Adresse in bester Lage verlor ihren Schrecken
Gedenkstätte Runde Ecke dokumentiert Aufstieg und Fall der Stasi-Bezirksbehörde in Leipzig



Von 1950 bis Ende 1989 war der Stasikomplex am Leipziger Dittrichring mit ergänzenden Büros im Plattenbaustil um einen nicht einsehbaren Innenhof Sitz der Bezirksverwaltung Leipzig des MfS.



Das bemalte Transparent war am Balkon über dem Eingang der "Runden Ecke" angebracht und lädt nun im Treppenhaus zum Besuch der Stasi-Ausstellung ein.



In der Runden Ecke werden Transparente und Bilder aus den dramatischen Tagen Ende 1989 als Einstimmung auf das gezeigt, was die Stasi getan hat, als sie noch "Schild und Schwert der Partei" war, sich als Staat im Staate fühlte und über ein Heer von hauptamtlichen und inoffiziellen Mitarbeitern verfügte.



In den Vitrinen hat das Bürgerkomitee seinerzeit sichergestellte Tonbandkassetten zum geheimen Abhören von Regimegegnern sowie für Tonaufzeichnungen bei Verhören ausgestellt.



In einer solchen Kammer wurden neu eingelieferte Häftlinge fotografiert und erkennungsdienstlich behandelt.



Bevor das Leipziger Bürgerkomitee eingreifen konnte, haben Stasileute schnell noch brisante Akten geschreddert und mit Wasser verklumpt, so dass nichts mehr gelesen werden kann.



Eine Säule, wie sie in der Nikolaikirche steht, und diese Messingplatte davor erinnern an den 9. Oktober 1989, als etwa 70 000 Demonstranten der SED und der Regierung "Wir sind das Volk" entgegenschleuderten und demokratische Freiheiten einforderten, die diese Bezeichnung wirklich verdienen. Das Leipziger Gotteshaus war Ort von Friedensgebeten und Ausgangspunkt der friedlichen Revolution in der DDR. (Fotos: Caspar)



Es gibt kaum einen Leipziger, der nicht die Runde Ecke am Dittrichring unweit der Thomaskirche an der Peripherie der Altstadt kennt, die ehemalige Bezirksverwaltung des Ministeriums für Staatssicherheit. Wie in einer Zeitkapsel dokumentiert eine seit dem Ende der DDR bestehende Ausstellung Machenschaften und Methoden sowie Dokumente, Bilder und andere Hinterlassenschaften des ehemaligen DDR-Geheimdienstes. Das repräsentative Gebäude in bester Lage mit neobarocken Reliefs und Figuren an der Fassade und auf dem Gesims und der namengebenden runden Ecke wurde von 1911 bis 1913 als Sitz der Alten Leipziger Feuerversicherung nach Plänen des vor allem durch den Bau des Neuen Rathauses berühmt gewordenen Architekten Hugo Licht und seines Kollegen Karl Poser zusammen mit dem Büro Weidenbach & Tschammer errichtet. Kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde das Gebäude kurzzeitig von der siegreichen US-Armee genutzt, die aber bald wieder Sachsen und Thüringen nach den Vereinbarungen der Anti-Hitler-Koalition verlassen musste. Danach zogen Dienststellen des sowjetischen Innenministeriums (NKWD) und alsbald des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR ein. Die Runde Ecke wurde in Leipzig und Umgebung gefürchtete Adresse. Wer dort vorgeladen oder eingeliefert wurde, musste sich auf schlimme Dinge einstellen.

Am Abend des 4. Dezember 1989 wurde das Gebäude im Rahmen der Montagsdemonstrationen besetzt und vor dem Zugriff der bisherigen Stasi-Leute gesichert. Generalleutnant Manfred Hummitzsch, der Leiter des Bezirksamts für Nationale Sicherheit, also der bisherigen Bezirksverwaltung Leipzig des MfS, wollte eigentlich das Stasi-Gebäude am Dittrichring erst am 1. April 1990 dem Rat der Stadt Leipzig zur weiteren Nutzung übergeben. Da zu befürchten war, dass bis dahin wichtige Unterlagen, Gegenstände und Arbeitsinstrumente vernichtet oder auf Nimmerwiedersehen verlagert werden, wurden der Komplex von Bürgergruppen besetzt und Beweisstücke sichergestellt. Erst einen Monat später gelang eine ähnliche Aktion im bisherigen Ministerium für Staatssicherheit an der Normannenstraße in Berlin-Lichtenberg. In Leipzig übernahm die Volkspolizei die Kontrolle und Sicherung der Runden Ecke und weiterer über die Stadt verteilter Stasi-Objekte. Um es nicht zu Übergriffen auf Gebäude und Personen kommen zu lassen, wurde am 10. Dezember 1989 auf einer internationalen Pressekonferenz an die Öffentlichkeit appelliert, keine Selbstjustiz zu üben und nicht die Untersuchungen zu gefährden. Auch hier sollte der Grundsatz "Keine Gewalt" gelten.

Heldenstadt der friedlichen Revolution von 1989

Das 1989 gegründete Bürgerkomitee ist ein gemeinnütziger Verein, der über Geschichte, Struktur und Arbeitsweise der Stasi aufklärt und sich aktiv am gesellschaftlichen Diskurs über Diktaturen, ihre Folgen sowie über Bürger- und Menschenrechte beteiligt und Opfer der SED-Diktatur berät. Ziel ist es, das Bewusstsein der Bürger für Diktaturen und ihre Gefahren zu schärfen, demokratisches Handeln und Denken zu fördern und den antitotalitären Konsens in der Gesellschaft zu stärken. Darüber hinaus ist ihm der authentische Erhalt von Orten der Machtausübung des SED-Staates vor allem in Leipzig ein wichtiges Anliegen. Das Bürgerkomitee wird durch die Stiftung Sächsische Gedenkstätten aus Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, aus Mitteln des Sächsischen Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst sowie durch die Stadt Leipzig und den Kulturraum Leipziger Raum gefördert.

Die nach dem Ende der SED- und Stasiherrschaft eingerichtete Ausstellung schildert, welche menschlichen Tragödien sich hier abgespielt haben, wie Stasiopfer drangsaliert, terrorisiert, bespitzelt und überwacht wurden. Ausgehend von 45 Jahren Opposition und Widerstand in der DDR zeichnet die Dokumentation mit Flugblättern, Fotos und Plakaten die Entwicklung der Opposition 9n der DDR nach und zeigt, wie Leipzig zur Heldenstadt der friedlichen Revolution von 1989 in der DDR wurde. Zu sehen sind unter anderem winzige Tonbandgeräte und getarnte Kameras, mit denen so genannte feindlich-negative Personen, aber auch im Bedarfsfall ganz normale DDR-Bewohner ausgehorcht und ausgespäht wurden. Eine Gefangenenzelle, wie es welche im Stasi-Untersuchungsgefängnis an der Leipziger Beethovenstraße gab, sowie Häftlingskleidung, Essgeschirr und eine Kammer zum Fotografieren von Gefangenen ziehen verwunderte Blicke auf sich.

Zu sehen sind Orden und Medaillen, Fahnen, Uniformen und Waffen sowie insgeheim angefertigte Überwachungsfotos und weitere Dokumente. Das ausgestellte Material wirkt überladen und manchmal auch wie eine zugestellte Rumpelkammer. Zu sehen ist mancher Kitsch, mit dem Stasileute ihre Büros zu schmücken pflegten. Daneben haben Schreibmaschinen, Telefonapparate, Monitore, Fernschreiber und Tonbandgeräte Platz gefunden, die wie aus der Zeit gefallen wirken, damals aber technischen Höchststand repräsentierten. Ausgestellt ist ferner ein Reißwolf, in dem während der turbulenten Tage und Wochen, als das Ende der Mielkeschen Geheimdienstes abzusehen war, Akten geschreddert wurden, nicht ohne vorher Büroklammern und andere Metallteile zu entfernen, denn Ordnung musste sein, und die Maschine sollte nicht beschädigt werden.

Schulklassen und andere Besucher erfahren einiges über die Art und Weise, wie die Stasi mit Blick auf mögliche Konflikte im Inneren und in Zeiten von Kriegsbedrohung ihre mikroverfilmten Aktenbestände einschließlich von Nachweisen über Inoffizielle Mitarbeiter (IM) gesichert hat. Die in "Krebs" genannten wasserdichten Plastikzylindern sowie in einem besonderen Panzerschrank deponierten Filme sollten im Ernstfall in den Bunker der Leipziger Bezirksverwaltung nach Machern gebracht werden. Die Stasi wollte so weiter auf das IM-Netz zurückgreifen, sollten die Originalakten nicht mehr zur Verfügung stehen. "So sollte die Zusammenarbeit unter allen Lagebedingungen gewährleistet werden", heißt es im erklärenden Text.

Personalsuche mit Lochkarten

Da es offiziell in der DDR keine politischen Gefangenen gab, hat man Personen, die sich gegen die SED- und Stasidiktatur auflehnten sowie diejenigen, die aus dem Land fliehen wollten und dabei gefasst wurden, den Kriminellen zugerechnet. Wie die Ausstellung in der Runden Ecke zeigt, hat man die "Politischen" schlechter behandelt als gewöhnliche Kriminelle und sie durch Spitzel, die man ihnen in die Zelle setzte, auszuhorchen versucht. Wer sich von den Gefangenen in den Augen der Stasi wohl verhielt, bekam einige Vergünstigungen und sogar eine Art Gefangenengeld in Gestalt von Aluminiummarken mit eingeprägten Nummern. Mit ihnen durfte man dreimal im Monat etwas für den persönlichen Bedarf kaufen.

In einer anderen Vitrine wird gezeigt, wie Stasileute binnen kürzester Zeit für bestimmte Aufgaben ausersehene Personen mittels Kerblochkarten finden konnten. Wenn etwa ein 30jähriger Mann mit guten Russischkenntnissen und anderen Eigenschaften für eine bestimmte Aufgabe gebraucht wurde, konnten Name und Adresse aus einem Stapel von an der Seite gelochten Karten schnell und präzise gefischt werden. So wurden in Frage kommende IM "hochgezogen". Da die Stasi noch keine Computer besaß, war das ein effektives Verfahren, schnell an Reserven zu gelangen. Nachdem das Bürgerkomitee das Stasihauptquartier am Dittrichring schnell besetzt hatte, konnten alle diese Sachzeugen und Dokumente vor der Vernichtung bewahrt werden. Für offizielle und inoffizielle Mitarbeiter wurde es schwer, sich später als Unbeteiligte und als verfolgte Unschuld herauszureden.

Viele Staatsgeheimnisse kamen dank gründlicher Recherche von Bürgerrechtlern und ihren Nachforschungen vor Ort ans Tageslicht. So etwa die Art und Weise, wie die von der SED gesteuerte DDR-Justiz mit dem Thema Todesstrafe und Hinrichtung umgegangen ist. Dazu hatte Stasiminister Mielke einen klaren Standpunkt. Bei einer erweiterten Kollegiumssitzung seines Hauses sagte er, keinen Widerspruch duldend, am 19. Februar 1982: "Wir sind nicht davor gefeit, dass wir einmal einen Schuft unter uns haben. Wenn ich das schon jetzt wüsste, würde er ab morgen nicht mehr leben. Kurzer Prozess. Weil ich ein Humanist bin. [...] Das ganze Geschwafel von wegen nicht Hinrichtung und nicht Todesurteil - alles Käse, Genossen. Hinrichten, wenn notwendig auch ohne Gerichtsurteil."

Leichenasche wurde anonym verscharrt

Die Exekutionen erfolgten in gesonderten Räumen eines Gefängnisses an der Alfred-Kästner-Straße in der Leipziger Südstadt. Hier wurden zwischen 1960 und 1981 alle in der DDR verhängten Todesurteile vollstreckt. Die Todesstätte ist weitgehend im originalen Zustand erhalten und ist nur zu besonderen Gelegenheiten, etwa am Tag des offenen Denkmals, für die Öffentlichkeit zugänglich. Es ist geplant, den historischen Ort regelmäßig für Interessenten zugänglich zu machen. Dazu erarbeitet das Bürgerkomitee im Auftrag des Sächsischen Staatsministeriums der Justiz ein Konzept für den Erhalt der früheren Hinrichtungsstätte und deren Nutzung als justizgeschichtlichem Erinnerungsort. Gezeigt soll werden, dass Prozesse mit Todesurteil politischem Einfluss ausgesetzt waren und die Urteile schon vorher feststanden. Keinem der Angeklagten wurde ein rechtsstaatliches Verfahren gewährt, Gnadenerweise gab es nicht. Die Leichen der Hingerichteten wurden im Leipziger Krematorium verbrannt und anonym verscharrt.

Die zentrale Hinrichtungsstätte der DDR war 1956 von Dresden nach Leipzig verlegt worden. Insgesamt wurden 64 Personen hingerichtet, zunächst mit dem Fallbeil, seit 1968 jedoch durch "unerwarteten Nahschuss" ins Hinterhaupt des Verurteilten. Als letzter Mensch starb auf diese Weise der wegen angeblicher Spionage und versuchter Fahnenflucht zum Tode verurteilte Stasi-Hauptmann Werner Teske am 26. Juni 1981. Auf ihn könnte sich Mielkes Ausfall gegen Landesverräter und Spione bezogen haben. Der DDR-Staatsrat verkündete am 17. Juli 1987 die Abschaffung der Todesstrafe. Per Volkskammerbeschluss floss diese Änderung im Dezember 1987 in das Strafgesetzbuch der DDR ein.

14. Dezember 2017

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