Vorsicht Zensur!
Wie deutsche Fürsten nach den Befreiungskriegen gegen oppositionelle Schreiber und Verleger vorgingen



"Wie lange möchte uns das Denken wohl noch erlaubt sein" fragen Mitglieder eines Denkerklubs, in dem Schweigen das erste Gesetz ist. Karikatur aus dem frühen 19. Jahrhundert.



Der Presse sind Hände und Flügel gebunden, und die Karlsbader Beschlüsse von 1819 haben sie in den Schlaf versetzt.



Der Teufel kleistert Plakate für und gegen freie Gedanken und Volkswohlfahrt an die Wand, die politische Tendenz dieser besonders drastischen Karikatur ist nicht ganz klar.



Wer im Kaiserreich durch Zensurbestimmungen leidet und welche Köpfe unter das Fallbeil kommen, lässt dieses Bild ahnen.



Die Münchner Satirezeitschrift "Simplicissimus" und seine Gestalter waren mehrfach von Strafen und Verboten betroffen, doch immer wieder rappelte sich das Blatt sich auf und bekam, noch interessanter geworden, viele neue Leser.



Die Arbeit der Schriftsteller und Journalisten unter den Augen der Justiz, Polizei und Kirche war alles andere als angenehm und konnte bisweilen sogar lebensgefährlich werden. (Repros: Caspar)

Das 1949 verkündete Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland bestimmt im Artikel 5, jeder habe das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung werden gewährleistet. Der Satz "Eine Zensur findet nicht statt" ist eine große demokratische Errungenschaft, von der man noch vor wenigen Jahrzehnten kaum zu träumen wagte. Unser Grundrecht auf Meinungsfreiheit erlaubt allerdings nicht, gegen unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung in Schrift, Bild und Ton vorzugehen sowie zu Völker- und Rassenhass und zur Vernichtung von einzelnen Personen oder Minderheiten sowie zu Krieg und Gewalt aufzurufen. Wer dies in den Medien tut oder auch dafür das Internet nutzt, hat mit Strafverfolgung zu rechnen.

Ursprünglich meinte das lateinische Wort Zensur (nach lat. censere, schätzen) eine Begutachtung und Schätzung. Beamtete Zensoren hatten in römisch-republikanischer Zeit die Aufgabe, Erhebungen über Männer und Frauen anzustellen und die Ergebnisse in Listen zu erfassen. Solche Bürgerverzeichnisse dienten als Grundlage für die Besteuerung und den Militärdienst. Die Angaben über die eigene Person, Herkunft, Tributzugehörigkeit usw. mussten unter Eid abgegeben werden. Die Zensoren konnten eine in ihren Augen ungeeignete Person aus der Gemeinschaft ausschließen und/oder ihr ein Amt absprechen. Bei der Begutachtung wurde auch im Privatleben der betreffenden Personen gestochert, und es kam Gesinnungsschnüffelei vor. Das komplizierte und aufwändige Verfahren wurde in der späten republikanischen Zeit durch eine Volkszählung abgelöst. Wegen dieser vom Kaiser Augustus befohlenen "Schätzung" begaben sich Josef und seine schwangere Frau Maria nach Bethlehem, wo sie das Christuskind zur Welt brachte.

Maßnahmen gegen revolutionäre Umtriebe

Offiziell wurde in Deutschland die Zensur erst nach den Befreiungskriegen im frühen 19. Jahrhundert eingeführt, doch selbstverständlich gab es Kontrollen und Verbote von Schriften aller Art schon lange davor, nur nannte man die Unterdrückung des freien Geistes anders. Jedes geschriebene Wort musste, wenn es gedruckt werden sollte, den Behörden vorgelegt werden, in denen mehr oder weniger gebildete und versierte Zensoren tätig waren. Grundlage für ihre Arbeit waren die Karlsbader Beschlüsse. Sie legten im Oktober 1819 harte Maßnahmen gegen "revolutionäre Umtriebe" sowie zur Verfolgung von so genannten Demagogen fest und versetzten der Pressefreiheit einen schweren Schlag. Um in Preußen die Monarchie im Sattel zu halten, jede Einflussnahme der Untertanen auf die Staatsgeschäfte zu verhindern und revolutionären, liberalen und sonstigen Elementen das Wasser abzugraben, bestimmte die Zensur-Verordnung von 1819, dass in Preußen alle Bücher und Schriften vor dem Druck zur Kontrolle vorgelegt und ohne die schriftliche Erlaubnis der Behörde weder veröffentlicht noch verkauft werden dürfen. Man kann sich gut vorstellen, welche Willkür es bei diesem Vorgang gab, welche sprachlichen und juristischen Winkelzüge nötig waren, um ein verdächtiges Druckwerk, ein Gedicht oder ein Bild doch noch ans Licht der Welt zu holen.

Um die wegen der arroganten Eingriffe von "oben" erregte Öffentlichkeit zu besänftigen, hieß es in der Verordnung: "Die Zensur wird keine ernsthafte und bescheidene Untersuchung der Wahrheit hindern, noch den Schriftstellern ungebührlichen Zwang auflegen, noch den freien Verkehr des Buchhandels hemmen. Ihr Zweck ist, demjenigen zu steuern, was den allgemeinen Grundsätzen der Religion, ohne Rücksicht auf die Meinungen und Lehren einzelner Religionspartheien und im Staate geduldeter Sekten zuwider ist, zu unterdrücken, was die Moral und gute Sitten beleidigt. [… ] Die Zensur wird keine ernsthafte und bescheidene Untersuchung der Wahrheit hindern, noch den Schriftstellern ungebührlichen Zwang auflegen, noch den freien Verkehr des Buchhandels hemmen. Ihr Zweck ist, demjenigen zu steuern, was den allgemeinen Grundsätzen der Religion, ohne Rücksicht auf die Meinungen und Lehren einzelner Religionspartheien und im Staate geduldeter Sekten zuwider ist, zu unterdrücken, was die Moral und gute Sitten beleidigt."

Verwirrung der Begriffe

Die Verordnung erklärt weiter, die Zensur wolle dem "fanatischen Herüberziehen von Religionswahrheiten in die Politik" ebenso entgegen arbeiten wie der dadurch entstehenden "Verwirrung der Begriffe". Auch sollte die Verletzung der Würde und Sicherheit des preußischen Staates sowie der übrigen Bundesstaaten verhindert werden. Alle auf "Erschütterung der monarchischen Verfassungen abzweckende Theorien" sowie jede Verunglimpfung der mit Preußen befreundeten Regierungen waren verboten. Aus gutem Grund wurde ausdrücklich vor der Erschleichung der Druckgenehmigung "durch eingestreute strafwürdige Anspielungen oder Zweideutigkeiten" gewarnt. Sollte dergleichen nach der Imprimatur festgestellt werden, würde man nachträglich ein Verbot aussprechen und die Urheber der Schrift zur Verantwortung ziehen.

Die Zensur-Verordnung bedeutete einen schweren Schlag gegen unangepasste Schriftsteller, Journalisten, Professoren, Studenten und andere so genannte Freigeister sowie Drucker und Verleger, sofern sie nicht "staatstragend" waren. Wer in Bild und Schrift gegen die herrschende Ordnung opponierte und das Gottesgnadentum der Königlichen Majestät in Zweifel zog, erhielt Berufsverbot, wurde von der Universität geworfen und auf andere Weise in seiner Arbeit behindert. Betroffen waren von den Einschränkungen in Preußen auch die Berliner Akademie der Wissenschaften sowie einzelne Universitäten, deren Befreiung von den Zensurbestimmungen aufgehoben wurde. In Berlin befand als letzte Instanz beim Kammergericht ein Ober-Zensur-Kollegium über Beschwerden von Verfassern und Verlegern und überwachte die Ausführung der Zensurgesetze. Es begutachtete Versuche, welche geeignet waren, die bedrückenden Bestimmungen zu umgehen. Vorsichtshalber schrieben Autoren heikle Texte um, um Ärger mit der Zensur aus dem Weg zu gehen, und manche bedienten sich einer Art Sklavensprache, die von den Zensoren nicht, wohl aber von den Lesern verstanden wurde. Es kam vor, dass von der Zensur bedrohte Bücher und Schriften, mit einem falschen Druckort versehen, in Umlauf gebracht wurden.

Ärger mit "Meister Floh"

Mit der Begutachtung und Druckfreigabe (Imprimatur) von Zeitungen, periodischen Blättern sowie Werken zeitgeschichtlichen oder politischen Inhalts waren verschiedene Ministerien betraut; kleinere literarische Schriften mussten von speziell dazu abkommandierten Juristen oder Polizisten vorab gelesen werden. Einer, der die Einschränkung der Presse- und Meinungsfreiheit am eigenen Leibe zu spüren bekam und selber in dem System der geistigen Unterdrückung involviert war, wenn auch unfreiwillig, war der Berliner Dichter und Komponist E. T. A. Hoffmann. Der vielseitig tätige Kammergerichtsrat schrieb sich seinen Frust unter anderem in dem Märchen "Meister Floh" von der Seele und bekam prompt Ärger mit seinen Vorgesetzten. Die Geschichte wuchs sich zu einer Staatsaffäre aus, doch da Hoffmann 1822 starb, blieb er von Degradierung, Entlassung und Strafverfolgung verschont.

In der Revolution von 1848/49 war der Ruf nach der Abschaffung der Zensur unüberhörbar, Preußens König Friedrich Wilhelm IV. sah sich genötigt, die Restriktionen abzuschaffen, und erhielt einigen Beifall. Die Gängelung der öffentlichen Meinung durch Zensur und Pressepolizei stand unter seiner Herrschaft "in schönster Blüte", wie der auch von Zensoren gemaßregelte Staatswissenschaftler und Politiker, zugleich Abgeordneter in der Frankfurter Nationalversammlung Karl Biedermann aus eigener Anschauung in seinem Buch "Mein Leben und ein Stück Zeitgeschichte" aus dem Jahr 1886 schrieb. "Zwar hatte König Friedrich Wilhelm IV. in jener berühmten Audienz [von 1842, H. C.], die er dem Dichter Herwegh gab, zu diesem gesagt: ,Ich liebe eine gesinnungsvolle Opposition', allein der Berliner Witz hatte dazu sofort die passende Illustration gefunden, indem eine Caricatur den König darstellte, wie er den Fuß auf die von seiner Regierung setzte. […] Das waren ungesunde Zustände, wahrhaftig nicht dazu angethan, das sittliche Bewusstsein der Nation zu stärken und zu veredeln. Und da wunderte man sich auch noch, wenn unter den Schriftstellern (oder, wie man sie damals nannte, ,Literaten'), so viele charakterlose und gesinnungslose gab! […] Das herrschende Censursystem brachte aber auch eine andere Wirkung - nach der ganz entgegengesetzten Seite - hervor. Das Publikum gewöhnte sich daran, besonderen Geschmack an solchen Preßerzeugnissen zu finden, die entweder eine besondere Keckheit in der Herausforderung oder eine besondere Schlauheit in der Ueberlistung der Censur verriethen und denen es gelangt, wirklich einen Censor entweder einzuschüchtern oder hinter's Licht zu führen. Die Kecksten und rücksichtslosesten Blätter liefen daher den gemäßigten meistens den Rang ab und hatten den größten Zulauf."

Für unbedachte Worte ab ins Konzentrationslager

Zwar wurde die Zensur in der Kaiserzeit nach 1871 gelockert, doch der Tatbestand der Majestätsbeleidigung, der Gotteslästerung und der revolutionären Agitation, was immer man darunter verstand, war weiter strafbar. So konnte es passieren, dass Journalisten und Buchautoren, aber auch Karikaturisten und andere Personen für einige Zeit ins Gefängnis kamen, weil sie Skandale aufdeckten und ganz allgemein Gebrechen ihrer Zeit in einer Weise kritisierten, die der Obrigkeit, vom Kaiser angefangen, nicht in den Kram passten. Mehrfach wurden aus diesem Grund das Münchner Satireblatt "Simplicissimus" und Blätter der Sozialdemokraten verboten. Leser griffen umso eifriger zu, sobald das Erscheinen dieser Publikationsorgane wieder erlaubt war.

Eine bis dahin nie gekannte Verschärfung der Zensur gab es in der Zeit des Nationalsozialismus, als alles und jedes der Kontrolle der braunen Machthaber unterworfen war und ein unbedachtes oder missliebiges Wort direkt ins Gefängnis oder Konzentrationslager führen konnte. Ganz so extrem war es in der DDR zwar nicht, doch hatten auch dort die Zensoren in diversen Genehmigungsorganen und Redaktionsstuben alle Hände voll zu tun. Und das, obwohl die SED- und Staatsführung immer vehement bestritt, dass es im Staat der Arbeiter und Bauern Zensur und eine Schere im Kopf der Schreiber, Filmemacher, Theaterleute, Maler und Karikaturisten und bildenden Künstler gibt. Gegen Ende der DDR riefen Schriftsteller, immer mutiger werden, dazu auf, die unselige Gängelung des Geistes aufzugeben und ihm freien Lauf zu geben. Die friedliche Revolution im Herbst 1989 bahnte dazu den Weg.

5. Juni 2017



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