Hinrichtung in 18 Sekunden
Im Zuchthaus Berlin-Plötzensee wurden von den Nationalsozialisten unzählige Menschen enthauptet oder erhängt



Die Gedenkstätte am Hüttigpfad in Plötzensee wurde 1952 zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus eingeweiht.



Viele Häuser des in der Kaiserzeit erbauten Zuchthauses Plötzensee wurden im Zweiten Weltkrieg zerbombt und danach abgetragen. Das Foto zeigt von oben, wie die Strafanstalt ursprünglich ausgesehen hat.





In dem niedrigen Backsteingebäude hinter der Gedenkwand ist der ehemalige Hinrichtungsraum erhalten. An den Haken im Hintergrund wurden die vom Volksgerichtshof zum Tod verurteilten Widerstandskämpfer aufgeknüpft.



Die Ausstellung neben dem Hinrichtungsraum schildert anhand von erschütternden Berichten, Fotos und Dokumenten, wie die nationalsozialistische Blutjustiz gegen Widerstandskämpfer, Kriegsgefangene und andere Menschen gewütet hat.



Auf dem Gelände der Gedenkstätte ist eine Urne mit Erde aus zahlreichen deutschen Konzentrationslagern aufgestellt. (Fotos/Repro: Caspar)

Im Berliner Zuchthaus Plötzensee ließ das NS-Regime viele seiner Gegner hinrichten. Vor den Fenstern in dem alten Backsteingebäude sind unter der Decke noch die Eisenträger mit den Haken angebracht, an denen die zum Tode verurteilten des Naziregimes, aber auch Kriegsgefangene und andere Menschen aufgeknüpft wurden. Hier verrichtete der Henker auch mit dem Fallbeil seine grausige Arbeit. Die Exekutionsprotokolle vermerken in nahezu gleichbleibender Bürokratensprache, dass sich die Verurteilten ruhig und gefasst unter das Fallbeilgerät legen ließen. "Die Vollstreckung dauerte von dem Zeitpunkt der Vorführung bis zur Übergabe an den Scharfrichter 18 Sekunden und von der Übergabe an diesen bis zur Meldung des Scharfrichters, dass das Urteil vollstreckt sei, 8 Sekunden."

In Plötzensee wurden 2 500 Menschen hingerichtet, die meisten, weil sie dem Widerstand gegen das Hitlerregime angehörten oder unter der Anschuldigung des Hochverrats, aber auch wegen Feindbegünstigung und Wehrkraftzersetzung. Unter den Opfern der Nazijustiz befanden sich Intellektuelle und Geistliche, Arbeiter, Studenten und Professoren, Angehörige von Widerstandsgruppen wie der Roten Kapelle, des Kreisauer Kreises, nicht zuletzt führende Köpfe und Mitwisser des gescheiterten Attentats vom 20. Juli 1944 auf Hitler. Neben diesen Personen, die für das "andere Deutschland" kämpften, wurden zahlreiche Kriegsgefangene in Plötzensee ermordet.

Der Fall Kreiten und der Fall Höfer

Als die Haftanstalt im September 1943 bei einem Bombenangriff teilweise zerstört wurde, fand bei Kerzenlicht eine regelrechte Blutorgie statt, bei der 186 Gefangene in einer einzigen Nacht erhängt wurden. Damit wollte man ihr Entkommen aus der halb zerstörten Anstalt unterbinden. Der evangelische Gefängnispfarrer Harald Poelchau berichtete über den Massenmord: "Die Männer waren in mehreren Gliedern hintereinander angetreten. Sie standen da, zunächst ungewiss, was mit ihnen geschehen sollte. Dann begriffen sie. Immer je acht Mann wurden namentlich aufgerufen und abgeführt. Die Zurückbleibenden verharrten fast bewegungslos. […] Einmal unterbrachen die Henker ihre Arbeit, weil Bomben in der Nähe krachend niedersausten. Die schon angetretenen fünf mal acht Mann mussten für eine Weile wieder in ihre Zellen eingeschlossen werden. Dann ging das Morden weiter. Alle diese Männer wurden gehängt. […] Erst in der Morgenfrühe, um acht Uhr, stellten die erschöpften Henker ihre Tätigkeit ein, um sie am Abend mit frischen Kräften aufnehmen zu können." Die Ausstellung im ehemaligen Hinrichtungsschuppen berichtet, dass nicht nur Deutsche in Plötzensee ermordet wurden, sondern auch ausländische Kriegsgefangene. Aus den Akten ist bekannt, dass Hitler immer wieder darauf gedrängt hatte, die zum Tod Verurteilten unverzüglich hinzurichten.

Unter denen, die in Plötzensee starben, waren auch solche, die wegen angeblicher Plünderung während und nach Bombenangriffen oder auch wegen des Versteckens von Juden angezeigt worden waren. In der ehemaligen Hinrichtungsstätte wird in einer Ausstellung unter anderem der Fall des Pianisten Karlrobert Kreiten geschildert, dem 1943 "niedrigste Verunglimpfung des Führers" zur Last gelegt wurde. Eine als "gläubige Nationalsozialistin" und aufrichtige Parteigenossin geschilderte Jugendfreundin seiner Mutter hatte ihn wegen der bei einem Gespräch getätigten Voraussage denunziert, in wenigen Jahren würden Hitler und andere Naziführer "um einen Kopf kürzer gemacht". Der Volksgerichtshof verurteilte den Pianisten niederländischer Herkunft wegen so genannter Wehrkraftzersetzung zum Tode. Der spätere Fernsehjournalist Werner Höfer begrüßte am 20. September 1943 in der Zeitung "12-Uhr Blatt" die Hinrichtung des Musikers ausdrücklich, als er schrieb: "Wie unnachsichtig jedoch mit einem Künstler verfahren wird, der statt Glauben Zweifel, statt Zuversicht Verleumdung und statt Haltung Verzweiflung stiftet, ging aus einer Meldung der letzten Tage hervor, die von der strengen Bestrafung eines ehrvergessenen Künstlers berichtete. Es dürfte heute niemand Verständnis dafür haben, wenn einem Künstler, der fehlte, eher verziehen würde als dem letzten gestrauchelten Volksgenossen. Das Volk fordert vielmehr, daß gerade der Künstler mit seiner verfeinerten Sensibilität und seiner weithin wirkenden Autorität so ehrlich und tapfer seine Pflicht tut, wie jeder seiner unbekannten Kameraden aus anderen Gebieten der Arbeit. Denn gerade Prominenz verpflichtet!" Diese Aussage wurde dem ehemaligen Nazijournalisten Höfer und späteren Moderator des Internationalen Frühschoppens 1962 von der DDR und dann noch einmal 1984 vom Nachrichtenmagazin Der Spiegel vorgehalten, was 1987 zum Ende seiner Fernsehkarriere führte.

Blutorgien mit viel Alkohol

Nach dem 20. Juli 1944 inszenierte das NS-Regime unter Leitung des berüchtigten Präsidenten des Volksgerichtshofs, Roland Freisler im Kammergerichtsgebäude an der Potsdamer Straße eine Serie von Schauprozessen, in deren Ergebnis bis zum 9. April 1945 in Plötzensee mindestens 86 Menschen auf der Guillotine geköpft wurden. Die Henker erhielten zu ihrem Jahresgehalt von 3000 Reichsmark (RM) pro Hingerichteten eine Belohnung erst von 60 beziehungsweise 65 RM, während die Hinterbliebenen für die Kosten für Haft und Exekution aufkommen mussten. Bei den Blutorgien wurde an die Scharfrichter und Wächter reichlich Alkohol ausgeschenkt.

Viele Plötzenseer Bauten wurden im Zweiten Weltkrieg ganz oder teilweise zerstört und nach 1945 abgetragen. Darunter befand sich auch das Haus III, in dem die Verurteilten ihre letzten Stunden verbringen mussten. Der daneben gelegene Hinrichtungsschuppen blieb erhalten. 1951 wurde das Gelände von der übrigen Strafanstalt abgetrennt, um hier eine Gedenkstätte zu schaffen, die im September 1952 eingeweiht wurde. Zur Stiftung Gedenkstätte Deutscher Widerstand gehörend, ist sie ein Ort stille Einkehr. Selbst sonst lärmende Schulklassen werden hier stumm und nachdenklich. Der Hüttigpfad verläuft vom Saatwinkler Damm über den Emmy-Zehden-Weg zu der Gedenkstätte. Die Straße wurde 1950 nach dem in Plötzensee hingerichteten Arbeiter und kommunistischen Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime, Richard Hüttig, benannt. Eine Gedenktafel am Haus Seelingstraße 21 erinnert ebenfalls an ihn.

16. Juni 2017



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