Brandanschlag auf "Das Sowjetparadies"
Aktion einer Gruppe um Herbert Baum und Joachim Franke gegen Hetzausstellung 1942 auf dem Berliner Lustgarten hatte tödliche Folgen



Zur Propagandaschau "Das Sowjetparadies" auf dem Lustgarten gegenüber dem Berliner Dom sollen 1942 nicht weniger als 1,3 Millionen Besucher gekommen sein.



Mit solchen Plakaten machten die Nazis Werbung für ihren Kampf gegen sowjetische "Untermenschen".



Der Gedenkstein auf dem Berliner Lustgarten war und ist nicht jedermanns Sache, 1981 aufgestellt, erhielt er nach dem Ende der DDR ergänzende Schrifttafeln.



Die in ganz Berlin verteilten Zettel gegen die Aktion auf dem Lustgarten wurden für todesmutige Widerstandskämpfer zum Verhängnis. Die Bildtafel in der Topographie des Terrors zeigt rechts oben ein Foto von Herbert Baum, darunter einen heimlich verteilten Zettel sowie unten Fotos von Arvid Harnack und von Harro Schulze-Boysen sowie die Kopie eines Plakats für die Ausstellung "Das Sowjetparadies".



Auf dem Jüdischen Friedhof an der Herbert-Baum-Straße in Berlin-Weißensee erinnern ein Grabstein an Herbert Baum und weitere Steine an andere Kämpfer gegen den Faschismus. Das Land Berlin kümmert sich um die als Ehrengrab ausgewiesene Stelle. (Fotos/Repros: Caspar)

Von 8. Mai bis 21. Juni 1942 wurde im Berliner Lustgarten die antikommunistische NS-Propagandaausstellung "Das Sowjet-Paradies" gezeigt. Mit dieser Wanderschau der Reichspropagandaleitung der NSDAP sollten die angeblichen Lebensverhältnisse in der Sowjetunion angeprangert und der Vernichtungskrieg gegen sie legitimiert werden. 1,3 Millionen Besucher sollen nach damaliger Zählung die mit großem Werbeaufwand im ganzen Reich bekannt gemachte Schau besucht haben, und manche dürften unter dem Eindruck der Horrorbilder beim Herausgehen gedacht haben, dass es richtig ist, die dort in üblen Verhältnissen, in Dreck und Schutt lebenden "Untermenschen" zu bekämpfen und vernichten, wie es die Nazipropaganda tagtäglich forderte und wie man es auch in der Schule und an anderen Orten gelernt hatte.

Die Aktion hatte das Ziel, den im Juni 1941 begonnenen Krieg gegen die Sowjetunion zu rechtfertigen. Sie verbreitete auf üble Weise rassistische, kulturelle und politische Vorurteile gegenüber dem Reich des Josef Stalin und das russische Volk. Vergessen war im Sommer 1942, dass nur zwei Jahre zuvor für kurze Zeit antikommunistische und antirussische Propaganda im Deutschen Reich verboten war, nachdem Hitler und Stalin überraschenderweise am 23. August 1939 den deutsch-sowjetischen Nichtangriffsvertrag abgeschlossen hatten. Er verschaffte beiden Diktatoren freie Hand für den Überfall der Wehrmacht auf Polen und andererseits der Roten Armee auf die baltischen Staaten und weitere zum Einflussbereich gerechneten Länder.

Statisten aus dem KZ Sachsenhausen

Mitten auf dem Berliner Lustgarten waren für "Das Sowjetparadies" zeltartige Pavillons mit Fotos, Grafiken, Gemälden, erbeuteten Gegenständen und Waffen aufgebaut. Die Schau sollte laut Katalog "Armut, Elend, Verkommenheit und Not" in der Sowjetunion zeigen, den Krieg gegen die Sowjetunion rechtfertigen und den Durchhaltewillen der deutschen Bevölkerung stärken. Herzstück der 9000 Quadratmeter großen Ausstellung waren der angeblich originalgetreue, in Wahrheit jedoch verfälschte Nachbau eines Stadtteils der weißrussischen Hauptstadt Minsk sowie eines sowjetischen Dorfes, in dem zerlumpte und verhungerte Menschen in elenden Erdlöchern hausen. Gezeigt wurden auch eine Arbeiterwohnung und als Highlight eine Todeszelle von Stalins Geheimpolizei GPU, die auch in Nazifilmen und den Medien eine Rolle spielte. Am Ausgang machte ein deutscher Infanterist den Besuchern Mut als Verteidiger der abendländischen Kultur gegen die bolschewistische Barbarei. "Nun sind sie wieder da, die Hunnen, Zerrbilder menschlicher Gesichter, Wirklichkeit gewordener Angstträume, Faustschlag in das Gesicht alles Guten", wird auf einem Plakat mit finster dreinblickenden, bärtigen Männergesichtern. Selbstverständlich wurde den Besuchern nicht gesagt, dass einige der Propagandafotos verhungerte Gefangene aus dem KZ Sachsenhausen zeigen, die als Statisten missbraucht und anschließend ermordet wurden. Propagandaminister Goebbels, der sich am 19. Mai 1942 in seinem Tagebuch über den Anschlag auf die Ausstellung äußerte, legte fest, dort dürfe nichts gezeigt werden, was "irgendwie für den Bolschewismus werbend wirken" könnte.

Die jüdisch-kommunistische Untergrundgruppe um den Berliner Elektriker Herbert Baum und eine Gruppe um Joachim Franke unternahm am 18. Mai 1942 einen Brandanschlag auf die Ausstellung, die zuvor schon in Wien und Prag gezeigt worden war. Obwohl der Brand schnell gelöscht wurde und nur geringer Sachschaden entstanden war, wurden mindestens 33 Untergrundkämpfer hingerichtet. Am Tag vor dem Attentat hatte eine Gruppe um Harro Schulze-Boysen und Fritz Thiel etwa eintausend Zettel mit der ironischen Aufschrift "Ständige Ausstellung / Das NAZI-PARADIES / Krieg Hunger Lüge Gestapo / Wie lange noch?" in ganz Berlin verbreitet. Auch von dieser Gruppe mussten etliche Mitglieder ihren mutigen Einsatz mit dem Leben bezahlen.

In Joachim Frankes Wohnung fand die Gestapo den Zündmechanismus für den Brandanschlag auf die Propagandaausstellung. Franke trug am 18. Mai 1942 den Brandsatz in einer Aktentasche bei sich und legte gemeinsam mit Herbert Baum und Werner Steinbrink den Brand. Kurz nach dem Anschlag wurden Herbert Baum, seine Ehefrau Marianne, Franke und weitere Freunde festgenommen. Baum beging in der Haft in Berlin-Moabit am 11. Juni 1942 Selbstmord, mehr als 15 seiner Mitstreiter wurden in den folgenden Monaten zum Tode verurteilt und in Berlin-Plötzensee ermordet.

Gedenkstein auf dem Lustgarten

Herbert Baum hatte sich nach der Errichtung der Diktatur an kommunistischen Widerstandsaktionen gegen den NS-Staat beteiligt. Durch seine Tätigkeit in der jüdischen Jugendorganisation "Ring-Bund Deutsch-Jüdischer Jugend" hatte er viele Kontakte zu Jugendlichen, die seine politischen Ansichten teilten. Seit 1936 sammelte sich um Herbert Baum eine Gruppe junger Kommunisten, von denen die meisten jüdischer Herkunft waren. Sie trafen sich in privatem Kreis, diskutierten verbotene Bücher und verfassten und vervielfältigten Flugblätter. Viele Mitglieder der Gruppe waren von den Repressionen gegen Juden betroffen. Seit September 1941 mussten sie den gelben Stern tragen und Zwangsarbeit leisten.

Auf dem Lustgarten, dem Berliner Dom gegenüber, steht seit 1981 ein Gedenkstein mit dem Motto "Für immer in Freundschaft mit der Sowjetunion verbunden". Er stammt von dem Bildhauer Jürgen Raue und erinnert an den Widerstandskämpfer Herbert Baum, nach dem in Weißensee eine auf den Jüdischen Friedhof zulaufende Straße benannt ist, und seine Gruppe. In beiden deutschen Staaten hatte man Probleme im Umgang mit der "Gruppe Baum", denn im Westen galt sie wegen ihrer Orientierung auf die Sowjetunion als links und daher politisch suspekt, in der DDR hingegen übersah man gern, dass Baum und weitere Mitglieder seiner Widerstandsgruppe jüdischer Herkunft waren. So kam der Steinwürfel nach dem Ende der DDR ins Gerede. Manche Leute empfanden die Parole von der "ewigen Freundschaft mit der Sowjetunion" als nicht mehr zeitgemäß, ja unerträglich, es wurde sogar die Beseitigung des Denkmals im Zusammenhang mit der Neugestaltung des Lustgartens gefordert. Doch dazu kam es nicht, "weil der Stein keine anstößige Inschrift oder ein verfassungsfeindliches Symbol trägt", wie es im Bezirksamt hieß. Allerdings bedecken seit einigen Jahren auf Initiative einer Gedenktafelkommission zusätzliche Plexiglastafeln zwei der vier Schriftzüge. Die ergänzenden Texte machen auf die Hintergründe der Aktion gegen die Naziausstellung aufmerksam und nennen Mitglieder der Baum-Gruppe, die für ihr Fanal einen hohen Blutzoll zahlen mussten. Der Stein am Rand des Lustgartens dokumentiert sowohl die mutige Widerstandsaktion von 1942 als auch das Geschichtsverständnis von 1981 und unser heutiges Gedenken an den Widerstand gegen das NS-Regime.

17. Mai 2017

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