"Gegen die Ignoranz und das Vergessen"
Neue Gedenkstele in der Straße der Pariser Kommune in Berlin ruft die 1937 gegründete Jüdische Bauschule in Erinnerung



In einer kleinen Grünanlage mit Wohnhäusern im Hintergrund erinnert die Bild-Text-Tafel an die Jüdische Bauschule und das Schicksal derer, die hier gelernt haben und Opfer des Holocaust wurden.





Der Ziegelbau Fruchtraße 74 unweit des damaligen Schlesischen Bahnhofs, der heute Ostbahnhof heiß, bot von 1937 bis 1941 jungen Juden eine Ausbildung im Bauhandwerk.



Teile des Zauns und des Eingangs zur Bauschule sowie viele Wohnhäuser am Ostbahnhof waren noch vorhanden, als hier in den 1960-er Jahren Tabula rasa gemacht wurde, um Wohnbauten im Platenbauverfahren errichten zu können.



Rosa Luxemburg wird vor dem NS-Gebäude am Franz-Mehring-Platz 1 durch ein von Rolf Bibl geschaffene Denkmal geehrt. (Fotos: Caspar)

Verfolgt, ausgegrenzt, ihrer Arbeit und Lebensgrundlagen beraubt und vom Tod bedroht, haben sich Mitglieder der Jüdischen Gemeinde nach der Errichtung der Nazidiktatur 1933 eigene, von der Gestapo streng überwachte Hilfsorganisationen geschaffen. Auf einem Grundstück unweit des Berliner Ostbahnhofs erinnert seit 15. Mai 2017 eine Bild-Text-Stele daran, dass es an der damaligen Fruchtstraße 74 und heutigen Straße der Pariser Kommune eine Jüdische Bauschule gegeben hat. Von 1937 bis 1941 wurden in dem Backsteinbau junge Männer auf ihre Auswanderung in das damalige Palästina und einen Neuanfang weit weg von der alten Heimat vorbereitet, die sie nicht haben wollte.

Da Juden der Besuch von staatlichen Gewerbeschulen verboten war, erlernten sie in der Bauschule den Beruf des Maurers, den sie in der neuen Heimat auszuüben hofften. Bei der Weihe der Tafel war der extra aus Schweden angereiste 93 alte Walter Frankenstein anwesend, der als letzter Zeitzeuge das Geschehen in der Bauschule schilderte. Nach Beginn des Zweiten Weltkriegs und der Massendeportationen in die Vernichtungslager wurde die Bauschule geschlossen. Zwar überstand das Haus den Krieg nahezu unbeschadet, doch wurde es wie die meisten anderen Gebäude rund um den Ostbahnhof Ende der 1960-er Jahre abgerissen. An ihrer Stelle entstanden in Plattenbauweise die heutigen Wohnblocks. Die Erinnerung an die Jüdische Bauschule war mit der Beseitigung der Steine vorerst verschwunden, und auch der Name Fruchtstraße wurde aus den Stadtplänen getilgt.

Es war das Verdienst engagierter Bürger und vor allem des Holocaust-Überlebenden Walter Frankenstein, dass der geschichtsträchtige Ort über 70 Jahre nach dem Ende der Nazidiktatur wiederentdeckt und durch die Stele vorn an der Straße der Pariser Kommune, nur wenige hundert Meter vom Ostbahnhof entfernt, markiert wurde. Walter Frankenstein, der das Projekt initiiert hatte, besuchte die Schule ab 1937. Zusammen mit seiner Frau und zwei Kindern gelang es ihm später in Berlin unterzutauchen. "Ohne die guten Deutschen hätten wir nicht überlebt. Auch das hat dazu beigetragen, dass wir immer wieder für Besuche nach Deutschland zurückgekommen sind."

Frankenstein wurde 1924 in Flatow/Westpreußen als Sohn einer jüdischen Familie geboren. 1938 kam der Vierzehnjährige nach Berlin und fand dort im Auerbach'schen Waisenhaus an der Schönhauser Allee Zuflucht. Intensive Erinnerungen hat Frankenstein an den Novemberpogrom 1938. "Wir waren vier Lehrlinge, haben uns in dem Waisenhaus der SA entgegengestellt und gesagt, dass hier Säuglinge und kleine Kinder leben. Und wenn sie das Haus anzünden, dann würden auch die Nachbarhäuser wegen der dichten Bebauung brennen. Daraufhin zogen sie ab. Bevor sie aber gingen, haben sie in unserem Betsaal das Ewige Licht ausgemacht und heimlich den Gashahn aufgedreht. Aber wir bemerkten es noch rechtzeitig."

In dem Waisenhaus lernte Frankenstein seine spätere Frau Leonie Rosner kennen, die er 1942 heiratete. Gemeinsam mit zwei kleinen Söhnen überlebte die Familie versteckt im Untergrund. 1946 wanderte sie nach Palästina aus, ging aber 1956 weiter nach Schweden, wo Frankenstein heute noch lebt. Mit Blick auf die Gegenwart sagte er bei der Feierstunde: "Ich hoffe, dass sich ein neues 1933 nicht wiederholt, dafür braucht es aber Engagement, um die Demokratie zu beschützen." Die Gedenktafel stehe "gegen die Ignoranz und das Vergessen". Sie wurde von der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas gestaltet und von der Senatsverwaltung für Kultur finanziert.

Die wechselvolle Vergangenheit der ehemaligen Fruchtstraße und heutigen Straße der Pariser Kommune wird durch weitere Gedenktafeln vor dem Redaktionsgebäude des "Neuen Deutschland" dokumentiert. Erzählt wird vom Vergnügungsetablissement "Plaza", wo man Eintritt zu kleinen Preisen bekam. Nachdem es von den Nazis "arisiert" worden war, zog hier die NS-Organisation Kraft durch Freude ein, um die "Volksgenossen" durch systemkonforme Darbietungen aufzuheitern. Den jüdischen Besitzern wurde nach dem Ende der NS-Diktatur keine Entschädigung zu teil, und das in einem Staat, der sich ausdrücklich als antifaschistisch und demokratisch erklärte. Berichtet wird auf einer anderen Tafel auch über den Küstriner Bahnhof, aus dem später der Schlesische Bahnhof wurde, der heute als Ostbahnhof ein wichtiger Verkehrsknoten in der Hauptstadt ist. Eine weitere Tafel bringt die Geschichte des 1972 eingeweihten Redaktions-, Verlags- und Druckhauses des SED-Zentralorgans Neues Deutschland in Erinnerung. Vor dem Eingang erinnern seit 1996 eine von Rudolf Bibl geschaffene Bronzestatue an Rosa Luxemburg, sowie zwei von Ingeborg Hunzinger modellierte Stelen an Mathilde Jacob, sowie den linken Politiker Karl Liebknecht, der mit Rosa Luxemburg an der Jahreswende von 1918/9 die Kommunistischen Partei Deutschlands gegründet hat.

22. Mai 2017

Zurück zur Themenübersicht "Geschichte, Zeitgeschichte, Ausstellungen"