"Die Juden sind unser Unglück"
Der Herausgeber des antisemitischen Hetzblattes "Der Stürmer" gab sich nach dem Ende des Naziregimes als verfolgte Unschuld aus



Überall in Hitlers Reich waren so genannte Stürmer-Kästen aufgestellt, ein solcher wurde vor einigen Jahren zufällig in Berlin entdeckt und war in der Ausstellung "Berlin im Jahr 1937" im Märkischen Museum zu sehen.



Das einen alten Juden mit Bart und Kippa darstellende Titelfoto der Ausgabe vom 25. Februar 1943 ist mit dem Satz "Wenn der Jude siegt, geht die Welt zugrunde" unterschrieben.



Der von Heinrich von Treitschke geprägte Satz "Die Juden sind unser Unglück" steht auf der Titelseite aller "Stürmer"-Ausgaben.





Besonders widerliche Zerrbilder von Juden zu zeichnen, sah Philipp Rupprecht, der sich Fips nannte, als seine Lebensaufgabe an. (Foto/Repros: Caspar)

Einer der in Nürnberg angeklagten und dort am 16. Oktober 1946 hingerichteten Hauptkriegsverbrecher war Julius Streicher, Gauleiter von Nürnberg und Herausgeber des antijüdischen Hetzblattes "Der Stürmer". Über ihn stellte der Gerichtshof fest, seine Aufreizung zum Mord und zur Ausrottung der Juden sei ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit gewesen. Als "Deutsches Wochenblatt im Kampfe um die Wahrheit" deklariert und mit dem von dem preußischen Historiker Heinrich von Treitschke übernommenen Motto "Die Juden sind unser Unglück" versehen, behauptete das Hetzblatt, Juden würden alles daran setzen, die nordisch-germanische Rasse und ihre Erbanlagen durch Geschlechtsverkehr und Vermischung des Blutes zu schädigen und auszurotten. Angeblich genüge ein einziger Beischlaf eines Juden mit einer arischen Frau, "um deren Blut für immer zu vergiften. Sie hat mit dem ,artfremden' Eiweiß auch die fremde Seele in sich aufgenommen".

Treitschke, ganz ein Mann des 19. Jahrhunderts, sprach seinen jüdischen Mitbürgern das Recht ab, gleichberechtigt am Leben und der Gestaltung der Nation teilzunehmen, und riet ihnen, ihr "jüdisches Wesen" abzustreifen und durch "deutsches Wesen" auszuwechseln. Indem der Geschichtsprofessor für Bismarcks Einigungspolitik unter preußischer Führung eintrat, erwarb er sich den Ruf eines "Herolds der Reichsgründung". Er trat für einen starken zentralistisch regierten Staat ein und befürwortete eine aggressive, auch auf den Erwerb von Kolonien ausgerichtete Außenpolitik. Mit seiner Parole bediente Treitschke den latenten Antisemitismus im neuen Deutschen Reich. Mit ihr löste er eine scharfe Debatte aus, den Berliner Antisemitismusstreit. Nach dem Ersten Weltkrieg und nachdem die Monarchie 1918 auf dem Müllhaufen der Geschichte gelandet war, bekam das, was der Staatshistoriker und andere gefordert hatten, durch die Nazis und ähnliche Gruppen neuen Auftrieb.

Ein Wegbereiter des Holocausts

Sofort nach der Errichtung der Hitlerdiktatur am 30. Januar 1933 wurden die ersten praktischer Maßnahmen zur Ausgrenzung und Unterdrückung von Juden in Kraft gesetzt. Sie führten geradewegs zu den so genannten Nürnberger Gesetzen von 1935 und im Zweiten Weltkrieg zum Holocaust. Dass die Rassengesetze in Nürnberg während eines Nazi-Parteitags verabschiedet und verkündet wurden, kam nicht von ungefähr. Die alte Reichsstadt hatte sich binnen kurzer Zeit als Zentrum der antijüdischen Hetze einen besonders traurigen Ruf erworben, denn hier wurde "Der Stürmer" herausgegeben. Ungewollt wurde der preußische Staatshistoriker Treitschke, der in Juden für "Unglück" hielt, ihnen unterstellte, ein "zersetzenden Faktor" zu sein, sowie gegen "Mischkulturen" polemisierte, zum Wegbereiter für den Holocaust.

Julius Streichers Schmutzblatt untermalte seine Behauptungen mit stark pornografisch und sadistisch geprägten Horrorgeschichten. Juden wurde eine ungebremste sexuelle Triebhaftigkeit wie bei Tieren und der unermüdliche Drang zur Schändung von Frauen, Mädchen und kleinen Kindern unterstellt. Ziel der hinterhältigen Angriffe waren darüber hinaus Homosexuelle, die angeblich gleichaltrige Männer und Jungen zur Onanie und widernatürlichen Geschlechtsverkehr verführen und so dem gesunden Volkskörper unermesslichen Schaden zufügen. Dass sie zur Verbreitung von Geschlechtskrankheiten beitragen, würden alle diese "Fremdvölkischen" in Kauf nehmen, ja sogar anstreben. Bereitwillig stellte sich "Der Stürmer" für den Kampf gegen unbotmäßige, dem NS-Regime kritisch eingestellte Geistliche beider Konfessionen zur Verfügung und versetzte seine Leser mit wildesten Geschichten von Orgien und Ausschweifungen in Kirchen und Klöstern, Gemeindezentren und Beichtstühlen in Angst und Schrecken.

Warnung vor "Blutschande"

Für diese und andere Beiträge schlachtete "Der Stürmer", der eine wöchentliche Auflage bis zu 400 000 Exemplare erzielte und daher für seinen Herausgeber sehr einträglich war, Einsendungen von Denunzianten, aber auch Ermittlungen der Gestapo sowie Berichte aus Gerichtsverfahren aus. Ergänzt wurden die Beiträge durch denunziatorische Hinweise auf Personen, die ungeachtet der Nürnberger Rassegesetze von 1935 "blutschänderischen Umgang" mit Juden und Jüdinnen haben und sich deshalb selber aus der Volksgemeinschaft ausgeschlossen haben. Den Zweiten Weltkrieg rechtfertigte das Hetzblatt als Kampf gegen den "jüdischen Weltfeind" und als schicksalhafte Auseinandersetzung über den Fortbestand der arischen Rasse.

Überall im NS-Staat wurden die antisemitischen Parolen und die von Philipp Rupprecht, genannt Fips, angefertigten Zeichnungen sowie Leserzuschriften in so genannten Stürmer-Kästen ausgehängt. Diese Schaukästen verschwanden für kurze Zeit während der Olympischen Spiele von 1936 aus der Öffentlichkeit, als sich der NS-Staat als tolerant und weltoffen darzustellen versuchte. Danach sorgten sie weiter für die Verbreitung der Hetzparolen des militanten Antisemiten Julius Streicher. Er machte sich mit seiner allerniedrigste Instinkte ansprechenden Kampagne bei der Naziführung nicht nur Freunde, die viel auf ihr Renommee als geachtetes Mitglied der Staatengemeinschaft achtete.

Obwohl sich Streicher nicht scheute, führende NS-Funktionäre als in "Judenfragen" zu lasch handelnd anzugehen, und außerdem in einem Parteiverfahren der persönlichen Bereicherung und Korruption beschuldigt und überführt wurde, geschah ihm nichts. Unter Hitlers Schutz stehend, durfte Streicher weiter den Titel Gauleiter tragen und auch den Stürmer-Verlag samt satter Einkünfte behalten. Bei Kriegsende als Kunstmaler Seiler untergetaucht und von den Amerikanern als einer der schlimmsten Einpeitscher des Antisemitismus entlarvt, bestritt der ehemalige Nürnberger Gauleiter vor dem Kriegsverbrechertribunal, wie andere Angeklagte auch, seine Beteiligung an Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit und gab sich als verfolgte Unschuld aus, was ihm und anderen Angeklagten aber nicht viel nutzte. Dem wichtigsten Illustrator der Hetzzeitschrift "Der Stürmer" ist nach dem Ende der NS-Zeit kaum etwas geschehen. Nach kurzer Haft lebte er als Kunstmaler und Dekorateur in Süddeutschland und starb 1975 in München. Reproduktionen und Nachahmungen seiner Karikaturen finden sich bis heute in antisemitischen Publikationen.

21. Oktober 2017

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