Ermordung "in viehischer Weise"
Was sich hinter dem bürokratischen Begriff "Generalplan Ost" verbarg



Die "Umsiedlungen des Führers" sehen auf der Karte aus der Kriegszeit wie Wandertage und geschäftiges Treiben aus, hatten aber in Wirklichkeit tödliche Konsequenzen für die Bevölkerung vor Ort.



Hitler konnte sich auf seine SS verlassen, das Foto zeigt ihn im Dezember 1935 vor der in Reih und Glied angetreten Leibstandarte Adolf Hitler in der ehemaligen preußischen Hauptkadettenanstalt Berlin-Lichterfelde. Die Kaserne ist heute Sitz des Bundesarchivs.



Soldaten durchwühlen die Kleidung von Leichen in einem Massengrab nach Wertsachen. Die Kriegs- und Rassenpropaganda redete ihnen ein, mit den Mordaktionen für Deutschland ein gutes Werk zu tun.



"Hier wütete Himmlers Mordzentrale" lautet nach Kriegsende die Schrift auf einem Plakat an den Resten der SS- und Gestapozentrale auf dem Prinz-Albrecht-Gelände an der Berliner Wilhelmstraße. (Repros: Caspar)

Rasseforscher, Mediziner, Agrarwissenschaftler, Historiker, Völkerkundler, Demographen, Soziologen und andere Spezialisten waren nach 1933 an Planungen mit dem Ziel befasst, große Landstriche in Osteuropa durch Aus- und Umsiedlung sowie Ermordung der einheimischen Bevölkerung "frei" zu machen und an ihrer Stelle Millionen Deutschen und weitere ihnen "rassenmäßig" ähnliche Völkerschaften aus Nord- und Westeuropa anzusiedeln. Da die ehemaligen afrikanischen Kolonien des deutschen Kaiserreichs wegen des Versailler Vertrags nicht mehr erreichbar waren, richtete sich der Blick in den Osten. Reichsführer SS Himmler hielt dort 30 Millionen Menschen für "überzählig" und stimmte gemeinsam mit Hitler und weiteren Nazigrößen die Generalität und die Wehrmacht auf so genannte volkspolitische Aufgaben und Flurbereinigungen ein, unter denen die Ermordung der einheimischen Bevölkerung "in viehischer Weise" verstanden wurde, wie es in einem Bericht gleich nach Kriegsbeginn heißt.

Die der NSDAP und der SS angehörenden oder ihnen nahe stehenden Autoren sahen in den Planungen so etwas wie einen Jungbrunnen für das Deutschtum und zugleich eine Möglichkeit, die rassischen Eigenschaften und die blutsmäßige Zusammensetzung des deutschen Volkes wesentlich aufzuwerten, so die damalige Diktion. Wie andere wissenschaftliche Einrichtungen ließ sich auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) in die Nazipläne einspannen, war ihnen durch Bereitstellung bedeutender finanzieller Mittel dienstbar.

Einer, der von der DFG unterstützt wurde, war der in Auschwitz mit entsetzlichen Medizinverbrechen an Häftlingen befasste SS-Arzt Josef Mengele, ein anderer war der an der Berliner Universität als Professor tätige Agrarwissenschaftler und SS-Offizier im Rang eines Generalmajors Konrad Meyer. Der von ihm sowie vom Reichskommissariat für die Festigung des deutschen Volkstums, vom Reichssicherheitshauptamtes und weiteren Dienststellen für Himmler ausgearbeitete Generalplan Ost sah die komplette Germanisierung Osteuropas und die Vertreibung und Ermordung von Millionen Juden, Polen und Russen vor. Innerhalb von 25 Jahren sollten fünf Millionen Deutsche in den besetzen Gebieten angesiedelt werden. Die okkupierten Länder sollten neue Namen erhalten, so Reichsgau Wartheland/Warthegau (Westpolen mit Posen als Hauptstadt), Ostland (ehemaliges Nordpolen), Waldaihöhen (Region Leningrad/Sankt Petersburg) und Moskowien (Moskau bis zum Ural).

Nach dem Plan mit dem harmlos klingenden Titel "Generalplan Ost" sollten 31 Millionen "Fremdvölkische" nach Osten deportiert und/oder ermordet werden. Weitere 14 Millionen Menschen wollten die Nazis als Arbeitssklaven in der deutschen Rüstungsindustrie und Landwirtschaft sowie beim Straßen- und Verkehrsbau einsetzen, wobei ihre "Vernichtung durch Arbeit" angestrebt wurde. Die deutsche Besiedlung wollte man in Musterdörfern und -städten unterbringen. Die neuen Wohn-, Wirtschafts- und Verwaltungsbauten sollten in altertümelndem "Heimatstil" ausgeführt werden. Die Neubauten und gute Arbeits- und Entfaltungsmöglichkeiten sollten im "Altreich" die Folgen der von der Naziführung missbilligte Landflucht eindämmen. Die Siedlungspläne wurden dank des Vormarschs der Roten Armee nicht wie geplant verwirklicht.

Zwischen 1940 und 1944 wurden mehr als 700 000 Deutsche in den Warthegau sowie nach Westpreußen und Oberschlesien umgesiedelt. Um für sie Platz zu schaffen, haben die Nazis etwa 800 000 nichtjüdische Polen vertrieben und 1,7 Millionen Zwangsarbeiter in das Reich verschleppt. Drei Millionen Juden wurden deportiert und in den Vernichtungslagern ermordet. Himmler und seinen Helfern schwebten ein "führerloses" Heer von Wanderarbeitern vor, die bei groben Arbeiten im Straßenbau, in Steinbrüchen und im Bauwesen eingesetzt werden und keine Rechte besitzen. Kontakt zu den deutschen "Herrenmenschen" war den Sklavenarbeitern streng verboten. Zwischen beiden Gruppen durfte es Himmler zufolge ebenso wenig eine Verbindung geben "wie zwischen uns und Negern".

Die streng geheimen Dossiers, Gutachten und Denkschriften wurden, solange das NS-Reich siegreich war, mit deutscher Gründlichkeit realisiert. Beabsichtigt war, dem deutschen Herrenvolk durch administrative Maßnahmen zu einer höheren Geburtenrate zu verhelfen. SS-Männern war es gestattet, zwei Ehefrauen zu haben, mit denen sie möglichst viele "reinrassige", das heißt SS-taugliche Kinder zeugen sollten. Im Gegenzug war geplant, durch massenhafte Sterilisation und Ausgabe von Verhütungsmitteln in den besetzten Ländern dafür zu sorgen, dass die einheimische Bevölkerung keinen Nachwuchs mehr bekommt. Um die Tötungsanlagen noch effektiver arbeiten zu lassen, sollten die Häftlinge in den Vernichtungslagern wie am Fließband erst vergast und dann in "Hochöfen" verbrannt werden

Konrad Mayers "Ostforschungen" wurden nach dem Krieg in der jungen Bundesrepublik als so wichtig erachtet, dass man über ihre unmenschliche Stoßrichtung und die tiefbraune Vergangenheit des Blut-und-Boden-Gelehrten und seiner Helfer hinweg sah. Mayer durfte an der Technischen Hochschule Hannover über unverfängliche Themen wie Regionalplanung und Naturschutz weiter lehren und forschen. Ähnlich erging es Publizisten und Ökonomen, die nach dem Ende des NS-Staates behaupteten, an Kriegsverbrechen nicht beteiligt gewesen zu sein und als Fachleute versucht zu haben, den Nationalsozialismus zu verbessern und zu reformieren.

Als der Reichsführer SS im Juli 1941 den Distrikt Lublin besuchte, hatte er die Idee, im Gebiet der alten Festung Zamo?? und Umgebung eine große germanische Siedlung anzulegen, die seinen Namen erhalten sollte. Die von deutschen und italienischen Baumeistern errichtete Stadt Zamo?? galt wegen ihrer Verbindung mit der Hanse in früheren Jahrhunderten als Trutzburg deutscher Kultur im Osten und besaß in den Augen von Himmler, der an germanischen und altdeutschen Mythen und Geschichte sehr interessiert war großen strategischen und symbolischen Wert. Hier sollten mehrere tausend Deutsche eine neue Heimat bekommen, die aufgrund des Hitler-Stalin-Paktes aus Bessarabien, Russland, Serbien, dem Baltikum und der Bukowina vertrieben worden waren. Richtschnur war der Generalplan Ost, der die Deportation der einheimischen Bevölkerung und die Ansiedlung von Deutschen vorsah.

Den deutschen Sieg im Osten wollte man durch den Sieg des deutschen Volkstums über das Polentum krönen, so die damalige Diktion. Das "wiedergewonnene deutsche Land" sollte mit deutschen Bauern, Arbeitern, Beamten, Kaufleuten und Handwerkern durchdrungen werden, "damit sich ein lebendiges und dennoch am Boden festverwuzeltes Bollwerk deutscher Menschen als Schutzwall gegen fremde Eindringlinge" herausbilden kann.

Die uralte Kreishauptstadt Zamo?? wurde zum ersten deutschen Siedlungsbereich im so genannten Generalgouvernement erklärt. Die polnische Bevölkerung sollte nach "rassisch wertvollen" Einheimischen zwecks Wiedereindeutschung im Deutschen Reich und in arbeitsfähige Zwangsarbeiter unterteilt werden. Der große Rest kam in die Vernichtungslager. Da die polnische Bevölkerung Widerstand leistete, sich viele Menschen den Partisanen anschlossen und außerdem die landwirtschaftliche Produktion zurück ging, geriet das Projekt ins Stocken und wurde im August 1943 abgebrochen. Die Rote Armee vertrieb anschließend die deutschen Ansiedler. 27. März 2017

25. Januar 2017



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