"Ermordet, weil sie sich empört hatten"
Mitglieder der Weißen Rose und der Roten Kapelle mussten sterben, weil sie den Sturz des Naziregimes forderten



Die Gruppe "Weiße Rose", der sich auch Sophie, die Schwester von Hans Scholl (Mitte), und weitere Regimekritiker angeschlossen hatte, wurde bei der Verteilung der Aufrufe zur Beseitigung der Hitler-Tyrannei im Lichthof der Münchner Universität beobachtet, verraten und ermordet.



Ein Relief an einer Brücke gegenüber dem Berliner U-Bahnhof Schönhauser Allee zeigt, wie Widerstandskämpfer Flugblätter in einer illegalen Druckerei herstellen.



Ein Denkmal von Achim Kühn aus dem Jahr 2010 an der Schulze-Boysen-Straße 12 in Berlin-Lichtenberg erinnert an die Widerstandsorganisation Rote Kapelle, die in der DDR großes Ansehen genoss und in der Bundesrepublik Deutschland für eine Spionageorganisation gehalten wurde, die "zu Recht" ausgeschaltet wurde, weil für Stalin gearbeitet hatte.



Das Straßenschild und der Name eines Platzes am Berliner S-Bahnhof Südkreuz erinnert an die Gräfin Erika von Brockdorff, die die Rote Kapelle unterstützte und 1943 dafür ihr Leben lassen musste.



Die Inschrift über dem Fenster zitiert Harro Schulze-Boysen mit den Worten "Wenn wir auch sterben sollen, So wissen wir: Die Saat Geht auf. Wenn die Köpfe rollen, dann Zwingt doch der Geist den Staat. Glaubt mit mir an die gerechte Zeit, die alles reifen lässt." Die kleine Gedenkstätte befindet sich an einer Mauer des früheren Reichsluftfahrtministeriums (heute Bundesfinanzministeriums an der Leipziger/Wilhelmstraße) gegenüber der Topographie des Terrors in Berlin.



Am Weißen See im gleichnamigen Berliner Bezirk steht dieses für den antifaschistischen Heldenkult charakteristische Denkmal. (Fotos/Repros: Caspar)

Vor der Errichtung der NS-Diktatur waren Kommunisten und Sozialdemokraten unentrinnbar zerstritten und zum gemeinsamen Widerstand gegen die braune Gefahr unfähig. Erst nach und nach kam ab 1933 die Aktionseinheit zustande, doch war es für den Sturz des Hitlerregimes aus dem Untergrund heraus schon zu spät. Zu den ersten Opfern des Naziterrors gehörten Kommunisten, Sozialdemokraten, Gewerkschafter, Juden sowie Künstler, Wissenschaftler, Schriftsteller, Journalisten und andere Personen, die sich schon vor 1933 verdächtig gemacht hatten und nun ungeschützt massivem Terror ausgesetzt waren. Geistliche, die gegen die neue Gottlosigkeit wetterten, wurden ebenfalls drangsaliert, mit Predigtverbot belegt, angeklagt, verurteilt und in vielen Fällen auch ermordet.

Ende Juni 1942 verschickten die Münchner Studenten Alexander Schmorell und Hans Scholl mit der Post Flugblätter an Intellektuelle in München und seiner Umgebung mit der Aufforderung, sich für die Beendigung des Krieges einzusetzen. Die bitteren Erfahrungen, die die Verfasser und ihre Freunde an der Ostfront gewonnen hatten sowie der Kriegsverlauf verstärkten ihre Überzeugung, dass der Sieg nicht mehr errungen werden kann. Die mit "Weiße Rose" unterzeichneten Aufrufe und weitere in der Münchner Universität verbreitete Flugblätter blieben der Gestapo nicht verborgen. Die auf tausenden hektographierten Blättern erhobene Forderung, die nationalsozialistischen Gräuel nicht mehr mitzumachen, und der Appell an die Bevölkerung, das Regime zu stürzen, beunruhigte die NS-Führung. Hitlers Geheimpolizei suchte fieberhaft nach den Verfassern und Verteilern. Nachdem sie verraten worden waren, konnte Hitlers Blutjustiz in Aktion treten.

Tod unterm Fallbeil und am Fleischerhaken

Am 18. Februar 1943 verhaftet, wurden die Geschwister Scholl vier Tage später vor den Volksgerichtshof gestellt und von dessen Präsidenten Roland Freisler wegen so genannter Wehrkraftzersetzung, Feindbegünstigung und Vorbereitung zum Hochverrat zum Tod verurteilt. Die Vollstreckung durch das Fallbeil fand unmittelbar darauf statt. Bundespräsident Joachim Gauck würdigte Sophie Scholl und ihre Freunde in einer Gedenkrede am 30. Januar 2013 anlässlich des 70. Jahrestages der Hinrichtung und erklärte: "Ermordet, weil sie hingeschaut, sich empört und gehandelt haben, weil sie Verbrecher Verbrecher nannten, Morde - Morde und Feigheit - Feigheit. Sie machten das Unrecht öffentlich - mit ihren bescheidenen Mitteln. Weil sie auch andere dazu bewegen wollten, hinzusehen und nicht mehr zu schweigen. ,Einer muss ja doch mal schließlich damit anfangen': In diesen Worten stecken die ganze Verzweiflung und Einsamkeit, aber auch die ganze Hoffnung und der Mut der jungen Frau und ihrer Mitstreiter. Und darin steckt zugleich so viel, was uns heute noch anspricht, was uns anspornen kann, wohl auch beunruhigen muss."

Zwar wurden Widerstandsgruppen von der Gestapo systematisch aufgespürt und zerschlagen, doch bildeten sich immer wieder neue. In der Berliner Gruppe "Neu Beginnen" standen Kommunisten und Sozialdemokraten, die sich vor 1933 gegenseitig als Sozialfaschisten beziehungsweise rot lackierte Nazis diffamiert hatten, gegen den gemeinsamen Feind zusammen. Die bis 500 Mitglieder umfassende Organisation baute im Untergrund ein Netz von Verbindungen zu anderen Widerstandsgruppen auf, so zum Bund der religiösen Sozialisten in Deutschland und zu antifaschistischen Exilkreisen. Erst 1941 gelang es der Gestapo, die Gruppe "Neu Beginnen", die im Nazijargon "Rote Kapelle" hieß und unter diesem Namen auch heute bekannt ist, zu zerschlagen. Sie hatte sich unter anderem gegen die Propagandaausstellung "Das Sowjetparadies" gewandt. Ihre Mitglieder wurden in Plötzensee durch Erhängen hingerichtet. Hitler ließ in dem Hinrichtungsraum eine Eisenschiene mit Fleischerhaken anbringen, an denen Rudolf von Scheliha, Harro Schulze-Boysen, Arvid Harnack, Kurt Schumacher und John Graudenz am 22. Dezember 1942 in kurzer Folge auf erhängt. Auch die Verschwörer vom 20. Juli 1944 wurden an diesen Haken aufgehängt. Innerhalb weniger Minuten wurden Horst Heilmann, Hans Coppi, Kurt Schulze, Ilse Stöbe, Libertas Schulze-Boysen und Elisabeth Schumacher mit dem Fallbeil enthauptet. Prominente Mitglieder der wegen ihrer guten Kontakte zur Sowjetunion als Sowjetspione diffamierten Gruppe waren Hans Coppi, Adam Kuckhoff, Rudolf von Scheliha, Kurt Schumacher und andere.

Der im Reichsluftfahrtministerium tätige Oberleutnant Harro Schulze-Boysen verfasste Anfang 1942 einen Aufruf zum Widerstand. Das Gewissen aller wahren Patrioten bäume sich gegen die deutsche Machtausübung in Europa auf, alle, die sich den Sinn für echte Werte bewahrten, sähen schaudernd, "wie der deutsche Name im Zeichen des Hakenkreuzes immer mehr in Verruf gerät. In allen Ländern werden heute täglich Hunderte, oft Tausende von Menschen standrechtlich und willkürlich erschossen oder gehenkt, Menschen, denen man nichts anderes vorzuwerfen hat, als dass sie ihrem Land die Treue halten. [...] Im Namen des Reiches werden die scheußlichsten Quälereien und Grausamkeiten an Zivilpersonen und Gefangenen begangen. Noch nie in der Geschichte ist ein Mann so gehasst worden wie Adolf Hitler. Der Hass der gequälten Menschheit belastet das ganze deutsche Volk."

Ich bin nur ein Vorläufiger

Die Organisation arbeitete streng konspirativ und baute im Untergrund ein Netz von Verbindungen zu anderen Widerstandsorganisationen auf, so zum Bund der religiösen Sozialisten in Deutschland und zu antifaschistischen Exilkreisen. Insgesamt verloren 65 Widerstandskämpfer von der "Roten Kapelle" ermordet, weitere entzogen sich durch Suizid der Verhaftung und der Exekution. In seinem letzten Brief an seine Eltern schrieb Schulze-Boysen aus der Haftanstalt Plötzensee am 22. Dezember 1942 wenige Stunden vor seiner Hinrichtung: "Euch trifft Verlust und Schande zugleich, und das habt Ihr nicht verdient. Ich hoffe nicht nur, ich glaube, dass die Zeit Euer Leid lindern wird. Ich bin nur ein Vorläufiger gewesen in meinem teilw. noch unklaren Drängen und Wollen."

Das Gerichtsverfahren und die Vollstreckung der Todesurteile sollten andere Gruppen und Einzelkämpfer abschrecken und paralysieren, was aber nicht gelang. Denn es bildeten sich neue Gruppen, die über Maßnahmen berieten, den Krieg zu beenden und das Ausland über die Verfolgung und Ermordung der Juden zu informieren. Da die Gruppen untereinander gut vernetzt waren und sich vor Fremden abschotteten, war es für die Gestapo schwer, sie zu unterwandern und auffliegen zu lassen.

In beiden deutschen Staaten wurde die "Rote Kapelle" unterschiedlich gesehen und beurteilt. Im deutschen Westen sah man in ihr analog zur NS-Propaganda eine Gruppe von Spionen, die für Stalin gearbeitet haben, im Osten wurde das Heldentum der Widerstandskämpfer gefeiert, von denen etliche sich der Kommunistischen Partei zugehörig fühlten. Der Historiker Johannes Tuchel von der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin stellte fest, die Gestapo habe gegen die Männer und Frauen unter dem Sammelnamen Rote Kapelle ermittelt und wollte sie vor allem als Spione für die Sowjetunion beurteilt wissen. "Diese Bezeichnung, die die Gruppen um Harnack und Schulze-Boysen auf Kontakte zum sowjetischen Nachrichtendienst reduziert, prägt auch später das Beweggründe und Ziele verfälschende Bild in der deutschen Öffentlichkeit."

Der frühere Kriegsrichter Manfred Roeder, der die Mitglieder der "Roten Kapelle" zum Tod verurteilt hatte, trat bei den Nürnberger Prozessen nur als Zeuge auf und durfte im deutschen Westen während des Kalten Kriegs seine Sicht auf den "Spionagering" zum Besten geben. Der 1947 von dem Schriftsteller und Widerstandskämpfer Günther Weisenborn und anderen gegen Roeder angestrengte Prozess wurde von der Staatsanwaltschaft Lüneburg bis Ende der 1960er Jahre verschleppt und dann eingestellt. Erst 2009 hob der Deutsche Bundestag die Todesurteile gegen die Mitglieder der Widerstandsorganisation auf.

Im Kreisauer Kreis trafen sich auf dem Gut des Grafen Helmuth James Graf von Moltke im schlesischen Kreisau (heute Krzy?owa unweit von Schweidnitz, Polen) beziehungsweise in der Wohnung des Juristen in der Hortensienstraße 50 in Berlin-Lichterfelde katholische und evangelische Christen, Gewerkschafter, Sozialdemokraten, Kommunisten, Offiziere, Adlige und Bürgerliche, kurzum ein breites Spektrum von Nazigegnern mit dem Ziel, den Krieg zu beenden und Deutschland auf die Zeit nach Hitler vorzubereiten. Neben Moltke gehörten Peter Yorck Graf von Wartenburg, Carlo Mierendorff, Theodor Haubach und Alfred Delp zum Kreisauer Kreis, der grundlegende geistige, gesellschaftliche und politische Erneuerung des Deutschen Reiches anstrebte. In diesem neuen Deutschen Reich sollte die Rechtsstaatlichkeit wiederhergestellt und der einzelne Mensch seine Individualität zurück bekommen. Alles sollte getan werden, um dem Land wieder eine geachtete Stelle in der Völkergemeinschaft zu verschaffen. Einige Kreisauer waren aktiv in die Attentatspläne auf Hitler einbezogen, wurden vor dem Volksgerichtshof angeklagt und hingerichtet.

Gedenkstätte im früheren Landgut Borsig

Antifaschistischer Widerstand wurde in der DDR ganz groß geschrieben, es gab kaum keine Stadt und kein Dorf, in denen nicht mit Straßen und Plätzen, Denkmälern und Büsten sowie mit den Namen von Schulen und Betrieben an Ernst Thälmann und andere kommunistische Kämpfer gegen das Hitlerregime gedacht worden wäre. Wer nicht in dieses Konzept passte, wurde ausgeblendet. So erging es Ernst von Borsig jun., der auf seinem Gut Groß Behnitz (Landkreis Havelland, Bundesland Brandenburg) mehrfach unter konspirativen Bedingungen Vertreter des Kreisauer Kreises empfing, um mit ihnen agrarpolitische Pläne für die Zeit nach Hitler zu besprechen. Was von der Gruppe um Peter Graf Yorck von Wartenburg, Helmuth James Graf von Moltke, Ernst von Borsig und anderen besprochen und was 1949 zum Teil in das bundesdeutsche Grundgesetz aufgenommen wurde, war in den Augen der Naziführung Hochverrat. Die meisten Mitglieder des Kreisauer Kreises wurden nach dem gescheiterten Attentat des Grafen Klaus Graf von Stauffenberg auf Hitler am 20. Juli verhaftet, zum Tode verurteilt und hingerichtet.

Ernst von Borsig, der promovierte Land- und Volkswirt, hatte Glück, seine Mitstreiter verrieten ihn auch unter Folter nicht, und so entging er der Todesstrafe. Doch wenige Monate nach Kriegsende wurde er ungeachtet seiner Rolle als Widerstandskämpfer von der Roten Armee verschleppt. Am 30. September 1945 kam er in einem sowjetischen Internierungslager ums Leben. Bei der Enteignung des Gutes war es unerheblich, dass Borsig Nazigegner war und dass er zum Kreisauer Kreis gehört hatte. Von Ernst von Borsig jun. und seinen Freunden, aber auch von der wechselvollen Geschichte des Landgutes mit Bahnanschluss nach Berlin erzählt eine Ausstellung in der oberen Etage des Restaurants "Seeterrassen" auf dem Gutsgelände direkt am Groß Behnitzer See. Sie ist eine Hommage an Zivilcourage und Mut in Zeiten von Krieg und Mord, und sie würdigt eine Familie, die sozial und ökologisch dachte und handelte. Über mehrere Jahre zog sich ein Namensstreit um das Landgut in Groß Behnitz hin. Nachdem der Bundesgerichtshof auf Betreiben der Nachkommen von

Ernst von Borsig entschieden hatte, dass Michael Stober, der das herunter gekommene Anwesen mit großem Engagement und viel Geld saniert und als Kulturstandort etabliert hat, den Namen Borsig nicht mehr verwenden darf, heißt das Anwesen nun Landgut Stober. Der Erinnerung an die berühmte Unternehmerfamilie Borsig und die Rolle von Ernst von Borsig jr. Im Kampf gegen das Hitlerregime tut das keinen Abbruch.

24. September 2017

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