Schindlers Liste
Mitten im Zweiten Weltkrieg rettete ein waghalsiger Unternehmer ihm anvertraute Juden vor dem sicheren Tod



Die Tafel an einem früheren Wohnhaus in Regensburg erinnert an Oskar Schindler, der sein Leben riskierte, um im Zweiten Weltkrieg anvertraute Juden vor dem sicheren Tod zu retten.



Ein vielfach ausgezeichneter Spielfilm macht Schindlers wechselvolles Leben und seine Zivilcourage in einer Welt von Blut und Gewalt weltweit bekannt. Liam Neeson als Oskar Schindler und Ben Kingsley als Itzhak Stern beim Schreiben der Listen, die für viele Juden lebensrettend waren.



In dem schwarz-weiß gedrehten Film "Schindlers Liste" kommt auch ein Romamädchen im roten Mantel vor, das wie durch ein Wunder das Grauen des Krakauer Gettos übersteht, von einer polnischen Familie aufgenommen wird und nach der Befreiung lernt, über seine traumatischen Erlebnisse zu sprechen.



Ben Kingsley steht in der Rolle des Itzhak Stern hinter dem elektrisch geladenen KZ-Zaun, viele Häftlinge brachten sich damals um, indem sie den gefährlichen Draht berührten. Stern gehörte zu den Unterzeichnern eines Schreibens vom 8. Mai 1945, in dem Schindler bescheinigt wurde, seit 1942 das ihm Mögliche getan zu haben, "um das Leben der größtmöglichen Anzahl der Juden zu retten".



Im Spielbergs Fimdrama gibt es eine Szene, wo der SS-Kommandant Amon Göth, gespielt von Ralph Fiennes, einen jüdischen KZ-Gefangenen durch einen Pistolenschuss ermordet. (Repros: Caspar)

Der Spielfilm "Schindlers Liste" von Steven Spielberg aus dem Jahr 1993 erzählt, wie es der deutsch-mährische Industrielle Oskar Schindler verstanden hat, etwa 1200 Juden aus dem von der Wehrmacht besetzten Polen und der Tschechoslowakei vor dem Tod im Vernichtungslager Auschwitz zu bewahren. Er hatte die Zwangsarbeiter auf mehreren Listen erfasst und den Nazis deren Kriegswichtigkeit plausibel gemacht. Nach der Schließung der väterlichen Landmaschinenfabrik während der Weltwirtschaftskrise war der Unternehmer von 1935 bis 1939 als Agent für die militärische Abwehr des Deutschen Reiches tätig. Sein höchster Vorgesetzter war der Chef des Amtes Ausland/Abwehr des Oberkommandos der Wehrmacht Admiral Wilhelm Canaris, der Verbindungen zum deutschen Widerstand hatte und einen Monat vor Kriegsende im KZ Flossenbürg ermordet wurde. Schindler wurde wegen des Verrats tschechischer Eisenbahngeheimnisse an die Deutschen zum Tod verurteilt, doch verhinderte Hitlers Überfall 1938 auf die so genannte Resttschechei die Vollstreckung.

Um sich Aufträge für seinen Betrieb zu sichern, trat Schindler 1939 in die NSDAP ein. In der Hoffnung, geschäftlich vom Krieg profitieren zu können, ging er nach dem Überfall auf Polen nach Krakau und übernahm im Oktober 1939 eine in der Nähe still liegende Emaillefabrik. Durch Schwarzhandel, bei dem er von seinem polnisch-jüdischen Buchhalter Abraham Bankier beraten wurde, erlangte er ein Vermögen. Seine kleine Fabrik stellte anfangs unzerbrechliches Küchengeschirr und später Munition für die Wehrmacht her. Der Lebemann und Spieler Oskar Schindler unterhielt beste Beziehungen zu den deutschen Besatzern. Seine Emaille- und Munitionsfabrik wurde immer größer und beschäftigte fast 800 Personen, darunter 370 Juden aus dem 1941 errichteten Krakauer Getto. Den Fabrikanten widerte die Behandlung der hilflosen jüdischen Bevölkerung an, und er dachte darüber nach, wie er ihnen helfen kann. Nach und nach traten seine finanziellen Interessen hinter dem Wunsch zurück, möglichst viele Juden vor dem Naziterror zu retten.

Stille Helfer riskierten ihr Leben

Viele stille Helfer wie er und seine Frau Emilie setzten mit ihrem Mut und ihrer Entschlossenheit ihr Leben aufs Spiel. Wie sich nach dem Ende des Nazireiches nach und nach herausstellte, gab es im Deutschen Reich und den besetzten Ländern nicht wenige Menschen, die sich dem Rassenwahn der Nationalsozialisten aus humanitären, religiösen und politischen Gründen und weiteren Motiven Juden, Widerstandskämpfer, Deserteure und andere bei sich versteckten und mit Nahrung versorgten. Die Einstufung seiner Fabrik als kriegswichtig ermöglichte es Oskar Schindler, die bei ihm beschäftigten Häftlinge ebenfalls als kriegswichtig zu deklarieren und vor der Deportation nach Auschwitz und Belzec zu bewahren. Nützlich waren bei seinen Verhandlungen mit SS-Leuten gefälschte Dokumente, aber auch Geschenke und Bestechungsgelder. Solche Zuwendungen wurden gern angenommen, obwohl sie streng verboten waren und man seinen Kopf riskierte, wenn das den Vorgesetzten bekannt wurde. Da aber diese vielfach auch korrupt waren, drückten sie ein Auge zu und ließen ihre Untergebenen gewähren.

Nachdem die SS im März 1943 das Krakauer Ghetto geräumt hatte, wurde ein Teil der Juden in die Vernichtungslager verschleppt. Wer als arbeitsfähig eingestuft wurde, kam ins Zwangsarbeitslager Plaschau. Schindler erreichte durch Bestechung des Lagerkommandanten SS-Hauptsturmführer Amon Göth, dass seine jüdischen Fabrikarbeiter in einem eigenen Lager untergebracht werden. In diesem Nebenlager hatten sie ein einigermaßen sicheres Leben, ergänzt durch auf dem Schwarzmarkt gekaufte Lebensmittel. Obwohl Schindler mehrmals von der Gestapo wegen Bestechung von SS-Leuten und Begünstigung von Juden vernommen und als "Judenküsser" denunziert wurde, gelang ihm dank seiner alten Kontakte zum Amt Canaris seine Haftentlassung. Historiker bewerten Spielbergs Film als brillant gemacht und überaus bewegend, in Einzelheiten stimmt er aber nicht mit der wahren Geschichte überein. So war es Emilie Schindler, die Ehefrau, die sich durch Schmuggelei und Hinterzimmergeschäfte in Gefahr brachte, um die "Schindlerjuden", wie sie sich selber nannten, zu schützen. So brachte sie die Brillanten nach Berlin, während im Film es Oskar Schindler ist, der das Geschäft mit dem SS-Mörder Göth macht.

Die Späße eines Massenmörders

Das inzwischen in ein KZ umgewandelte Zwangsarbeitslager Plaschau sollte im Sommer 1944 aufgelöst werden. Anstatt sich mit den Millionengewinnen aus seinen Geschäften mit Kriegsmaterialien aus dem Staub zu machen und seine Arbeiter dem sicheren Tod zu überlassen, beschloss Schindler, mit seiner Fabrik nach Brünnlitz (heute: Okres Svitavy, Tschechien) umzuziehen und seine Arbeiter mitzunehmen. Hier war Schindler geboren worden und aufgewachsen, und er besaß in der Stadt nützliche Kontakte. Im Herbst 1944 wurde Amon Göth verhaftet, nachdem ihn einer seiner SS-Leute wegen Schwarzmarktgeschäften und Unterschlagung von Reichseigentum angezeigt hatte. Der "Schlächter von Plaschau" hatte sich einen Spaß gemacht, vom Balkon der Dienstvilla auf Lagerinsassen zu schießen und Häftlinge wahllos zu töten und andere zu Tode zu quälen. Im Februar 1943 übernahm der Österreicher das Zwangsarbeitslager Krakau und gebärdete sich 500 Tage lang als ebenso sadistischer wie unersättlicher Mörder. Göth überlebte den Krieg, wurde aber 1946 in Krakau, dessen Getto er unter vielen Menschenopfern aufgelöst hatte, angeklagt, zum Tod verurteilt und mit dem Strang hingerichtet.

Auch am neuen Standort Brünnlitz konnte Schindler seine kriegswichtige Produktion fortsetzen. Es gelang ihm, auf einer Liste erfasste 297 Frauen und 801 Männer vor dem Tod zu retten. In seinen Fabriken war niemand geschlagen oder in ein Vernichtungslager deportiert worden, keiner starb eines unnatürlichen Todes. Nach dem Ende der NS-Herrschaft hatte der in Regensburg, aber auch in Argentinien und schließlich in Frankfurt am Main lebende Geschäftsmann wenig Erfolg. Die von Schindler geretteten Juden initiieren zu seiner wirtschaftlichen Unterstützung den "Oskar Schindler Fund", 1964 unterschrieb er einen Vertrages mit dem amerikanischen Produzenten Martin Gosch über einen Film, der die Rettung von Juden durch Schindler thematisiert. Die eine Hälfte seines Lebens verbrachte er in der Bundesrepublik Deutschland, die andere bei den von ihm geretteten Juden in Jerusalem. Oskar Schindler wurden zahlreiche Ehrungen und Orden zuteil. 1962 pflanzte er einen Johannisbrotbaum mit seinem Namen in der "Allee der Gerechten unter den Völkern" von Yad Vashem, 30 Jahre später wurde er mit seiner Frau Emilie unter die Gerechten der Völker aufgenommen. Zwei Jahre vor seinem Tod (1974) widmete die Hebrew University ihm einen Raum, in dem ein Buch über seine Taten und eine Liste mit den Namen der von ihm geretteten Juden ausliegen. Die Bundesrepublik Deutschland hat Oskar Schindler 2008 aus Anlass seines 100. Geburtstags mit der Herausgabe einer 145-Cent-Sonderbriefmarke geehrt, außerdem wurden in Augsburg, Frankfurt am Main, Hildesheim, Köln, Nürnberg und Sendenhorst Straßen nach ihm benannt. Oskar Schindler erlitt 1972 einen Schlaganfall mit halbseitiger Lähmung, zwei Jahre später starb er in Hildesheim. Nach einer evangelischen und katholischen Trauerfeier in Frankfurt am Main hat man ihn auf eigenen Wunsch auf dem Franziskaner-Friedhof in Jerusalem auf dem Berg Zion beigesetzt. Viele Besucher legen dort nach altem Brauch Steine auf sein Grab.

Das Geheimnis des alten Koffers

Ein lange nach Schindlers Tod in Hildesheim entdeckter Koffer mit 7000 Schriftstücken und Fotos gefunden enthielt auch eine originale Liste der von Oskar Schindler geretteten Juden sowie Dokumente darüber, was Schindler der SS an Gefälligkeiten zukommen gelassen hatte, vor allem Ausgaben für Lebensmittel. 900.000 RM kostete die Verpflegung seiner Schützlinge, die SS-Männer versorgte er mit etwa 4000 Litern Schnaps und 30.000 Kilogramm Emaillewaren pro Jahr. Als er seinen Betrieb 1944 nach Brünnlitz verlegen wollte, verteilte er an SS-Leute und andere Nazischergen Präsentkörbe mit ausländischen Zigaretten, Zigarren, Schnäpsen, Bohnenkaffee, Schinken und andern Dingen, die er auf dem Schwarzen Markt für astronomische Preisen gekauft hatte. Die historisch überaus wertvollen Unterlagen wurden im Bundesarchiv Koblenz gesichtet, katalogisiert und der Gedenkstätte Yad Vashem übergeben. Die Witwe Emilie Schindler bekam Kopien, doch forderte sie als rechtmäßige Erbin den Koffer samt Inhalt zurück. 2001 erhielt sie aufgrund eines Vergleichs eine Abfindung von 25.000 DM, und so blieben der Koffer und die Dokumente in Yad Vashem. Schindlers Emailwarenfabrik in wurde nach dem Krieg von der polnischen Regierung verstaatlicht. 2005 kaufte die Stadt Krakau das Gebäude, das mit Unterstützung von EU-Geldern renoviert wurde und seit 2010 Museum und Holocaust-Gedenkstätte ist.

Als 1998 Steven Spielberg, dem Regisseur von "Schindlers Liste", im Berliner Schloss Bellevue das Große Verdienstkreuz mit Stern des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland verliehen wurde, erklärte Bundespräsident Roman Herzog: "Je mehr uns die Gegenwart lebendiger Zeitzeugen abhanden kommt, desto wichtiger wird es, andere Formen zu finden, die uns unsere Geschichte sinnlich erfahren lassen. Mit Ihrem Film ,Schindlers Liste' haben Sie dem Grauen und der Hoffnung Gesichter gegeben. Und Ihr Film hat gezeigt, dass die persönliche Verantwortung des einzelnen niemals erlischt - auch nicht in einer Diktatur. Wir müssen keine perfekten Helden sein, aber wir haben die Pflicht zu handeln, selbst wenn es scheint, dass wir mit einem Löffel den Ozean ausschöpfen. ‚Wer nur einem Menschen das Leben rettet, rettet die ganze Welt.' Das ist die Botschaft des zu Ende gehenden 20. Jahrhunderts an die kommenden Generationen." Spielberg antwortete bewegt: "Der Kreis meiner Familiengeschichte hat sich geschlossen. Meine Vorfahren stammen aus Polen, nicht weit von hier, und ich erhalte in Berlin heute diesen Orden." Der Klarinettist Giora Feidman dankte Spielberg mit der von John Williams komponierten Titelmelodie für den mit sieben Oskars ausgezeichneten Film "Schindlers Liste".

14. Oktober 2017

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