"Das Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht"
Eiserne Tafeln vor unserem höchsten Parlament in Berlin ehren verfolgte und ermordete Reichstagsabgeordnete



Die eisernen Tafeln vor dem Berliner Reichstagsgebäude dokumentieren die Namen von Reichstagsabgeordneten, die von den Nazis verfolgt und ermordet wurden.



Markige Worte und starke Bilder nutzten wenig im Kampf gegen die aufstrebenden Nationalsozialisten, weil die Arbeiter und ihre Parteien untereinander stritten. Die Aktionseinheit kam erst zustande, als es zu spät war.



Mit einer letzten mutigen Rede wandte sich der SPD-Vorsitzende Otto Wels am 23. März 1933 im Reichstag gegen die Nazidiktatur und das Ermächtigungsgesetz.



Das Columbia-Haus war das erste Konzentrationslager in Berlin, hier wurden spätere KZ-Kommandanten ausgebildet. Im Zusammenhang mit dem Bau des Flughafens Tempelhof wurde der Ort nationalsozialistischen Terrors abgerissen, das Gelände wurde Teil des Flugplatzes. Die Gedenkstätte erinnert an das grauenhafte Geschehen.



Die DDR errichtete für den 1933 von den Nazis verhafteten und 1944 im KZ Buchenwald ermordeten KPD-Vorsitzenden und Reichtagsabgeordneten Ernst Thälmann an der Greifswalder Straße dieses riesige Monument. (Fotos/Repro: Caspar)

Unmittelbar nach der Errichtung der Nazidiktatur am 30. Januar 1933 begann eine erbarmungslose Hatz auf alle, die nicht in das politische und rassistische Weltbild der neuen Herren passten. Grundlage für die Terrormaßnahmen bildete das so genannte Ermächtigungsgesetz vom 23. März 1933, das Adolf Hitler unumschränkte Vollmachten erteilte. Während kommunistische Reichstagsabgeordnete von den Nazis daran gehindert wurden, ihr Mandat in dem unter terroristischen Bedingungen am 5. März 1933 neu gewählten Reichstag auszuüben, stimmten am 24. März 1933 einzig die Sozialdemokraten gegen das Ermächtigungsgesetz, das angeblich "zur Behebung der Not von Volk und Reich" bestimmt war, in Wirklichkeit aber die demokratischen Grundrechte der Weimarer Verfassung außer Kraft setzte und den Weg in den "Führerstaat" freimachte. Gewalt und Terror, Rassenhetze und Ausgrenzung waren von jetzt ab ungehindert Tür und Tor geöffnet.

In einer Gedenkveranstaltung des Deutschen Bundestages am 10. April 2008 anlässlich des 75. Jahrestages des Ermächtigungsgesetzes stellten Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) und der frühere SPD-Vorsitzende Hans-Jochen Vogel fest, die Weimarer Republik sei nicht nur an ihren geschworenen Feinden zugrunde gegangen, sondern auch am weit verbreiteten Zweifel an den Vorzügen und Bedingungen einer parlamentarischen Demokratie. "Diese Skepsis war genährt von Vorbehalten gegenüber dem Prinzip der Repräsentation und vom Misstrauen in die pluralistisch-demokratischen Entscheidungsprozesse", so Lammert. Das Ende der Weimarer Demokratie sei weder zufällig noch zwangsläufig gewesen. Mit großem persönlichem Mut hätten die 94 verbliebenen sozialdemokratischen Abgeordneten gegen das "Ermächtigungsgesetz" gestimmt, während die Abgeordneten der bereits verbotenen KPD an ihrer Stimmabgabe gehindert wurden. Viele von ihnen befanden sich bereits in Polizei und KZ-Haft, waren untergetaucht, auf der Flucht ins Ausland oder waren schon gar nicht mehr am Leben. Mit ihrer Weigerung, dem gewalttätigen Umsturz den Ausweis von Legalität zu geben, seien die von Otto Wels geführten Sozialdemokraten zu "stillen Helden der Demokratie und des Parlamentarismus in Deutschland" geworden.

Hitlers höhnische Antwort

In seiner letzten Rede im Deutschen Reichstag sprach sich Wels mit flammenden Worten am 23. März 1933 gegen die Entmachtung des Parlaments aus. Noch niemals, seit es einen Deutschen Reichstag gibt, sei die Kontrolle der öffentlichen Angelegenheiten durch die gewählten Vertreter des Volkes in solchem Maße ausgeschaltet worden, wie es jetzt geschieht, und wie es durch das neue Ermächtigungsgesetz noch mehr geschehen soll. Nach den Verfolgungen, welche die Sozialdemokratische Partei erfahren habe, werde niemand von ihr erwarten und verlangen können, dem Gesetz zuzustimmen. "Freiheit und Leben kann man uns nehmen - Die Ehre nicht", betonte Wels, der kurz nach seiner berühmten Rede nach Paris emigrieren konnte und 1939 starb.

Hitler antwortete mit höhnischen Worten: "Ich will auch gar nicht, dass Sie dafür stimmen. Deutschland soll frei werden, aber nicht durch Sie" und erntete jubelnde Zustimmung bei seinen in braunen Hemden erschienenen Anhängern. Joseph Goebbels notierte am 24. März 1933 in seinem Tagebuch: "Der SPD-Führer Wels lässt sich tatsächlich zu einer Antwort hinreißen. Sie ist eine einzige Jeremiade des Zuspätgekommenen. Alles das wollten auch die Sozialdemokraten, und nun greinen sie über Terror und Ungerechtigkeit." Nach der Zerschlagung der Oppositionsparteien nahmen sich Hitler, Goebbels und Konsorten die Gewerkschaften vor. "Wir werden nicht eher Ruhe bekommen, bis sie restlich in unserer Hand sind", fügte der Propagandaminister und Berliner Gauleiter seinem Tagebucheintrag hinzu.

Zu den in die Folterkeller und Konzentrationslager verschleppten und dort ermordeten Personen gehörten auch Abgeordnete des Deutschen Reichstags. Eine am 22. Februar 1992 von der damaligen Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth (CDU) eingeweihte Tafel am Reichstagsgebäude, dem Sitz des Deutschen Bundestages, erinnert an "die in der Zeit der Gewaltherrschaft von 1933 bis 1945 ermordeten, verfolgten und verfemten Mitglieder des Reichstags der Weimarer Republik und ihre mitleidenden und mitverfolgten Familienmitglieder". Von insgesamt 1 583 noch amtierenden oder ehemaligen Reichstagsabgeordneten mussten nach dem 30. Januar 1933 über 300 massive Behinderungen und soziale Einbußen hinnehmen, wurden aus ihren Berufen verdrängt und um ihre Habe gebracht. Wenigstens 416 Mandatsträger wurden von der Justiz verurteilt und/oder von der SA und SS inhaftiert, wobei mindestens 73 ums Leben kamen. Nicht weniger als 167 ehemalige Parlamentarier emigrierten, von sechs Parlamentariern ist bekannt, dass sie in den Selbstmord getrieben wurden.

Eine Bürgerinitiative errichtete 1992 vor den Stufen des Reichstagsgebäudes eine Gedenkstätte. Sie besteht aus aufgerichteten Eisentafeln, auf deren wie abgebrochen wirkenden Oberkanten die Namen von Reichstagsabgeordneten geschrieben stehen, die zwischen 1933 und 1945 ermordet wurden. Vermerkt sind die Lebensdaten, Parteizugehörigkeit sowie Tag und Ort ihres Todes. Eine in den Boden eingelassene Tafel nennt als Stifter des Denkmals die Bürgerinitiative "Perspektive Berlin", die ein Denkmal bereits vor dem Fall der Mauer angeregt hatte, sowie den Deutschen Gewerkschaftsbund, das Bezirksamt Tiergarten, den Senat von Berlin und zahlreiche Bürgerinnen und Bürger, die das Projekt unterstützt haben.

Columbiahaus als Folterstätte

Die Gedenktafeln am Reichstagsgebäude und das von den Studenten der Hochschule für Künste Dieter Appelt, Klaus W. Eisenlohr, Justus Müller und Christian Zwirner entworfene Erinnerungsmal haben eine längere Vorgeschichte, denn der Ehrung der von den Nazis verfolgten und ermordeten Parlamentarier, von denen die meisten Kommunisten und Sozialdemokraten waren, wollten sich manche Politiker und Parlamentarier nicht uneingeschränkt anschließen. Die Angabe von Namen und Parteizugehörigkeit hätten nämlich ergeben, dass Kommunisten und Sozialdemokraten in der NS-Zeit einen besonders hohen Blutzoll hatten leisten müssen. Das war zwar bekannt, doch diese Tatsache explizit auf einer Tafel am Reichstagsgebäude oder durch ein Denkmal davor kundzutun, ging den Skeptikern wohl doch zu weit. Die Debatte hatte insofern ihr Gutes, als ein Stück vergessene oder verdrängte Geschichte des deutschen Parlamentarismus verdientermaßen öffentlich gemacht wurde.

Viele Parlamentarier, Gewerkschaftsfunktionäre, Mitglieder und Funktionäre der SPD und der KPD, Künstler und Intellektuelle sowie andere vom NS-Regime zu Staatsfeinden erklärte Personen wurden 1933 in das Columbiahaus verschleppt, ein zur Folterstätte umfunktioniertes Arrestgebäude in einem aus der Kaiserzeit stammenden Gefängniskomplex am Columbiadamm/Ecke Golßener Straße im Bezirk Tempelhof. Acht- bis zehntausend Menschen wurden bis November 1936 in dem zunächst von der Gestapo, dann von der SS genutzten Haus furchtbaren Qualen ausgesetzt. Viele Gefangene wurden totgeschlagen. Nach dem Bau des KZ Sachsenhausen wurden die verbliebenen Häftlinge dorthin überführt.

Um das schreckliche Geschehen nicht vergessen zu lassen, steht seit 1994 auf der anderen Straßenseite in Sichtweite eines aus Backsteinbauten gebildeten Kasernenkomplexes aus der Kaiserzeit ein von Gustav Seibert entworfenes Mahnmal aus dunkelbraun patiniertem Stahl in der Form eines Hauses mit spitzem Dach und drei darin angedeuteten schmalen Gefängniszellen. Eine etwas abseits stehende, wie ein Grabstein gestaltete Stele trägt die Inschrift "Erinnern Gedenken Mahnen Das Columbiahaus war ab 1933 Gefängnis und vom 8. 1. 1935 bis 5. 11. 1936 ein Konzentrationslager der nationalsozialistischen Machthaber. Hier wurden Menschen gefangen gehalten, entwürdigt, gefoltert gemordet".

20. März 2017

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