"Bereinigung des Judenproblems durch Auswanderung"
Nationalsozialisten wollten Juden auf der Insel Madagaskar elend zugrunde gehen lassen



Das antisemitische Hetzblatt "Der Stürmer" drohte 1935 der jüdischen Bevölkerung mit Bezug auf "Madagaskar" das nahe Ende an.



Bereits vor 1933 wurde mit fingierten Bahnfahrkarten in Richtung Jerusalem auf perfide Weise Stimmung gegen Juden gemacht.



Das Bild in übler "Stürmer"-Manier will sagen, dass es für Juden nur eine Richtung raus aus dem Deutschen Reich gibt.



In Jerusalem behauptete der Angeklagte Adolf Eichmann, er sei "lediglich ein Werkzeug in der Hand stärkerer Mächte und stärkerer Kräfte und eines unerfindlichen Schicksals" gewesen. (Repros: Caspar)

Nach der Niederlage Frankreichs 1940, im zweiten Jahr des Zweiten Weltkriegs, wurde in der NS-Führung und bei der SS darüber nachgedacht, ob und wie man die Juden im Deutschen Reich und in den von der Wehrmacht besetzten Ländern auf die französisch beherrschte Insel Madagaskar östlich von Afrika deportieren kann, um sie dort unter deutscher Kontrolle ihrem Schicksal zu überlassen, sie also elend zugrunde gehen zu lassen. Die Verfasser des so genannten Madagaskar-Plans nahmen den Tod auf der "jüdischen Wohnstätte unter deutscher Oberhoheit" billigend und bewusst in Kauf. Der vom Auswärtigen Amt und dem Reichssicherheitshauptamt erarbeitete Plan eines riesigen Gettos auf der nur zum Sterben bestimmten viertgrößten Insel der Welt an der afrikanischen Ostküste griff Ideen auf, die bereits im 19. Jahrhundert in antijüdischen Schriften als Möglichkeit diskutiert wurden, die als lästig und bedrohlich empfundene jüdische Bevölkerung loszuwerden. 1926/27 waren in Polen und Japan die Möglichkeit geprüft worden, auf ihrem Staatsgebiet lebende ethnische Minderheiten nach Madagaskar zu bringen. Die Insel war größer als das Deutsche Reich oder das damalige Polen, hatte aber mit etwa vier Millionen indigenen Einwohnern eine ganz dünne Besiedlung.

Der Gedanke einer Deportation auf die ferne, vom Indischen Ozean umspülten Insel Madagaskar war 1885 von dem antisemitischen Orientalisten und Politiker der preußischen Konservativen Partei Paul Anton de Lagarde vorgetragen und nach dem Ersten Weltkrieg von britischen und niederländischen Antisemiten weiter entwickelt worden. Einer von ihnen war der britische Faschist Arnold Leese, der 1928 die "Imperial Fascist League" (Imperiale Faschistische Liga) gegründet hatte. Für Juden müsse ein "nationales Zuhause" gefunden werden, und der beste Ort sei Madagaskar. Frankreich und die ansässigen Ureinwohner sollten einen vollen Ausgleich für den Landverlust durch jüdische Zahlungen erhalten. Der führende Vertreter des Zionismus, Theodor Herzl, beschrieb 1902 in seinem Roman "Altneuland" Madagaskar als mögliches Emigrationsland. Allerdings war das nur eine theoretische Erwägung, denn vorrangiges Ziel war die Gründung des Staates Israel als sichere jüdische Heimstätte im biblischen Land.

Mit der "Bereinigung des Judenproblems durch Auswanderung" wurde SS-Obersturmbandführer Adolf Eichmann betraut, der Organisator des Holocausts und Protokollant der Wannseekonferenz im Januar 1942, auf der Einzelheiten über die Ermordung von elf Millionen europäischen Menschen im Rahmen der so genannten Endlösung der Judenfrage besprochen wurden. Der Erfolg der "Überseelösung insularen Charakters" hing davon ab, ob das Deutsche Reich im Krieg gegen Großbritannien siegreich ist und deutsche Schiffe durch das Mittelmeer und den Suezkanal bis nach Madagaskar fahren können. Da aber die britische Flotte die euphemistisch "Umsiedlung" genannte Deportation der Juden dank ihrer Überlegenheit auf den Weltmeeren verhinderte, wurde der Plan fallengelassen. So begannen die Massenmorde in den deutsch besetzten Ländern mit dem Ziel, diese "judenrein" zu machen. Die in der Wannseekonferenz errechnete Zahl von elf zur Eliminierung ausersehenen Millionen Juden quer durch Deutschland und Europa wurde sehr zum Leidwesen von Eichmann und seinen Spießgesellen mit sechs Millionen nicht erreicht.

In dem 1961 in Jerusalem eröffneten Prozess gegen den ehemaligen SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann gab sich der Leiter des Judenreferats IV B 4 als kleines Rädchen im Getriebe des NS-Staates und verfolgte Unschuld aus. Das aber nutzte dem fanatischen Antisemiten und überaus effektiven Schreibtischtäter nichts. Nach einem von der Weltpresse mit großem Interesse verfolgten Prozess wurde er am 12. Dezember 1961 zum Tod verurteilt und am 1. Juni 1962 hingerichtet. Im Abschiedsbrief an seine Frau behauptete er: "Ich bin das Opfer eines Fehlschlusses. Meine Schuld war mein Gehorsam".

Der Prozess sowie die im Jerusalemer Gericht vorgelegten Dokumente und Zeugenaussagen ergaben erschreckende Einzelheiten über die Planung und Durchführung des Holocausts und die Ausplünderung der durch die Nazis entrechteten Juden im Deutschen Reich und den von der Wehrmacht überfallenen Ländern. In seinem Gnadengesuch erklärte er: "Ich verabscheue die an den Juden begangenen Gräuel als größtes Verbrechen und halte es für gerecht, dass die Urheber solcher Gräuel jetzt und in Zukunft zur Verantwortung gezogen werden. […] Ich war kein verantwortlicher Führer und fühle mich daher nicht schuldig. Den Spruch des Gerichts kann ich nicht als gerecht anerkennen und bitte Sie, Herr Staatspräsident, von dem Gnadenrecht Gebrauch zu machen und anzuordnen, dass das Todesurteil nicht vollstreckt wird." Eichmann hatte keinen Erfolg. Er wurde gehenkt, und die Asche seiner Leiche hat man im Meer verstreut.

2. Oktober 2017

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