"Die Macht soll gegeben werden dem gemeinen Mann"
Werner Tübke hat das Bauernkriegs-Gemälde in Frankenhausen vor 30 Jahren beendet / Thomas-Müntzer-Ehrung fiel 1989 ins Wasser



Das in einem riesigen Rundbau, despektierlich auch Elefantenklo genannt, präsentierte Bauernkriegs-Panorama ist jetzt 30 Jahre alt und ein vielbesuchter Ort der DDR-Kunst und Geschichtsdeutung.



Bauern, Plebejer, Handwerker und anderes Volk müssen sich den Mächtigen ihrer Zeit beugen, an anderer Stelle lässt Werner Tübke sie die Waffen gegen ihre Unterdrücker erheben.



Rund um das Panoramagebäude stimmen Skulpturen auf das ein, was Tübke und seine Malerkollegen sich ausgedacht haben.



Die Silbermünze von 1989 zu 20 Mark zeigt nicht Müntzer, wie er war, sondern wie sich der Gestalter den berühmten Prediger und Bauernführer vorstellte.



Die verhüllte Figur hinter Müntzer lässt sich vielseitig deuten und ist ein Hinweis auf das, was mit dem in Stolberg geborenen Helden der frühbürgerlichen Revolution geschehen ist, so eine in der DDR gängige Bezeichnung für den Bauernkrieg und die Ereignisse vor und nach 1525. (Fotos: Caspar)

"Elefantenklo" war der inoffizielle Name für ein rundes Gebäude auf dem Schlachtberg bei Bad Frankenhausen im thüringischen Kyffhäuserkreis, in dem ein 123 Meter langes und 14 Meter hohes Gemälde des Leipziger Malers Werner Tübke mit Darstellungen vom Deutschen Bauernkrieg von 1524/25 zu sehen ist. Am 16. Oktober 1987 setzte der Künstler seinen Namen unter das Panoramagemälde und beendete damit seine zwölfjährige Knochenarbeit, wie er sein Werk bezeichnete. Nach der Entmachtung von Walter Ulbricht 1971 hatte sein Nachfolger Erich Honecker im Amt des SED-Generalsekretärs und Staatsratsvorsitzenden eine kompromisslose Abgrenzungspolitik gegenüber der "imperialistischen Bundesrepublik Deutschland". Dazu gehörten die Entwicklung einer neuen Geschichts- und Erbepolitik und die Erfindung des Begriffs sozialistische Nation beziehungsweise Nationalkultur. Sie gründete sich auf den revolutionären Traditionen des Bauernkrieges, der Revolutionen von 1848/49 und von 1918 sowie den antifaschistischen Widerstandskampf zwischen 1933 und 1945, in dem die Kommunisten am konsequentesten vorgingen und die größten Opfer zu beklagen hatten, so die marxistisch-leninistische Deutung.

Sixtina des Nordens

In diesem Konzept spielten die frühbürgerliche Revolution und der Große Deutsche Bauernkrieg von 1525 eine große Rolle, wie man den Aufstand der Bauern und Plebejer quer durch das Heilige Römische Reich deutscher Nation nannte. Dazu Bilder zu liefern, übernahm Werner Tübke. Die Grundsteinlegung für das Haus für das Panoramagemälde fand am 8. Mai 1974 statt, der Rohbau, der im Volksmund mit einer "Toilette" für Elefanten im Zoo oder Zirkus verglichen wurde, war ein Jahr später fertig. Weitaus länger, nämlich bis zum Wendejahr 1989, dauerte es bis zur Übergabe des Bildes, das eine Fläche von 2000 Quadratmetern hat und von mehr als 3000 Figuren bevölkert wird, an die Öffentlichkeit. Die Vorlagen wurden mit Diapositiven auf die Leinwand projiziert und dann mit viel Farbe ausgemalt. Im Mittelpunkt des Panoramas erkennt man den Bauernführer Thomas Müntzer sowie seine Mitstreiter. Es sind aber auch zahlreiche Zeitgenossen sowie sich zum Kampf gegen die adligen Unterdrücker formierende Bauernhaufen, Lebende und Tote, Scheiterhaufen und Brände und weitere an Darstellungen und Allegorien des 16. Jahrhunderts orientierte, von einem Regenbogen überzogene Szenen zu erkennen.

In der damaligen, ganz der so genannten Tonnenideologie verpflichteten DDR-Propaganda wurde mit überschwänglichem Stolz betont, dass Tübkes Werk alle bisher bekannten Riesengemälde in den Schatten stellt und eine "qualitative Einmaligkeit von allen Panoramen in der Welt" bedeutet. Man sprach in Anspielung auf Michelangelos berühmtes Wand- und Deckengemälde in Rom von der "Sixtina des Nordens". Ausgeführt wurde Tübkes, vom SED-Politbüro und führenden Kulturpolitikern nach manchen Änderungen gebilligten Entwurf vom Künstler selbst sowie einer Riege junger Leipziger Maler im Stil des 16. Jahrhunderts. Die beteiligten Künstler mussten sich den Duktus und Pinselstrich des Meisters so aneignen, dass keine Unterschiede zu erkennen waren, und sprachen von Malerfron, Malrausch und Schinderei.

Vom Bauernkrieg zum Sozialismus in der DDR

Das, wie es damals hieß, größte malerische Projekt in der europäischen Geschichte wurde am 14. September 1989 im Rahmen der Feierlichkeiten zum Thomas-Müntzer-Jahr feierlich der Öffentlichkeit übergeben und emphatisch von den DDR-Medien gefeiert. Sogleich auf die Zentrale Denkmalliste der DDR gesetzt, ist das Panoramagemälde im Elefantenklo ein treffliches Beispiel dafür, wie es ein bedeutender, mit hohen Orden dekorierter und fürstlich entlohnter Künstler verstand, den Staat für die Verwirklichung seines Traums einzuspannen und wie seine Repräsentanten es versuchten, die bildende Kunst zur Förderung patriotischer Gesinnungen zu instrumentalisieren.

Die Einweihung ging allerdings in den Turbulenzen der Wendezeit im Herbst 1989 unter, aber vergessen ist das Riesenbild im Elefantenklo ganz und gar nicht. Im Gegenteil, es hat sich zu einem großen Anziehungspunkt entwickelt und erfreut sich bei staunenden Besuchern aus aller Welt großen Zuspruchs. Nach Vollendung des Panoramagemäldes "Frühbürgerliche Revolution in Deutschland" in Bad Frankenhausen" übernahm der dafür mit der Ehrendoktorwürde der Universität Leipzig geehrte Künstler 1990 den Auftrag zur Bühnenausstattung von Carl Maria von Webers "Der Freischütz" der Bonner Oper und als letztes großes Auftragswerk einen großen, achtteiligen Flügelaltar für die St. Salvatoriskirche zu Zellerfeld, der 1997 geweiht wurde. Kurz vor seinem Tod am 27. Mai 2004 in Leipzig übergab er sein gesamtes persönliches Schriftgut an das Archiv für Bildende Kunst des Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg.

Silberne Gedenkmünze von 1989

Das Jahr 1989 sollte in der DDR großartig als Thomas-Müntzer-Jahr gefeiert werden. Ähnlich wie im Luther-Jahr 1983 hatte die Partei- und Staatsführung vor, den um 1489 in dem Harzstädtchen Stolberg (Kreis Mansfeld-Südharz) geborenen Theologen, Reformator und Bauernführer durch vielfältige Veranstaltungen, Publikationen, Ausstellungen und auch Denkmäler zu ehren. Die Idee war nicht schlecht, denn bei solchen Kampagnen wurden staatliche Mittel locker gemacht, etwa um Fachwerkhäuser zu renovieren und Straßen zu bauen. Ein hochrangiges Komitee kümmerte sich um die Vorbereitungen für die 500-Jahr-Feier, die allerdings im Zusammenhang mit den dramatischen Ereignissen im Wendeherbst 1989 aus dem Blick der Öffentlichkeit gerieten, ja ins Wasser fielen.

Um seinen Untertanen die Illusion zu nehmen, an der deutschen Teilung könne sich etwas ändern, versicherte er vor dem Komitee zur Vorbereitung der Thomas-Müntzer-Ehrung in der DDR im Januar 1989, die Mauer werde "in 50 und auch in 100 Jahren noch bestehen bleiben, wenn die dazu vorhandenen Gründe noch nicht beseitigt sind. Das ist schon erforderlich, um unsere Republik vor Räubern zu schützen. Ganz zu schweigen von denen, die gern bereit sind, Stabilität und Frieden in Europa zu zerstören". Die DDR sei durch die Maßnahmen von 1961 vor Ausplünderung und vor Drogen bewahrt worden, insgesamt habe der "antifaschistische Schutzwall" den Frieden gerettet. Die Ankündigung des mächtigsten Mannes in der DDR ließ zahllose Menschen zu dem nicht ungefährlichen Entschluss kommen, sich auf den Weg in den Westen zu machen. Wenige Monate später kehrten unzählige DDR-Bewohner ihrer Heimat den Rücken.

Der lange vergessene und von seinen Gegnern verteufelte Revolutionär und Bauernführer war ursprünglich ein Anhänger Martin Luthers, machte sich diesem aber durch seine radikalen Forderungen für einen Umbau der Gesellschaft zum Feind, Mit Müntzer zog die DDR eine Traditionslinie von den Erhebungen im Bauernkriegsjahr 1525 und dem Sieg des Sozialismus im Arbeiter-und-Bauern-Staat, und da war es eigentlich unerheblich, dass die größten Auseinandersetzungen im deutschen Süden, also auf dem Gebiet der heutigen Bundesrepublik Deutschland, stattfanden. Die Feier in Stolberg und Umgebung war indes gerechtfertigt, weil der Bauernaufstand auf dem Schlachtenberg bei Bad Frankenhausen stattfand, der auch von Müntzer angeführt wurde. Von höchster Stelle wurde im SED-Politbüro beschlossen, dass Müntzer in seiner Geburtsstadt Stolberg durch ein Denkmal geehrt wird. Außerdem gab die Staatsbank der DDR 1989 eine von Günter Gnauck und Bernd Göbel gestaltete Gedenkmünze aus Silber zu 20 Mark heraus..

Mit dem Entwurf des aus sechs Bronzeteilen bestehenden Monuments wurde der Bildhauer Klaus Messerschmidt beauftragt. Er hatte das Problem, dass es von Thomas Müntzer, dem Sohn eines Stolberger Münzmeisters, kein authentisches Porträt existiert. Daher plante der Künstler zunächst die Figur einer gebärenden Frau, weil die Geburt eines Menschen und die Mutterschaft schon immer für Aufbruch und Beginn einer neuen Zeit stehen. Zu Messerschmidts Ärger wurde der Entwurf verworfen, und das brachte den Bildhauer so in Rage, dass er den Auftrag zurückgeben wollte. Nur mit Mühe konnte er zum Weitermachen ermuntert werden, und so entwarf er, unter Zeitdruck stehend, ein Standbild des Bauernkriegsführers samt ergänzenden Figuren.

Der Henker wartet im Hintergrund

Der in ein langes Gewand gehüllte Müntzer ist ein reines Fantasiegebilde. Angeblich soll sein Kopf dem des Bildhauers ähnlich sein. Hinter dem ernst dreinblickenden Mann, dessen entblößter Nacken auf seine Verwundbarkeit und sein gewaltsames Ende deutet, steht eine zweite Figur mit verhülltem Kopf. Für sie bieten sich verschiedene Deutungen an. Eine könnte die alte Gesellschaft sein, die ihre Augen vor den Erfordernissen der Zukunft verschließt. Ob der Künstler mit dieser Allegorie das SED-Regime gemeint hat, wäre möglich. Die Zeiten standen ja auf Sturm, und man wusste, dass die Granden ihren Kopf in den Sand steckten um nicht wahrzunehmen, was um sie herum geschieht.

Eine andere, naheliegende Annahme wäre die Gestalt des Henkers, der auf sein Opfer wartet - deutlicher Hinweis auf Müntzers Hinrichtung am 27. Mai 1525 vor den Toren von Mühlhausen. Flankiert wird die Gruppe auf dem Stolberger Marktplatz von Heiligenfiguren. Der Bildhauer hat sie gotischen Holzschnitzereien aus der Zeit um 1490 im Besitz des Stolberger Museums "Alte Münze" nachgebildet. Sie stammen aus dem Stolberger Müntzerhaus und wurden 1851 bei dessen Brand gerettet. Dargestellt sind die Gottesmutter Maria sowie der heilige Christophorus, der heilige Martin und die heilige Katharina von Alexandria.

Das Stolberger Müntzer-Denkmal wurde am 10. September 1989 feierlich eingeweiht und war das letzte Monument, das in der sich auflösenden DDR der Öffentlichkeit übergeben wurde. Während man auf dem Stolberger Marktplatz noch vom Sieg des Sozialismus und der festen Verbindung der Werktätigen der DDR zur Partei der Arbeiterklasse sprach, verließen Tausende den ungeliebten zweiten deutschen Staat, der schon bald im Orkus der Geschichte verschwand. Unverdrossen sprach Politbüromitglied Hans-Joachim Böhme, zugleich 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung, dem Zentralorgan "Neues Deutschland" vom 11. September 1989 zufolge mit Blick auf die Thomas-Müntzer-Ehrung der DDR: "Wenige Tage vor dem 40. Jahrestag der DDR bekennen wir uns damit erneut zu jenen Traditionen, die untrennbar mit dem revolutionären Kampf der unterdrückten und geknechteten Volksmassen für ein Leben in Freiheit, sozialer Gleichheit und Sicherheit verbunden sind." Die DDR kröne den Kampf des deutschen Volkes aller progressiven Kräfte des deutschen Volkes und habe im Müntzerschen Sinne "die Macht gegeben dem gemeinen Mann", was dann in Erfüllung ging, aber anders, als es sich die SED- und Staatsführung gewünscht hatte.

8. Oktober 2017

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