Die "entjudete Bibel"
Hitlers Helfer in schwarzen Talaren lieferten Argumente für Massenmord an den Juden und wollten nach 1945 davon nichts mehr wissen



Hitler hielt nichts von Theologen, wünschte ihnen insgeheim die Pest an den Hals und plante gegen sie ein schreckliches Rachegericht. Offiziell aber war es für sein Image gut, sich ab und zu mit regimekonformen Kirchenführern ablichten zu lassen.



Der Anstecker zur Reichstagung Deutscher Christen 1934 verbindet das Kreuz mit dem Hakenkreuz. "Mit Luther u. Hitler für Glauben u. Volkstum" lautet die Inschrift auf einem deutsch-christlichen Abzeichen rund um die Lutherrose.



Dass 1933 ein Pamphlet von Luther aus dem Jahr 1543 gegen die Juden neu aufgelegt wurde, war kein Zufall.



Das regimekonforme Liederbuch "Großer Gott wir loben dich" von 1941 enthält nicht nur "judenreine" Texte, sondern auch solche mit militaristischem Inhalt.



Die Martin-Luther-Gedächtniskirche im Berliner Ortsteil Mariendorf wurde 1933 bis 1935 als Gedenkstätte und Mahnmal erbaut und ist ein markantes Beispiel dafür, wie die Blut-und-Boden-Ideologie, Militarismus, Volksgemeinschaftsdenken und Verherrlichung von NS-Helden auch in kirchlichen Neubauten der NS-Zeit Einzug hielten. Die Ausstattung mit NS-Symbolen und ebensolchen Sprüchen wurde nach dem Ende der Hitlerdiktatur entfernt oder verdeckt. (Fotos/Repros: Caspar)

Es ist unbestreitbar, dass sich evangelische Theologen mit den Nationalsozialisten gemein machten, indem sie für Argumente für deren rassistische, gegen Juden und andere so genannte Volksfremde gerichtete Ausrottungspolitik hergaben. Schüler des Eisenacher Martin-Luther-Gymnasiums haben sich intensiv mit dem 1939 in ihrer Stadt gegründeten "Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben" befasst und dazu eine "Gratwanderungen" genannte Ausstellung gestaltet. Die zu diesem Thema im Wartburg Verlag Eisenach erschienene Broschüre ist mit weiteren erschreckenden Informationen aus dem Inneren der an diesen Machenschaften beteiligten Deutschen Christen Grundlage des Eintrags auf dieser Internetseite. Die in deutscher und englischer Sprache verfasste Ausstellungsbroschüre von Jochen Birkenmeier für das Lutherhaus in Eisenach macht ebenfalls Informationen auf das Entjudungsinstitut und die "Nazi-Christen", die unter Berufung auf judenfeindliche Schriften von Martin Luther versucht haben, jüdische Bezüge aus der Bibel zu tilgen. Das Thema ist aktuell wie nie, da Martin Luther und die von ihm vor 500 Jahren auf den Weg gebrachte Reformation nach allen Seiten hin beleuchtet und dokumentiert wird.

Hitlers willige Helfer in schwarzen Talaren und braunen Hemden organisierten sich in der antisemitisch ausgerichteten Bewegung der Deutschen Christen (DC). Sich SA Jesu Christi nennend, folgten sie den rassistischen und nationalistischen Thesen des NS-Chefideologen Alfred Rosenberg, die er in seinem Buch "Der Mythus des 20. Jahrhunderts" und weiteren Schriften darlegte. Die vom Reichsbischof Ludwig Müller geführten Deutschen Christen behaupteten, die nationalsozialistischen Rassengesetze täten ein gottgefälliges Werk, und versuchten gemäß dem NS-Arierparagraphen Christen sowie Geistliche jüdischer Herkunft aus der Kirche auszuschließen. Sie versuchten den Nachweis zu führen, dass Jesus Christus kein Jude war. Nach dieser Lesart soll der Gottessohn ein Galiläer und somit ein "Arier" gewesen sein. Die Thesen der DC wurden gebraucht, um der Verfolgung von Juden und anderen so genannten Fremdvölkischen und Gemeinschaftsfremden, wie man sagte, ein religiöses Mäntelchen umzuhängen. Statt sich auf Gott und christliche Werte zu berufen, führten Hitler und seine Anhänger den Begriff Vorsehung im Munde.

NS-konforme Theologen durchsuchten das Alte und das Neue Testament nach jüdischen Elementen, um eine neuartige Volksbibel zu erstellen. Außerdem sollten an einer speziellen Schule Pfarrern, Lehrern und Kirchenmännern die NS-Sicht auf das Christentum eingepflanzt werden. Die Vorkämpfer der Bibelreinigung und weiterführender Maßnahmen dieser Art behaupteten, die Judenfrage sei ihr "akutestes Stadium" getreten, und die Kirchen müssten sich konsequent von allem Jüdischen trennen. In dem 1941 als "Die Botschaft Gottes" herausgebrachten Neuen Testament waren alle Bezüge, Zitate, Ortsangaben und Namen getilgt und durch Textstellen ersetzt, die dem Regime genehm waren. Außerdem wurde ein neuer Katechismus für Schule und kirchlichen Unterricht unter dem Titel "Deutsche mit Gott" sowie das Gesangbuch "Großer Gott wir loben dich" verbreitet.

Jesus Christus, der Galiläer

Ziel der Deutschen Christen und der hinter ihnen stehenden Naziführer war es, alle bisherigen Bibelausgaben einzuziehen und aus den "revidierten" Evangelientexten ein neues, als "Botschaft Gottes" deklariertes Evangelium zu erstellen. Die in Nazikreisen hoch angesehene Blut-und-Boden-Schriftstellerin Luise von Strauß und Thorney verfasste eine Version in populärer Sprache. In der dort abgedruckten Weihnachtsgeschichte fehlt, um ein Beispiel zu nennen, der Hinweis auf die jüdischen Wurzeln des Gottessohns. In der aktuellen Bibelübersetzung von 2017 Lukas 2,4 heißt es: "Da machte sich auf auch Josef aus Galiläa, aus der Stadt Nazareth, in das judäische Land zur Stadt Davids, die da heißt Bethlehem, darum dass er von dem Hause und Geschlechte Davids war, auf dass er sich schätzen ließe mit Maria, seinem vertrauten Weibe; die war schwanger." Diese wichtigen Sätze wurden mit weiteren unerwünschten Namen und Ortsangaben in der NS-Fassung gestrichen. Als Begründung gab das Entjudungsinstitut lapidar an: "Die Weihnachtsgeschichte selbst ist insofern einer kleinen Änderung unterzogen worden, als die Hindeutung auf das davidische Bethlehem gefallen ist. Die Bethlehemgeburt Jesu ist sekundär, denn Jesus gilt als Galiläer." 1940 wurde eine Liste von Bibelworten zusammengestellt, die aus theologischen Schriften und in Predigten verschwinden und durch neue Wortschöpfungen ersetzt werden sollten. Dass mit diesen Eingriffen substanzielle Elemente der christlichen Botschaft aufgegeben wurden, haben Grundmann und seine Freunde billigend in Kauf genommen.

Nicht nur die Bibel wurde von jüdischen Elementen und Bezügen "gereinigt" und als neue NS-Volksbibel gedruckt, auch Gesangbücher wurden auf missliebige Texte durchgesehen. So entstanden als Gemeinschaftsprojekte des Eisenacher Entjudungsinstituts und der Nationalkirchlichen Einigung Deutscher Christen das Gesangsbuch "Großer Gott wir loben dich" sowie entjudete Erbauungsbücher. Gestrichen wurden in dem Liederbuch Gesänge und Texte, "die jüdisch sind in Wort und Denken, die von ausgesprochen dogmatischer Haltung sind, die süßlich, geschmacklos, selbstentwürdigend oder dichterisch unmöglich sind." Da man mit Rücksicht auf die Gemeinden nicht alles eliminieren konnte und wollte, sollte bei der Revision der vorhandenen Liederbücher überlegt werden, "inwieweit Lieder durch Umformung einzelner Ausdrücke erhalten bleiben können." Selbst vor dem großen Oratorium "Judas Makkabäus" von Georg Friedrich Händel machten die Nazi-Christen nicht Halt. Sie ließen Teile des von Thomas Morell nach Erzählungen des Ersten Buches der Makkabäer (1 Makk 2-8) rund um den jüdischen Freiheitskämpfer Judas Makkabäus und weiteren antiken Berichten verfassten Librettos neu schreiben und nannten das Werk schlicht und einfach "Der Feldherr".

Ob das "judenreine" Gesangbuch und weitere Machwerke dieser Art in den Gemeinden Wirkung zeigten, lässt sich kaum noch nachvollziehen, was übrigens auch für die NS-Propaganda und Filme, ja die gesamte Volksverdummung gilt. Mit zunehmenden Misserfolgen der Wehrmacht auf den europäischen Kriegsschauplätzen verpufften nach und nach die Mühen der Nazi-Ideologen jedweder Couleur, und es war nur noch blanker Terror, der viele Deutsche noch bei der Stange hielt.

Ende 1933 forderten die Deutschen Christen, "dass eine deutsche Volkskirche Ernst macht mit der Verkündigung der von aller orientalischen Entstellung gereinigten schlichten Frohbotschaft und einer heldischen Jesus-Gestalt als Grundlage eines artgemäßen Christentums". Bei ihren Bestrebungen beriefen sie sich auf Martin Luther, der im 16. Jahrhundert massiv gegen Juden gehetzt hatte. Nicht von ungefähr wurde 1933 im Ludendorf-Verlag München ein Faksimiledruck der Lutherschrift "Von den Jüden und jhren Lügen" aus dem Jahr 1543 herausgebracht. Weitere Pamphlete zitierten Luther als Vorkämpfer des Antijudaismus und Antisemitismus. Thüringens Landesbischof Martin Sasse brachte 1942 das Buch "Martin Luther Über die Juden Weg mit ihnen" heraus, und es war nicht das letzte Machwerk dieser Art. Sasse und seine DC-Freunde sahen in Christus den Todfeind des Judentums. Der Bischof verlangte mit Blick auf Luther, dass die Stimme des Mannes gehört werden muss, "der als der Deutsche Prophet des 16. Jahrhunderts der größte Antisemit seiner Zeit geworden ist, der Warner seines Volkes wider die Juden."

Eisenacher Emntjudungsistitut

Am 6. Mai 1939, vier Monate vor dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf Polen und dem Beginn des Zweiten Weltkriegs, gründeten DC-Vertreter in Eisenach, wo der Reformator auf der Wartburg die Bibel ins Deutsche übersetzt hatte, das eingangs genannte Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben. An seiner Spitze stand der Theologe Walter Grundmann, NSDAP-Mitglied seit 1930 und förderndes Mitglied der SS. Der Herausgeber der Zeitschriften "Christenkreuz und Hakenkreuz" und "Deutsche Frömmigkeit" schrieb 1942, auf dem Höhepunkt der Endlösung der Judenfrage: "Möge man sich auch über Deutschlands Haltung gegen das Judentums ereifern, Deutschland hat dennoch die geschichtliche Rechtfertigung und die geschichtliche Berechtigung zum Kampf gegen das Judentum auf seiner Seite. [...] und an diesem Satz wird auch spätere Forschung nichts mehr abändern können!"

Eisenach mit seinen zahlreichen kirchlichen Institutionen wurde zur Hochburg der mit den Nazis paktierenden Protestanten. Das Entjudungsinstitut wurde von 13 Landeskirchen getragen. Zu seinen Mitgliedern zählten Bischöfe, Oberkirchenräte und Pfarrer. Manche konnten nach dem Ende des NS-Reiches weitermachen, als sei nichts geschehen. Grundmann, der das Verbot seiner Bücher nie verwunden hat, strebte nach 1945 die Fortführung des Entjudungsinstituts an, wurde 1954 Rektor des in Eisenach ansässigen Katechetenseminars und gab sich als Opfer des NS-Regimes aus. Dass es in Eisenach das von ihm geleitete Entjudungsinstitut gegeben hat, war kein Thema. Grundmanns Beispiel zeigt, dass in der DDR der Kampf gegen den NS-Geist durchaus seine Grenzen hatte.

Die Bekennende Kirche lehnte entschieden die Unterwerfung der Christen unter das Diktat der Nazis ab, bekam deren ganzen Hass zu spüren und unterlag brutaler Verfolgung. Viele Vertreter der mit den Deutschen Christen im wahrsten Sinne des Wortes "über Kreuz" liegenden Bekennenden Kirche kamen in die Konzentrationslager, und manche überlebten die Haft nicht. Ähnlich erging es standhaften Katholiken, die sich dem Mord an Kranken und Behinderten widersetzt hatten, vor die Gerichte gezerrt wurden und als Märtyrer starben. Für sie alle stehen der von den Nazis ermordete evangelische Pfarrer Dietrich Bonhoeffer und der katholische Dompropst Bernhard Lichtenberg.

Wir haben versagt

Beide Konfessionen bekannten nach 1945 ihre Mitschuld an den Verbrechen des NS-Staates. In einem Wort der Berliner Bekenntnissynode vom 31. Juli 1945 wird als beschämende Tatsache festgestellt, unser Volk, das zu 90 Prozent aus getauften Christen bestand, habe sich unter geringem Widerstand die christliche Prägung seines staatlichen und kulturellen Lebens in kürzester Zeit rauben lassen. Das sei eine für uns Deutsche tief beschämende Tatsache. Wir müssten weit zurückgehen in der Geschichte des deutschen Geistes, um darzutun, warum wir uns so leicht haben verführen lassen. Eine Fehlentwicklung von langer Hand habe uns dahin gebracht, dass wir in der Stunde der Versuchung versagt haben. "Die amtliche Kirche hat sich gegenüber dem Angriff des totalen Staates und seiner Weltanschauung weithin als blind und taub erwiesen. […] Leider ist auch die Bekennende Kirche nicht ohne Schuld geblieben. Zwar hat das Zeugnis vieler Brüder und Schwestern in Wort, Tat und Leiden manches Zeichen des Widerstandes gegenüber der Totalität des Staates aufgerichtet." Was wir gelitten und an Widerstand geleistet haben, sei gering. "Wir können uns nicht den Vorwurf machen, dass wir zu radikal gewesen wären. Eine Fehlentwicklung von langer Hand hat uns dahin gebracht, dass wir in der Stunde der Versuchung versagt haben."

19. April 2017

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