DDR-Milliarden für Mikroelektronik verschleudert
Honeckers Hoffnung, mit Computern auf dem Weltmarkt zu glänzen und viel Geld zu verdienen, ging gründlich daneben



Der im NEUEN DEUTSCHLAND großspurig für die Frühjahrsmesse 1989 angekündigte 4-Megabit-Speicher war viel zu teuer, um sich auf dem Weltmarkt durchsetzen zu können.



Mit vielen ihrer Industrieerzeugnisse konnte die DDR auf dem Weltmarkt nicht punkten. Um sie verkaufen zu können, wurden sie zu Dumpingpreisen angeboten.



Den DDR-Bewohnern wurde alles Mögliche über die wirtschaftliche Stärke ihres Landes erzählt, doch wer hinter die Kulissen schauen konnte, wusste, dass die Lage ganz anders war. Im Museum zum DDR-Alltag in der Berliner Kulturbrauerei wird geschildert, wie die Propaganda funktionierte und was sie nicht vermochte. (Fotos/Repro: Caspar)



Erich Honecker hatte mehrere Steckenpferde, die Jagd zum Beispiel, der sich der SED-Generalsekretär des Zentralkomitees der SED und Vorsitzende des Staatsrats der DDR allein und mit prominenten Gästen aus dem In- und Ausland mit Wonne hingab. Dieses Vergnügen in der Schorfheide nördlich von Berlin und in anderen Jagdrevieren bestand im Wesentlichen aus dem Abknallen von extra gezüchteten und gemästeten Tieren. Jagdgehilfen und Wachpersonal im Sold des Ministeriums für Staatssicherheit, die den mächtigsten Mann des Arbeiter-und-Bauern-Staates vor neugierigen Blicken und Attentätern abschirmten, berichteten nach dem Ende des SED-Staates, Honecker habe bei den Politibürositzungen stets am Dienstag darauf geachtet, dass diese Zusammenkünfte pünktlich um 14 Uhr beendet werden, damit er sich am Nachmittag und Abend bei seinen Jagdausflügen "erholen" kann.

Was Honeckers Jagdleidenschaft den Staat kostete, die vielen Millionen DDR-Mark und Westmark, war nichts im Vergleich, was für eines seiner anderen Hobbys aufgewendet wurde - die Mikroelektronik. Der SED- und Staatschef hatte den Ehrgeiz, aus seinem Land eine elektronische Weltmacht zu machen, einen Staat, der mit Computern und seinen Bestandteilen international Geld, viel Geld verdient. Doch viele DDR-Produkte waren auf dem Weltmarkt nicht konkurrenzfähig, sie konnten, wenn überhaupt, nur zu Dumpingpreisen verkauft werden. Durch die Erlöse ließen sich nicht jene Summen erwirtschaften, die die DDR brauchte, um Importe aus dem kapitalistischen Ausland, genannt KA, finanzieren zu können, Südfrüchte oder Kaffee, aber auch Industriegüter und Erdöl.

Diskrepanz zwischen oben und unten

Um mit Computern glänzen zu können und auf dem Weltmarkt hohe Erlöse zu erzielen, wurde ein ehrgeiziges Programm zur Entwicklung der Mikroelektronik aufgelegt. In seinem Buch "Der Absturz" (1991) beschreibt das ehemalige SED-Politbüromitglied Günter Schabowski die Intentionen dieses Programms so: "Was wurde in Zeitungen, Fernsehen und Rundfunk der DDR für ein Aufheben von der Mikroelektronik gemacht! Die Bürger sollten sich mit Stolz aufladen angesichts der mikroelektronischen Potenz der DDR. High-Tech zum ehrfürchtigen Bestaunen, nicht zum Anfassen. Schulklassen mussten sich mit Taschenrechnern begnügen, um einen Begriff von Informatik zu bekommen. Während sich in der Bundesrepublik Computer in der Privatsphäre mehr und mehr verbreiteten, sich Schüler zu Hause spielerisch am Kleinrechner ein neues Stück Allgemeinbildung eroberten, blieb der DDR-Haushalt computerfrei. Das änderte sich kaum, als Ende des Jahres 1988 die ersten DDR-Rechner mit schlichten 8-Bit-Prozessoren zu horrenden Preisen von etwa 3000 Mark im Handel erschienen."

Viele DDR-Bewohner nahmen bei Besuchen im Westen die Diskrepanz zwischen Propaganda bei sich zu Hause und der Wirklichkeit im anderen Land wahr und wollten auch elektronische Geräte wie PC, CD-Spieler und andere Geräte haben, bekamen sie aber in ihren Läden nicht zu kaufen oder mussten sie sich "hintenrum" mit Westgeld oder auf anderem Wege beschaffen. Selbstverständlich versorgten sich die Politbürokraten in der Funktionärssiedlung Wandlitz sowie ihre Familienangehörigen und alle, die mit Sicherheit und Landesverteidigung zu tun hatten, mit Computern westlicher Herkunft. Wie überhaupt die Schere zwischen denen da oben und denen da unten riesengroß war, auch was die Nutzung elektronischer Geräte, Computern und Nachrichtentechnik betraf.

Der im September 1988 Erich Honecker von Mitarbeitern des VEB Carl Zeiss Jena präsentierte 1-Megabit-Chip war der ganze Stolz der DDR-Mikroelektronik. Mit ihm sollte der Beweis erbracht werden, dass die DDR zur Weltspitze gehört und dem westdeutschen Klassenfeind selbstbewusst die Stirn bieten kann. Was die Propaganda verschwieg, war die magere Speicherkapazität dieses Chips. Er konnte gerade einmal 35 eng beschriebene Schreibmaschinenseiten speichern, also so gut wie nichts. Als die Novität von den DDR-Medien überschwänglich gefeiert wurde, war Fachleuten klar, dass die DDR-Industrie in diesem Bereich und nicht nur in diesem gegenüber westlichen Ländern um Jahre zurück liegt. Marktführer Toshiba stellte bereits seit zwei Jahren den 1-Megabit-Chip her, der 4-Megabit-Chip und weiter Speichermedien waren in Arbeit. Wenige Woche vor seinem unfreiwilligen Abschied aus der Politik nahm Honecker im August 1989 sichtlich gerührt das erste Muster eines 32-bit-Mikroprozessors aus DDR-eigener Produktion entgegen und lobte sich und das Erfurter Kombinat Mikroelektronik. Der Prozessor entspreche höchsten international bekannten Maßstäben, begeisterte sich der SED- und Staatschef, doch er war einer der ganz wenigen, die diesem Märchen glaubten.

Prestigeprogramm verschlang nur Geld

Im Zentralkomitee, in der Akademie der Wissenschaften und an anderen Orten lagen damals hinter dicken Panzerschranktüren Dokumente, die klipp und klar erklärten, dass das Mikroelektronik-Programm gescheitert und das ganze Geschrei um das ehrgeizige Vorhaben nichts als Lug und Betrug ist. Wenn die Ausarbeitungen Honecker vorgelegt wurden, weigerte er sich, sie zur Kenntnis zu nehmen und behauptete, die Verfasser wollten seinen Plan nur sabotieren. Dabei kostete der 1988 von der DDR für 93 DDR-Mark produzierte 64-Kbit-Chip auf dem Weltmarkt einen Dollar, der 534 teure 256-Kbit-Chip war für zwei Dollar erhältlich. Mit anderen Worten, das Prestigeprogramm verschlang nur Geld und brachte kaum etwas ein.

Eine nach dem Ende des SED-Staates bekannt gewordene Untersuchung des DDR-Zentralinstituts für Wirtschaftswissenschaften belegte einen gravierenden ökonomischen Rückstand in der Schaltkreisproduktion der DDR und einen erheblichen technologischen Abstand zum Westen, wie das Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL in seinem Heft 1/1990 berichtete, als noch die DDR existierte. Zwar sei die Schaffung einer eigenen mikroelektronischen Basis richtig gewesen, heißt es in dem Gutachten, doch der Milliardenaufwand für die Bauelemente-Fertigung in der DDR habe sich nicht gelohnt. Zugunsten der Entwicklung von Basis-Schaltkreisen wie Speicherchips und Steuerprozessoren für Personalcomputer seien die Bereiche Rechen-, Nachrichten- und Steuerungstechnik sowie Konsumgüterelektronik derart vernachlässigt worden, dass der DDR-Anteil an der Elektronik-Weltproduktion in den letzten zehn Jahren von 0,8 auf 0,4 Prozent zurückgegangen ist. Die Entscheidungen von Partei und Regierung seien ökonomisch nicht zu erklären.

Honecker, sein Wirtschaftssekretär Günter Mittag und ein paar andere Ignoranten waren so vernagelt, dass sie nicht erkannten, wie sehr die DDR-Mikroelektronik an den Baum fährt. Dessen ungeachtet wurden nach dem Motto "Sieg oder Niederlage" zwischen 1986 und 1989 3,5 bis 4 Milliarden D-Mark (Valutamark) sowie 28 Milliarden DDR-Mark in die Mikroelektronik und ihre Fabriken sowie in die Forschung und Entwicklung gesteckt. Dieses Geld fehlte an anderen Orten, es wäre für die Verbesserung der Versorgung der DDR-Bewohner und für die Sanierung der maroden Städte besser angelegt gewesen. Doch damit hätte der von der "Blüte" seines Landes felsenfest überzeugte Honecker gegenüber dem Westen wie auch der Sowjetunion und ihrem neuen Hoffnungsträger Michail Gorbatschow nicht auftrumpfen können, und das war wohl der Hauptgrund für die gewaltigen Anstrengung auf dem Gebiet der Mikroelektronik.

Einseitige Erfolgspropaganda

Nach 1989/90 wurden Dokumente veröffentlicht, die tiefe Einblicke über das über verhängnisvolle Schalten und Walten Honeckers und seiner engsten Genossen gewähren. So verfasste das ehemalige Politbüromitglied Werner Krolikowski am 16. Januar 1990 handschriftlich einen Bericht über die Zustände in der obersten Machtzentrale. Dieses und weitere brisante Dokumente wurden von Peter Przybylski, dem Moderator der Sendereihe im DDR-Fernsehen "Der Staatsanwalt hat das Wort", in seinem Buch "Tatort Politbüro. Die Akte Honecker" (Rowohlt Verlag Berlin 1991) veröffentlicht. Über Honecker und seinen Kampf für die Mikroelektronik heißt es auf der Seite 334: "Er setzte wie ein Besessener auf die einseitige Erfolgspropaganda, auf Schönfärberei und Angeberei. Noch im Jahre 1989 ließ er im ND auf Seite 1 ganz groß die DDR als eine Mikroship-Weltmacht feiern, aber es unterblieb selbst auf Seite 7 das Eingeständnis, dass es in der DDR kaum Damenschlüpfer zu kaufen gibt. Die BRD-Zeitungen aber berichteten über diese Sorge der DDR-Frauen." Honecker habe die DDR nicht gesehen, wie sie war, sondern wie sie nach seinem Willen sein sollte. Er habe dieses Zerrbild der gesamten SED sowie den anderen Parteien und Organisationen, der Volkskammer und einem großen Teil der Bevölkerung aufgedrückt.

Bereits 1980 hatte Krolikowski in einem internen Papier über Erich Honecker (EH) geschrieben: "Kennzeichnend für die politische Rolle und Stimmung von EH ist, dass er sich fühlt und auch im PB so hinstellt, dass er auf einem ganz großen Ross sitzt, dass er immer wieder in den verschiedensten Varianten von sich gibt, dass die SED und die DDR die beste und erfolgreichste Politik betreibt." Zehn Jahre später der von Honecker dilettantisch und doktrinär geführte Arbeiter-und-Bauern-Staat Vergangenheit. Über die teuren DDR-Mikrochips wurde nur noch im Kabarett gewitzelt.

5. September 2017

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