Mit den "Entarteten" ließen sich gute Geschäfte machen
Die dunkle Seite von Kulturbetrieb und Kunstraub im NS-Staat wird Stück für Stück aufgearbeitet



Hitler und seine blutbesudelten Helfer und Kunsträuber werden mit diesem nach 1945 gefertigten Ausschneidebogen der Lächerlichkeit preisgegeben.



In der Berliner Topographie des Terrors wird neben anderen Themen auch das der "Arisierung" behandelt, im Bild rechts sind Annoncen des Versteigerungshauses Leo Spick zu lesen.



In einer vornehmen Villa an der Tiergartenstraße brachte der Kunsthändler Leo Spik unter dem Namen Versteigerungshaus Union "nichtarische" Kunstsammlungen und ganze Wohnungseinrichtungen unter den Hammer. Die Firma gibt es bis heute in Berlin.



Kostbare Gemälde der Moderne haben die Nazis ins Berliner Schloss Schönhausen geschafft, um sie für Devisen im Ausland zu verscherbeln.



Was jüdischen Kunsthändlern in der Nazizeit angetan wurde, wer von der Arisierung profitierte und welche Wege gestohlene Bücher genommen haben, wurde der Neuen Synagoge Centrum Judaicum an der Oranienburger Straße in Berlin in Bild und Schrift dokumentiert.



In Berlin konnte man nach der Rückgabe durch die Sowjetunion im Jahr 1956 wieder den Pergamonaltar, Schätze der Antikensammlung und viele andere Kostbarkeiten bewundern. (Fotos/Repros: Caspar)

Obwohl die Kunst der Moderne in der Zeit des Nationalsozialismus als "entartet" auf dem Index stand und ihre Vertreter mit Berufsverbot belegt und verfolgt wurden, ließ sich mit derart verunglimpften Bildern, Skulpturen und anderen Kunstwerken prima verdienen. Seit Jahrzehnten gab es in Berlin eine florierende Kunsthandelsszene, ja die Reichshauptstadt war, was zeitgenössische Kunst betraf, ein Mekka von Händlern und Sammlern und eine internationale Drehscheibe. Eine Ausstellung in der Neuen Synagoge Centrum Judaicum an der Oranienburger Straße hat am Beispiel von 14 Kunsthandlungen gezeigt, wie die NS-Führung nach 1933 auf diese Branche Einfluss nahm und deren jüdische Vertreter zur Aufgabe ihrer Galerien zwang. Wer von ihnen Glück hatte, ging unter Zurücklassung seines Besitzes und seiner Bestände ins Ausland, andere kamen in den Vernichtungslagern ums Leben.

Auf der anderen Seite gab es clevere Kunsthändler, die vom Schicksal ihrer verfemten Kollegen und ganz allgemein von der Judenverfolgung profitierten und dabei prächtig verdienten. Zu ihnen gehörten die Kunsthändler Bernhard A. Böhmer und Karl Haberstock, die Hauptlieferanten für die Sammlungen von Hitler und anderer führender Nazis waren und in der Ausstellung als Männer mit zwei Gesichtern und Hang zum Luxus erscheinen, wie weitere Vertreter der Branche auch. Ein anderer auf diesem Gebiet unentwegter Händler war Leo Spik, dessen Umsätze durch Versteigerung von kompletten Villen- und Wohnungseinrichtungen, Kunstsammlungen und Nachlässen "nichtarischer Herkunft" in die hunderttausende Reichsmark gingen. Als ob nichts gewesen ist. Nach dem Krieg nachte er im damaligen Westberlin unverdrossen weiter. Bis heute befindet sich das Berliner Unternehmen in Familienbesitz.

Plünderung jüdischer Galerien und Sammlungen

Die Ausstellung zeigte, wer an welchen Standorten in Berlin dem Fiskus erhebliche Summen in Reichsmark sowie Devisen durch den Verkauf von Gemälden und Skulpturen, ganz gleich ob verfemt oder nicht, aber auch von Silbersachen, Porzellan, Gobelins, Möbeln, Münzen und Medaillen und vielen anderen Antiquitäten verschaffte. Dargestellt wurden darüber hinaus Verdrängungsprozesse in der Berliner Kunstszene. Die Dokumentation zeigte ferner, wie durch wertvolle Geschenke eine Art "Landschaftspflege" zwischen Kunsthändlern und Nazi-Funktionären betrieben wurde.

Nicht in der Ausstellung, dafür aber im Begleitbuch wurde dargelegt, dass auch Berliner Münzhändler von den "Marktveränderungen" betroffen war, wie Berichterstatter Patrick Golenia zu Beginn seines Beitrags schreibt. Im Unterschied zu Gemälden und Skulpturen gebe es bei Grafiken sowie Münzen und Medaillen Schwierigkeiten bei der Wiedererkennung. Daher habe die Provenienzforschung den meist in Serie gefertigten Münzen und Medaillen wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Außerhalb der numismatischen Fachwelt habe dieses Thema bislang nicht im Fokus einer Untersuchung gestanden. In dem Aufsatz wird an vier Berliner Münzhändler und Münzhandlungen erinnert, und zwar Erich Rappaport (1877-1943), Felix Schlessinger (1879-?), Johanna Grünthal von der Firma Robert Ball Nachf. (Lebensdaten nicht bekannt) und Waldemar Wruck (1902-1971).

Golenia erinnert daran, dass sich im Kaiserreich in Berlin diverse Münzhändler etabliert hatten, "die ihre Geschäfte erfolgreich bis zum Erliegen des Marktes im Zweiten Weltkrieg führten". Positiv hätten sich die Nähe zum Münzkabinett, aber auch die Zusammenarbeit mit der 1843 gegründeten Berliner Numismatischen Gesellschaft ausgewirkt. Während des Nationalsozialismus mussten zahlreiche Mitglieder diese Gesellschaft aufgrund der Nürnberger Rassengesetze verlassen. Erich Rappaport unterstrich im Oktober 1935 in seiner Austrittserklärung, das geschehe "nicht ganz freiwillig, sondern weil ich glaube, der jetzigen Zeitströmung Rechnung tragen zu müssen".

Über die Schilderung des Schicksals der erwähnten Münzhändler und Firmen hinaus wäre es wünschenswert zu erfahren, ob zwischen 1933 und 1945 unsere großen Kabinette und Museen von der Ausplünderung jüdischer Münzsammler und -händler profitiert haben und woher die aus "Reichsbesitz" stammenden Münzen und Medaillen stammen, die bis in die Zeit des Zweiten Weltkriegszeit hinein versteigert wurden, und wer sie bekam. In entsprechenden Zugangsbüchern müssten sich noch Hinweise finden lassen. Da Münzen und Medaillen in der Regel keine konkreten Aussagen über ihre Besitzer zulassen, wird man nur ausnahmsweise und wenn es sich um ganz besondere, in der Fachliteratur beschriebene und abgebildete Raritäten handelt einen solchen Nachweis führen können. Um das Andenken an die verfolgten und ermordeten Vorbesitzer zu ehren, wäre diese Mühe aber wünschenswert. Wie aus dem Berliner Münzkabinett verlautet, hat es dort keine Zugänge dubioser Art gegeben.

Wie aus dem Bundesfinanzministerium verlautet, soll analog zum Auswärtigen Amt die Geschichte der nationalsozialistischen Finanzverwaltung aufgearbeitet und dargestellt werden. Die Machenschaften im Bereich des Kunsthandels und der Nutzen, den der Staat, aber auch Museen und Privatpersonen von der Plünderung jüdischer Galerien und Sammlungen hatten, werden darin eine nicht unerhebliche Rolle spielen und spielen müssen. Um welche Objekte und Beträge es sich handelte, schildern die Ausstellung und das Buch dazu Wie aus dem Bundesfinanzministerium verlautet, soll analog zum Auswärtigen Amt die Geschichte der nationalsozialistischen Finanzverwaltung aufgearbeitet und dargestellt werden. Die Machenschaften im Bereich des Kunsthandels und der Nutzen, den der Staat, aber auch Museen und Sammler von der Plünderung jüdischer Galerien und Sammlungen hatten, werden darin eine nicht unerhebliche Rolle spielen.

Manches konnte wieder zurückkehren

Die Zentral- und Landesbibliothek und das Centrum Judaicum zeigten ebenfalls in der Neuen Synagoge unter dem Titel "Geraubt und genutzt" Bücher aus jüdischem Besitz, die von den Nationalsozialisten gestohlen und enteignet wurden. Unzählige Bücher blieben im Deutschen Reich und den von der Wehrmacht besetzten Ländern in Wohnungen deportierter und ermordeter Juden zurück. Wie Möbel, Kleidung, Hausrat und andere Gegenstände wurden die Bücher beschlagnahmt und verwertet, wie man damals sagte, oftmals auch verbrannt, weil man aus ihnen kein Geld herausschlagen konnte. Das gleiche Schicksal erlitten komplette Bibliotheken verbotener Parteien, Gewerkschaften, Logen und Vereine.

Profiteure der groß angelegten Raubzüge waren deutsche Bibliotheken, die sich die Bestände wie selbstverständlich einverleibten und über sie in den folgenden Jahrzehnten den Mantel des Schweigens breiteten. In mühevoller Sucharbeit konnte in Berliner Bibliotheken und anderen Sammlungen ermittelt werden, wem solche Bücher gehörten und wo die Nachkommen der ursprünglichen Besitzer wohnen, die überglücklich die Erinnerungsstücke entgegen nahmen. Die Zuordnung war aufgrund von Exlibris sowie handschriftlichen Vermerken und einer den ganzen Globus umfassenden Sucharbeit möglich. Zugleich zeigt die Ausstellung, dass das erst vor einigen Jahren aktuell gewordene Thema NS-Raubgut weit mehr umfasst als spektakuläre Fälle von berühmten Gemälden, die oftmals erst nach gerichtlichen Auseinandersetzungen an ihre rechtmäßigen Besitzer beziehungsweise deren Nachkommen zurück gegeben wurden. Da das Thema noch lange nicht erforscht und ausgeleuchtet ist, erhofften sich die Aussteller von ihrer Dokumentation, dass weitere von den Nazis geraubte Bücher und andere Kulturgüter ans Tageslicht kommen und an ihre rechtmäßigen Besitzer zurück kehren können.

Eine parallel laufende Ausstellung ein paar Schritte weiter ebenfalls in der Neuen Synagoge zeigte unter dem Titel "...auf dem Dienstweg", wie unmittelbar nach Hitlers "Machtergreifung" in Berlin der öffentliche Dienst von Personen gesäubert wurde, die nicht ins politische und rassistische Konzept der Nationalsozialisten passten. Zu den zwangspensionierten Männern und Frauen gehörten hohe Verwaltungsbeamte ebenso wie kleine Angestellte. Betroffen vom so genannten Arierparagraphen und politischer Diskriminierung waren Professoren, Polizisten und Pförtner, aber auch Lehrer und Bibliothekare und viele andere Berufe. Viele von ihnen standen vor dem Aus, hatten kein Einkommen mehr und waren von tagtäglichen Schikanen und wachsender Ausgrenzung betroffen. Manchen gelang die Flucht, viele resignierten und nahmen sich das Leben. Die Ausstellung zeigte überdies eine besonders widerliche Seite der Deklassierung unzähliger Menschen durch Denunziation, nachzulesen auf Briefen an Hitler, die Gestapo und an andere Stellen, und wie sich stramme Parteigenossen auf leer gewordenen Posten breit machten.

Der Menschheit bewahrt

Gleich nach Beginn des Zweiten Weltkriegs wurden die Berliner Museen geschlossen, doch erst Anfang 1945 ließ Hitler Gemälde, Skulpturen und weitere Kostbarkeiten aus der zerbombten und umkämpften und Reichshauptstadt evakuieren und in Bergwerken und abgelegenen Depots unterbringen. Die Rote Armee sowie die US-Army nahmen nach Kriegsende alles als "Beutekunst" mit, was ihren Kunstfahndern in die Hand fiel. In den 1950-er Jahren erhielten die DDR unter dem Motto "Der Menschheit bewahrt" sowie die Bundesrepublik Deutschland die meisten Objekte zurück. Doch blieb vieles in Moskau und Leningrad zurück, und die damaligen sowjetischen Behörden waren nicht bereit, sich näher über das Schicksal dieses nicht unbedeutenden Restes zu äußern. Als Argument führten sie die unermesslichen Schäden an, die der Sowjetunion und ihrem Kultur- und Kunstbesitz nach dem Überfall der Wehrmacht am 22. Juni 1941 zugefügt wurde, und erklärten, dass bestimmte Kunstschätze und Buchbestände als Kompensation für erlittene Verluste einbehalten werden.

Gemeinsame Forschungsarbeiten von deutschen und russischen Museologen haben in den vergangenen Jahrzehnten Licht in das Dunkel gebracht und gezeigt, in welchen russischen Museen welche Bestände lagern und was noch auf seine Wiederentdeckung wartet. Ein bekanntes Beispiel dafür ist der lange als verloren geglaubte Goldschatz des Priamos, den Heinrich Schliemann Ende des 19. Jahrhunderts entdeckt hatte. In den 1990-er Jahren stellte die Duma, das oberste Parlament der Russischen Föderation, fest, dass ehemals in deutschem Staatsbesitz befindliche Gemälde, Skulpturen, Büchner und andere Objekte russischer Besitz sind, während die Rückgabe von früher im Besitz von deutschen Privatpersonen, Stiftungen und Kirchengemeinden befindlicher Kunst- und Kulturgüter möglich sein soll. Jenseits dieser Regelungen hat sich zwischen beiden Ländern im Zusammenhang mit dem Deutsch-Russischen Museumsdialog eine erfreuliche Beziehung entwickelt. Es zeigte sich, dass nicht alle deutschen Kulturgüter von Stalins Trophäenjägern mitgenommen wurde, sondern manches "privat" geplündert wurde oder durch Brand vernichtet wurde. Das nährt die Hoffnung, dass das eine oder andere Stück irgendwann wieder auftaucht, wie einige Fälle später Wiederentdeckung zeigen.

1. September 2017

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