Ziemlich beste Freunde, aber nur für kurze Zeit
Der im Sommer 1939, kurz vor dem Zweiten Weltkrieg, abgeschlossene Teufelspakt zwischen Hitler und Stalin hatte verheerende Folgen



Außenminister Molotow (rechts) hat unter den Augen von Stalin den Teufelspakt mit Hitler unterzeichnet, links der deutsche Außenminister von Ribbentrop zu zufrieden zu.



Das Geheime Zusatzprotokoll war nach dem Sieg über Hitlerdeutschland offiziell nur im Westen bekannt, seine Existenz wurde lange Zeit in der Sowjetunion und ihren Satellitenländern bestritten.





Das überraschende Zusammengehen der beiden Todfeinde Hitler und Stalin konnte nur außerhalb des Nazistaates und der Sowjetunion kritisch aufs Korn genommen werden.



Nach dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf Polen am 1. September 1939 sahen sich England und Frankreich zur Kriegserklärung an das Deutsche Reich genötigt.



In den Augen von Honecker und seinen Genossen war es ein Sakrileg, den Sieg der Roten Armee und die Opfer der Sowjetunion sowie die Niederringung des Hitlerfaschismus im Zweiten Weltkrieg mit peinlichen Fragen zu belasten. Deshalb wurde der "Sputnik" 1988 sehr zum Ärger seiner von der SED als "Spießer" diffamierten Leser verboten. (Repros: Caspar)

Für Hitler war es im Sommer 1939 nur noch eine Frage der Zeit, wann er den Krieg gegen Polen beginnen würde, der sich sogleich zum Zweiten Weltkrieg auswuchs. Wichtig für den Überfall am 1. September 1939 war die Absicherung im Osten. Sie wurde durch den deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt möglich, der unrühmlich auch als Hitler-Stalin-Pakt in die Geschichte einging und tatsächlich ein Teufelspakt mit furchtbaren Folgen war. Das unter hohem Zeitdruck ausgehandelte Abkommen wurde am 23. August 1939 in Moskau von den Außenministern beider Länder, Joachim von Ribbentrop und Wjatscheslaw Michailowitsch Molotow, unter den Augen des sowjetischen Diktators Josef Stalin unterzeichnet. Auf zehn Jahre befristet, legte es unter Berufung auf einen 1926 abgeschlossenen Neutralitätsvertrag fest, dass sich beide Staaten jeglicher Gewalt gegenüber dem anderen enthalten. Im Falle eines Krieges wollten sie sich neutral verhalten und auch keine Koalition unterstützen, die sich gegen die andere Seite richtet. Darüber hinaus wollten das Deutsche Reich und die Sowjetunion mögliche Konflikte "freundschaftlich" beilegen.

Hitler drängte bei den Verhandlungen auf Eile, weil er im Osten den Rücken für den Krieg gegen Polen frei haben wollte. Noch zu Jahresbeginn 1939 hatte er sich in einer Rede vor dem Deutschen Reichstag als großer Friedensfreund stilisiert und zugleich unverhohlene Drohungen gegen andere Staaten und gang allgemein gegen Juden ausgestoßen. "Da das deutsche Volk keinen Hass gegen England, Amerika oder Frankreich empfindet, sondern seine Ruhe und seinen Frieden will, diese Völker aber von ihren jüdischen oder nichtjüdischen Hetzern fortgesetzt gegen Deutschland und das deutsche Volk aufgeputscht werden, würde ja im Falle eines Gelingens der Absichten dieser Kriegsbefürworter unser eigenes Volk in eine psychologisch überhaupt nicht vorbereitete und deshalb ihm unerklärliche Situation geraten. […] Die Völker werden in kurzer Zeit erkennen, dass das nationalsozialistische Deutschland keine Feindschaft mit anderen Völkern will, dass alle die Behauptungen über Angriffsabsichten unseres Volkes auf fremde Völker entweder aus krankhafter Hysterie geborene oder aus der persönlichen Selbsterhaltungssucht einzelner Politiker entstandene Lügen sind, dass diese Lügen aber in gewissen Staaten gewissenlosen Geschäftemachern zur Rettung ihrer Finanzen dienen sollen, das vor allem das internationale Judentum damit eine Befriedigung seiner Rachsucht und Profitgier erreichen zu hoffen mag, dass sie aber die ungeheuerlichste Verleumdung darstellen, die man einem großen und friedliebenden Volk antun kann."

Geheimes Zusatzprotokoll

Teil des Vertrags zwischen Hitler und Stalin war ein Wirtschaftsabkommen, nach dem die Sowjetunion Nahrungsmittel, Öl und Erz nach Deutschland liefern und im Gegenzug von dort Industrieerzeugnisse und Steinkohle erhalten soll. Außerdem wurden deutsch-sowjetische Militärkonsultationen ermöglicht, weshalb in der von Goebbels gesteuerten NS-Presse friedliche Zusammenkünfte von Soldaten beider Länder und auch sonst freundliche Kommentare über Stalins Reich verbreitet wurden. Gegen die Sowjetunion, das "Bollwerk des Bolschewismus", zu hetzen, war auf einen Tag zum anderen verboten. Auch in der Sowjetunion rieben sich die Leute verwundert die Augen und fragten sich besorgt, wie es kommen kann, dass sich die beiden Erzfeinde verbünden und wie der Kampf gegen den Hitlerfaschismus unter diesen Umständen noch fortgeführt werden kann. Viele Antifaschisten hatten mit der Moskauer Vereinbarung ein Problem, und wenn sie bei der Geheimpolizei denunziert wurden, wurden sie vor Gericht gestellt und ins Gulag, Stalins flächendeckendes System von Arbeitslagern, gesteckt. Viele Menschen bezahlten ihr hartnäckiges Nachfragen und unerwünschte Skepsis mit dem Leben.

In einem dem Hitler-Stalin-Pakt beigefügten geheimen Zusatzprotokoll "für den Fall einer territorial-politischen Umgestaltung" sicherte sich die Sowjetunion die Zurückgewinnung von Territorien, die das Zarenreich im Ersten Weltkrieg hatte abtreten müssen. Das östliche Polen sowie Finnland, Estland und Lettland wurden in dem Dokument zu sowjetischen Interessensphären, das westliche Polen und Litauen zu denen des Deutschen Reiches erklärt. Gleich nach dem Überall der Wehrmacht auf Polen haben Deutschland und die Sowjetunion einen Grenz- und Freundschaftsvertrag abgeschlossen. Während die Rote Armee das östliche Polen sowie die beiden baltischen Staaten und Teile der heutigen Ukraine besetzte und das damit begründet wurde, es handle sich um Länder, die zum Zarenreich gehörten. Das NS-Reich verwandelte Polen in das so genannte Generalgouvernement und errichtete dort ein Terrorregime, dem Millionen Menschen zum Opfer fielen.

Die Nazipropaganda feierte das überraschende Zusammengehen mit der dahin als "jüdisch-bolschewistischer Erzfeind" verteufelten Sowjetunion als Fortsetzung der von Reichskanzler Otto von Bismarck während der Kaiserzeit praktizierten freundschaftlichen Beziehungen zum zaristischen Russland, während in der Sowjetunion die Losung ausgegeben wurde, sie müsse Zeit gewinnen, um für einen möglichen Krieg mit dem Deutschen Reich gewappnet zu sein. Beide Seiten verzichteten bis zum Überfall der deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 auf gegenseitige verbale Angriffe und zelebrierten so etwas wie deutsch-sowjetische Freundschaft. Aus der Geschichte ist bekannt, dass Stalin seinen Freiraum nicht nutzte und vielfältige Warnungen von Diplomaten, Widerstandskämpfern und Agenten vor einem bevorstehenden Angriff in den Wind schlug, was Millionen Menschen das Leben kostete.

Im Sommer 1939 musste Hitler damit rechnen, dass England und Frankreich nicht mehr wie bisher "Gewehr bei Fuß" zuschauen werden, wie er sich ein Land nach dem anderen untertan macht und dort sein Terrorregime aufrichtet. Die Westmächte waren entschlossen, bei einem Krieg ihren Verbündeten Polen zu unterstützen und ihren vertraglichen Verpflichtungen gegenüber diesem Land nachzukommen. Lange leugnete die Sowjetunion die Existenz der geheimen Abmachungen zwischen Hitler und Stalin, so wie auch das sowjetische Massaker von Katyn, dem 1940 unzählige polnische Offiziere und Intellektuelle zum Opfer fielen, wider besseren Wissens viele Jahre als deutsches Verbrechen bezeichnet wurde. Offiziell wurde das Zusatzprotokoll erst am 24. Dezember 1989 vom Volksdeputiertenkongress in Moskau zur Kenntnis genommen und für null und nichtig erklärt. Das geschah in einer Zeit, da der Zerfall des Sowjetreiches abzusehen war und die im Zusammenhang mit dem Vertrag von 1939 von der Roten Armee okkupierten baltischen Staaten Lettland, Litauen und Estland das ihnen aufgezwungenen Sowjetsystem abschütteln und die eigene Souveränität erreichen wollten und alsbald auch unter hohen Opfern erlangten.

Der deutsch-sowjetische Nichtangriffspakt wird von Politikern und Historikern kontrovers beurteilt. Während die einen der Sowjetunion ein berechtigtes Interesse an der Wiederherstellung der alten polnisch-russische Grenze zugestehen, werfen andere Stalin vor, er habe unverfroren die Gelegenheit genutzt, sein Herrschaftssystem nach Westen auszuweiten. In der DDR auf die Machenschaften zwischen Hitler und Stalin wenige Tage vor dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion zu sprechen zu kommen, wurde als staatsfeindliche Tätigkeit und Hetze gegen das, wie man immer sagte, Land Lenins ausgelegt und zog schwere persönliche Konsequenzen nach sich. Im Zeichen von Glasnost und Perestroika konnten nach der Machtübernahme von Michail Gorbatschow in der UdSSR auch freier als je zuvor über die Verbrechen der Stalinzeit, über die Massenmorde des Geheimdienstes und die abseits gelegenen Arbeits- und Gefangenenlager gesprochen werden, allerdings nur so, dass das kommunistische Herrschaftssystem nicht infrage gestellt wird.

Honecker verbietet das Magazin "Sputnik"

Ein auch in der DDR beliebtes Sprachrohr war das illustrierte Monatsmagazin "Sputnik", benannt nach dem piepsenden Satelliten, mit dem die Sowjetunion 1957 das Zeitalter der Weltraumforschung eröffnet hatte. Als in dem bunten Digest während der Gorbatschow-Ära ab 1985 immer mehr und offener über Stalins Terror berichtete und sogar Vergleiche zwischen den Opfern seiner Diktatur und denen Hitlerdeutschlands angestellt wurden, war für den Staats- und Parteichef Erich Honecker das Maß voll. Diese neue Offenheit brachte ihn so in Rage, dass er persönlich und, wie später bekant wurde, gegen den Rat seiner Umgebung den Vertrieb der deutschsprachigen Ausgabe 10/1988 unterband und fortan die Belieferung der Abonnenten einstellen ließ. Der eigentlich zuständige Postminister Rudolph Schulze las in der Zeitung diese von Honecker persönlich formulierte ADN-Meldung "Wie die Pressestelle des Ministeriums für Post- und Fernmeldewesen mitteilt, ist die Zeitschrift Sputnik von der Postzeitungsliste gestrichen worden. Sie bringt keinen Beitrag, der die Festigung der deutsch-sowjetischen Freundschaft dient, statt dessen verzerrende Beiträge zur Geschichte". Zu fragen, was hinter der nebulösen Meldung steckt und worin die verzerrenden Informationen bestehen, war in der DDR nicht erlaubt, wurde dafür aber im Westen umso intensiver diskutiert. SED-Politbüromitglied Günter Schabowski, damals 1. Sekretär der Bezirksleitung Berlin beziehungsweise davor ND-Chefredakteur, kommentierte 1991 den empörenden Vorgang so: "Das Politbüro war nicht befragt worden. Das war ein beispielloser Akt persönlicher Willkür, der nicht nur von den 180 000 Abonnenten als eine rabiate politische Entmündigung aufgefasst wurde, sondern auch die gesamte alte SED-Führung nachhaltig diskreditierte."

Die verbotene Sputnik-Ausgabe hatte sich mit dem Thema "Stalin und der Krieg" befasst. Die Autoren rechneten mit klar zutage liegenden Fehlern, Versäumnissen und Verbrechen des sowjetischen Diktators vor und während des Zweiten Weltkrieges ab. Aus Angst vor Konkurrenz hatte Stalin, Hitlers zeitweiliger Verbündeter, kriegserfahrene Generäle ermorden lassen und im August 1939 den Nichtangriffs- und Freundschaftsvertrages mit Hitlerdeutschland abgeschlossen. Er hatte ferner geheimdienstliche Hinweise zum deutschen Angriff am 22. Juni 1941 vom Tisch gewischt und sich weitere Fehler erlaubt, die große Verluste an Blut und Gut zur Folge hatten. Der Sputnik kam zum Schluss, dass der Große Vaterländische Krieg nicht dank Stalin, sondern trotz Stalin gewonnen wurde.

"Gequake wildgewordener Spießer"

Honeckers Zwangsmaßnahme löste heftige Debatten aus und brachte unzählige erboste DDR-Bewohner zu der Frage, warum Honecker & Co. die Wahrheit über Stalins Mordmaschine sowie weitere in dem Magazin recht offen beschriebene Gebrechen des Sowjetsystems unterdrückt. Der damals mächtigste Mann der DDR sprach Anfang Dezember 1988 in einer Rede vor dem Zentralkomitee der SED vom "Gequake wildgewordener Spießer", welche die Geschichte der KPdSU im bürgerlichen Sinne umschreiben möchten, und diffamierte das in vielen Parteiversammlungen und Leserzuschriften bekundete Unverständnis für das Sputnik-Verbot als quasi vom Klassenfeind gesteuerte antikommunistische Kampagne. Honecker setzte noch eins drauf, als er sich in seiner Rede auf die offensichtlich bestellte oder erfundene Zuschrift eines linientreuen Genossen bezog, der die Parteiführung aufforderte: "Setzt diese gute Politik fort".

In einem Brief an den für Agitation und Propaganda, also die Medien, zuständigen ZK-Sekretär Joachim Herrmann hatte der Schreiber behauptet, man habe den Eindruck, als bestünde die ruhmreiche Geschichte des Sowjetvolkes nach Lesart des Sputnik nur noch aus Stalins Mordtaten und Breschnews Stagnation. "Die Geschmacklosigkeit und das Verlassen des Bodens marxistisch-leninistischer Geschichtsschreibung geht so weit, dass Stalin und Hitler gleichgesetzt werden. Für ein Volk, das so ruhmreich gegen den Faschismus und unter dem Blutzoll von 20 Millionen Menschenopfern gestritten hat, sowie für jeden Antifaschisten eine Zumutung". Die meisten Leser des Sputnik seien Leute, die sich hochnäsig zur Politik unserer Partei verhalten, die alles "besser" wissen und in der "westlichen Freiheit" ihr politisches Vorbild sehen. Sie seien Spießer und Nörgler, die den Wohlstand besitzen, den der Sozialismus bietet, sich aber gesellschaftlich nicht engagieren und parteiliche Haltung als lästig empfinden, fuhr der ungenannte Genosse in denunziatorischem Ton fort und spielte damit seinem Parteichef direkt in die Hände.

Nach dem Ende der SED-Herrschaft hat sich der von Honeckers Selbstherrlichkeit überrumpelte DDR-Postminister für die Einziehung des Magazins entschuldigt. Anfang 1990 wurde sogar ein Sonderheft des Sputniks gedruckt und ausgeliefert, in dem die besten Artikel vom Oktober 1988 bis Oktober 1989 zu lesen waren. Die Redaktion betonte in einem Editorial, der Weg zur Wahrheit, Offenheit und Selbsterkenntnis sei noch nie einfach gewesen. "Lüge tröstet, doch dieser Zustand kann nicht von langer Dauer sein." Der abgehalfterte, seinen Prozess erwartende Honecker hat 1990 den beiden Schriftstellern und Liedermachern Reinhold Andert und Wolfgang Herzberg ein langes Interview gegeben, aus dem 1991 das Buch "Der Sturz - Honecker im Kreuzverhör" wurde. Zur Sputnikaffäre befragt, sagte der ehemalige SED- und Staatschef, er finde es auch heute empörend, dass in dem Magazin Kommunisten beschuldigt wurden, am Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, am Überfall Hitlerdeutschlands auf die Sowjetunion schuld gewesen zu sein. Schließlich sei dieser Überfall durch die Nazis bereits vorprogrammiert gewesen. Auf eine Debatte darüber, dass Stalin durch seine blutbesudelte Herrschaft und die Schauprozesse gegen die geistige, politische und militärische Elite diesem seinem Land und der Idee des Sozialismus allerschwersten Schaden zugefügt hat, ließ sich der Oberstalinist Honecker nicht ein.

19. Oktober 2017

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