Kreuz und Hakenkreuz
Topographie des Terrors schildert, wie Martin Luther von braunen Ideologen auf zynische Weise instrumentalisiert wurde



Die gemeinsam mit der Gedenkstätte Deutscher Widerstand veranstaltete Ausstellung "Überall Luthers Wort - Martin Luther im Nationalsozialismus" in der Topographie des Terrors in Berlin-Kreuzberg ist täglich von 10 bis 20 Uhr geöffnet, der Katalog kostet 18 Euro.



Der in Nürnberg von Julius Streicher herausgegeben "Stürmer" machte massiv und zynisch gegen Juden Stimmung, diese Ausgabe fordert die Leser auf, getaufte von ungetauften Juden zu unterscheiden, was nach Nazilesart ein Ding der Unmöglichkeit war.



Mit solchen Schriften wurde auch unter Berufung auf Luther aufgerufen, eine völkische, dem Germanentum verpflichtete Kirche aus dem Leben zu stampfen. Die von Reichsbischof Ludwig Müller geführten Deutschen Christen machten sich zu willigen Helfern der Rassisten in der braunen Uniform.



An Luthers 450. Geburtstag versammelten sich SA-Leute am Berliner Denkmal des Reformators nahe der Marienkirche. Von dem Monument blieb nur die Lutherfigur aus Bronze übrig. Sie steht jetzt wieder an der alten Stelle.



Die Deutschen Christen eliminierten aus dem bekannten Luther-Choral "Ein feste Burg ist unser Gott" das hebräische Wort Zebaoth und unternahmen große Anstrengungen, die Bibel und andere Schriften "judenrein" zu machen.



Nach der Winterpause wird jetzt wieder im Außenbereich der Topographie des Terrors in Bild und Schrift über die Berliner Geschichte in der Nazizeit und den Jahren danach berichtet. Die Mauerreste stammen von der ehemaligen SS- und Gestapozentrale, die hier an der Prinz-Albrecht-Straße (heute Niederkirchnerstraße) und Wilhelmstraße unterbracht war.(Fotos/Repros: Caspar)

Das Nürnberger Hetzblatt "Der Stürmer" fragte 1935, im Jahr der Nürnberger Rassegesetze, seine Leser, ob sie in der Lage seien, auf einer Zeichnung unter 18 Personen Juden zu erkennen, die katholisch oder protestantisch getauft sind. Wer das kann, sollte einen Preis bekommen. Die Auflösung des infamen Rätsels lautete, dass es gar nicht zu lösen sei, denn nach der Lesart der Nazis waren Juden immer Juden, ob getauft oder ungetauft. Die rassistische Stoßrichtung des von dem berüchtigten Zeichner "fips", hinter dem sich ein gewisser Philipp Ruprecht verbarg, geschaffenen Bildes und ähnlicher Illustrationen war klar: "Weg mit den Juden, raus aus dem deutschen Volkskörper, die Juden sind unser Unglück". Der von dem Nürnberger Gauleiter Julius Streicher herausgegebene "Stürmer", der den zuletzt zitierten Satz zu seinem ständig wiederholten Leitspruch gemacht hatte, war eine besonders wirksame Waffe im Feldzug gegen die jüdische Bevölkerung im Deutschen Reich, die ab 1933 systematisch drangsaliert und ausgegrenzt wurden. Die gleiche Ausgabe bildete das Titelblatt der Schrift von Martin Luther aus dem Jahr 1543 "Von den Jüden vnd jren Lügen" ab, stellte die Forderung "Verbietet die Mischehe" und verlangte, dass Juden das Land verlassen.

Julius Streicher und seine Leute bedienten sich in trauter Eintracht mit vielen anderen Ideologen und Rassisten der Argumente der Bewegung "Deutsche Christen". In ihren Reden und Schriften forderten diese, alle Hinweise darauf, dass Jesus Christus Jude war, aus der Bibel sowie Gesangsbüchern und theologischen Traktaten zu entfernen. Auch sollte in Kirchen, Gemeindehäusern und anderen Gebäuden überprüft werden, ob es dort Bilder, Skulpturen, Inschriften und andere alttestamentarische Symbole einschließlich siebenarmiger Leuchter gibt. Diese sollten zunächst nur registriert werden, um sie später vernichten, überstreichen oder sonst wie unkenntlich machen können. Diese Anweisung vom 26. August 1939 hatte der Thüringer Landesbischof Martin Sasse erlassen, einer der schlimmsten Einpeitscher des Antisemitismus unter den deutschen Theologen. Viele von ihnen, doch nicht alle nahmen Martin Luther in den Mund nahmen und zitierten aus seinen antijüdischen Schriften, um ihren Forderungen nach einer unverbrüchlichen Verbindung von Kreuz und Hakenkreuz Nachdruck zu verleihen.

"Judenreine" Bibel und Gesangbücher

Eine bis zum 5. November 2017 anlässlich der Fünfhundertjahrfeier der Lutherschen Reformation in der Berliner Topographie des Terrors laufende Ausstellung schildert die Art und Weise, wie Martin Luther schon in der Kaiserzeit und der Weimarer Republik, dann aber massiv nach 1933 von braunen Ideologen in der Robe der evangelischen Geistlichen instrumentalisiert wurde. Ihr Ziel war es, die Bibel "judenrein" zu machen und völkisches Gedankengut auch in den Kirchen salonfähig zu machen (siehe Einträge auf dieser Internetseite/Geschichte vom 20. Februar und 19. April 2017). Die aus zahlreichen Bild-Text-Tafeln bestehende Dokumentation geht der Frage nach, wie die Nationalsozialisten zu Religion und Kirche und speziell zu Martin Luther standen und wie die Christen im Deutschen Reich, und zwar die von der Bekennenden Kirche und die von den Deutschen Christen, mit seinem Erbe umgegangen sind. Geschildert werden die im Zeichen des Hakenkreuzes veranstalteten Feiern anlässlich von Luthers 450. Geburtstag und wie sich die Konflikte zwischen der Bekennenden Kirche, die in Opposition zum NS-Staat und seinen antijüdischen Maßnahmen stand, und den sich als willige Helfer eben dieser Diktatur tätigen Deutschen Christen entwickelt haben. Die Ausstellung zitiert eingangs Dietrich Bonhoeffer, einen führenden Vertreter der Bekennenden Kirche, mit einem Satz aus dem 1943: "Man fragt sich, warum aus Luthers Tat Folgen entstehen mussten, die genau das Gegenteil von dem waren, was er wollte."

An verschiedenen Stellen nimmt die Ausstellung Bezug auf Luthers antijüdische Spätschriften, in denen er den Juden im damaligen römisch-deutschen Reich den Kampf ansagte, ein Thema, das einen Schatten auf Luther wirft und bei den Reformationsfeierlichkeiten von 2017 mit großer Ernsthaftigkeit erörtert wird und werden muss. Während des Zweiten Weltkriegs schlossen die Nationalsozialisten und die Kirchen beider Konfession eine Art Burgfrieden, doch ließ Hitler nie das Ziel aus den Augen, nach dem "Endsieg" auch mit dem "Pfaffen" abzurechnen, und zwar blutig. Luther wurde von verschiedenen Akteuren zur Legitimation des Kriegs vereinnahmt, er wurde aber auch angerufen, wenn es darum ging, aus seinen Schriften und Taten das Recht zum Widerstand gegen das Unrechtsregime abzuleiten.

Totale Kirche im totalen Staat

Im Umgang mit Luthers Schriften waren die in den Kirchen predigenden und die Gemeinden leitenden Rassisten nicht zimperlich. Dem in Eisenach ansässigen Institut zur "Entjudung des religiösen Lebens" und seinem Chef Walter Grundmann schwebten eine "totale Kirche im totalen Staat", ein "Umbruch der Reformation" und die "Ablösung bisheriger Selbstverständlichkeiten vor. "Man erkante die Notwendigkeit an, alles Jüdische und vom Judentum Beeinflusste aus der christlichen Lehre zu beseitigen sowie eine feste Anknüpfung an germanischen Geist und deutsches Leben zu gewinnen", heißt es in einem Bericht von 1941 zu Beschlüssen des Eisenacher Instituts. In jenem Jahr lief bereits der Massenmord an den deutschen und europäischen Juden auf Hochtouren, und es wurde die "Endlösung der Judenfrage" vorbereitet.

Wie mit unerwünschten Namen und Begriffe vor allem aus dem Alten Testament umgegangen wurde und dass man damals nicht einmal Halt vor Martin Luther gemacht wurde, schildert die Ausstellung am Beispiel des berühmten Chorals "Ein feste Burg ist unser Gott". In dem "bereinigten" Gesangbuch von 1941 mit dem Titel "Großer Gott wir loben dich" ist der hebräische Gottesname "Zebaoth" in den Satz "Er heißt Jesus Christ / der Retter in Not". In einem antisemitischen Bilderbuch von 1936 wird aus Luthers Reim aus dem schon erwähnten Pamphlet von 1543"Trau keinem Wolf auf grüner Heiden / Auch keinem Juden auf seine Eiden / Glaub keinem Papst auf sein Gewissen / Wirst sonst von allen Drein beschissen", verbunden mit der Karikatur eines Juden und dem Bild eines Fuchses, in die Parole "Trau keinem Fuchs auf grüner Heid und keinem Jud bei seinem Eid." Das für Jugendliche und Erwachsene bestimmte Buch und die vielen anderen Hetzschriften dürften bei Millionen Deutschen verfangen haben, doch gab es auch solche, wie die Ausstellung auch zeigt, die den Hetzern und Wortverdrehern nicht auf den Leim gegangen sind.

3. Mai 2017

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