"Deutsche Hörer"
Was Thomas Mann aus dem Exil seinen Landsleuten während des Zweiten Weltkriegs zurief



Die Büste des Mahners, Rufers und Warners Thomas Mann ist an der Straße der Erinnerung im Berliner Ortsteil Moabit aufgestellt.



Auf dem Sockel dieses Denkmals zu Ehren von Thomas Mann und der anderen Denkmäler zur Erinnerung an "Helden ohne Degen" aus dem 20. Jahrhundert kann man solche markanten Aussprüche lesen. (Fotos: Caspar)

Der Literaturnobelpreisträger Thomas Mann besaß und besitzt in der deutschen und internationalen Kulturszene einen hervorragenden Namen. Das hinderte die 1933 an die Macht gelangten Nationalsozialisten aber nicht, ihn auszubürgern und seine Werke auf den Index zu setzen. Erst im schweizerischen Exil, dann in den USA lebend, war der aus einer wohlhabenden Lübecker Patrizierfamilie stammende Schriftsteller an den Vorgängen im so genannten Dritten Reich brennend interessiert. Im Herbst 1940 fragte ihn der britische Sender BBC, ob er zu seinen deutschen Landsleuten sprechen und die Kriegsereignisse sowie die Nazi-Verbrechen kommentieren würde. Der Auftrag nahm Mann gern an. Wer sich in Nazideutschland und den von ihm okkupierten Ländern beim Abhören von "Feindsendern" wie BBC oder Radio Moskau erwischen ließ, war es Todes, man konnte Thomas Mann nur geheim hören und musste sich davon überzeugen, dass kein Gestapospitzel oder überzeugter Nazi in der Nähe war. Dennoch haben sich viele mutige Menschen über das Verbot hinweg gesetzt und heimlich den Sendungen stets mit der Anrede "Deutsche Hörer!" gelauscht.

Im März 1941 wandte er sich direkt an sie mit seiner eigenen warnenden Stimme zu, mit der Stimme eines Freundes, mit der Stimme eines Deutschland, "das der Welt ein anderes Gesicht zeigte und wieder zeigen wird als die scheußliche Medusenmaske, die der Hitlerismus ihm aufgeprägt hat." Thomas Mann sagte dies in der Gewissheit, dass der Sieg über die Nazidiktatur kommen wird, aber er konnte zu diesem Zeitpunkt nicht wissen, dass eine irrwitzige Eskalation des Zweiten Weltkriegs erst noch bevor steht, der Überfall auf die Sowjetunion, mit der das Deutsche Reich zu diesem Zeitpunkt, März 1941, noch durch einen Freundschafts- und Militärpakt verbunden war. Auch dass die Nationalsozialisten beschlossen haben, die Judenfrage einer "Endlösung" zuzuführen und elf Millionen Juden quer durch die von der Wehrmacht besetzten Länder Europas planmäßig und kaltblütig zu ermorden, konnte der deutsche Emigrant nicht wissen.

Die schrecklichen Dinge, die die deutschen Hörer von Thomas Mann erfuhren, ließen sie erschauern, und viele wussten, dass die Sieger mit den Besiegten nicht zimperlich umgehen werden. Am 1. Januar 1945 sagte der Redner am Radio, als sich Hitler und seine Truppen zu ihrem letzten Kampf auf verlorenem Posten aufrafften und unzählige Menschen auf allen Seiten in den Tod rissen. "Werdet ihr mir glauben, wenn ich euch versichere, daß diese Siege, sofern man sie so nennen kann, genau so hohl, sinn- und hoffnungslos sind wie die früheren? Es gibt keinen Nazi-Sieg. Alles, was so aussieht, ist blutiger Unsinn, ist im voraus annulliert." Am 14. Januar 1945 fragte Mann seine Hörer: "Weißt du, der mich jetzt hört, von Majdanek bei Lublin in Polen, Hitlers Vernichtungslager? Es war kein Konzentrationslager, sondern eine riesige Mordanlage. Da steht ein großes Gebäude aus Stein mit einem Fabrikschlot, das größte Krematorium der Welt". Er beschrieb Mann seinen Hörern und der Welt, was Vertreter der Schweizer Flüchtlingshilfe in den Vernichtungslagern Auschwitz und Birkenau sahen - all die Menschenknochen, Kalkfässer, Chlorgasröhren und die Verbrennungsanlagen, die Haufen von Kleidern und Schuhen, "viele kleine Schuhe von Kindern, wenn du, deutscher Landsmann, du, deutsche Frau, es hören magst".

Viele Hörer vernahmen hinter fest verschlossenen Türen die warnende Stimme im Radio und erkannten, dass es für das zertrümmerte Deutschland nur dann eine Zukunft gibt, wenn sich seine Bewohner mutig und rückhaltlos der Aufklärung der Verbrechen der Nationalsozialisten stellen und den eigenen Anteil an der Schuld bekennen. Am 10 Mai 1945 sprach Thomas Mann die Hoffnung aus: "Möge die Niederholung der Parteifahne, die aller Welt ein Ekel und Schrecken war, auch die innere Absage bedeuten an den Größenwahn, die Überheblichkeit über andere Völker, den provinziellen und weltfremden Dünkel, dessen krasserster, unleidigster Ausdruck der Nationalsozialismus war. Möge das Streichen der Hakenkreuzflagge die wirkliche, radikale und unverbrüchliche Trennung alles deutschen Denkens und Fühlens von der nazistischen Hintertreppen-Philosophie bedeuten, ihre Abschwörung auf immer". Viele Menschen erkannten, dass das zertrümmerte Deutschland nur dann eine Zukunft hat, wenn sich seine Bewohner mutig und rücksichtslos der Aufklärung der Verbrechen der Nationalsozialisten stellen und die eigenen Verstrickungen bekennen, was dann aber vielfach nur unzureichend und widerwillig geschah.

27. Mai 2017

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