Blutbesudelte "Deutsche Wissenschaft"
Nazideutschland ging rigoros gegen jüdische Gelehrte vor und etablierte völkische Forschungsgebiete



Vergeblich setzte sich der Physiknobelpreisträger Max Planck für seine jüdischen Kollegen ein. Sein Denkmal steht im Ehrenhof der Humboldt-Universität zu Berlin.



Eine Büste an der Straße der Erinnerung im Berliner Ortsteil Moabit würdigt Albert Einstein. Die Sockelinschrift lautet: "Ich habe keine besondere Begabung, ich bin nur leidenschaftlich neugierig".



Philipp Bouhler war Hitlers Euthanasie-Beauftragter und brachte sich 1945 um. SS-Obergruppenführer Karl Brandt (rechts) war Hitlers Leibarzt, organisierte Versuche an Menschen und war auch Generalbevollmächtigter für chemische Kampfstoffe. Er wurde im Nürnberger Ärzteprozess zum Tod verurteilt und 1948 in Landsberg hingerichtet.



Nazi-Chefideologe Rosenberg delektierte sich mit den Seinen an germanischer Kunst und Kultur und betätigte sich im Zweiten Weltkrieg als einer der schlimmsten Kunsträuber des NS-Regimes. Als einer der Hauptkriegsverbrecher endete er 1946 in Nürnberg am Galgen.



Der Mediziner Robert Rössle war in der Luftwaffenforschung des NS-Regimes und im Wissenschaftlichen Beirat des Bevollmächtigten für das Gesundheitswesen Karl Brandt tätig. Nach 1945 war er Professor an der Humboldt-Universität zu Berlin und erhielt den Nationalpreis der DDR. Seine Büste steht in Berlin-Buch, wo auch eine Klinik nach ihm benannt ist. (Fotos/Repro: Caspar)

Die Bücherverbrennung auf dem Opernplatz am 10. Mai 1933 markiert auf besonders drastische Weise den Beginn der Gleichschaltung des Kultur- und Geisteslebens sowie der Hochschulen und Universitäten im Deutschen Reich gleich nach der Errichtung der NS-Diktatur. Sehr schnell entledigten sich die damalige Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, die Technische Hochschule Charlottenburg und die anderen Universitäten und Hochschulen quer durch das Land unter dem Druck der Regierung und im Vollzug der neuen diskriminierenden Gesetze ihrer jüdischen Professoren und Studenten. Von Entlassung waren auch andere Personen, die als politisch unzuverlässig galten, weil sie sich vor 1933 als Antifaschisten positioniert hatten. Für diesen Personenkreis - Professoren, Dozenten, wissenschaftliche Mitarbeiter und Studenten - existierten bei der Gestapo, der neu gebildeten politischen Polizei des NS-Regimes, schwarze Listen, die systematisch abgearbeitet wurden. Jetzt wurden für Lehre, Forschung und Ausbildung nur noch Personen zugelassen, die den so genanten Ariernachweis erbringen konnten und sich gegenüber den neuen Machthabern loyal verhielten.

Unter Gelächter aus dem Amt gejagt

Von nun an stand Deutsche Wissenschaft auf dem Programm. Jetzt durften nur Hochschullehrer mit arischem Stammbaum und solche amtieren, die das Regime in Wort und Schrift unterstützten. Sie konnten sich pseudowissenschaftlich jetzt in Fächern wie Rassepolitik, Geopolitik, Germanenkult sowie politische Pädagogik und Volkskunde austoben und erhielten reiche Publikationsmöglichkeiten. Jetzt wurden "deutsche" Chemie, Mathematik und Physik gelehrt und praktiziert, und es wurden Menschen als "Material" für sadistische Versuchszwecke missbraucht und dabei ermordet. Wer sich von den Wissenschaftlern nicht vereinnahmen ließ und Glück hatte, überstand den Horror in der "inneren Emigration". Die bis 1933 blühende Wissenschaft in Deutschland wurde von den Nationalsozialisten rücksichtslos und ohne die Folgen zu bedenken enthauptet. Es nutzte nicht, dass sich der Physiknobelpreisträger Max Planck in seiner Eigenschaft als Präsident der renommierten Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft für jüdische Kollegen, allen voran Fritz Haber, einzusetzen versuchte. Hitler ließ sich auf nichts ein und antwortete Planck immer lauter werdend: "Gegen die Juden an sich habe ich nichts. Aber die Juden sind alle Kommunisten, und diese sind meine Feinde, gegen sie geht mein Kampf". Auf Plancks Bemerkung, dass es doch verschiedenartige Juden gäbe, "für die Menschheit wertvolle und wertlose" und dass man Unterschiede machen müsse, sagte Hitler, das sei nicht richtig, Jude sei Jude. Alle Juden würden wie Kletten zusammen hängen, "und deshalb muss ich gegen alle Juden gleichmäßig vorgehen". Plancks Argumente zogen nicht. "Auf meine Bemerkung, dass es aber geradezu eine Selbstverstümmelung wäre, wenn man wertvolle Juden nötigen würde auszuwandern, weil wir ihre wissenschaftliche Arbeit brauchen und diese sonst im Ausland zugute kommen, ließ er sich nicht weiter ein, erging sich in allgemeinen Redensarten [...] und schaukelte sich in eine solche Wut hinauf, dass mir nichts übrig blieb, als zu schweigen und zu verstummen und mich zu verabschieden".

Die Knebelung der Universitäten, Hochschulen, Akademien und weiteren wissenschaftlichen Gremien hatte gravierende Folgen. Nicht nur die Nobelpreisträger Albert Einstein und Gustav Hertz verloren ihre Stellungen und gingen ins Ausland. In Berlin, damals die wichtigste Stadt für Forschung und Lehre, und im ganzen Reich wurden über 2000 Wissenschaftler aus rassistischen und politischen Gründen aus dem Amt gejagt, begleitet von höhnischem Gelächter der neuen Herren. Doch hinter der Fassade brodelte es, auch an der Berliner Universität und anderen Einrichtungen. Immer wieder kam es zu regimefeindlichen Aktionen, deren Initiatoren, so weit sie bekannt wurden, von der Gestapo und der Justiz erbarmungslos verfolgt wurden. In internen Zirkeln wurde insbesondere nach Kriegsbeginn und dem Ausbleiben des versprochenen Sieges in der Sowjetunion die sich dramatisch zuspitzende Lage diskutiert, und manche, die noch die Illusion hatten, das Blatt könne sich noch wenden, verloren alle Hoffnungen angesichts zunehmenden Staatsterrorismus und Rassenwahns.

Nach der Errichtung der nationalsozialistischen Diktatur wurden aus rassistischen Gründen 14 Mitglieder der berühmten Gelehrtenvereinigung sowie mindestens 15 ihrer wissenschaftlichen Mitarbeiter zwangsweise ausgeschlossen und gingen damit ihrer Arbeits- und Lebensgrundlagen verlustig. Zu dem Kreis illustrer Gelehrter gehörte Albert Einstein, der gerade in den USA weilte, als Hitler an die Macht kam und so ihrer Verfolgung entging. Einsteins regimekritischen Äußerungen hatten die Nazis so sehr aufgebracht, dass sie schon vor 1933 massiv gegen den jüdischen Physiknobelpreisträger und Pazifisten Einstein hetzten und seinen Ausschluss aus der Preußischen Akademie verlangten. Diesem kam Einstein durch seinen eigenen Austritt zuvor. Sein Kollege, der Physiknobelpreisträger Max Planck, betonte am 11. Mai 1933 in einer vor der Akademie verlesenen Erklärung, Einstein sei nicht nur einer unter vielen hervorragenden Physikern, sondern "der Physiker, durch dessen in unserer Akademie veröffentlichte Arbeiten die physikalische Erkenntnis in unserem Jahrhundert eine Vertiefung erfahren hat, deren Bedeutung nur an den Leistungen Johannes Keplers und Isaac Newtons gemessen werden kann. Es lag mir vor allem deshalb daran, dies auszusprechen, damit nicht die Nachwelt einmal auf den Gedanken kommt, dass die akademischen Fachkollegen Hrn. Einsteins noch nicht im Stande waren, seine Bedeutung für die Wissenschaft voll zu begreifen."

Albert Einstein hat genug

Die Akademie tat sich nach dem Ende des NS-Staates und des Zweiten Weltkriegs mit der so genannten Vergangenheitsbewältigung schwer. Um das Unrecht wieder gut zu machen, wurde den ehemals ausgeschlossenen Akademiemitgliedern die Mitgliedschaft angeboten. Einzig lehnte Albert Einstein 1946 "nach all dem Furchtbaren, das geschehen ist", das Anerbieten der Deutschen Akademie der Wissenschaften ab.

Zum grausigen Erbe der weltbekannten und renommierten Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (KWG) gehört ihre Beteiligung an Experimenten mit lebenden und toten Menschen sowie in der Giftgasforschung während der Zeit des Nationalsozialismus. Diese dunkle Seite ihrer Geschichte wurde inzwischen der Max-Planck-Gesellschaft als Nachfolgerin der KWG aufgearbeitet und liegt in Form einer mehrbändigen "Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus" vor. Sie dokumentiert unter anderem die im Dienst der NS-Führung stehenden Forschungsfelder, die Korrumpierung führender Wissenschaftler durch die Politik, den Anteil der KWG an der Rüstungsforschung und die Menschenversuche in den Konzentrations- und Vernichtungslagern. Außerdem befasst sich ein Band der Reihe mit den aus dem Kreis der KWG vertriebenen Wissenschaftlern. Die betreffenden Akten sowie zahlreiche Nachlässe herausragender Wissenschaftler befinden sich im 1975 gegründeten Archiv in Berlin-Dahlem.

Der hippokratische Eid, den Ärzte vor ihrer Approbation ablegen müssen und mit dem sie versichern, stets zum Wohle der Patienten zu arbeiten, war in der Nazizeit de facto außer Kraft gesetzt. Braune Verbrecher in weißen Kitteln unternahmen vor allem während des Zweiten Weltkriegs unmenschliche Versuche an Häftlingen in Konzentrationslagern. Häftlinge waren für die SS-Ärzte nichts anderes als Versuchskaninchen, die man angeblich im Dienste der Menschheit und der Wissenschaft jeder erdenklichen Qual aussetzen konnte. Stundenlang mussten Gefangene in eiskaltem Wasser zubringen, um das Funktionieren von Schwimmwesten und Schutzanzügen zu testen. Anderen Männern und Frauen wurden Gifte und Bakterien beigebracht, um die Wirksamkeit von Medikamenten zu überprüfen. Rassenkundler ließen Gefangene töten und nahmen an ihnen Schädel- und Skelettmessungen vor.

Uneinsichtig, verstockt und ohne Mitleid

Auf diese Weise fielen viele Tausend Menschen pseudowissenschaftlichen Versuchen zum Opfer. Wer überlebte, hatte mit bleibenden Schäden zu kämpfen. Viele von denen, welche die Experimente überlebten, mussten um Renten und Entschädigungen kämpfen, wenn ihnen überhaupt etwas zugestanden wurde. Lange war das Thema tabu. Ärzte, die unter dem Deckmantel der Wissenschaft morden - das war für viele ein unmöglicher Gedanke, das kratzte am Image der ganzen Zunft, und außerdem ließen sich viele Mediziner, die ihr Handwerk bei Mördern in Ärztekitteln gelernt hatten, nicht gern an die braune Vergangenheit ihres Berufszweiges erinnern. Im Westen und zum Teil auch im Osten gelang es etlichen Medizinern, ihre Karrieren nach dem Krieg fortzusetzen. Beim Nürnberger Ärzteprozess 1946/7 zeigte keiner der Angeklagten Mitleid mit seinen Opfern und bereute nichts. Im Gegenteil behaupteten sie, uneinsichtig udn verstockt wie sie waren, der Menschheit einen Dienst getan zu haben, indem sie nicht mehr nur mit Tieren, sondern "praxisnah" mit Menschen experimentierten und so angeblich zu Erkenntnissen gelangten, die der gesamten Menschheit zugute kommen.

13. März 2017



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