"Wer aufmuckt, kommt nach Schwedt"
Die Nationale Volksarmee berief sich auf die Befreiungskriege von 1813 bis 1815 und ließ in ihren Reihen keine Opposition zu







Im Stil des preußischen Militarismus paradierte NVA mit aufgepflanztem Bajonett, Stechschritt und klingendem Spiel über die Straßen. Viele Menschen wendeten sich angewidert von dem Spektakel ab, andere schauten begeistert dem Wachaufzug vor der Neuen Wache Unter den Linden in Berlin zu (Foto unten von 1987).



Die NVA-Uniform lehnte sich an das Feldgrau der Kaiserzeit und andere Vorbilder an, doch in der Werbung zeigte man zu allem entschlossene Soldaten auch in Kampfmontur.



Solang keine Wehrpflicht in der DDR bestand, musste die NVA kräftig für Freiwillige die Werbetrommel rühren.



Die Reservistenmedaille hängt an einem Stück Bandmaß, das für die so genannten Entlassungskandidaten (EK) so etwas wie ein Rettungsanker war.





Bausoldaten waren sofort an den Schulterstücken mit einem eingestickten Sparen zu erkennen, Offiziere hingegen trugen bei Paraden und anderen feierlichen Anlässen silbergestickt Koppel. (Foto/Repros: Caspar)

Die Nationale Volksarmee (NVA) wurde am 1. März 1956 als ostdeutsche Antwort auf die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik und ihre Aufnahme in die NATO gegründet. Die Bildung der NVA wurde durch eine Verfassungsänderung und die Annahme des "Gesetzes über die Schaffung der Nationalen Volksarmee und des Ministeriums für Nationale Verteidigung" durch die Volkskammer möglich, in der die SED das Sagen hatte. Vorausgegangen war die Gründung des Warschauer Paktes am 14. Mai 1955. Unter dem Sammelbegriff Bewaffnete Organe wurden die Angehörigen der Nationalen Volksarmee, des Ministeriums für Staatssicherheit, der Deutschen Volkspolizei sowie der Bereitschaftspolizei und Transportpolizei zusammengefasst. Ihnen und ihren Familienangehörigen waren Westkontakte und das Westfernsehen streng verboten, von einer kleinen Gruppe abgesehen, der dies aus beruflichen Gründen gestattet war. Fast alle Offiziere der Bewaffneten Organe waren Mitglieder der SED, spezielle Politoffiziere waren für die politisch-ideologische Beeinflussung und Ausrichtung der Soldaten zuständig. Sie mussten sich im so genannten Politunterricht einer penetranten "Rotlichtbestrahlung" aussetzen und sahen das als willkommene Abwechslung im Truppenalltag an, zumal bei der Besichtigung des von Karl Eduard von Schnitzler moderierten "Schwarzen Kanals" ganz legal Bilder aus dem Westfernsehen vermittelt wurden, allerdings nur solche, die das Regime im Kampf gegen den imperialistischen Feind benötigte, so die damalige Diktion.

Die NVA berief sich, um ihre Existenz zu legitimieren, auf die, wie es hieß, besten Traditionen der antinapoleonischen Befreiungskriege von 1813 bis 1815, auf die Revolutionen von 1848/49 und 1918/19 sowie den Kampf der Interbrigadisten im Spanischen Bürgerkrieg von 1936. All das wurde auch in den Traditionskabinetten der NVA zelebriert. Bei Vereidigungen, Kranzniederlegungen, Paraden und Wachablösungen an der Neuen Wache Unter den Linden in Berlin war der preußische Stechschritt obligatorisch, die Uniformen bestanden aus feldgrauem Stoff. Verliehen wurde unter anderem der nach einem Reformer der preußischen Armee benannte Scharnhorstorden, nicht zur Ausgabe wurde der Blücherorden, der nach dem preußischen Generalfeldmarschall der Befreiungskriege hieß, da der Kriegszahl nicht eintrat. Einen Tag vor der Wiedervereinigung wurde am 2. Oktober 1990 die NVA aufgelöst. Ein Teil ihrer Angehörigen mit Ausnahme der Generale, Admirale und Politoffiziere wurde von der Bundeswehr übernommen, ebenso die Kasernen und anderen militärischen Anlagen sowie die Waffen. Sofern diese nicht verschrottet wurden, hat die Bundesregierung sie ans Ausland verkauft.

"Ich diene der Deutschen Demokratischen Republik"

Die Vorbereitungen für die Schaffung der DDR-Armee reichten bis in die frühen 1950-er Jahre zurück. Da gab es bereits die Kasernierte Volkspolizei (KVP), die an 1956 zur NVA gehörte. Geführt vom Verteidigungsminister Willi Stoph, war die Armee des Volkes, wie man sie auch nannte, zunächst eine Freiwilligenarmee. Doch da sich die angestrebte Stärke von 120 000 Mann auf dieser Basis nicht erreichen ließ, wurde am 24. Januar 1962 die allgemeine Wehrpflicht eingeführt, wobei der Grundwehrdienst 18 Monate dauerte. Am Ende der DDR betrug die Gesamtstärke der vor allem mit sowjetischen Waffen ausgerüsteten NVA 173 000 Mann, hinzu kamen etwa 323 000 Reservisten, die jederzeit einberufen werden konnten. Mit 120 000 Mann stellten die Landstreitkräfte das größte Kontingent, gefolgt von den Luftstreitkräften mit 37 000 Mann und der Volksmarine mit 16 000 Mann. Neben der NVA bestanden in der DDR verschiedene militärische und paramilitärische Einheiten, vor allem die etwa 47 000 Mann starken Grenztruppen der DDR, das zum Ministerium für Staatssicherheit gehörende Wachregiment Feliks Dzierzynski mit 7 000 Mann, die Transportpolizei mit 8 500 Mann, die Alarmeinheiten der Volkspolizei mit 12 000 Mann sowie die von der SED kontrollierten Kampfgruppen mit über 200 000 Mann. Bei Belobigungen und Ordensverleihungen musste die Formel "Ich diene der deutschen Demokratischen Republik" laut und vernehmlich gesprochen werden. Im Grundwehrdienst bekamen Soldaten nur 18 Tage Urlaub, so lange wie dieser Monate hatte.

Wer "bei der Fahne" aus der Reihe tanzte, in Prügeleien verwickelt war und wer gar Befehle verweigerte und sich sonst nicht so verhielt, wie man es von ihm erwartete, wurde mit Arrest bestraft. In schweren Fällen, etwa wenn jemand einen Fluchtversuch gewagt hatte, kamen Soldaten vor ein Militärgericht und wurde zu "Schwedt" verurteilt. Der Namen der Stadt an der Oder besaß in der NVA und darüber hinaus einen schlechten Ruf, denn hier gab es Militärgefängnis Schwedt, das einzige in der DDR. Gründe, dass man dort eingeliefert wurde, konnten Körperverletzung und Diebstahl, aber auch "staatsfeindliche Hetze" sowie Befehlsverweigerung, Fahnenflucht und Alkoholkonsum im Dienst sein. Wer wegen des zuletzt genannten Delikts nach Schwedt geschickt wurde, muss schon sehr viel auf dem "Kerbholz" gehabt haben, denn Alkoholismus war bei den "bewaffneten Organen", und nicht nur dort, weit verbreitet. Hätte man die Militärgesetze wortgetreu angewendet, dann wäre die halbe "Armee des Volkes" einschließlich der Ankläger und Richter im "Bau" gelandet. Wer seine Strafe abgesessen hatte, musste die Zeit nachdienen, das heißt er blieb weiter bei der "Fahne". Im März 2013 wurde der Verein DDR-Militärgefängnis Schwedt e.V. mit dem Ziel gegründet, die Geschichte des Militärgefängnisses der DDR wachzuhalten und sich für Entschädigungen und Wiedergutmachungsbelange der ehemaligen Häftlinge einzusetzen.

Sich dem so genannten Ehrendienst in der NVA zu entziehen, war für junge Männer nahezu unmöglich. Wer aus religiösen und Gewissensgründen als Wehrpflichtiger keinen Dienst an der Waffe leisten wollte, wurde zu den Bausoldaten eingezogen und musste Nachteile in seinem persönlichen und beruflichen Fortkommen in Kauf nehmen. Denn im Unterschied zur Bundesrepublik Deutschland gab es im zweiten deutschen Staat keinen Wehrersatzdienst. Die Truppe trug NVA-Uniform, war aber an einem Spaten auf den Schulterstücken zu erkennen Bausoldaten wurden für militärische Bauaufgaben herangezogen, waren aber auch in den rückwärtigen Diensten, auf Großbaustellen und in der Industrie tätig. Sie mussten Einschränkungen und Nachteile im Beruf und bei Bewerbungen zum Studium in Kauf nehmen und wurden vielfach als "subversive Elemente" von der Stasi überwacht. Viele Angehörige der Bautrupps engagierten sich in den letzten Jahren der DDR in Bürgergruppen und unter dem Motto "Schwerter zu Pflugscharen" in der Friedensbewegung sowie im Bereich des Umweltschutzes.

Gespanntes Warten auf den Tag der Entlassung

Wer den 18 Monate langen Grundwehrdienst absolvierte, besorgte sich rechtzeitig vor seiner Entlassung ein Zentimetermaß. 150 Zentimeter entsprachen den 150 Tagen, die man noch vor sich hatte. Immer am Morgen wurde ein Zentimeter abgeschnitten, und die EK, die Entlassungskandidaten also, riefen sich gegenseitig zur Aufmunterung die betreffende Zahl zu. Mit einigem Stolz wurde verkündet, dass sie noch soundso viele Tage bei der "Fahne" dienen müssen. Die DDR-eigene Bandmaßindustrie bekam angesichts des gespannten Wartens auf den Tag der Entlassung und der großen Nachfrage nach den Bandmaßen ein Lieferproblem. Zur Not aber besorgte man sich das Utensil aus dem Westen oder kramte eines zuhause hervor. Gegen den merkwürdigen Brauch konnten die Offiziere nichts unternehmen, gerne sahen sie ihn natürlich nicht.

Der Nationale Verteidigungsrat der DDR (NVR) war das wichtigste sicherheits- und militärpolitische Führungsgremium in der DDR. 1960 per Gesetz vom SED-Chef Walter Ulbricht ins Leben gerufen und geleitet, stand bis zum Ende der DDR dessen Nachfolger Erich Honecker an der Spitze des NVR. Danach hatte sein Nachfolger Egon Krenz das Amt für kurze Zeit inne. Die Aufgaben des aus dem Vorsitzenden, dem Sekretär und mindestens zwölf Mitgliedern bestehenden Gremiums wurden laut Gesetz von 1960 festgelegt. Danach sollte er "den Schutz des Arbeiter-und-Bauern-Staates und der sozialistischen Errungenschaften der Werktätigen" organisieren und sichern sowie die sich daraus ergebenden Maßnahmen festlegen. Neben militärisch-sicherheitstechnischen Beschlüssen fasste der NVR auch solche zu politischen und den wirtschaftlichen Fragen. Ihm oblag es, den Staatsnotstand sowie den Kriegszustand beziehungsweise Verteidigungszustand auszurufen und Maßnahmen etwa gegen die Opposition im Lande zu ergreifen, das heißt sie in so genannte Isolierungsobjekte zu schaffen und von der Außenwelt abzuriegeln. Außerdem wurden vom NVR die ökonomischen Hauptaufgaben, die patriotische Erziehung und militärpolitische Ziele für die gesellschaftlichen Organisationen beraten und beschlossen. Ferner befand der NVR über "sicherheitsrelevante Maßnahmen mit Blick auf die Bundesrepublik", das heißt Planungen im Kriegsfall und für einen Einmarsch in Westberlin und Westdeutschland. Der NVR befand auch über Kaderfragen, also Personalangelegenheiten, und Beförderungen in den bewaffneten Organen. Der NVR hatte die Umstellung von der Friedens- auf die Kriegswirtschaft und die Weiterentwicklung der Rüstungsindustrie zu organisieren, er legte die Standortverteilung der Industrie fest und hielt Einsatzreserven vor. Für den Verteidigungs- und Kriegsfall standen dem NVR der so genannte Honeckerbunker in Prenden bei Wandlitz und weitere hoch geheime unterirdische Befehlsstellen und Fluchtpunkte.

Im zweiten Halbjahr 1952 formiert, bestanden die paramilitärischen Kampfgruppen in der Regel aus Mitgliedern der SED im Alter ab 25 Jahre. Ihre Angehörigen trugen Uniform, rückten zu regelmäßigen Übungen meist am Wochenende aus und bedienten sich einer militärischen Kommandosprache. Mit einem feierlichen Gelöbnis wurden die Genossen Kämpfer, so die offizielle Anrede, auf die SED und den Arbeiter-und-Bauern-Staat mit diesen Worten eingeschworen: "Ich bin bereit, als Kämpfer der Arbeiterklasse die Weisungen der Partei zu erfüllen, die Deutsche Demokratische Republik, ihre sozialistischen Errungenschaften jederzeit mit der Waffe in der Hand zu schützen und mein Leben für sie einzusetzen." Die SED versprach sich von den Betriebskampfgruppen, die von strammen Genossen, die oft Offiziere außer Dienst geführt wurden, eine Stärkung ihrer Stellung im Staat und hofierte die Kämpfer als unverzichtbare Helfer im antiimperialistischen Klassenkampf und der Abwehr gegnerischer Anschläge. Als Anerkennung für den unbezahlten Dienst als besonderes Schutz- und Sicherungsorgan winkte den Kampfgruppenangehörigen ab einer fünfundzwanzigjährigen Zugehörigkeit ein Zuschlag zur Altersrente von monatlich 100 DDR-Mark. Bewaffnet waren die Kampfgruppen der Arbeiterklasse, wie sie sich auch nannten, mit Pistolen, Gewehren, Maschinenpistolen und weiterem Gerät meist sowjetischer Herkunft, was regelmäßige Schießübungen erforderlich machte. Der Abteilung Sicherheit des Zentralkomitees der SED unterstellt, gehörten 1980 den Kampfgruppen etwa 78 500 Personen bei den motorisierten Kampfkräften und etwa 106 500 Personen bei den Sicherungskräften an. Zuzüglich einer Reserve verfügte die SED-Führung über etwa 210 000 Kämpfer.

Friedliche Revolution ohne einen Schuss

Zur Ehre der NVA muss gesagt werden, dass sie nicht in voller Montur und Bewaffnung in den turbulenten Tagen und Wochen des Wendeherbstes 1989 aufmarschiert ist, um die Massen mit Panzern, Kanonen und Gewehren einzuschüchtern und auseinanderzutreiben. Vor und nach der waffenstarrenden Parade und den mit Tumulten verbundenen Feierlichkeiten zum 40. Jahrestag der DDR am 7. Oktober 1989 hatte der Minister für Nationale Verteidigung die Erhöhte Gefechtsbereitschaft für das Mot.-Schützen-Bataillon der 1. Mot.-Schützendivision (1. MSD) in Stahnsdorf bei Berlin sowie für eine Fallschirmjäger-Kompanie des Luftsturmregiments 40 (LStR-40) in Lehnin befohlen, doch wurde dieser Befehl schon am 11. Oktober 1989 außer Kraft gesetzt. Nach Öffnung der Mauer in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1989 wurde die 1. MSD, das LStR-40 sowie das Grenzkommando Mitte (GKM) in Erhöhte Gefechtsbereitschaft versetzt, kam aber nicht zum Einsatz. Außerdem befahl das Ministerium für Staatssicherheit seinem Wachregiment Feliks Dzierzynski ebenfalls diesen Alarmzustand. Diese insgesamt 30.000 Soldaten hätten jederzeit ausrücken und auf die eigenen Landsleute schießen können. Da sich in der Parteiführung und der Regierung sowie den beiden Ministerien wohl auch in Erinnerung an den Volksaufstand vom 17. Juni 1953 und seine Folgen die Ansicht durchgesetzt hatte, dass in dieser Situation nichts schädlicher ist als Blutvergießen und die Zeit des Hardliners und Stalinisten Erich Honecker abgelaufen war, blieb es bei der von den betroffenen Soldaten als ausgesprochen schwierig empfundenen sowie mit Urlaubs-, Ausgangs- und Kontaktsperren verbundenen Maßnahmen. Zudem wusste man, dass diesmal die in der DDR stationierte Rote Armee sich nicht in die inneren Angelegenheiten einmischen würde. Der Führung in Moskau unter Michail Gorbatschow war an Ruhe und Ordnung gelegen, außerdem hatte sie erkant, dass es in der DDR so wie bisher nicht mehr weiter gehen kann und darf. So wurde in der Friedlichen Revolution von 1989 kein Schuss abgegeben. Wäre geschossen worden und hätte es Tote gegeben, wäre das Ende der DDR weitaus dramatischer erfolgt, und die Wiedervereinigung des Jahres 1990, die niemand im Herbst 1989 auf dem "Schirm" hatte, wäre mit einer bösen Hypothek belastet worden.

21. August 2017

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