"Schmieriges Kulturgesicht des Dritten Reichs"
Das in Nürnberg vom Nazi-Gauleiter Julius Streicher herausgegebene Hetzblatt "Der Stürmer" trug zum Massenmord an den Juden bei



Mit einer Sondernummer zum Reichsparteitag 1935, auf dem die Nürnberger Rassengesetze beschlossen wurden, heizte "Der Stürmer" die Pogromstimmung im Nazireich an.



Überall im Deutschen Reich waren so genannte Stürmerkästen aufgestellt und wurden von den "Volksgenossen" entweder gelesen oder gemieden.



Zeichnungen von Philipp Rupprecht stellten Juden als Blutsäufer und Kinderschänder an den Pranger, und viele Menschen fielen auf diese widerliche Hetze herein.



Der hakennasige, unrasierte, dicke Mann mit krummen Beinen lockt Kinder an, um sie zu missbrauchen, lautet die Botschaft dieses seinerzeit weit verbreitete "fips"-Bilds.



Der Teufel diktiert im "Stürmer" einem Priester Worte gegen den Aufstieg des Großdeutschen Reichs zur Weltmacht. (Repros: Caspar)

Einer der in Nürnberg angeklagten und dort am 1. November 1945 hingerichteten Hauptkriegsverbrecher war Julius Streicher, der Herausgeber des antijüdischen Hetzblattes "Der Stürmer". Unermüdlich hatte der Nazigauleiter von Nürnberg und Verleger die Todesstrafe für so genante jüdische Rassenschänder gefordert und behauptet, nur durch die Lösung der Judenfrage sei die "Erlösung" des deutschen Volkes möglich von allem Übel. Zu Streicher stellte der Internationale Militärgerichtshof fest, seine Aufreizung zum Mord und zur Ausrottung stelle ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit dar. Als "Deutsches Wochenblatt im Kampfe um die Wahrheit" deklariert und mit Motto "Die Juden sind unser Unglück" versehen, das der bekannte Historiker Heinrich von Treitschke im 19. Jahrhundert ausgegeben hatte, behauptete "Der Stürmer" in unzähligen Varianten, Juden würden alles daran setzen, die nordisch-germanische Rasse und ihre Erbanlagen durch Geschlechtsverkehr und Vermischung des Blutes zu schädigen und so das deutsche Volk auszurotten. Angeblich genüge ein einziger Beischlaf eines Juden mit einer arischen Frau, "um deren Blut für immer zu vergiften. Sie hat mit dem ,artfremden' Eiweiß auch die fremde Seele in sich aufgenommen".

Das in hohen Auflagen verbreitete Hetzblatt untermalte seine Behauptungen mit pornografisch und sadistisch geprägten Horrorgeschichten und ebensolchen Bildern. Juden wurden eine ungebremste sexuelle Triebhaftigkeit wie bei Tieren und der unermüdliche Drang zur Schändung von Frauen, Mädchen und kleinen Kindern unterstellt. Ziele der hinterhältigen Angriffe waren darüber hinaus Homosexuelle, die angeblich gleichaltrige Männer und Jugendliche zur Onanie verführen und so dem "gesunden Volkskörper" unermesslichen Schaden zufügen. Die Verbreitung von Geschlechtskrankheiten würde von den "Fremdvölkischen" und "Gemeinschaftsfremden" in Kauf genommen, ja sogar angestrebt, lautete eine weitere Unterstellung. Leser des "Stürmers" delektierten sich darüber hinaus an Schauermärchen und Bildern zu sodomitischen Handlungen, also zum Geschlechtsverkehr von Menschen mit Tieren, und weiteren Perversionen, zu denen angeblich nur Juden in der Lage sind, stets in der Absicht, die arische Rasse zu unterminieren und vernichten. Prostitution und Mädchenhandel hätten das Ziel, Geschlechtskrankheiten gezielt auf die Arier übertragen, um ihnen den Garaus zu machen.

Laszive Lust an widerlichen Witzen

In seinem Gedicht "Streicher" aus dem Jahr 1935 beschrieb der in die Sowjetunion geflohene Erich Weinert, man habe den Typ schon irgendwo gesehen, "beim Herrenabend, wo dergleichen Glatzen / im Dunst lasziver Lust an Witzen schmatzen, / die immer sich ums Genitale drehn. / Ich hör ihn förmlich grunzen: Kenn Sie den? […] Zwar kann uns solches Schweinshirn kaum genieren, / solang es in privater Sphäre schlämmt. / Doch hier, bestallt mit einem Schreckensamt, / darf diese Kotgeburt sogar regieren / und seinen Dreck als Hochziel publizieren! / Das darf sich als Kulturpräzeptor fühlen; / und seine Herrenabendphantasie / darf amtlich sich in fremden Betten sühlen. / Vor dieser penetranten Pornarchie / versagt die Sprache wie die Ironie. / Doch eins sei festgestellt: wer noch der Meinung, / es sei die Tobsucht dieses Schnüffelscheichs / nur Abspiel peripheren Narrenstreichs, / der irrt. Denn diese schmierige Erscheinung / ist das Kulturgesicht des Dritten Reichs!"

Bereitwillig stellte sich "Der Stürmer" für den Kampf gegen unbotmäßige, dem NS-Regime kritisch eingestellte Geistliche beider Konfessionen zur Verfügung und versetzte seine Leser mit wildesten Geschichten von sexuellen Ausschweifungen in Kirchen und Klöstern, Gemeindezentren und Beichtstühlen in Angst und wollüstigen Schrecken. Für diese und andere Beiträge schlachtete das Hetzblatt denunziatorische Einsendungen von Lesern, aber auch Ermittlungen der Gestapo und sowie Aussagen in Gerichtsverfahren aus. Ergänzt wurden die Beiträge durch Hinweise auf Personen, die ungeachtet der Nürnberger Rassegesetze von 1935 "Umgang" mit Juden und Jüdinnen haben und sich deshalb angeblich selber aus der Volksgemeinschaft ausgeschlossen haben und daher keine Nachsicht verdienen. Sich gegen Verleumdung und Hetze zur Wehr zu setzen und Auskunft zu verlangen, woher solche Anschuldigungen stammen und ob es für sie Beweise gibt, war nicht möglich. Wer gegen den "Stürmer" vorzugehen versuchte, geriet in den Blick und die Fänge der Gestapo und landete am Ende im Zuchthaus oder Konzentrationslager.

Julius Streicher, die verfolgte Unschuld

Überall im NS-Staat wurden die antisemitischen Parolen und die vom Chefzeichner Philipp Rupprecht, genannt Fips, und anderen Grafikern hergestellten Karikaturen sowie Leserzuschriften in so genannten Stürmer-Kästen ausgehängt, in denen man die Seiten in aller Ruhe studieren konnte. Diese Schaukästen verschwanden für kurze Zeit während der Olympischen Spiele von 1936 aus der Öffentlichkeit, sorgten aber danach weiter für die Verbreitung von Streichers Hetzpostille, die seinem Verleger ein Vermögen einbrachte. Die so genannten Stürmer-Kästen waren überall im Deutschen Reich verbreitet. Das Hetzblatt ereichte große Verkaufszahlen dadurch, dass die Deutsche Arbeitsfront, in der Millionen Menschen zwangsweise organisiert waren, die Abnahme einer bestimmten Stückzahl garantierte. Daher konnte "Der Stürmer" sein Gift nicht nur in Wohnzimmern und Kneipen, sondern auch in Werkhallen und Betriebskantinen verspritzen. Überdies wurden im Sinne der Nazis besonders wirkungsvolle fips-Karikaturen durch großformatige Reproduktionen verbreitet.

Julius Streicher machte sich mit seiner zum Völkermord an den Juden führenden Hetzkampagne bei der Naziführung nicht nur Freunde. Obwohl er sich führende NS-Funktionäre persönlich anging und sich nicht scheute, sie in "Judenfragen" als zu lasch handelnd zu kritisieren und außerdem in einem Parteiverfahren der persönlichen Bereicherung und Korruption beschuldigt und überführt wurde, geschah ihm nichts. Obwohl Hitler ihn für einen "Narren" hielt, hielt er seine Hand schützend über Streicher, der weiter den Titel Gauleiter tragen und auch den Stürmer-Verlag samt satter Einkünfte behalten durfte. Die von manchen Naziführern zwar als widerlich und dem Ansehen des Deutschen Reichs als nicht tunlich empfundene Stürmer-Hetze auf allertiefstem Niveau wurde als wichtig für die ideologische Absicherung der rassistischen Zwangsmaßnahmen und Mordaktionen erachtet.

Hetze auf die Spitze getrieben

Bei Kriegsende als Kunstmaler Seiler untergetaucht und von den Amerikanern als einer der schlimmsten Einpeitscher des Antisemitismus entlarvt, versuchte Streicher, sich vor dem Kriegsverbrechertribunal, wie andere Angeklagte auch, als unwissend, als verfolgte Unschuld und als ein Mann auszugeben, an dessen Händen kein Blut klebt. Das aber hat ihm nichts genutzt. Bei seiner Hinrichtung durch den Strang stieß er die Drohung "Die Bolschewisten werden euch einmal hängen" aus. Die letzten Minuten des Verbrechers gegen die Menschlichkeit müssen qualvoll gewesen sein, die ihm vom Henker umgelegte Schlinge versagte ihren Dienst, und so musste sich der Mann an die Beine des Delinquenten hängen, um ihn vom Leben zum Tod zu befördern.

Streichers Chefzeichner Rupprecht schuf den so genannten Stürmer-Juden und bediente mit seinen abstoßenden Bildern von dicken, unrasierten, schmierigen Typen mit krummen Nasen und krummen Beinen sämtliche Klischees, die man seit der antisemitischen Hetze des 19. Jahrhunderts existierten und von ihm auf die Spitze getrieben wurden. Ruprechts vor sexueller Gier geifernden Missgestalten stehen im Kontrast zu "reinrassigen" Frauen und Mädchen, die sich der Übergriffe zu erwehren suchen und dies nur mit Hilfe treudeutscher Volksgenossen schaffen. Rupprecht musste nach Kriegsbeginn nur kurz in der Marine Dienst tun und wurde, weil die Nazipropaganda ihn brauchte, bald "uk" gestellt, war also unabkömmlich. So konnte er bis zum Kriegsende seine Machwerke herstellen.

Nach Ende der Nazidiktatur als Hauptschuldiger eingestuft und zu zehn Jahren Arbeitslager verurteilt, kam "fips" bereits 1950 frei wie viele andere NS-Verbrecher auch, die in der jungen Bundesrepublik von Gnadenerweisen im Zeichen des Kalten Kriegs profitierten. Er baute sich unangefochten und als ehrbarer Bürger eine Existenz als Kunstmaler und Dekorateur in Starnberg, Stuttgart-Bad Cannstatt und München auf, wo er 1975 starb. Bis heute finden sich in antisemitischen Publikationen Illustrationen im Stil der von Rupprecht gezeichneten Hetzbilder.

9. Mai 2017

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