Blankes Entsetzen über die braunen Barbaren
Warum der Maler Max Liebermann am 30. Januar 1933 nicht so viel "fressen konnte, wie er kotzen wollte"



Was Liebermann und seine Freunde vertraten und schufen, widersprach dem offiziellen Kunstgeschmack des deutschen Kaiserreichs. Das Foto aus dem Jahr 1908 zeigt den Maler vorn mit Zylinderhut sowie weitere Jurymitglieder für die Berliner Secession.



Max Liebermann und Käthe Kollwitz bei der Begutachtung eines Kunstdrucks oder einer Zeichnung, Foto aus dem Jahr 1927.



Der Fackelzug der SA-Horden in der Nacht des 30. Jahrhunderts ließ Max Liebermann wütend werden.



Max Liebermann vor dem von ihm geschaffenen Porträt von Paul von Hindenburg, der 1933 zum Steigbügelhalter von Adolf Hitler wurde.



An Martha Liebermanns Flucht in den Tod erinnert vor dem ehemaligen Palais Liebermann neben dem Brandenburger Tor ein Stolperstein aus Messing.



Auf dem Jüdischen Friedhof an der Schönhauser Allee fanden Max und Martha Liebermann sowie weitere Familienangehörige ihre letzte Ruhe. Die Ehrengrabstätte befindet sich im Feld E. (Fotos/Repros: Caspar)

Der 30. Januar 1933 war ein Wendepunkt in der deutschen Geschichte. Reichspräsident Paul von Hindenburg ernannte den Führer der Nationalsozialistischen Arbeiterpartei (NSDAP), Adolf Hitler, zum Reichskanzler. Endlich waren die Nazis am Ziel, sie hatten die "Macht ergriffen". In der Nacht vom 27. zum 28. Februar 1933 brannte das Berliner Reichstagsgebäude. Die Schuld wurde den Kommunisten in die Schuhe geschoben, tatsächlich nutzen die Nazis den Anschlag, um Jagd auf Regimegegner zu machen und eine Reihe demokratischer Rechte und Freiheiten außer Kraft zu setzen. Kommunisten, Sozialdemokraten und Gewerkschafter waren jetzt Freiwild und wurden verhaftet. Viele von ihnen kamen in den Folterhöllen der SA ums Leben. Bald füllten sich die ersten Konzentrationslager, und es setzte eine massive Hetze gegen die jüdische Bevölkerung ein, deren Lebensgrundlagen nach und nach eingeschränkt wurden. Außerdem wurde, wer nicht ins politische und rassistische Weltbild der Nazis passte, mit Berufsverbot belegt. Dies alles geschah unter Zustimmung eines großen Teils der Deutschen, denen Hitler Arbeit und Brot versprach und neues Selbstbewusstsein durch den Kampf gegen den 1919 unterzeichneten Vertrag von Versailles einflößte.

Fackelzug durch das Brandenburger Tor

Am Abend jenes 30. Januar 1933 veranstalteten die Nazis einen Fackelzug durch das Brandenburger Tor und besetzten damit symbolisch die Reichshauptstadt Berlin. Beim Anblick der johlenden Horden soll der Maler Max Liebermann, der in einem Palais direkt neben dem Säulenbau am Pariser Platz wohnte, gesagt haben "Ich kann gar nicht so viel fressen, wie ich kotzen möchte". Ob der Satz so ausgesprochen wurde oder ähnlich, ist nicht überliefert, aber er charakterisiert das Entsetzen des prominenten Künstlers über das, was sich vor seinen Augen abspielte, und die Furcht vor dem, was auf Deutschland zukommt. Der Satz wurde zum geflügelten Wort und wird manchmal auch heute benutzt, wenn jemand seine besondere Abscheu über einen Vorgang in der Politik oder im Wirtschaftsleben ausdrücken möchte. Wer ihn nach 1933 offen aussprach, riskierte, in die Höllen der Gestapo, der neu geschaffenen Geheimpolizei der Nazis, zu geraten und dort umzukommen.

Max Liebermann, Sohn eines wohlhabenden jüdischen Industriellen, war ein führender Vertreter des Impressionismus sowie Sammler und Förderer von Werken dieser damals neuen Kunstrichtung. Seine ausdrucksstarken Bilder unterschieden sich deutlich von der in der Kaiserzeit gepflegten Hof-, Historien- und Genremalerei. 1897 zum Professur an der Königlichen Akademie der Künste in Berlin berufen, fühlte er sich vom rückwärts gewandten, systemkonformen Akademiebetrieb abgestoßen und gründete, um Neues zu schaffen, mit Kollegen die Berliner Secession, die unter seiner Führung schon bald einen herausragenden Ruf als Hort der Moderne erlangte. 1920 zum Präsidenten der Preußischen Akademie der Künste und 1932 zu ihrem Ehrenpräsidenten gewählt, half Liebermann neuen Stilrichtungen und Themen zum Durchbruch.

Ende eines großen Künstlers und einer Epoche

Der weltberühmte Kunstprofessor wusste, was er von ihnen zu erwarten hatte, und tatsächlich galt er bei den neuen Herren als "undeutsch und entartet", dies nicht nur wegen seiner Malweise und der Wahl seiner sozialkritischen Themen, sondern weil er Jude war. Um einem Hinauswurf vorzukommen, gab er sein Amt als Ehrenpräsident der Akademie der Künste freiwillig auf, die sich schon bald ihrer politisch und rassistisch "missliebigen" Mitglieder entledigte, wie das auch die Akademie der Wissenschaften sowie Schulen und Hochschulen taten. Liebermann hatte es zu dieser Akademie nicht weit, denn sein Palais und dieses wichtige Kulturinstitut säumten beide den Pariser Platz. Einer Vertrauten sagte er: "Wissen Sie, ich lebe nur noch im Hass. Jeden Tag, wenn ich die Treppe dieses Hauses hinaufgehe, das noch meinem Vater gehörte, steigt der Has in mir hoch. Ich möchte mit Bismarck antworten: ,Meine Nächte verbringe ich nur noch mit Hass'."

Max Liebermann starb am 8. Februar 1935 vereinsamt mit 87 Jahren und wurde auf dem Jüdischen Friedhof an der Schönhauser Allee bestattet. Nur wenige Verwandte und Freunde, unter ihnen Käthe Kollwitz und Otto Nagel, der Mediziner Ferdinand Sauerbruch, der Kunsthistoriker Max Jacob Friedländer, die Kunsthändler Bruno und Max Cassirer und andere Vertreter des nun von den Nazis geschmähten Kultur- und Kunstlebens folgten seinem Sarg, misstrauisch von der Gestapo beobachtet. In seiner Trauerrede wies der auch von Liebermann porträtierte Kunstkritiker Karl Scheffler darauf hin, mit Liebermann sei nicht nur einen großen Künstler, sondern auch eine Epoche zu Grabe getragen worden, für die er symbolisch stand. An seinem Grab sprach der Berliner Rabbiner Malwin Warschauer aus, was viele damals dachten: "Wir wissen, seinesgleichen wird im Reich der Kunst, wird dem deutschen Lande und dem Judentum, die in seiner Welt zusammenfanden, denen er beiden bewusst gehörte, sobald nicht wieder erstehen."

Flucht in den Tod

Nach dem Tod ihres Mannes musste Martha Liebermann in eine Wohnung im Haus Graf-Spee-Straße 23 ziehen, die heute Hiroshimastraße heißt und im Tiergartenviertel liegt. Durch die Verfolgung der Juden im nationalsozialistischen Deutschland verlor sie ihre Häuser am Pariser Platz und am Großen Wannsee sowie fast ihr gesamtes Vermögen. Ihre Tochter Käthe sowie deren Mann und Tochter konnten nach dem Novemberpogromen von 1938 das Deutsche Reich verlassen und in die USA emigrieren. Zwar versuchten der Kunsthändler Walter Feilchenfeldt und der Sammler Oskar Reinhart, Ende 1941 die von den Nazis ihres gesamten Besitzes beraubte Martha Liebermann in die Schweiz zu holen, und Reinhart bereit war, dafür eine größere Summe zur Verfügung zu stellen, um sie aus Deutschland zu retten. Doch scheiterte die Aktion an der Willkür des NS-Regimes, das auf dem Umweg über die Witwe des weltberühmten Malers einen hohen Betrag in Devisen von ihren ausländischen Freunden zu erpressen.

Da Martha Liebermann die Deportation in das KZ Theresienstadt drohte, nahm sie eine Überdosis Veronal, verfiel in Koma und starb am 10. März 1943 im Jüdischen Krankenhaus von Berlin. Viele Jüdinnen und Juden begingen ähnlich wie die Frau des Malers diese Flucht in den Tod, und überall in Berlin, so auch vor dem Haus Pariser Platz 7, wird an diese Selbstmorde erinnert. Weil der Jüdische Friedhof an der Schönhauser Allee, auf dem ihr Mann begraben liegt, von den Nationalsozialisten beschlagnahmt war, hat man Martha Liebermann auf dem Jüdischen Friedhof in Weißensee begraben, doch hat man ihre sterblichen Überreste nach dem Krieg von dort zum Jüdischen Friedhof an der Schönhauser Allee überführt und im Familiengrab an der Seite ihres Ehemannes Max Liebermann beigesetzt.

Etwa ein halbes Jahr später beschlagnahmte die Gestapo den Großteil von Liebermanns berühmter privater Kunstsammlung, die von den Nazis zerschlagen wurde. Sie umfasste neben Werken alter niederländischer Meister und Berliner Maler wie Adolph Menzel herausragende Arbeiten der französischen Impressionisten wie Degas, Monet, Manet und Toulouse-Lautrec. Liebermann brachte seine kostbarsten Bilder in sein Depot des Kunsthauses Zürich in Sicherheit. Was in Berlin blieb, hat Martha Liebermann zu Schleuderpreisen verkaufen müssen oder gegen Naturalien getauscht, um überleben zu können. Nach ihrem Tod wurde alles beschlagnahmt, was sich noch in der Wohnung befand. Manches Stück tauchte nach 1945 im Kunsthandel und bei Privatsammlern auf. Restitutionsansprüche von Nachfahren des Malers und seiner Frau laufen und werden hoffentlich bald zugunsten der Familie entschieden.

Auferstanden aus Ruinen

Das Palais Liebermann am Pariser Platz versank bald im Zweiten Weltkrieg in Trümmern, wurde danach abgetragen und nach der Wiedervereinigung im Sinne einer "kritischen Rekonstruktion" durch Josef Paul Kleihues in Anlehnung an das historische Vorbild wieder aufgebaut. Das markante Gebäude mit der Adresse Pariser Platz 7 ist Sitz der von der Berliner Sparkasse gegründeten Stiftung Brandenburger Tor. Max Liebermanns Sommerhaus am Großen Wannsee wurde in den vergangenen Jahren saniert und restauriert und besitzt als Museumsstandort großes internationales Ansehen. Es versteht sich, dass in der lange Zeit unangemessen genutzten Villa viele Gemälde des Meisters und vor allem Ansichten seines Gartens mit direktem Zugang zum Wannsee gezeigt werden. Makaber ist, dass wenige Schritte entfernt am 20. Januar 1942 in einer anderen Villa die berüchtigte Wannseekonferenz stattgefunden hat, auf der führende Funktionäre des NS-Staates Beschlüsse zur Endlösung der Judenfrage fassten.

29. Mai 2017

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