Ausgrenzen, zersetzen und eliminieren
Wolf Biermann schildert in seiner Autobiographie, wie die Stasi gegen ihn und andere "Staatsfeinde" vorging



"Du, laß dich nicht verbittern in dieser bittren Zeit" rief Wolf Biermann seinen Landsleuten zu. Seine Autobiographie erschien im Propyläen Verlag Berlin 2016, hat 543 Seiten sowie zahlreiche Abbildungen und kostet 28 Euro (ISBN 978-3-549-07473-2)



Walter Ulbricht (Bildmitte) und seine Genossen ärgerten sich grün und blau über Biermanns freche Gesänge. Doch trauten sie sich nicht, ihn durch ein Attentat oder auf anderem Weg auszuschalten. Seinen Mund hat er sich nie verbieten lassen.





Der "preußische Ikarus" auf der Weidendammer Brücke hat es Wolf Biermann angetan. An ihm lief er 1976 "wie Hänschen klein ging allein" vorbei auf dem Weg zum Tränenpalast am Bahnhof Friedrichstraße. Nachdem er die "Menschenreuse" durchschritten hatte, versperrte ihm das SED-Regime den Weg zurück. Dreizehn Jahre später war es im Orkus der Geschichte verschwunden. (Repro/Fotos: Caspar)

Die Ende 2016 erschienene Autobiographie von Wolf Biermann "Warte nicht auf bessere Zeiten" ist ein DDR-Buch der besonderen Art. Darin schildert der 80 Jahre alt gewordene Liedermacher und Sänger unter anderem, wie das Ministerium für Staatssicherheit gegen ihn und andere als "Staatsfeinde" diffamierte Personen und Gruppen vorging und wie der Geheimdienst versuchte, sie auszugrenzen, zu unterwandern und zu zersetzen. Einzelne Menschen wurden in den Tod getrieben und sogar ermordet. Biermann, ein Mann zwischen West und Ost, ein Widerspruchsgeist, der die SED- und Staatsführung bis aufs Blut reizte, schildert in den Erinnerungen, wie er solche Attentate überlebt und der Stasi immer wieder die Nase gezeigt hat.

Mit sechzehn Jahren war Wolf Biermann von Hamburg in die DDR gegangen, die er und seine Mutter Emma für das bessere Deutschland hielt. Hanns Eisler hat den Studenten an der Humboldt-Universität ermutigt, Lieder zu schreiben, in Helene Weigels Berliner Ensemble hat er das Theaterhandwerk erlernt. Wegen seiner frechen Gesänge fiel der unangepasste Genosse beim SED-Chef Walter Ulbricht und seinem Adlatus Erich Honecker in Ungnade. Nach dem berüchtigten 11. Plenum des ZK der SED erhielt Biermann 1964 Auftritts- und Publikationsverbot. Er wurde rund um die Uhr von der Stasi observiert, und deren Chef Erich Mielke platzierte seine "Kämpfer an der geheimen Front" in seinem Freundeskreis.

Der Stachel im Fleisch

Was Stasi-Agenten aufschrieben, hat der Liedermacher für sein Buch zusammengefasst und mit höhnischen Kommentaren versehen. Dass manche Leute, die er für Freunde hielt, die schmutzige Spitzelarbeit geleistet haben, gehört zu Biermanns besonders traurigen Erfahrungen, und nennt in seinem wie ein Schelmenroman zu lesenden Buch, auch unbekümmert ihre Namen, sofern sie ihm bekannt wurden. Manch ein Zuträger von damals dürfte von dem Buch nicht begeistert sein. An einer Stelle beschreibt er, wie er den Fußboden seiner Wohnung vor einer Reise wenig mit Staub bedeckte und nach der Heimkehr fremde Fußabdrücke sah. So schlau, die Falle zu erkennen, war die Stasi dann doch nicht.

Während Wolf Biermann in der DDR offiziell eine Unperson war, wurde er im Westen gefeiert und geehrt. Nur dort konnten Platten und Bücher mit seinen Liedern und Balladen erscheinen, im Osten kursierten sie "unter der Hand" und in ganz kleinen Zirkeln meist als Abschriften und Raubkopien. Der Verfasser dieses Beitrags kann sich gut erinnern, wie er in seiner Rostocker Studentenbude Aufnahmen mit einem vorsintflutlichen Tonbandgerät und einem ans Radio gehaltenen Mikrofon machte, wobei ihm und seinen Freunden die Gefährlichkeit solchen Tuns nicht bewusst war. Glück gehabt, die "Sammlung staatsfeindlicher Informationen", wie es in der Stasi-Sprache hieß, und ihre Verbreitung hätte ihm Relegation von der Universität und/oder ein paar Jahre Gefängnis eintragen können!

In seinem Falle sahen sich der DDR-Geheimdienst und die Justiz genötigt, auf Verhaftung und Verurteilung zu mehreren Jahren "VEB Knast" zu verzichten, wie Biermann schreibt. Dem Regime war an Aufsehen im In- und Ausland nicht gelegen, und aus dem als "Stachel im Fleisch" empfundene Sänger einen Märtyrer zu machen, war auch nicht opportun. Biermann wurden auf subtilere Weise das Leben schwer und die Arbeit unmöglich gemacht. Im Stasijargon waren feindlich-negative Personen von imperialistischem Ungeist durchdrungene Menschen, bei denen Hopfen und Malz verloren sind. In den Verdacht, ein "Staatsfeind" zu sein, konnte man schnell kommen, etwa durch regimekritische Äußerungen und politische Witze, illegale Verbindungsaufnahme mit Westjournalisten und ganz allgemein unerlaubte Westkontakte, durch einen Fluchtversuch oder die Stellung eines Ausreiseantrags oder ganz allgemein Gruppenbildung. In den Augen der Stasi waren DDR-Bewohner bereits dann "feindlich-negativ", die den Aufnäher "Schwerter zu Pflugscharen" an der Jacke trugen, an ihrer Autoantenne eine weiße oder schwarze Schleife als Kennung für die Abgabe eines Ausreiseantrags befestigten, so genannte Hetzparolen an Hauswände schrieben oder verbotene Literatur wie Orwells "1984" oder eben Biermann-Lieder lasen, hörten oder sangen.

Illegale Aufzeichnungen mit Straßenlärm

Eindringlich erzählt Biermann in seinem Buch vom Vater, der als Jude und Kommunist in Auschwitz ermordet wurde, und von der Mutter, die ihn aus dem Hamburger Bombeninferno gerettet hat. Seinem väterlichen Freund, dem von der SED geächteten Physiker Robert Havemann, und anderen Gesinnungsgenossen setzt das Buch ein eindrückliches Denkmal. Wachgerufen werden die täglichen Absurditäten der DDR-Diktatur und die Schikanen, die unangepasste Menschen und ihre Familie aushalten mussten. Der Verfasser erzählt, wie er trotz des Verbots bei sich zuhause in der Berliner Chausseestraße 131 Tonaufnahmen machte und dabei auch den Straßenlärm in Kauf nahm, ja ihn sogar als Stilmittel nutzte, und wer ihn alles besuchte. Da Biermann seit ewigen Zeiten Tagebuch führte, kann er seine Aktivitäten auch mit Tag und Jahr belegen. Das Übrige las er in den Stasi-Akten nach, die unter dem Stichwort "Lyriker" über ihn angelegt wurden und die Vernichtungsaktionen in den Wendemonaten 1989/90 überdauert haben.

Seit dem 11. Plenum des ZK der SED 1964 hatte Biermann Auftrittsverbot, er scherte sich nicht darum und trug seine Lieder und Balladen in kleinem Kreis und einmal sogar vor einem größeren Publikum in Prenzlau vor. An verschiedenen Stellen seines Buches zitiert er aus seinem Werk. Der Künstler hat keinen Ausreiseantrag gestellt. Er wurde Ende 1976 nach einem spektakulären und im Westfernsehen übertragenen und daher auch in der DDR bekannt gewordenen Konzert in Köln an der Heimkehr nach Ostberlin gehindert und ausgebürgert. Die SED- und Staatsführung entledigte sich mit dem Willkürakt eines unbequemen Mahners, der eigentlich "nur" einen besseren, menschenfreundlichen Sozialismus haben wollte. Indem er gegen die im Politbüro und an anderen Schaltstellen der Macht sitzenden "verdorbenen Greisen" ohne jeden Humor sang, machte er sich diesen besonders verhasst.

Proteste gegen Ausbürgerung

Gegen den von Honecker persönlich veranlassten Unrechtsakt erhob sich in Ost und West ein gewaltiger Proteststurm. Mit allen Mitteln versuchte die Staatsmacht, Künstler, die sich einer Petition gegen die Ausbürgerung angeschlossen hatten, zu bewegen, ihre Unterschrift zurückziehen. Die meisten Versuche dieser Art scheiterten, und so sahen sich bekannte, mit dem Regime über Kreuz liegende Schauspieler, Musiker, Literaten, Wissenschaftler und andere DDR-Bewohner genötigt, Ausreiseanträge zu schreiben und das Land der Arbeiter und Bauern zu verlassen. Bei Prominenten hat das in der Regel geklappt, viele Unbekannten aber bekamen die ganze Wucht der DDR-Justiz zu spüren und verschwanden in Bautzen, Hoheneck und anderen Gefängnissen.

Der Widerstand gegen die Ausbürgerung von Wolf Biermann gelten als Anfang vom Ende der DDR. Die vom Zentralkomitee der SED "angeleiteten" Medien entfalteten eine Hetzkampagne gegen den Ausgebürgerten, nannten ihn einen Verräter am Land, das ihn freundschaftlich aufgenommen hatten, und am eigenen Vater, der in Auschwitz von den Nazis ermordet wurde. Man rechnete ihm vor, dass die DDR ihn studieren ließ, und bezichtigte ihn der Undankbarkeit. Nachzulesen sind die ätzenden Kommentare des "Neuen Deutschland" und andere Auslassungen in der Autobiographie ebenso wie die großen und kleinen Gemeinheiten und Schweinereien, die sich die Stasi ihm und seinen Freunden gegenüber erlaubte. So schildert Biermann, wie seine aus Hamburg zum Besuch in Ostberlin gereiste Mutter Emma in den Katakomben des Grenzbahnhofs Friedrichstraße immer wieder unwürdigen Leibesvisitationen unterzogen wurde. Sie musste sich komplett ausziehen und wurde sogar im After untersucht, weil vermutet wurde, sie würde unerlaubte Gegenstände hinüber schmuggeln. Biermann erzählte davon am Telefon Robert Havemann. Da er wusste, dass die Stasi mithört, deutete er gegenüber seinem in Grünheide bei Berlin lebenden Freund an, den Vorgang öffentlich zu machen. Die Drohung wirkte, Mutter Emma wurde fortan nicht mehr angefasst!

Oft ging Biermann am Reichsadler auf der Weidendammer Brücke vorbei, ihm hat er die Ballade vom preußischen Ikarus gewidmet. Dort heißt es: "da steht der preussische Ikarus / mit grauen Flügeln aus Eisenguss / dem tun seine Arme so weh / er fliegt nicht hoch - und er stürzt nicht ab / macht keinen Wind - und macht nicht schlapp / am Geländer aber der Spree. / Und wenn du wegwillst, musst du gehen / Ich hab schon viele abhaun sehen / aus unserm halben Land / Ich halt mich fest hier; bis mich kalt / Dieser verhasste Vogel krallt / und zerrt mich übern Rand / dann bin ich der preussische Ikarus / mit grauen Flügeln aus Eisenguss / dann tun mir die Arme so weh / dann flieg ich hoch - dann stürz ich ab / mach bisschen Wind - dann mach ich schlapp / am Geländer über der Spree." . )

6. Januar 2017

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