"Es ist nichts so fein gesponnen…"
Magnus Brechtken schildert, wie Hitlers Architekt und Rüstungsminister Albert Speer nach seiner Haftentlassung 1966 seine zweite Karriere starten konnte



Magnus Brechtkens Buch ist auch eine bittere Abrechnung mit Teilen der westdeutschen Zeitgeschichtforschung und -publizistik, die sich nur allzu gern von den Legenden des Albert Speer einlullen ließ und willig verbreitete, was der ehemalige Rüstungsminister nach seiner Entlassung 1966 aus Spandau an Geschichten über sich, Hitler und die anderen Nazibonzen auftischte.



Die Nazipropaganda sorgte dafür, dass man überall im Reich sein Gesicht kannte und dass er im Zweiten Weltkrieg als "der" Kopf des deutschen Rüstungswunders bekannt wurde. Das Titelblatt der Zeitschrift "Die Woche" vom 24. August 1938 zeigt ihn mit einem Plan der Großbauten für Berlin, die Welthauptstadt Germania.





Die Neue Reichskanzlei existierte nur wenige Jahre, und auch das von ihrem Architekten Albert Speer propagierte Märchen von der angeblich nur einjährigen Bauzeit und davon abgeleitet von der hocheffektiven Wirtschaft und Baukultur in Hitlers Reich glaubt kaum jemand mehr.



Der 1966 aus dem Spandauer Kriegsverbrechergefängnis entlassene Albert Speer genoss sichtlich den Medienrummel um ihn herum. Ihm erlegene Publizisten und Verleger halfen, seine Geschichten und die Legende vom "guten Nazi" zu verbreiten. (Fotos/Repros: Caspar)

Hitlers Lieblingsarchitekt und Rüstungsminister Albert Speer (1905-1981) kam schon 1930 als junger Mann zu den Nazis kam und machte bei ihnen eine rasante Karriere. Ihm gelang es, sich nach dem "Zusammenbruch" des NS-Regimes als nobler Nazi, besorgter Arbeitgeber, Kunstmensch und unwissender Technokrat auszugeben. Diese Rolle wurde ihm als einzigem der Angeklagten beim Nürnberger Kriegsverbrecherprozess 1945/46 geglaubt, und so wurde er nicht, wie es die sowjetischen Ankläger verlangten, zum Tod verurteilt, sondern kam glänzend mit 20 Jahren Zuchthaus davon, die er bis zum letzten Tag in Berlin-Spandau absitzen musste. Mit seiner raffiniert angelegten Selbststilisierung als "verführter" Künstler in einer Rotte von Mördern und Gaunern und als angeblich unpolitischer Mitläufer vermied Speer den Weg zum Galgen. Dabei war er, wie der Münchner Historiker Magnus Brechtken in seinem unlängst erschienenen Buch "Albert Speer. Eine deutsche Karriere" (Siedler Verlag München 2017, 910 Seiten, zahlr. Abbildungen, 40 Euro, ISBN 978-3-8275-0040-3) nachweist, ein ausgesprochener Machtmensch, der seit den frühen dreißiger Jahren die Nähe zu Hitler und Goebbels suchte und sich ihnen durch Parteitagsinszenierungen, Monumentalbauten sowie Höchstleistungen der Kriegsindustrie angenehm und unersetzbar machte.

Dem aus "gutem" Haus stammenden Speer gelang es, mit seinen großbürgerlich anmutenden, konzilianten, weltläufigen und am Ende reumütigen Art, in Nürnberg die Richter zu beeindrucken. Der Kontrast zwischen Göring, Heß, Keitel, Ley und den anderen Nazibonzen und ihm war offensichtlich. Speers vorsichtig vorgetragenes Schuldbekenntnis wurde von den andern Angeklagten zischend als Verrat quittiert. Brechtkens Buch ist eine Abrechnung mit der Art und Weise, wie es der Architekt, Rüstungsminister und Kriegsverbrecher nach seiner Entlassung aus dem Zuchthaus mit Hilfe westdeutscher Medien von QUICK und BILD bis SPIEGEL und Frankfurter Allgemeiner Zeitung sowie hilfreicher Apologeten im In- und Ausland vermochte, sich als verfolgte Unschuld darzustellen. An der Spitze derer, die Speer reinzuwaschen versuchten, standen der Journalist und Historiker Joachim Fest und der Verleger Wolf Jobst Siedler. In die Phalanx der Nachbeter Speer'scher Märchen reihten sich Fernsehleute und Filmemacher ein. Erinnert sei unter anderem an die TV-Filme wie "Speer und Er" sowie "Der Untergang", aber auch an Fernsehinterviews, in denen Speer seine Geschichten erzählen konnte, ohne dass ihm jemand in die Parade fuhr und ihn mit den harten Tatsachen des Naziterrors und der Kriegsverbrechen konfrontiert hätte, die unter seiner Regien erfolgt waren.

Von westdeutschen Medien umschwärmt

Dabei waren diese bekannt, man hätte nur einmal in den Unterlagen des Nürnberger Tribunals und weiteren Dokumentensammlungen sowie in unzähligen Studienbänden nachschauen müssen, um Speers Rolle bei der Verwirklichung der "Endlösung der Judenfrage" (von der er angeblich nichts wusste) sowie der "Vernichtung durch Arbeit" in den für sein Ministerium angelegten Zwangsarbeits- und Konzentrationslagern festzustellen. Aber nein, das traute sich kaum einer angesichts der Prominenz des alten Hitlerfreundes, den man auch deshalb hofierte, weil er immer eine kleine, seinen Vorgesetzten und seine Mitkämpfer belastende oder karikierende Anekdote zum Besten gab. Mit ihm wollten es sich Journalisten und Historiker nicht verscherzen. (siehe dazu Eintrag auf dieser Internetseite/Geschichte vom 1. Juni 2017).

Albert Speer hatte nach seiner Entlassung 1966 aus dem Kriegsverbrechergefängnis in Spandau eine zweite Karriere gestartet, wurde von den Medien umschwärmt und für Interviews und seine auch im Ausland verlegten Bücher glänzend bezahlt. Von den Millionenhonoraren blieb, wenn man Speer folgen würde, nicht viel übrig. Er sah die Einnahmen wohl als Entschädigung dafür an, dass man ihm nach dem Krieg eine Karriere als Architekt und Städtebauer versagt hatte. Fast alle Rezensenten der von Speer, Fest und Siedler fabrizierten Machwerke ließen sich täuschen und folgten der Schleimspur des Kriegsverbrechers und seiner Apologeten. Die Vermarktung der "Marke Speer" trieb Auflagen und Einnahmen in die Höhe. Wer kritisch nachfragte und wissen wollte, wie sich Speers Märchen mit den Dokumenten und Zeugenaussagen vertragen, wurde abgebügelt und/oder totgeschwiegen.

Magnus Brechtken schildert, wie die Publikationen und all die sorgsam inszenierten Fernseh- und Presseinterview zustande kamen, wie Speer seine Gesprächspartner glauben ließ, sie seien die ersten und einzigen, denen er Unbekanntes zu sagen hat. Dabei war das alles, was er "verriet" schon hundertmal gesagt. Einer schrieb vom anderen ab und bediente die Neugier des Publikums mit abgrundtiefen Urteilen über die Naziführung, die ihn umso lichtvoller erscheinen lassen. Die vom ehemaligen Rüstungsminister verbreiteten Geschichtslügen wurden von zahlreichen Schreibern unkritisch übernommen, es fehlte noch, dass man ihm bei all dem Guten, das man ihm nachsagte, einen Verdienstorden als angeblicher Widerstandskämpfer verliehen hätte! Als 1966 der damalige Regierende Bürgermeister von Berlin (West) und ehemalige Widerstandskämpfer Willy Brandt Speers Frau einen Blumenstrauß schickte, kam diese Geste in der Öffentlichkeit nicht gut an.

Legende vom pflichtbewussten Technokraten

Speer verfasste während seiner Haft in Spandau heimlich Aufzeichnungen, die von einem bestochenen Krankenpfleger nach draußen, zu seinem Freund und früheren Mitarbeiter Rudolf Wolters nach Coesfeld geschmuggelt wurden. Aus ihnen entstanden nach der Haftentlassung die "Erinnerungen" (1969) und die "Spandauer Tagebücher" (1975), die ihn als fehlgeleiteten Idealisten in einer Riege von Mördern und Verbrechern sowie als pflichtbewussten, unpolitischen Technokraten und Baumeister der deutschen Kriegswirtschaft darstellen, der wegen des Dilettantismus von Hitler und seinen Leuten ihre volle Wirkung nicht entfalten konnte.

Der Ausbau des KZ-Systems, die Ausbeutung von Millionen Zwangsarbeitern, die Ausplünderung der besetzten Länder, die Vertreibung der Juden aus Berlin und weitere dunkle Punkte seiner Biographie kommen in Speers eigenen Büchern nicht vor oder werden nur verklausuliert angedeutet. Den Novemberpogrom von 1938 registrierte der Verfasser nur wegen der dabei verursachten "Unordnung" auf den Straßen, das Schicksal der Juden schien ihm nicht zu rühren. Von Auschwitz will er nur durch Andeutungen seines Freundes, des Breslauer Gauleiters Hanke, gehört haben, verbunden mit der Mahnung, da lieber nicht hinzufahren. Dass Speer einer der berüchtigten Posener Reden von SS-Reichsführer Heinrich Himmler zugehört hat, in der die Notwendigkeit unbarmherziger Ermordung von Juden und anderen "Untermenschen" begründet und von SS-Leuten verlangt wurde, dabei immer "anständig" zu bleiben, räumte Speer nach anfänglichem Leugnen erst sehr spät ein.

Beide Bücher und weitere Äußerungen gegenüber in- und ausländischen Medien förderten die Legende, dass Spee so etwas wie ein "Gentleman-Nazi" war, dem die Deutschen zu verdanken haben, dass große Teile ihrer Industrie und Infrastruktur entgegen Hitlers Nerobefehl unzerstört geblieben sind und über den Krieg hinweg gerettet werden konnte. Wer das glaubte, der konnte in Speer sogar so etwas wie den Großvater des deutschen Wirtschaftswunders sehen.

Der Mann mit den sauberen Händen

In seinen in hohen Auflagen verbreiteten "Spandauer Tagebüchern" schilderte Speer seine Spandauer Haft, in der herein geschmuggelter Alkohol reichlich floss und die Gefangenen dank Bestechung an Bedienstete alles andere als hungern mussten. Mit viel Häme führt Speer seine Mitgefangenen Baldur von Schirach, Rudolf Heß, Karl Dönitz, Erich Raeder, Konstantin von Neurath, Walther Funk sowie die Nazibonzen vor, die bereits in Nürnberg hingerichtet und sich davor selber umgebracht hatten. Indem er seine Kumpanen lächerlich macht, kommt er, Albert Speer mit den sauberen Händen, umso besser als respektabler Außenseiter weg. Er strickt zudem an der von der Nazipropaganda verbreiteten Legende, er habe die Neue Reichskanzlei in weniger als zwölf Monaten errichten lassen, was in der Nachkriegszeit erneut als Beweis für die Effektivität des NS-Systems und seiner Wirtschaft aufgewärmt und dann in weiteren Publikationen fortgesponnen wurde.

Albert Speer will nichts von der Judenverfolgung und den Massenmorden in Auschwitz und den anderen Vernichtungs- und Konzentrationslagern, von der mörderischen Sklavenarbeit in den ihm unterstehenden Rüstungsfabriken, von Massenerschießungen und Kriegsverbrechen in den besetzten Ländern gewusst haben. Die "Judenwohnungen", die für die von ihm und Hitler geplante Welthauptstadt Germania entmietet wurden, waren ihm angeblich ebenso unbekannt wie das Schicksal der in die Konzentrations- und Vernichtungslager verschleppten Bewohner. Wie hätte dann der sprichwörtliche "kleine Mann auf der Straße" etwas ahnen und wissen können, war damals die gängige Meinung, mit der sich die vielen Täter und Mitläufer zu entlasten pflegten.

Nur allzu gern wurde die in den westdeutschen Medien sowie in den USA, Großbritannien und anderen westlichen Ländern verbreitete und durch willfährige Schreiber und Filmemacher vervielfältigte Legende geglaubt, dass der Minister Attentatspläne gegen Hitler, Göring, Himmler und Goebbels hegte, sie sich aber nicht zu verwirklichen traute. Ja es wurde sogar die von Speer und seinen Apologeten in den Raum gestellte Behauptung für möglich gehalten, er habe eine gewisse Nähe zu den Attentätern vom 20. Juli 1944 gehabt und sei sogar im Kabinett Goerdeler als Wirtschaftsminister vorgesehen gewesen. Welch eine irre Vorstellung! Beim Lesen des Buches von Magnus Brechtken mag dem einen oder anderen das schöne alte Wort in den Sinn kommen "Es ist nichts so fein gesponnen, es kommt doch ans Licht der Sonnen", ein Wort, das man ohne weiteres auch auf andere Machtmenschen und Verbrecher der Nazizeit und anderer Diktaturen anwenden kann. .

1. August 2017

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