Aktion Blitz contra Ochsenkopf
FDJ-Mitglieder wollten den Empfang des Westfernsehens unterbinden, hatten aber nur wenig Erfolg



Am liebsten hätten es Partei und Regierung gesehen, wenn die Bewohner des zweiten deutschen Staates nur DDR-Fernsehen geschaut hätten. Aber diese taten den Genossen aller Warnungen vor verhängnisvoller Beeinflussung durch ARD, ZDF und weitere Sender diesen Gefallen nicht. Das original ausgestattete Wohnzimmer mit einer damals nur schwer erhältlichen Schrankwand im Allee-Center an der Landsberger Allee in Berlin mag bei manchen Leuten nostalgische Gefühle ausgelöst haben, zurück wollte die alten Zeiten kaum jemand.



Bilder aus der Propagandabroschüre von 1950 "Halt Amikäfer", in der die prekäre Versorgungslage in der DDR auf das Ausstreuen der gefräßigen Insekten durch den "imperialistischen Feind" zurückgeführt und einem Karl Kahlfraß der Kampf angesagt wird.



Die Seite aus einem Mitgliedbuch der FDJ zeigt mit eingeklebten Marken, wohin die Reise bei der Staatsjugendorganisation der DDR ging. (Fotos/Repro: Caspar)

Die Freie Deutsche Jugend verstand sich als Kaderreserve der SED, als Avantgarde der Jugendbewegung im ersten Land der Arbeiter und Bauern auf deutschem Boden. Am 7. März 1947 nach dem Vorbild des sowjetischen Komsomol gegründet, war die FDJ die einzige offiziell zugelassene Jugendorganisation in der Sowjetischen Besatzungszone beziehungsweise ab 1949 DDR. Als eine von der SED geführte Massenorganisation war die FDJ mit Abgeordneten in der Volkskammer und in den Bezirks- und Kreisparlamenten vertreten. Erster Sekretär des Zentralrates war von 1946 bis 1955 Erich Honecker. Als sich immer jugendlich gebender SED- und Staatschef versäumte er keine Gelegenheit, die Fürsorge der Partei für die junge Generation und seinen persönlichen Anteil als "Freund der Jugend" an der Erziehung der Jungen und Mädchen, so die damalige Diktion, zu jungen Sozialisten herauszustreichen.

Mit einer Vielzahl von Aktivitäten wie das FDJ-Studienjahr, Zirkeln, Ferienlagern, Sportfesten, Schul- und Hochschulgruppen sowie mit der auflagestarken Tageszeitung JUNGE WELT bemühte sich der Jugendverband mit dem Freien Deutschen Gewerkschaftsbund und den anderen Massenorganisationen, die DDR-Jugend zu staatsbürgerlichem Bewusstsein im Sinne des Marxismus-Leninismus zu erziehen, sie ideologisch und fachlich weiterzubilden und ihnen vormilitärische Kenntnisse zu vermitteln. Dafür stand die Gesellschaft für Sport und Technik bereit, außerdem gab es in der Schule die vor allem von der Kirche boykottierte Wehrerziehung. Mit Hilfe der Singebewegung versuchte die FDJ, die Herzen und Hirne der jungen Generation zu erreichen und sie emotional, aber auch politisch-ideologisch aufzurüsten und aus ihnen glühende Verteidiger des sozialistischen Aufbaus zu machen.

Intensiv kümmerte sich die Jugendfreunde, wie sich die FDJ-Mitglieder selber nannten, um die Jungen Pioniere, die in der staatlichen Kinderorganisation "Ernst Thälmann" zusammengefasst waren. Die enge Verflechtung der FDJ mit den Thälmannpionieren wird auch dadurch unterstrichen, dass die Kinder die Verpflichtung übernahmen, gute Mitglieder der Freien Deutschen Jugend zu werden. Als oberstes Organ wählte das FDJ-Parlament, das alle fünf Jahre jeweils nach dem SED-Parteitag zusammentrat, den Zentralrat, der das dreißigköpfige Sekretariat als Führungsspitze des Verbands wählte. Mit dem Beitritt der DDR in die Bundesrepublik wurde die FDJ am 3. Oktober 1990 aufgelöst. Viele ihrer Funktionäre tauchten in den etablierten Parteien unter. Dass man sie für ihre Taten, für die Indoktrination der jungen Generation zur Rechenschaft gezogen hätte, ist nicht bekannt.

Die Mitglieder der FDJ waren in allen Betrieben, Einrichtungen, Schulen, Universitäten, Hoch- und Fachschulen organisiert. Dem Jugendverband unterstanden Club- und Kulturhäuser, er besaß das Reisebüro "Jugendtourist", beaufsichtigte nahezu alle Diskotheken in der DDR, strahlte in Hörfunk und Fernsehen eigene Jugendprogramme aus und organisierte für junge Werktätige den sozialistischen Wettbewerb und eine Vielzahl von Jugendobjekten. Zwar waren die Mitgliedschaft in der FDJ ab dem 14. Lebensjahr und das Tragen der blauen Hemden freiwillig. Wer sich aber weigerte ihr beizutreten, hatte in der Schule und Ausbildung sowie bei der Bewerbung für einen Studienplatz mit Benachteiligungen rechnen.

Zwang und Denunziation

Die FDJ war dabei, wenn Bauern agitiert und genötigt wurden, den LPG beizutreten, also den Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften. Die "Jugendfreunde" wurden zusammengetrommelt, um der auf Tribünen stehenden Staats- und Parteiführung zuzuwinken. Wer sich aber nicht als "Jubelperser" missbrauchen ließ, hatte schlechte Karten und musste mit Sanktionen in der Schule, im Betrieb und an der Universität rechnen. Gelegentlich wurden von FDJ-lern "amerikanische Kartoffelkäfer" von den Feldern gesammelt wurden. Die Jungen und Mädchen in blauen Hemden standen den LPG-Bauern als Erntehelfer zur Seite. Und sie waren zur Stelle, wenn sie im Rahmen der "Aktion Ochsenkopf" auf Hausdächer klettern und Fernsehantennen, die nach Westen ausgerichtet waren, umdrehen oder unbrauchbar machen mussten. 1961, im Jahr des Mauerbaus, gab es in siebzehn von hundert DDR-Haushalten einen Fernseher. Viele Antennen waren nach Westen ausgerichtet, weil man nur so Westfernsehen empfangen konnte. Das aber durfte nach dem Willen der SED-Führung nicht sein. Die FDJ-Zeitung JUNGE WELT fragte am 29. August 1961, zwei Wochen nach dem Mauerbau, ihre Leser, was ein Ochsenkopf ist. "1. Ein Berg im Fichtelgebirge, auf dem die Bonner Ultras einen Fernsehsender zur Hetze gegen die DDR errichtet haben, oder eine Antenne zum Empfang des Westfernsehens, wie sie noch einige vom Westfernsehen Infizierte auf dem Dach haben, oder die volkstümliche Bezeichnung für jemand, der immer noch nicht kapiert hat, dass der ,Schwarze Kanal' aus ihm macht? Antwort: Nicht eine, sondern alle drei Erklärungen treffen zu."

In der Regierung sowie bei der Staatssicherheit und der FDJ wurde angestrengt darüber nachgedacht, was man dagegen tun kann. So wurde am 5. September 1961 die "Aktion Blitz contra Ochsenkopf" gestartet. FDJ-Trupps kletterten auf die Dächer, um die Richtung der Antennen so zu korrigieren, dass "Westen" nicht mehr möglich ist. Zwar wurden die auf einen Sender auf dem Ochsenkopfberg im Fichtelgebirge ausgerichteten Antennen häufig von der Marke Eigenbau gegen den Willen der Hausbewohner "auf Linie" gebracht. Aber viele DDR-Bewohner fanden Mittel und Wege, die Zwangsmaßnahme zu unterlaufen, wobei sie riskierten, denunziert zu werden und/oder ins Gefängnis zu kommen oder auf andere Art bestraft zu werden. In der erwähnten Ausgabe des FDJ-Zentralorgans wird beschrieben, wie in Bad Düben der unverbesserliche Otto P. des Menschenhandels entlarvt wurde und weil er gemeinsam mit Jugendlichen Westfernsehen geschaut hatte. "Seine Antenne wurde abgesägt, auf dem Marktplatz in Bad Düben für alle Einwohner sichtbar ausgestellt und daneben auf zwei Bildern geschrieben: ,Wir dulden keine Lügen- und Hetzantennen - durch sie wurde P. zum Verbrecher an der Arbeiterklasse." Die Szene erinnert daran, wie in der Nazizeit Männer und Frauen mit Schildern auf der Brust und kahl geschorenen Köpfen unter dem Vorwurf der "Blut- und Rassenschande" durch die Straßen deutscher Städte geführt wurden und unflätiger Anwürfe regimetreuer "Volksgenossen" ausgesetzt waren.

ARD - Außer Raum Dresden

Der 190 Meter hohe Fernsehturm in Stahlbetonbauweise wurde 1958 auf dem Gipfel des Ochsenkopfes wurde 1958 eingerichtet. Das brutale Vorgehen der FDJ-Gruppen rief vielfach Widerstand hervor. Die Staatsmacht versuchte, ihn durch Verhaftungen, Entlassungen und Gefängnisstrafen zu brechen. Das alles nutzte nicht, die meisten DDR-Bewohner schauten lieber Westfernsehen als das oft sehr öde und ideologiebelastete DDR-Fernsehen über sich ergehen zu lassen.

In der DDR gab es kein offizielles Verbot für den Empfang des Westfernsehens, dieser war aber vor allem SED-Mitgliedern und Angehörigen der bewaffneten Organe untersagt, wie man die Nationale Volksarmee, Polizei, Staatsicherheit und die paramilitärischen Kampfgruppen sprachlich zusammenfasste. Selbstverständlich bekamen ausgewählte Parteileute und andere Funktionäre Sonderkonditionen, denn sie sollten ja immer wissen, was der Klassenfeind im Schilde führt. Ein bestimmter Personenkreis wurde darüber hinaus mit Westzeitungen und -magazinen versorgt. Honecker & Co. hatten mit diesen "Hetzblättern" keinen Mangel. Es gab Ecken in der DDR, in denen der Empfang des Westfernsehens nur mit Schwierigkeiten oder mit erheblich technischem Aufwand möglich war. Eine dieser als "Tal der Ahnungslosen" verspotteten Regionen war der Raum Dresden, eine andere befand sich im östlichen Brandenburg und in Vorpommern an der Grenze zu Polen. Für das vom Westfernsehen abgeschnittene Gebiet wurde die inoffizielle Abkürzung ARD für "Außer Raum Dresden" erfunden.

Wer dort ungeachtet aller Gefahren, die auch von allzu neugierigen Nachbarn mit "Blockwartmentalität" ausgingen, eine Anlage installierte, die ihm das Westfernsehen ins Haus brachte, bekam es mit der Justiz zu tun. Mit den Jahren fand sich das Regime damit ab, dass fast überall in der DDR "Westen" geschaut und im Radio gehört wurde. Es musste zähneknirschend zur Kenntnis nehmen, dass die Propagandameldungen über die Sieghaftigkeit des Sozialismus mit Informationen aus der Bundesrepublik Deutschland ver- und abgeglichen wurden. Vieles, was die DDR-Medien druckten und sendeten, war so kryptisch formuliert, dass die Wörter und Bilder nur im Kontext westlicher Kommentare verstanden werden konnten.

10. September 2017

Zurück zur Themenübersicht "Geschichte, Zeitgeschichte, Ausstellungen"