"Was damals Recht war ..."
Ausstellung in der Topographie des Terrors über Bluturteile der NS-Militärjustiz



Die bis 17. April laufende Sonderausstellung in der Topographie des Terrors schildert Schicksale von Menschen, die in die Mühlen der NS-Militärjustiz gerieten und vielfach darin umkamen.



Bis zum bitteren Ende exekutierten die NS-Militärjustiz und ihre Helfer unbarmherzig das, was Hitler schon in "Mein Kampf" verlangt hatte, nämlich den Vollzug drakonischer Strafen an Deserteuren, Kriegsdienst- und Befehlsverweigerern und anderen Menschen, den Kriegskurs ihres Anführers nicht mehr mitmachen wollten.





Die Tafeln auf dem Jüdischen Friedhof an der Schönhauser Allee in Berlin und an einer Mauer im Bahnhof Friedrichstraße erinnern an Soldaten, die kurz vor Kriegende noch von der SS ermordet wurden.



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An das Wüten der NS-Militärjustiz erinnert die Tafel vor dem ehemaligen Reichskriegsgericht an der Witzlebenstraße 4-10. In dem Gebäude aus der Kaiserzeit wurden vor ein paar Jahren Luxuswohnungen eingerichtet. In den Zaun montiert ist eine Bronzetafel zum Gedenken an den katholischen Landwirt und österreichischen Pazifisten Franz Jägerstätter montiert, der 1943 hier wegen Kriegsdienstverweigerung zum Tode verurteilt im Zuchthaus Brandenburg hingerichtet wurde. (Fotos: Caspar)

Bis zum 17. April 2017 wird in der Topographie des Terrors an der Wilhelmstraße in Berlin eine Sonderaustellung über ein besonders dunkles Kapitel der deutschen Justizgeschichte gezeigt. Der Titel der Dokumentation greift ein Zitat des ehemaligen NS-Marinerichters und späteren Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, Hans Filbinger, auf, wonach das, was "damals" Recht war, heute nicht unrecht sein kann. Der 1978 nach heftigen Protesten über seine uneinsichtige Haltung gegenüber seiner Arbeit in der NS-Militärjustiz und seine Beteiligung an Bluturteilen zum Rücktritt gezwungene CDU-Politiker meinte, er und seine Kollegen hätten nichts anderes getan, als Justitia zu ihrem Recht zu verhelfen, indem sie ohne Ansehen der Person Fahnenflüchtige, Drückeberger, Diebe und Verräter ihrer gerechten Strafe zuführten.

Gemäß ihrem gesetzlichen Auftrag, auch nicht-jüdischer Opfer des Nationalsozialismus zu gedenken, zeigt die Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Kooperation mit der Stiftung Sächsische Gedenkstätten, der Gedenkstätte Deutscher Widerstand und der Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz e. V. in der Topographie des Terrors, wer die Menschen waren, die in die Fänge der Militärjustiz gerieten, was aus ihnen wurde und welche Anstrengungen Überlebende unternahmen, um ihre Rehabilitierung zu erreichen. Diese wurde erst zwischen 2002 und 2009 gewährt. Während NS-Blutrichter und weitere Schreibtischtäter vielfach nach dem Ende der Hitlerdiktatur in der Bundesrepublik Deutschland Karriere machten, als sei nichts geschehen, oder satte Pensionen bekamen, wenn sie aus dem aktiven Berufsleben ausgeschieden waren, mussten ihre Opfer, sofern sie überhaupt mit bleibenden gesundheitlichen und psychischen Schäden den Naziterror überstanden hatten, und deren Familien um Entschädigungen und Renten kämpfen. Vielfach wurden ihnen diese, so zeigt die Ausstellung, mit fadenscheinigen und sogar beleidigenden Begründungen vorenthalten.

Im Zentrum der Präsentation stehen vor die Gerichte gezerrte Menschen, die sich dem Kriegsdienst verweigert hatten, die desertiert waren oder/und sich despektierlich über das militärische Können des Oberbefehlshabers Hitler und das seiner Generale geäußert hatten und deswegen denunziert worden waren. Zur Verhandlung standen aber auch ganz banale Fälle wie der eines hungernden Soldaten, der beim Stehlen von ein paar Lebensmitteln beobachtet und von den eigenen Kameraden angezeigt worden war. Gleich zu Beginn der Ausstellung wird der Tod eines U-Boot-Kommandanten geschildert, dessen Position ein anderer Offizier einnehmen wollte. Wegen missliebiger Äußerungen in die Mühlen der Justiz geraten, musste der Mann sein Leben lassen.

Nicht nur als Deserteure, Defätisten und Volksverräter denunzierte Menschen erlitten die Todesstrafe, sondern auch Angehörigen des Widerstandes im Deutschen Reich und den von der Wehrmacht besetzten Ländern. Insgesamt wurden mindestens 22 000 Menschen hingerichtet, unzählige andere starben in Lagern oder in Strafeinheiten. Eine große Karte zeigt die Orte, an denen die Verurteilen erschossen, erhängt und geköpft wurden. In Berlin war die Murellenschlucht unweit des Olympiastadions der Ort, an dem zahlreiche Todesurteile vollstreckt wurden.

Ein anderer Ort des Schreckens war das Fort Zinna in Torgau, das zwischen 1936 bis 1939 zum größten und modernsten Gefängnis der Wehrmacht ausgebaut wurde. Hier warteten zahlreiche Wehrdienst- und Befehlsverweigerer, Deserteure sowie der Wehrkraftzersetzung, Feindbegünstigung und Spionage angeklagte Militärangehörige, aber auch ganz gewöhnliche Kriminelle auf ihre letzte Stunde. Unter den Insassen befanden sich außerdem Kriegsgefangene und Angehörige des deutschen und europäischen Widerstandes gegen das NS-Regime sowie in die Wehrmacht zwangsrekrutierte ausländische Staatsbürger, die sich weigerten, ihre Haut für das Deutsche Reich zum Markt zu tragen. Bedeutung für das Wehrmachtstrafsystem erlangte Torgau auch deshalb, wie das Oberkommando des Heeres, Fort Zinna eine Überprüfungsstelle für Verurteilte einrichtete, die sich an besonders gefährlichen Stellen der Front bewähren sollten.

Zum Schluss nimmt die Ausstellung die Ausgrenzung und Nichtachtung überlebender Justizopfer in den deutschen Nachkriegsstaaten in den Blick und zeigt, welcher Mühen es bedurfte, bis an verschiedenen Stellen in unserem Land ehrende Denkmäler für die Opfer der Militärjustiz errichtet wurden. Wenn man sich in die Details vertieft, kann man auch einem Henker mit Zylinderhut auf dem Kopf in die Augen schauen, auf dessen Konto zahllose Exekutionen auf dem Fallbeil gehen, das gleich neben dem Bild des Mannes angebracht ist.

27. März 2017

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