"Tarantel" ärgerte SED-Funktionäre
Was man auf dem Platz des 17. Juni in Berlin entdecken kann



Hinter dem Zaun werden am Bundesministerium der Finanzen Bauarbeiten ausgeführt, vorn erinnert ein in den Boden eingelassenes Denkmal an den Aufstand vom 17. Juni 1953.



Auf den Zaunwänden wird in Bild und Schrift berichtet, was zu der Erhebung führte, wie sie verlief und welcher Rachefeldzug gegen die Teilnehmer am 17. Juni 1953 geführt wurde.



Ostdeutsche Funktionäre wedeln in der "Tarantel" mit Versprechungen, um die Rote Fahne wieder zum Flattern zu bringen.



Das Buch von Walter Schulz-Heindorf enthält viele interessante Nachrichten über das gratis verteilte Satireblatt, lässt aber offen, wer es finanziert hat.



Die als "Rote Hilde" verschriene DDR-Justizministerin Hilde Benjamin, kenntlich an ihrer speziellen Haartracht, triumphiert auf dem Titel vom Februar 1953 über Justitia. (Foto/Repros: Caspar)

Der Vorplatz des Bundesministeriums der Finanzen ist durch einen Bretterzaun geteilt. Er versperrt den Blick auf eine Säulenhalle, in der gerade Bauarbeiter das Sagen habe. Um aber zu dokumentieren, was sich an dieser Stelle am 17. Juni 1953 direkt vor dem damaligen Haus der Ministerien, zugetragen hat, ist auf dem Zaun eine Bildergalerie befestigt. Hier auf dem "Platz des 17. Juni" erhoben an jenem Tag im Sommer 1953 aufgebrachte Bauarbeiter und andere Bewohner von Ostberlin gegenüber Regierung die Forderung, die zuvor drastisch erhöhten Arbeitsnormen zu senken und die Lebensverhältnisse der DDR-Bewohner spürbar zu verbessern. Die Demonstranten verlangten freie Wahlen, den Abzug der sowjetischen Besatzer und die Wiedervereinigung der beiden deutscher Staaten. Die in Angst und Schrecken versetzte Regierung unter Ministerpräsident Otto Grotewohl und seinem Stellvertreter Walter Ulbricht, der zugleich Chef der Staatspartei SED war, rief die Rote Armee zu Hilfe, die dann den Arbeiteraufstand brutal niederwalzte und im sowjetischen Sektor Berlins und in der übrigen DDR "Ruhe und Ordnung" herstellte, was immer man darunter verstand.

Wie es zum 17. Juni 1953 kam und wie er niedergeschlagen wurde, aber auch welche Rache das SED-Regime an den Aufständischen bis hin zu Exekutionen und hohen Zuchthausstrafen nahm und wem Ostberlin die Schuld an dem Volksaufstand in die Schuhe schob, wird auf den Bild-Text-Tafeln an der Wand geschildert. Die von dem Historiker Stefan Wolle gestaltete Freiluftausstellung enthält neben vielen anderen Fotos und Dokumenten auch Reproduktionen aus dem im damaligen Westberlin publizierten Journal "Tarantel". Die "Satirische Monatsschrift der Sowjetzone" bezeichnete sich als unbezahlbar, und in der Tat bekam man das mit einer haarigen Giftspinne auf dem Umschlag geschmückte Blatt für umsonst. Gelegentlich wurde es auch Westberliner Tageszeitungen beigelegt, und auch im Ausland hat man manche Bilder und Beiträge nachgedruckt, wie der stellvertretende Verlagsleiter von damals, Walter Schulze-Heindorf, in einem Erinnerungsbuch von 1997 schrieb. Wer sich als Bewohner der DDR oder Besucher aus dem Westen von der Volkspolizei oder der Stasi mit der verhassten "Tarantel" im Gepäck erwischen ließ, hatte wegen Boykotthetze schlimme Repressalien zu erwarten. Schulze-Heindorf beschreibt solche Fälle.

Wie viele andere Diktatoren verstanden die durch Karikaturen sowie echte und erfundene Zitate aufs Korn genommenen "führenden Persönlichkeiten" der DDR keinen Spaß. Doch wenn es gegen den "Klassenfeind" im Westen ging, zeigten diese weniger Skrupel, man war ja schließlich im Kalten Krieg. Bundeskanzler Konrad Adenauer und andere Westdeutsche wurden als direkte Nachfolger von Hitler, Himmler, Goebbels und Göring verunglimpft.

Gefährliche Souvenirs aus dem Westen

Die 1950 in Westberlin gegründete Zeitschrift war ungeachtet aller Gegenmaßnahmen der Staatssicherheit und Polizei in der DDR weit verbreitet. Die drastischen Karikaturen über Stalin und Chruschtschow und seine "Pankower" Handlanger, allen voran "Spitzbart" Ulbricht und Wilhelm III. Pieck, über den Aufstand vom 17. Juni 1953, die Zwangskollektivierung der Bauern, aber auch leere Läden und die Unterdrückung der Meinungsfreiheit kamen bei Ostdeutschen gut an, die mit dem Regime nichts am Hut hatten. Wurde die "Tarantel" pflichtgemäß bei der Volkspolizei und der Stasi abgegeben, zeigten die bunten Hefte deutliche Lesespuren.

Chef und Motor der Kampfschrift beziehungsweise der 1956, im Jahr des Ungarn-Aufstandes, gegründeten Bild- und Wortagentur "tarantelpress" war Heinz Wenzel, der sich Heinrich Bär nannte, während sein Stellvertreter Walter Schulz-Heidorf das Pseudonym Wolfram Wolf benutzte. Konspiration war das A und O in der Arbeit an der Monatsschrift und den vielen Sonderausgaben der "Tarantel", die angeblich in dem fiktiven "Freiheitsverlag Leipzig" erschien.

Selbstverständlich blieben diese Tarnung und das "Innenleben" der Tarantel den Sicherheitsorganen der DDR nicht verborgen. Ein Heer von Agenten bis hin zur Putzfrau war auf die Redaktion in der Berliner Mommsenstraße beziehungsweise der Stresemannstraße angesetzt. Erich Mielkes Ministerium startete mit mäßigem Erfolg immer wieder Versuche, die Arbeit der Texter und Zeichner zu sabotieren. Einige waren aus Ostberlin geflüchtet und erhielten bei der Tarantel neue Arbeit. Als der Verlag aufgelöst wurde, weil die Tarantel ihre eigentliche Zielgruppe, die Leser in der DDR und Ostberlin, nach dem Bau der Mauer am 13. August 1961 nicht mehr erreichte, hat man in Redaktion und Verlag brisante Unterlagen über die Mitarbeiter sowie interne Vorgänge vernichtet. Die Daten sollten auf keinen Fall in die Hände der Staatssicherheit fallen. Nach dem Ende der DDR wurden in den Unterlagen der damaligen Gauck-Behörde aufschlussreiches, oft auch belustigendes Material über den "Heinrich-Bär-Verlag" und seine Erzeugnisse einschließlich der mühsam von Spitzeln gesammelten Angaben über das An- und Ausknipsen von Lichtern in Büroräumen gefunden. Wer zum Thema "Tarantel" und ähnliche Unternehmungen forscht, findet in den Archiven des früheren Stasi-Ministeriums reichlich Material. In der Ausstellung, die in Mielkes Büro an der Ruschestraße im Berliner Bezirk Lichtenberg eingerichtet ist, sind einige Titelseiten der Satirezeitschrift zu sehen.

Mausoleum für den lebendigen Stalin und "volksfreie Zone" in Wandlitz

Die Schreiber, Zeichner und Redakteure der "Tarantel" waren ausgesprochen kreativ. Neben den regulären Heften im Vierfarbendruck brachten sie zahlreiche Beilagen und Sonderausgaben heraus, darunter Nachahmungen des SED-Zentralorgans "Neues Deutschland" mit hanebüchenen Berichten aus dem Führungszirkel der Staatspartei und der von ihr und den sowjetischen Besatzern abhängigen Regierung. Walter Schulze-Heindorf zitiert erfundene Aussagen von SED-Größen in einem "2. Nürnberger Prozess" und berichtet, dass ein Aufruf, Ideen für ein Stalinmausoleum einzusenden, ein ungeahnt großes Echo fand. 18 000 Zuschriften wurden für das Preisausschreiben gezählt, dabei erfreute sich der "große Führer des Weltproletariats" 1951 noch bester Gesundheit und bereitete gerade im Stil der 1930-er Jahre weitere tödlich endende Schauprozesse in seinem Land vor. Dass die Redaktion mit westlichen Geheimdiensten zusammengearbeitet und wohl auch von solchen Stellen finanziert wurde, darf angenommen werden. In peinliche Bedrängnis kam die DDR-Führung durch Veröffentlichung von Bauplänen und Fotos aus der Politibüro-Siedlung Wandlitz. Der so genannte "Bernauer Generalanzeiger" machte mit der Schlagzeile "Volksfreie Zone" auf und beschrieb, wie sich die angeblichen Arbeiterführer Ulbricht & Co. von den eigenen Untertanen abschotten und um sich eine Mauer bauen, lange bevor die zwischen Deutschland und Deutschland errichtet wurde. Die Dokumente über Wandlitz und weitere ostdeutsche Staatsgeheimnisse wurden der "Tarantel" und anderen Medien von einem mit Insiderkenntnissen versehenen Ehepaar R. aus Hohenneuendorf zugespielt. Diese "staatsfeindlicher Verbindungsaufnahme" flog auf, R. und seine Frau wurden zu langjährigen Zuchthausstrafen verurteilt, und der Verräter erhielt von der Stasi eine Belobigung. So ist das Satireblatt mit tragischen Schicksalen verbunden, aber das traf ja leider auch auf viele andere Ereignisse und Gestalten zu.

29. März 2017

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