Preußen hat aufgehört zu bestehen
Alliierter Kontrollrat setzte vor 70 Jahren einen Schlussstrich unter die wechselvolle Geschichte des Hohenzollernstaates



Daran, dass Friedrich der Große vor der Generaldirektion der Stiftung Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg im Park von Sanssouci Wache hält, nimmt niemand mehr Anstoß.



NEC SOLI CEDIT lautet die vergoldete Inschrift im Giebelfeld des Neuen Palais im Park von Sanssouci, womit gemeint ist, dass der preußische Adler selbst der Sonne nicht weicht.



Die preußische Pickelhaube wurde über lange Zeit als Sinnbild und Inbegriff preußischer Gesinnung und Obrigkeitshörigkeit angesehen. Die Karikatur aus der Kaiserzeit schildert, dass der Helm auch im Zivilleben präsent war.



Der Kompaniechef trägt seinen "Leuten" auf, die zehn Pfennige Extralöhnung zu Weihnachten nicht für Saufen und "lüderliches Leben" zu verprassen. Karikatur von 1903 aus dem Blatt "Dorfbarbier".



"Ich konstatiere, dass der Angeklagte ein Mann mit vorzüglicher Führung ist. Wohl hat er schon einmal einen Zivilisten mit dem Säbel niedergestochen, doch etwas Ehrenrühriges hat er sich nie zuschulden kommen lassen", stellt der Militärrichter auf der Karikatur aus der Zeit um 1900 klar.



Hinter der Maske Friedrichs des Großen verbirgt sich ein grinsender SA-Mörder. Die Linien zwischen Preußentum, Militarismus und Nationalsozialismus werden es gewesen sein, weshalb die Siegermächte des Zweiten Weltkriegs die Auflösung des Staates befohlen haben. (Fotos/Repros: Caspar)

Am 25. Februar 1947 beschloss der Alliierte Kontrollrat, das oberste Organ der Siegermächte im ehemaligen Deutschen Reich, die Auflösung des Staates Preußen, seiner Zentralregierung und nachgeordneter Organe. Wörtlich heißt es in dem Gesetz: "Der Staat Preußen, der seit jeher Träger des Militarismus und der Reaktion in Deutschland gewesen ist, hat in Wirklichkeit zu bestehen aufgehört. Geleitet von dem Interesse an der Aufrechterhaltung des Friedens und der Sicherheit der Völker und erfüllt von dem Wunsche, die weitere Wiederherstellung des politischen Lebens in Deutschland auf demokratischer Grundlage zu sichern, erlässt der Kontrollrat das folgende Gesetz: Artikel 1 Der Staat Preußen, seine Zentralregierung und alle nachstehenden Behörden werden hiermit aufgelöst." In einem anderen Artikel wird festgelegt: "Staats- und Verwaltungsfunktionen sowie Vermögen und Verbindlichkeiten des früheren Staates Preußen sollen auf die beteiligten Länder übertragen werden, vorbehaltlich etwaiger Abkommen, die sich als notwendig herausstellen sollten und von der Alliierten Kontrollbehörde getroffen werden."

Für die Siegermächte war Preußen die Wurzel allen Übels, so wenigstens formulierte es mitten im Zweiten Weltkrieg der britische Premierminister Winston Churchill. Militarismus, Chauvinismus, Großkapital, Großgrundbesitz, Unterdrückung von Meinungsfreiheit, Antiparlamentarismus, das alles wurde mit "Preußen" in Verbindung gebracht, und tatsächlich stimmte das auch, wenn auch nur zum Teil. Denn die, die Preußen für alles Schlechte, Verbrecherische in der Welt verantwortlich machten, übersahen, dass es auch ein "anderes" Preußen gab und dass Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944 sich auf beste preußische Traditionen beriefen. Aber zwei Jahre nach Kriegsende und auch Jahre später war kein Platz für differenzierte Urteile. Politisches Ziel war es, einer Tradition und einer, wenn man so sagen will, "Haltung" den Garaus zu machen.

Erbmasse auch in den Westzonen

Der Kontrollrat hätte auf das Gesetz eigentlich verzichten können, denn den preußischen Staat gab es de facto auch ohne diesen Rechtsakt nicht mehr. Am 20. Juli 1932, ein halbes Jahr vor Hitlers "Machtergreifung", war die geschäftsführende Regierung Braun (SPD) ihres Amtes enthoben worden. Reichskommissar für Preußen wurde Franz von Papen, der gleichzeitig Reichskanzler war und zu den Steigbügelhaltern Hitlers gehörte und 1933 in sein Kabinett aufgenommen wurde. In der NS-Zeit war Hermann Göring preußischer Ministerpräsident, es gab sogar einen preußischen Staatsrat, in dem Nazifunktionäre, Künstler und Wissenschaftler repräsentative Funktionen ausübten. Doch schon mit dem Gesetz über den Neuaufbau des Reiches aus dem Jahr 1934, durch das die Landesparlamente liquidiert wurden, gingen die Hoheitsrechte der Länder an die Zentrale in Berlin über. Zwar trugen einige Institutionen den Namen Preußen oder preußisch, in Wirklichkeit wurden die Geschicke Deutschlands und damit auch die der Länder durch den Alleinherrscher Adolf Hitler und seine Handlanger bestimmt.

Bereits durch die Potsdamer Konferenz im Sommer 1945 waren die östlichen Landesteile des früheren preußischen Staates jenseits der Oder der Sowjetunion und Polen zugeschlagen worden. Das war mit einer riesigen Aus- und Umsiedlung der dort lebenden Deutschen verbunden, denen Millionen Menschen aus Osteuropa nachrückten. Zum früheren Preußen gehörende Territorien diesseits der Oder sollten, soweit sie nicht direkt der Oberhoheit des Kontrollrats unterstanden, in selbständige Länder umgewandelt beziehungsweise in bereits bestehende eingegliedert werden. Weitere Stücke der preußischen Erbmasse lagen in den Westzonen und gingen in den dort gebildeten Ländern auf. Der Kernbereich des 500 Jahre lang von den Hohenzollern beherrschten brandenburgischen Kurstaates gehörte zur Sowjetischen Besatzungszone, aus denen die Länder Brandenburg und teilweise Sachsen-Anhalt gebildet wurden, während kleinere preußische Gebiete Sachsen und Mecklenburg zugeschlagen wurden. Die vier Sektoren der ehemaligen Reichshauptstadt Berlin gehörten ebenfalls zu dem vor 70 Jahren aufgelösten Staat Preußen.

Mit der Beseitigung der bisherigen Länder 1952 in der DDR und der Bildung der Bezirke wurde der letzte Bezug zum ehemaligen brandenburgisch-preußischen Staat getilgt. Erst die Wiedergründung der Länder 1990 in der noch existierenden DDR wurde der historische Faden aufgenommen, und so stellt sich das Land Brandenburg als das Kernland dar, aus dem das Königreich Preußen vor über 300 Jahren hervorgegangen ist.

Im öffentlichen Bewusstsein existiert Preußen heute eigentlich nur noch durch die Stiftung Preußischer Kulturbesitz und die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg, in denen das in Berlin befindliche museale Erbe beziehungsweise die baulichen und künstlerischen Hinterlassenschaften der Hohenzollern bewahrt werden. Während die Stiftung Preußischer Kulturbesitz als Verwalterin der in Westberlin befindlichen Kunstschätze eine Einrichtung der Länder der Bundesrepublik Deutschland gegründet wurde, hießen die Parallelinstitutionen in Ostberlin Staatliche Museen zu Berlin sowie Deutsche Staatsbibliothek, in Potsdam kümmerten sich die Staatlichen Schlösser und Gärten Potsdam-Sanssouci um die Residenzen der Hohenzollern. Die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, bis 1990 Akademie der Wissenschaften der DDR genannt, trägt, ein wenig verschämt, den Zusatz "vormals Preußische Akademie der Wissenschaften".

Ein Denkmalsturm ging durch das Land

Die 1947 angeordnete Zerschlagung des nicht mehr existierenden preußischen Staates hatte auch praktische Folgen. Denn der Kontrollrat befahl den deutschen Behörden, Denkmäler und Symbole zu beseitigen, die als militaristisch und faschistisch eingestuft wurden. Natürlich waren bereits 1945 Hitlerbilder und Hakenkreuze entfernt und Straßen umbenannt worden. Jetzt ging es Herrschermonumenten und Kriegerdenkmälern an den Kragen. Während in Berlin die stark zerschossene Siegesallee abgebaut und sicherheitshalber im Garten des Schlosses Bellevue vergraben wurde, drangen die Franzosen darauf, auch die Siegessäule wegen ihrer stark gegen das 1871 im deutsch-französischen Krieg unterlegene Frankreich gerichteten Kriegspropaganda zu beseitigen. Das gelang nicht, wohl aber wurden die anstößige Sockelreliefs nach Frankreich als Kriegsbeute mitgenommen und erst Jahrzehnte später an den Westberliner Senat zurück gegeben. Eingeschmolzen wurden in Ostberlin das Nationaldenkmal Kaiser Wilhelms I. und andere Herrschermonumente.

Die Sprengung des Hohenzollernschlosses 1950 und der Potsdamer Garnisonkirche 1968 war nicht der einzige Racheakt an Preußen, denn es folgten noch manche andere politisch motivierte Enttrümmerungen und Bilderstürme. Indem 1980 SED- und Staatschef Honecker die Rückkehr das Reiterdenkmal des "Alten Fritzen" auf die Straße Unter den Linden gestattete, setzte in der DDR eine viel beachtete Preußenrenaissance ein, die das "andere Preußen" für die Zwecke der SED zu instrumentalisieren versuchte. Politisches Ziel war es auf der einen Seite, einer unliebsamen Tradition preußische Tugenden zum Nutzen des Arbeiter-und-Bauern-Staates gegenüber zu stellen und das "bessere Preußen" aus der Versenkung zu heben. Der Effekt dieser Mühen hielt sich, wie man weiß, in Grenzen.

6. März 2017



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