"Der du reisest, sei auf der Hut"
Wer vor 200 Jahren auf Schusters Rappen oder in Kutschen unterwegs war, lebte gefährlich



Wer auf Reisen ging, musste sich auf Straßenräuber gefasst machen. Wer nicht sofort ausgeplündert oder umgebracht wurde, musste so lange in einem Verlies schmachten, bis er ausgelöst wurde. Der Holzschnitt von 1522 zeigt, wie es bei einem solchen bewaffneten Überfall zuging.



In der Postkutsche bei gutem Wetter zu sitzen und sich an der Landschaft zu erfreuen, mag in der Biedermeierzeit angenehm und erstrebenswert gewesen sein, doch gab es auch eine ziemlich trübe Kehrseite dieses Reisevergnügens.



Oft nutzte es nicht, Straßenräuber um Gnade zu bitten, wie man auf dieser farbigen Grafik sieht. Da man keine Zeugen und Kläger haben wollte, wurden diese von den Verbrecherbanden oftmals umgebracht.



Mit Waffengewalt setzen sich auf dem Kupferstich von Daniel Chodowiecki Kutscher und Reisende gegen Wegelagerer zur Wehr.



Wer solchen Typen in die Hände fiel, hatte nichts zu lachen. In der Bevölkerung genossen manche dieser "Galgenvögel" Sympathie und klammheimliche Unterstützung. (Repros: Caspar)

Wer vor 200 Jahren auf Reisen ging, musste sich auf einiges gefasst machen. Gut war beraten, wer vor längeren Unternehmungen sein Testament machte, sein Geld in der Kleidung versteckte, Schusswaffen, Knüppel und Messer bereit hielt und sich mit Arznei, Verbandszeug und einer eisernen Lebensmittelration eindeckte, um gefährliche Situationen zu überstehen. Denn das Reisen war, bevor es die Eisenbahn gab, gefährlich, ganz gleich ob man Strecken auf "Schusters Rappen", also zu Fuß, zurücklegen musste oder dies hoch zu Ross oder mit der Postkutsche tat. Das galt natürlich für Normalbürger wie Handelsleute oder Handwerker auf Wanderschaft. Gehörte man zur adligen Oberschicht oder war gar ein Landesfürst, dann bewegte sich ein langer Zug von Kutschen von einem Schloss zum anderen, begleitet von berittenen Eskorten, die für die Sicherheit der Herrschaften sorgten. Zwar wurden Reisenden in diplomatischer Mission und Kurieren Schutzbriefe ausgestellt, ebenso erfreuten sich Postreiter obrigkeitlicher Fürsorge. Doch wenn sie von Räubern angegriffen wurden, nutzten solche Vorkehrungen wenig, da hieß es "Geld oder Leben", und oft genug gab es Tote und Verletzte.

Auf Reisen ging man nur, wenn man unbedingt musste. Denn das Reisen war eine teure Angelegenheit, kostete viele harte Taler und zog sich, da man entweder wanderte oder mit Pferdekräften vorankam, ewig hin. Das hatte zwar den Vorteil, dass man einiges von der Natur und der "Gegend" sah und mit Fremden ins Gespräch, aber Unsicherheit und Angst überwogen häufig den Genuss, der durch verschlammte Straßen und verlauste Herbergen getrübt wurde.

Skeptischer Realismus

Nur wenige Leute, etwa Staatsangestellte, aber auch Gelehrte, Maler und Architekten, konnten sich den Luxus des Reisens leisten, um sich zu bilden oder Sehenswürdigkeiten in fernen Ländern zu besuchen. Oft wurden sie von reichen Auftraggebern in die Ferne geschickt, etwa um eine bestimmte Bauweise zu studieren oder Kunstwerke für heimische Sammlungen zu kaufen. Touristen, die in Windeseile von einer Ecke der Welt in die andere jetten und nach der Rückkehr kaum noch wissen, was sie gesehen haben, kannte man vor zwei Jahrhunderten noch nicht. Üblich war es damals, Reisetagebücher zu führen, und manchmal wurden diese in der Heimat zu spannenden Büchern verarbeitet. Ihnen können wir entnehmen, dass es auf den Straßen und in Gasthöfen alles andere als gemütlich war.

Johann Wolfgang von Goethe, der mit der Kutsche oder zu Pferd viel auf Reisen war, wobei ihn die längste nach Italien führte, fasste seine Eindrücke 1799 gegenüber seinem Dichterkollegen Friedrich Schiller mit den Worten zusammen "Für einen Reisenden geziemt sich ein skeptischer Realismus". Was nicht anderes bedeutete als sich ohne Illusionen auf ein großes Abenteuer einzulassen. Denn das durch Gemälde und Grafiken vermittelte Bild des gemächlichen Reisens in schöner Landschaft und der freundlichen Aufnahme in sauberen Gasthöfen trügt. Reisekultur war in der Goethezeit noch unterentwickelt. Sie vollzog sich hauptsächlich als Anhängsel des Postwesens. Postwagen nahmen Reisende mit, doch meist waren die mit zwei oder mehr Pferden bespannten Fuhrwerke überfüllt, und da kam es häufig vor, dass Räder und Achsen brachen. Wenn wir uns heute über löchrige, ungepflegte Straßen aufregen - vor 200 Jahren waren sie an der Tagesordnung. Gepflasterte Straßen und sichere Brücken waren die Ausnahme, meist musste man sich mit aufgeweichten Wegen und gefährlichen Saumpfaden abfinden. Einmal nicht aufgepasst und schon lag man im Schlamm oder, noch schlimmer, in einem Abgrund.

Ein besonderes Kapitel waren die an Straßen lauernden Räuberbanden. Die Zusammenrottungen von "liederlichem Gesindel", wie es in Steckbriefen hieß, machten das Reisen bisweilen zu einem Horrortrip Die Obrigkeit hatte ihnen wenig entgegen zu setzen, denn das Militär kämpfte auf Schlachtfeldern oder wurde auf Exerzierplätzen gedrillt. Erst wenn das Räuberunwesen überhand nahm, rückte es aus - und wurde nur selten fündig. Wenn man Straßenräuber geschnappt hat, hagelte es hohe Strafen - Gefängnis, Zuchthaus und manchmal auch "Kopf ab".

Brutale Überfälle und unbarmherzige Rache

Allgemeine Verarmung, Missernten, Hungersnöte, Seuchen bildeten die Basis solch organisierter Bandenkriminalität. Ehemalige Leibeigene, arbeitslose Städter, entwurzelte und heimatlose Landstreicher oft mit weiblichem Anhang machten oft unter Führung entlaufener Soldaten die Landstraßen unsicher, überfielen Dörfer und Städte. Die berühmteste Räuberbande wurde von einem gewissen Johannes Bückler angeführt, genannt Schinderhannes. Dem Wegelagerer, dem Carl Zuckmayer 1927 ein literarisches Denkmal setzte, machte um 1800 die Rheingegend und den Hundsrück unsicher. In Thüringen und Franken erwarb "Krummfinger Balthasar" mit seinen Spießgesellen traurige Berühmtheit, und die Bande des Jakob Reinhardt, genannt "Hannickel", versetzte fast 20 Jahre lang den Elsass, die Pfalz und Teile der Schweiz durch brutale Überfälle auf Reisende wie auf Dorfbewohner und Städter in Angst und Schrecken. Schinderhannes und seine Kumpane tauchten wie aus dem Nebel auf und verschwanden wieder, wenn sie ihre Beute unter sich verteilt hatten, um bald darauf einen neuen Coup zu starten. Nachdem der erst 25jährige Straßenräuber gefasst war, übte die Justiz blutige Rache. Er wurde 1802 in Mainz unter großer öffentlicher Anteilnahme durch die Guillotine enthauptet.

Sicherheit kam in das Reisen langsam mit der Eisenbahn, sie war sogar für Leute erschwinglich, die sonst nur zu Fuß unterwegs waren. Nach der Eröffnungsfahrt 1835 auf der Ludwigsbahn zwischen Nürnberg und Fürth war kein Halten mehr. Doch wurden anfangs nur große Städte und Handelsmetropolen sowie fürstliche Residenzen untereinander durch Schienenstränge verbunden. Solange das Schienennetz nicht ausgebaut war und nur vereinzelt Eisenbahnen durch die Gegend schnauften, war der aus uralten Zeiten übernommene Rat "Der du reisest, sei auf der Hut".

14. Juni 2017

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