

Seit dem Mittelalter wurde Juden das Leben und Überleben in Berlin und an anderen Orten schwer gemacht. 1510 kam es zu einem blutigen Pogrom gegen die wenigen hier lebenden Juden, die als Wechsler und Händler ihren Lebensunterhalt verdienten, weil ihnen andere Tätigkeiten verboten waren. Der Bernauer Kesselschmied Paul Fromm soll in einer Dorfkirche in Osthavelland eine Monstranz gestohlen und die geweihten Hostien gegessen haben. Der Kirchenschändung angeklagt, gestand er unter Folter, die Opfergabe dem Spandauer Juden Salomon verkauft zu haben. Dieser sagte ebenfalls unter Folter, mit weiteren Glaubensgenossen an der Hostienschändung beteiligt gewesen zu sein. Fromm und 40 andere Juden wurden auf der Hinrichtungsstätte am heutigen Straußberger Platz vor den Toren der kurfürstlichen Haupt- und Residenzstadt Berlin öffentlich verbrannt. Die Prozesse waren der Anfang für eine Reihe von Ausschreitungen, die zur Vertreibung der jüdischen Bewohner aus der Mark Brandenburg führten. Der Schauprozess von 1510 und die öffentliche Verbrennung der zu Unrecht schwerster Verbrechen beschuldigten Männer war die erste nachgewiesene Judenverfolgung im Reich der Hohenzollern. Ihr Endpunkt war im 20. Jahrhundert die Verfolgung und Ermordung der deutschen und europäischen Juden durch die Nationalsozialisten.

Beleidigungen werden verboten

Für die Berliner und die märkischen Juden brachen schwere Zeiten an. Nach tätlichen Auseindersetzungen, Pogromen und Brandschatzungen wurden sie, denen man alles Schlechte der Welt und den Kreuzestod Jesu Christi anlastete, gezwungen, ihre Heimat zu verlassen. Der Judenbann wurde im Laufe des 16. Jahrhunderts mal gelockert und mal verschärft, je nachdem welcher Kurfürst gerade an der Macht war, doch dann 1671 ganz aufgehoben. Kurfürst Friedrich Wilhelm verbot mit Blick auf die aus dem katholischen Wien eingewanderten Juden bei Strafe jedes Lästern und Blasphemieren und befahl dem Berliner Magistrat, "die Judenschaft willig und gern aufzunehmen ihnen allen Vorschub und guten Willen zu erweisen, von niemand beschimpfen und beschwören zu lassen".

Trotz solcher Gebote waren die Wiener und andere Juden vielfach nur ungern gesehen. Die alteingesessenen Kaufleute und Händler sahen in ihnen Konkurrenten und versuchten, sie wieder aus dem Land zu vertreiben. Die Jüdische Gemeinde errichtete in der Heidereutergasse unweit der Spandauer Straße im Bezirk Mitte eine Synagoge, die 1714 eingeweiht wurde und zu der sich im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts weitere Gotteshäuser gesellten, darunter nicht weit entfernt die besonders prächtig ausgestattete Synagoge an der Oranienburger Straße.

Nicht in den Genuss von Schutzbestimmungen kamen die so genannten unvergleiteten Juden, also solche, die zu arm waren, um Schutzgelder bezahlen zu können, weshalb sie aus der Doppelstadt Berlin-Cölln vertrieben oder mit Festungshaft belegt wurden. Haltlose Behauptungen über angebliche Mordtaten und andere Verbrechen heizten immer wieder die Stimmung gegen die Berliner Juden an, deren wirtschaftliche Grundlagen und bürgerlichen Rechte systematisch eingeschränkt wurden.

Zu Zahlungen in die Staatskasse genötigt

Der gottesfürchtige Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. hielt von Juden überhaupt nichts. Er drangsalierte die Gemeindemitglieder und mischte sich in ihre Angelegenheiten ein. Außerdem presste er ihnen hohe Schutzgeldbeträge ab und erfand immer neue Steuern. Sein Nachfolger Friedrich II., der Große, erließ 1750 ein Judenreglement, das die in Berlin und Preußen lebende Gemeinschaft in ordentliche und außerordentliche Schutzjuden unterteilte, sie zu Zahlungen an den Staat verpflichtete und ihre Lebenslage weiter verschlechterte. Dies geschah, obwohl sich der Monarch nach außen als tolerant, aufgeklärt und weltoffen gab. Wer nicht zahlen konnte, musste die Stadt und das Land verlassen. Auf der anderen Seite gab es reiche Untertanen, die als Hofjuden im Dienst des Königs standen und ihm bei der Bezahlung etwa seiner Kriegskosten behilflich waren, ansonsten aber von ihm verachtet wurden.

Der König gestattete nicht, dass Juden als Soldaten in seine Armee eintreten, was neben anderen Maßnahmen als besonders diskriminierend empfunden wurde. Erst im und nach dem Siebenjährigen Krieg (1756 bis 1763) zeichneten sich einige Lockerungen der königlichen Judenpolitik ab, die vom Geist der Aufklärung geprägt war und die bisherigen Repressalien nach und nach lockerte mit der Folge, dass sich ein reiches, durch Moses Mendelssohn und andere Personen geprägtes jüdisches Kulturleben entfalten konnte. 1812, am Vorabend der Befreiungskriege gegen die napoleonische Fremdherrschaft, schaffte König Friedrich Wilhelm III. die bedrückenden Bestimmungen von 1750 über Schutzjuden und verzichtete auf Sonderabgaben. Er erklärte Juden zu "Einländern" und proklamierte ihre staatsbürgerliche Gleichstellung. Jetzt durften Juden auch Soldaten werden, und manche wurden für Tapferkeit befördert und ausgezeichnet. Dennoch blieben Juden in vieler Hinsicht gegenüber ihren christlichen Nachbarn benachteiligt und hatten es schwer, sich gegenüber der christlichen Mehrheitsgesellschaft zu behaupten.

Ausgegrenzt, verfolgt, ermordet

Unter den Nationalsozialisten ausgegrenzt, verfolgt und ermordet, wurden die Juden zu Reichs- und Volksfeinden erklärt und durch die Nürnberger Gesetze von 1935 zunehmend und systematisch ihrer Lebensgrundlagen beraubt. Eine Folge von Erlassen, die sich an die Rassengesetze anschlossen, schränkte die im Deutschen Reich verbliebenen Juden in ihrer Bewegungsfreiheit stark ein und verurteilte sie zu einem unwürdigen Außenseiterdasein. Mit der Einführung des sichtbar an der Kleidung zu tragenden Gelben Sterns am 1. September 1941 wurden sie als Ausgestoßene gebrandmarkt und in der Öffentlichkeit sofort zu erkennen. Der am 5. Dezember 1938 vom Berliner Polizeipräsidenten erlassene Judenbann schränkte ihre Bewegungsfreiheit stark ein. Ihnen war verboten, bestimmte Straßen, Plätze, Parkanlagen und Gebäude zu betreten. Ausdrücklich erwähnt wurden das Regierungsviertel an der Wilhelm- und der Voßstraße, das Reichsehrenmal (Neue Wache) und die Straße Unter den Linden, aber auch Badeanstalten und Freibäder. Der Besuch von Theatern, Kinos, Konzert- und Vortragsräumen, der Ausstellungshallen am Kurfürstendamm und des Ausstellungsgeländen am Funkturm sowie der Deutschlandhalle und des Sportpalasts war ebenfalls untersagt.

Die schrittweise Entrechtung der jüdischen Bevölkerung betraf alle Lebensbereiche und erstreckten sich von der Entlassung jüdischer Beamter aus dem Staatsdienst über das Verbot des gemeinsamen Spiels von "arischen" mit "nichtarischen" Kindern und die Anordnung, wonach Juden ihre Wohnungen nach 8 Uhr abends ("im Sommer 9 Uhr") nicht mehr verlassen dürfen bis zur Ablieferungspflicht von Rundfunkapparaten. Juden wurden Sitzplätze auf Parkbänken verweigert, sie durften Lebensmittel nur noch zu bestimmten Zeiten, nämlich zwischen 14 und 15 Uhr, einkaufen. Für sie bestand seit Oktober 1941 ein Auswanderungsverbot, und schon bald wurden sie in die Konzentrations- und Vernichtungslager verschleppt. Allein für Berlin wurden 55 000 ermordete Juden gezählt. Viele "Volksgenossen" begrüßten die Zwangsmaßnahmen, es gab aber auch welche, die Juden bei sich aufnahmen und beschützten und dabei ihr Leben riskierten, es manchmal auch verloren.

14.April 2017

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