Schwarzer Talar mit braunen Flecken
Wie ein Berliner Theologe Kirchenbücher nach getauften Juden durchsuchte, um diese der Gestapo ans Messer zu liefern



Bischöfe und andere Geistliche schwenkten 1933 mit Begeisterung auf den terroristischen und rassistischen Kurs von Hitler um, der auf diesem Bild Reichsbischof Ludwig Müller, das Oberhaupt der Deutschen Christen, die Hand drückt.



Solcher Spott mit einem Zitat von Heinrich Heine war noch das Geringste, was Juden im "Dritten Reich" aushalten mussten.



Kirchenleitungen bereiteten vorsorglich die Durchsuchung und Auswertung von Dokumenten über Personen vor, die nicht als "reine Arier" angesehen wurden. Mit solchen Fällen hatten Denunzianten vom Schlage eines Karl Themel tagtäglich zu tun.



Eine Tafel in der Friedrichswerderschen Kirche unweit des Berliner Schlosses, heute Humboldt Forum, erinnert an die Hilfe führender Vertreter der Bekennenden Kirche für verfolgte und in Not geratene Gemeindemitglieder.



Gegenüber der Gestapo-Zentrale an der Berliner Wilhelmstraße berieten Mitglieder der Bekennenden Kirche, wie sie Verfolgten helfen und der Verfälschung der christlichen Botschaft begegnen können. (Fotos/Repros: Caspar)

Nicht nur vielen Militärs, Gestapoleuten, Richtern, Ärzten und Forschern, die sich in der NS-Zeit die Hände blutig gemacht haben, sondern auch in Verbrechen verstrickten Künstlern und sogar Theologen ist nach dem Ende der Nazidiktatur und des Zweiten Weltkriegs nichts oder kaum etwas geschehen. Ein schwer belasteter Rassist und Judenjäger war Karl Themel (1890-1973). Der evangelische Pfarrer und glühende Nationalsozialist suchte in der Berliner Kirchenbuchstelle mit weiteren Helfern nach Juden, die sich hatten taufen lassen. Nach den nationalsozialistischen Rassengesetzen waren sie weiter Juden und hatten im Verständnis der braunen Theologen in der evangelischen Kirche nichts zu suchen. Vom Ziel eines "rassenreinen Christentums" besessen, gab Themel die Namen der so genannten Fremdrassigen an die Gestapo und die anderen Verfolgungsbehörden weiter. Als Referent für Sozialfragen in der Reichsleitung der Deutschen Christen beschäftigt, die sich SA Jesu nannten, fahndete Themel in der 1936, ein Jahr nach dem Erlass der Nürnberger Rassegesetze, gegründeten Kirchenbuchstelle Alt-Berlin nach getauften Juden. Schon vorher hatte der im "Deutschen Führerlexikon" vermerkte Geistliche mit der Reichsstelle für Sippenforschung und anderen Nazibehörden zusammen. 1933, im Jahr von Hitlers "Machergreifung" erklärte er: "Die Erkenntnisse von Blut und Rasse und Vererbung müssen zukünftig in der Arbeit am Volk berücksichtigt werden."

Die Stunde der Rassisten

Einen Knick in der Karriere des SA-Scharführers - der Rang entsprach in der Wehrmacht etwa dem eines Unteroffiziers - gab es 1938, als er aus der NSDAP ausgeschlossen wurde, weil er 1933 Freimaurer war, doch entschied Hitler durch einen Gnadenerlass, dass er wieder in die Staatspartei aufgenommen wird. Zum Konsistorialrat erhoben, gelang es Themel, seine Haut über den Zusammenbruch des "Dritten Reichs" zu retten und mit dem Segen seiner Oberen eine Pfarrstelle im brandenburgischen Dorf Markau anzutreten. Offenbar hat niemand an de braunen Flecken auf dem schwarzen Talar des Pfarrers Anstoß genommen. Der Fall zeigt, dass man es mit der Entnazifizierung in der damaligen Sowjetischen Besatzungszone beziehungsweise ab 1949 der DDR nicht immer genau nahm. Sonst hätten nazibelastete Wissenschaftler, Ärzte, Künstler, Geistliche und andere Personen dort nicht weiter arbeiten und leben können, oft in gehobenen Positionen.

Nach 1933 mussten Millionen Deutsche einen Nachweis ihrer "arischen Abstammung" erbringen. Dieser war wichtig, um seine Arbeit zu behalten oder eine Ausbildung zu machen. Mit Hilfe der nun aufblühenden Ahnenforschung wurde die familiäre Vergangenheit unzähliger Menschen ausgeleuchtet, und wo jemand jüdische Vorfahren hatte, unterlag er oder sie gesellschaftlicher Diskriminierung und Ächtung. Nach dem Pogrom vom 9. November 1938 und noch viel extremer nach Kriegsbeginn am 1. September 1939 lautete das Ziel, um ein Wort von Hitler zu benutzen, "Vernichtung der jüdischen Rasse". Wörtlich erklärte Hitler im Reichstag am 30. Januar 1933, dem Jahrestag seiner "Machtergreifung": "Ich bin in meinem Leben sehr oft Prophet gewesen und wurde meistens ausgelacht. In der Zeit meines Kampfes um die Macht war es in erster Linie das jüdische Volk, das nur mit Gelächter meine Prophezeiungen hinnahm, ich würde einmal in Deutschland die Führung des Staates und damit des ganzen Volkes übernehmen und dann unter vielen anderen auch das jüdische Problem zur Lösung bringen. Ich glaube, dass dieses damalige schallende Gelächter dem Judentum in Deutschland unterdes wohl schon in der Kehle erstickt ist. Ich will heute wieder ein Prophet sein: Wenn es dem internationalen Finanzjudentum in und außerhalb Europas gelingen sollte, die Völker noch einmal in einen Weltkrieg zu stürzen, dann wird das Ergebnis nicht die Bolschewisierung der Erde und damit der Sieg des Judentums sein, sondern die Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa."

Entscheidung über Leben und Tod

Der Blick in die Kirchenbücher und andere in den Gemeinden verwahrte Bücher und die Meldung darüber an die Gestapo konnte über Leben und Tod entscheiden. Bis in das 18. Jahrhundert verfolgten Hitlers willige Helfer in den schwarzen Talaren zurück, ob jemand mit einem Juden oder einer Jüdin verheiratet war und ob es gemeinsame Kinder gab. Die Unterlagen werden bis heute im Evangelischen Zentralarchiv am Bethaniendamm 29 in 10997 Berlin aufbewahrt. In dem Buch "Protestantismus und Nationalsozialismus" von Manfred Gailus (Köln 2001) und in anderen Forschungsarbeiten wird nachgewiesen, wie es Pfarrer Themel Geistliche verstand, auf der einen Seite das Evangelium zu predigen und auf der anderen Christen ans Messer zu liefern, nur weil sie jüdische Vorfahren hatten. So wurde über getaufte Juden ein so genanntes Fremdstämmigenverzeichnis angefertigt. Dafür standen im Gemeindehaus der Berliner Georgenkirche in der Nähe des Volksparks Friedrichshain bis zu 30 Arbeitsplätze zur Verfügung. Das im Zweiten Weltkrieg zerbombte Gotteshaus steht nicht mehr, es wurde 1949 dem Erdboden gleich gemacht. Lediglich erinnert die im rechten Winkel von der Friedenstraße abgehende Georgenkirchstraße, dass hier eine Kirche gestanden hat.

Gesucht wurde in den Kirchenbüchern nicht nur auf Anfrage nach Personen, die nicht den Rassengesetzen genügten, sondern auch in vorauseilendem Gehorsam auf Vorrat, so dass in den Unterlagen unzählige Namen gefunden wurden. Ohne diese Arbeit wären die Gestapo und die anderen Verfolgungsbehörden nicht oder nur mit Schwierigkeiten in der Lage gewesen, so intensiv und nahezu lückenlos die Reichshauptstadt zu durchkämmen und fragliche Personen in die Konzentrationslager und damit vielfach auch in die Gaskammern zu schicken. Dass Joseph Goebbels, Reichspropagandaminister und Gauleiter von Berlin, 1942 seinem Führer melden konnte, die Reichshauptstadt sei "judenrein", hatte auch mit dem Missbrauch der Kirchenbücher zu tun.

Ab und zu regte sich in den Kirchgemeinden Widerstand, ja es kam auch vor, dass Seiten mit brisanten Angaben aus den Büchern gerissen wurden. Aber insgesamt war das, was Themel und seine Gesinnungsgenossen in anderen Städten angerichtet haben, verheerend. Von Rassismus und Naziideologie mochte nach dem Ende des Hitlerstaates keiner etwas wissen. Themel floh aus Angst vor der russischen Besatzungsmacht zunächst in den Westen, doch als ihm in einem kirchlichen Entnazifizierungsverfahren ein Persilschein ausgestellt worden war, betrieb er Seelsorge in Markau. Dort wird gewiss niemand gewusst haben, dass der Herr Pfarrer mitgeholfen hat, dass Menschen verfolgt und ermordet wurden, nur weil es in ihren Familien Juden gegeben hat. Als ihm im deutschen Osten der Boden zu heiß wurde, ging er nach Westberlin und wurde 1954 bei der Landeskirche als Archivar angestellt. Die Kenntnisse des Kirchenmannes wurden gebraucht, und so sah man milde über seine "Rasseforschungen" hinweg. Nicht einmal der evangelische Bischof von Berlin und Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland Kurt Scharf, ein Mann der Bekennenden Kirche, nahm an Themel Anstoß.

Leider kein Einzelfall

Karl Themel war leider kein Einzelfall. Wie er stellten sich auch andere Theologen mit Eifer und Begeisterung in den Dienst der Nazis. Das in Eisenach beheimatete Institut zur Erforschung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben und ähnliche Einrichtungen verschworen sich, die Kirche und die Bibel judenrein zu machen. Einer ihrer Wortführer und Funktionär der Deutschen Christen war Walter Grundmann (1906-1976). Der Oberkirchenrat war unter anderem Herausgeber der Zeitschrift "Christenkreuz und Hakenkreuz" und profilierte sich mit Berufung auf antijüdische Schriften von Martin Luther als Vorkämpfer für die Überwindung des Judentums durch den Protestantismus. Ungeachtet seiner tiefbraunen Vergangenheit gelang es dem "völkischen Theologen" Grundmann, nach Überwindung einiger Hindernisse in der DDR weiter in seinem Beruf zu arbeiten. Grundmanns Evangelienkommentare wurden bis in die achtziger Jahre hinein bei der Ausbildung und Arbeit von Theologen genutzt.

Da das Ministerium für Staatssicherheit über Grundmanns Vergangenheit genau Bescheid wusste, gelang ihm dessen Anwerbung als Geheimer Mitarbeiter (GM) mit dem Decknamen Berg. Der Kirchenrat hatte keine Skrupel, sich mit Kommunisten einzulassen. Er machte sich Erich Mielkes Geheimdienst geneigt, indem er Informationen über innerkirchliche Vorgänge und solche über Bischöfe in der DDR und der Bundesrepublik Deutschland lieferte. Auch das war keine Einzelerscheinung, sondern typisch für die Art und Weise, wie das MfS sein Wissen über braune Biographien, aber auch persönliches Fehlverhalten aller Art für sich auszunutzen.

20. Februar 2017



Zurück zur Themenübersicht "Geschichte, Zeitgeschichte, Ausstellungen"