"Der große Diktator"
Charlie Chaplin hätte die Satire auf Hitler wohl kaum gedreht, wenn er das ganze Ausmaß der Naziverbrechen gekannt hätte



Zum Verwechseln ähnlich, aber fundamental anders sind der Friseur und der Gewaltherrscher im Film von 1940 "Der Große Diktator".



Die Karikatur lässt kaum erkennen, dass die freundlich beendete Satire einen sehr ernsten Hintergrund hat.



Der paranoide Adeonid Hynkel und sein wie Hermann Göring mit Orden behängter Feldmarschall Hering schmieden im Regierungspalast abenteuerliche Eroberungspläne.



Am Globus übt Hynkel schon, wie es sich anfühlt, wenn er Herrscher über die Welt ist.



Am Ende des Films ruft der aufgrund einer Verwechselung ans Mikrofon gelangte Frisör zur Versöhnung, zu Frieden und Menschlichkeit auf. "Nieder mit der Unterdrückung, dem Hass und der Intoleranz. Lasst uns kämpfen für eine Welt der Sauberkeit, in der die Vernunft siegt, in der Fortschritt und Wissenschaft uns allen zum Segen gereichen. Kameraden! Im Namen der Demokratie, dafür lasst uns streiten!" (Repros: Caspar)

Als der britische Filmschauspieler, Regisseur und Produzent Charles (Charlie) Spencer Chaplin am 25. Dezember 1977 starb, war die Trauer groß. Nachrufe erinnerten daran, dass er neben Buster Keaton und Harold Lloyd der bedeutendste Komiker der Stummfilmzeit war und mit seiner Figur des "Tramp" eine Ikone der Filmgeschichte geschaffen hatte. Schockiert reagierte die Weltöffentlichkeit, als bekannt wurde, dass zwei Monate nach Chaplins Tod seine Leiche vom Friedhof im schweizerischen Corsier-sur-Vevey gestohlen wurde. Die Grabräuber hatten versucht, für die Rückgabe von den Hinterbliebenen Geld zu erpressen, hatten damit aber keinen Erfolg. Chaplins sterbliche Überreste wurden gefunden und erneut beerdigt. Nach dem Tod seiner Witwe Oona hat man das Grab 1991 zubetoniert.

Am 16. April 1889 als Sohn eines Schauspielerehepaars in einem Londoner Armenviertel geboren, wuchs der junge Chaplin nach der Trennung der Eltern mit seinem Bruder Sydney in Waisenhäusern auf, wo sein schauspielerisches Talent auffiel. Bereits als Kind tingelte Charlie, wie man ihn zu nennen pflegte, durch Varietés und kleine Theater. Den Durchbruch schaffte er als Mitglied einer Pantomimengruppe in den USA, wo er von dem Regisseur Mack Sennett für den Stummfilm entdeckt wurde. Von nun an spielte Chaplin in zahlreichen Slapstick-Komödien, wobei weite Hosen, enger Frack, übergroße Schuhe, Melone und Stöckchen sowie das kleine Bärtchen unter der Nase zu seinem Markenzeichen wurden. Der finanzielle Erfolg seiner weltweit verbreiteten Streifen ermöglichte es dem begnadeten Schauspieler, in Hollywood ein eigenes Studio einzurichten, wo er seine Kunst weiter vervollkommnte. Nach einer großen Zahl publikumswirksamer Kurzfilme von oft melancholischem oder tragikomischem Inhalt schuf Chaplin 1920 mit "The Kid" seinen ersten Langfilm. Ihm folgten in den zwanziger Jahren weitere abendfüllende Werke, darunter "The Pilgrim" (1923) "A Woman of Paris" (1923), "The Gold Rush" (1925) und "The Circus" (1928). Für "City Lights" (1931) schrieb Chaplin die Musik, und in "Modern Times" von 1936 setzte er sich kritisch mit der modernen Arbeitswelt und seinen unmenschlichen Bedingungen auseinander.

Glanzstücke der Filmgeschichte

Nach dem Krieg schuf Chaplin weiteren Filme wie "Monsieur Verdoux" (1947) oder "Limelight" (1952), geriet aber auch wegen seines Eintretens für ein Ende des Kalten Kriegs in die Schlagzeilen. In den USA verdächtigte man ihn, Sympathisant des Kommunismus zu sein. Als der Schauspieler 1952 in Europa weilte, erfuhr er, dass er sich bei seiner Rückkehr in den USA vor dem berüchtigten Mc-Carthy-Ausschuss wegen angeblichen unamerikanischen Verhaltens werde verantworten müssen. Chaplin kehrte den USA den Rücken und ließ sich mit seiner Familie in der Schweiz nieder. In England schuf er mit "A King in New York" (1957) eine Satire auf die berüchtigte Kommunistenjagd in der McCarthy-Ära. Zehn Jahre später war Chaplin in "Countess from Hong Kong" nur noch in einer kleinen Nebenrolle zu sehen, danach litt er unter zunehmenden körperliche Beschwerden und war immer weniger in der Öffentlichkeit präsent. 1972 reiste er für kurze Zeit in die USA, um den "Oscar" für sein Lebenswerk entgegenzunehmen.

In dem Film "The Great Dictator" von 1940 karikiert Chaplin die beiden Faschistenführer Adolf Hitler und Benito Mussolini zeigt, wie sich ein kleines Volk gegen skrupellose Okkupanten und Unterdrücker mit List und Tücke zur Wehr setzt. Als Chaplin nach dem Zweiten Weltkrieg mit Blick auf den Völkermord der Nationalsozialisten an den Juden gefragt wurde, ob die Filmkomödie den unfassbaren Nazi-Verbrechen angemessen sei, verneinte er und erklärte, wenn er vom ganzen Umfang des Völkermordes gewusst hätte, hätte er sich dem Thema anders genähert. Der Schwarz-Weiß-Film ist eine beißende Groteske, mit der Chaplin dem deutschen Diktator Adolf Hitler, genannt Anton Hynkel (orig. Adenoid Hynkel) und seine Entourage sowie den italienischen Diktator Benito Mussolini lächerlich macht. Glanzstück der Filmgeschichte ist die Brandrede des Herrschers mit dem kleinen Hitlerbärtchen. In seiner zugleich böse und lächerlich klingenden Fantasiesprache droht dieser er allem, was den Menschen lieb und wichtig ist. Was alles vernichtet werden soll, klingt in der Sprache des Großen Diktators so. "Demokratschisch schtonk! Liberty schtonk! Free schprekken schtonk! Tomania mit der grötzte Army in der Welt! Der grötzte Navy in der Welt! Wir sind die Grötzte alles, und einer to sacrifice! Und einer strutten tighten de belten!", womit so etwas wie "Kanonen statt Butter und Wir müssen den Gürtel enger schnallen!" gemeint ist. Zwischendurch flicht Hynkel in seine wilden Stammeleien echte deutscher Wörter wie Wiener Schnitzel, Sauerkraut, Blitzkrieg, Leberwurst, Stolz und Katzenjammer ein, was ihnen eine zusätzliche Note gibt.

Charly Chaplin hatte anhand von Fotografien sowie Film- und Rundfunkaufnahmen die Sprache und Gebärden des deutschen Diktators studiert und war dank seiner genialen Fähigkeiten in der Lage, ihn verblüffend gut nachzuahmen. Freizügig geht der Film mit geografischen und politischen Begriffen um. Während er die Rassen- und Terrorpolitik der Nazis mit "Jude", "Arier", "Ghetto" und "Konzentrationslager" klar beim Namen nennt, verfremdet er andere Bezeichnungen. So heißt Hynkels Herrschaftsgebiet Tomanien, eine Anspielung auf das Leichengift Ptomain, Italien ist das an Bazillen erinnernde Bakteria, und das 1938 vom Deutschen Reich okkupierte Österreich kommt im Film als Osterlitsch vor. Hynkels wild gestikulierendes Pendant ist der sich wie Kaiser Napoleon I. gebärdende Italiener Benito Mussolini, der Benzino Napoloni genannt wird. Dann gibt es noch den dicken, von oben bis unten mit Orden behängten Feldmarschall Hering, von Hynkel auch Bismarckhering genannt, und den zynischen Einflüsterer Dr. Gorbitsch (Dr. Goebbels). Dessen englischer Name Dr. Garbitsch ist dem Wort garbage für Müll oder Abfall nachempfunden.

Für die Freiheit ist kein Opfer zu groß

Am Ende des Films hält das Hynkel-Double, das eigentlich ein jüdischer, dem KZ entkommener Friseur ist und dem wahren Diktator zum Verwechseln ähnlich sieht, eine lange Rede voll Einsicht und Demut. Dieser Ausgang hat mit der schlimmen Wirklichkeit in Nazideutschland und den von der Wehrmacht überfallenen Ländern nicht das Geringste zu tun, verleiht dem Film aber so etwas wie eine optimistische Note, ein Happy End. "Es tut mir leid, aber ich möchte nun mal kein Herrscher der Welt sein, denn das liegt mir nicht. Ich möchte weder herrschen noch irgendwen erobern, sondern jedem Menschen helfen wo immer ich kann; den Juden, den Heiden, den Farbigen, den Weißen. Jeder Mensch sollte dem anderen helfen, nur so verbessern wir die Welt. Wir sollten am Glück des Anderen teilhaben und nicht einander verabscheuen. Hass und Verachtung bringen uns niemals näher. Auf dieser Welt ist Platz genug für jeden, und Mutter Erde ist reich genug um jeden von uns satt zu machen. Das Leben kann ja so erfreulich und wunderbar sein, wir müssen es nur wieder zu leben lernen!"

Die Habgier habe das Gute im Menschen verschüttet, und Missgunst habe die Seelen vergiftet und uns im Paradeschritt zu Verderben und Blutschuld geführt, ruft der in die Rolle des Diktators geschlüpfte Friseur den Menschen zu. "Wir haben die Geschwindigkeit entwickelt, aber innerlich sind wir stehengeblieben. Wir lassen Maschinen für uns arbeiten, und sie denken auch für uns. Die Klugheit hat uns hochmütig werden lassen und unser Wissen kalt und hart. Wir sprechen zu viel und fühlen zu wenig. Aber zuerst kommt die Menschlichkeit und dann erst die Maschinen. Vor Klugheit und Wissen kommt Toleranz und Güte. Ohne Menschlichkeit und Nächstenliebe ist unser Dasein nicht lebenswert. Aeroplane und Radio haben uns einander nähergebracht. Diese Erfindungen haben eine Brücke geschlagen von Mensch zu Mensch, die erfassen eine allumfassende Brüderlichkeit, damit wir alle Eins werden. Millionen Menschen auf der Welt können im Augenblick meine Stimme hören. Millionen verzweifelter Menschen , Opfer eines Systems, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, Unschuldige zu quälen und in Ketten zu legen. Allen denen, die mich jetzt hören, rufe ich zu ,Ihr dürft nicht verzagen!'. Auch das bittere Leid, das über uns gekommen ist, ist vergänglich. Die Männer die heut die Menschlichkeit mit Füßen treten, werden nicht immer da sein! Ihre Grausamkeit stirbt mit ihnen, und auch ihr Hass. Die Freiheit, die sie den Menschen genommen haben, wird ihnen dann zurückgegeben werden."

In Anlehnung an die berühmte Blut-und-Tränen-Rede, mit der der britische Premierminister Winston Churchill am 13. Mai 1940, zu Beginn des Zweiten Weltkriegs, seinen Mitbürgern Mut machte und sie auf schwierige Zeiten einstellte, sagt der kleine Friseur: "Auch wenn es Blut und Tränen kostet, für die Freiheit ist kein Opfer zu groß. Soldaten, vertraut Euch nicht Barbaren an, Unmenschen, die Euch verachten und denen Euer Leben nichts wert ist; Ihr seid für sie nur Sklaven, Ihr habt das zu tun, das zu glauben und das zu fühlen. Ihr werdet gedrillt, gefüttert, wie Vieh behandelt und seid nichts weiter als Kanonenfutter. Ihr seid viel zu schade für diese verwirrten Subjekte, diese Maschinenmenschen mit Maschinenköpfen und Maschinenherzen. […] Ihr seid keine Roboter, Ihr seid keine Tiere, Ihr seid Menschen! Bewahrt Euch die Menschlichkeit in Euren Herzen und hasst nicht! Nur wer nicht geliebt wird, hasst! Nur wer nicht geliebt wird. Soldaten, kämpft nicht für die Sklaverei, kämpft für die Freiheit! […] Diktatoren wollen die Freiheit nur für sich, das Volk soll versklavt bleiben. Lasst uns diese Ketten sprengen, lasst uns kämpfen für eine bessere Welt, lasst uns kämpfen für die Freiheit in der Welt, das ist ein Ziel für das es sich zu kämpfen lohnt!"

30. Oktober 2017

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