"Von der Sowjetunion lernen…"
Mit ihren Politparolen tat sich die SED keinen Gefallen, manche wurden in ihr Gegenteil verkehrt



Der Stalinist Walter Ulbricht fühlte sich seinem Idol verpflichtet, als dieser bereits in der Sowjetunion vom Thron gestoßen war. Der Sachse betätigte sich als großer Städteplaner und sorgte dafür, dass in seinem kleinen Reich aus dem Zweiten Weltkrieg stammende Schloss- und Kirchenruinen nach dem Moto "Das brauchen unsere Menschen nicht" abgerissen wurden. Treue Einflüsterin war Ulbrichts Frau Lotte, rechts im Bild.



Die Bombardierung der DDR-Bewohner mit Politparolen und Plakaten nutzte wenig, um sie an ihren Staat zu binden, viele fühlten sich von der plumpen Agitation und Propaganda abgestoßen. Was da an Schund und Kitsch produziert wurde, zeigt die Ausstellung "Alltag in der DDR" in der Berliner Kulturbrauerei.



Bis zu seiner Entmachtung 1964 war der sowjetische Parteichef Nikita Chruschtschow - auf dem Foto mit Mütze in jungen Jahren - der beste Freund seines ostdeutschen Befehlsempfängers Walter Ulbricht. Allerdings machte dieser die Entstalinisierung in der Sowjetunion nicht mit, weil es in der DDR angeblich keine Verbrechen à la Stalin gab. Mit dieser verlogenen Argumentation war die SED-Führung und DDR-Regierung fein raus.



Der Bau der Berliner Mauer und der innerdeutschen Grenze am 13. August 1961 und ihr Ausbau danach wurde nach dem Motto "Nun schlägt's 13" als Rettungstat vor dem westdeutschen Imperialisten verherrlicht. Hier halten Mitglieder der paramilitärischen Kampfgruppen Wache vor dem Brandenburger Tor.



Den von Honecker gebrauchten Spruch vom Sozialismus, der weder von Ochs noch Esel aufgehalten wird, haben Demonstranten im Herbst 1989 witzig umgeschrieben.



SED- und Staatschef demonstriert kämpferische Einigkeit mit Michail Gorbatschow, dabei war diesem schon klar, dass die DDR, wie sie seit 40 Jahren besteht, nicht mehr zu halten ist und schleunigst im Sinne von Glasnost und Perestroika reformiert werden muss. (Repros: Caspar)

"Von der Sowjetunion lernen, heißt siegen lernen" war eine viel verwendete Parole vor allem in der frühen DDR. Gemeint war, dass die Sowjetunion, die damals ein Sechstel der Erde ausmachte, unbesiegbar ist, so wie der Kommunismus unbesiegbar ist, weil er wahr ist, wie ein anderes gebetsmühlenartig wiederholter Glaubenssatz in der Debatte über die Vor- und Nachteile der beiden Weltsysteme lautete. Wer auf der Siegerseite sein will, tut gut, sich ihr anzuschließen, lautet die Moral. Wie vieles in der DDR, so wurde auch der mit Stalins Qualitäten als Führer des Weltproletariats zitierte Wendung verballhornt und hieß dann politisch zwar nicht korrekt, aber doch zutreffend "Von der Sowjetunion lernen, heißt siechen lernen", womit die Gebrechen der manchmal auch Subjektunion genanten Weltmacht auf den Punkt gebracht wurde.

Bis in die 1950-er Jahre hinein war "Deutsche an einen Tisch" eine aktuelle Parole, die auf die Wiedervereinigung des in vier Besatzungsgebiete geteilten ehemaligen Deutschen Reichs unter kommunistischen Vorzeichen hinaus lief. Vordergründig ging es darum, dass die West- und die Ostdeutschen trotz des Kalten Kriegs miteinander sprechen und politische und wirtschaftliche Hürden überwinden. Beide Landesteile sollten nach dem Willen der SED unter Umgehung der Siegermächte direkt über das Ende der Teilung verhandeln. Auf den erstmals am 30. November 1950 von der DDR erhobenen Vorschlag reagierte die Bundesregierung mit der Forderung nach freien gesamtdeutschen Wahlen unter Aufsicht der UNO. Ohne diese Grundvoraussetzung sei sie zu Gesprächen mit der DDR nicht bereit.

Die Bewegung "Deutsche an einen Tisch" mobilisierte wenige Jahre nach dem Ende der NS-Diktatur und des Zweiten Weltkriegs in allen vier Besatzungszonen viele Menschen. Die Kampagne der SED ging auf Überlegungen der Prager Außenministerkonferenz vom Oktober 1950 zurück. Dabei protestierten die Vertreter der Ostblockstaaten gegen die geplante Wiederbewaffnung und die Westintegration der Bundesrepublik und forderten einen aus ost- und westdeutschen Delegierten paritätisch zusammengesetzten "Gesamtdeutschen Konstituierenden Rat", der die Bildung einer gesamtdeutschen Regierung vorbereiten sollte. Viele Menschen übersahen, dass die SED und die hinter ihr stehende Sowjetunion mit schönen Worten versuchten, die "Westbindung" der Bundesrepublik Deutschland zu untergraben und auch deren im Grundgesetz verankertes Gebot zu unterlaufen, die Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit herzustellen. Dem diente die in den späten 1940-er Jahren in der damaligen Sowjetischen Besatzungszone initiierte Bewegung "Deutscher Volkskongress für Einheit und gerechten Frieden". Wenige Jahre, nachdem die Parole "Deutsche an einen Tisch" ausgegeben wurde, war sie vom Tisch, 20 Jahre später durfte in der um Abgrenzung gegenüber der Bundesrepublik bemühten DDR das Wort deutsch kaum noch ausgesprochen werden. Verboten war auch der Text der Nationalhymne wegen der vom Honecker-Regime als anstößig empfundenen Zeile "Deutschland einig Vaterland".

Mein Freund der Plan

"Mein Freund, der Plan" war in der frühen DDR ein geflügeltes Wort, das auf einen etwas unvorsichtigen Ausspruch von Walter Ulbricht zurückgeht und manches Gelächter hervor rief. Der allmächtige, um die "Liebe" seiner Untertanen bemühte SED-Chef fabulierte im Februar 1953, nach der Verkündung des Vorhabens, in der DDR den Sozialismus aufzubauen: "Wenn ich durch die Straßen gehe und etwas Schönes sehe, weis' ich stolz darauf, das hat mein Freund getan, mein Freund der Plan!". Nach dieser poetisch angehauchten Lesart sind es nicht die werktätigen Menschen, die das Land und seine Wirtschaft nach vorn bringen, sondern ein ominöses Dokument, auf dem die Existenz der DDR beruhte. Von der SED-Führung beschlossen, vom Zentralkomitee und der Volkskammer abgenickt und der Regierung zur wortwörtlichen Übernahme und den Werktätigen zur praktischen Ausführung übergeben, war der Plan ein unumstößliches Gesetz. Plan- und Wirtschaftskommissionen hatten die strategischen Zielvorgaben entwickelt, dazu kamen bestimmte Kennziffern, die die Produktion in der Industrie und Landwirtschaft erreicht werden sollten. Die immer wieder mit neuen Parolen wie "Modernisieren, mechanisieren, automatisieren" verkündeten Fünfjahrespläne orientierten sich an der Theorie und waren Ausdruck eines auch durch die Praxis ungetrübten Fortschrittglaubens. Ein Plan nach dem anderen wurde aufgestellt und nach so genannten Volksaussprachen und durch getürkte Zustimmungserklärungen zur "Sache des Volkes" gemacht.

Obwohl mit allen Mitteln und einer riesigen Propagandamaschinerie versucht wurde, nicht nur die verhasste imperialistische Bundesrepublik "überzuholen ohne einzuholen", stolperte die DDR, je älter sie wurde und je unbeweglicher ihre Führung, von einer Wirtschafts- und damit Gesellschaftskrise in die andere. Die Ursachen für diese Entwicklung werden in zahlreichen Büchern analysiert. In seinem Buch "Herbst '89" zitiert Egon Krenz den bisherigen Ministerpräsidenten Willi Stoph, dass die Regierung ihre politische Verantwortung gemäß der Verfassung der DDR nicht wahrgenommen habe. Von wichtigen Investitionsvorhaben etwa zur Mikroelektronik, von der sich Honecker Wunderdinge erhoffte, habe der Ministerrat erst nachträglich erfahren, was nicht glaubhaft war, denn von Mikroelektronik war andauernd in den von der SED gesteuerten Medien die Rede. "Sie sind auch nachträglich in den Plan geschoben worden. Die Verantwortung dafür tragen der ehemalige Generalsekretär und Vorsitzende des Staatsrats und Günter Mittag", so Stoph in der Volkskammer. Krenz schreibt dazu, ihm sei unwohl bei dieser Erklärung. Ein gestandener Mann wie Stoph schiebe die Fehlentwicklung auf zwei Personen, das sei die einfachste Art gewesen, die Ursache der Krise zu erklären. Niemand aus dem Zentralkomitee habe je gegen diese Politik protestiert.

Lügen haben kurze Beine, Ulbricht hat besonders kleine

"Wo ein Genosse ist, da ist die Partei" war eine Losung, die man in der Honecker-Zeit ab 1971 bis zum Überdruss jeden Tag in der SED-Presse, auf Wandzeitungen und Spruchbändern zu lesen bekam. Bei rund zwei Millionen SED-Mitgliedern konnte die Partei nicht überall sein. Sie behauptete es aber und setzte ihren Alleinverstretungsanspruch als die führende Kraft im Lande durch. Er wurde der SED durch die Verfassung verbrieft, zeigte sich in Gesetzesinitiativen und in der Zusammensetzung der Volkskammer und des Ministerrats, aber auch in den Leitungsebenen von Betrieben, Kombinaten, Instituten sowie Kultur- und Bildungseinrichtungen, nicht zu vergessen bei den Staatsorganen und den bewaffneten Kräften. An alle Schaltstellen hatte die Partei ihre Genossen installiert, doch hat diese Vorsorge am Ende wenig genutzt, um den Zusammenbruch des Staatsparteien-Systems aufzuhalten.

Die "führenden Persönlichkeiten" der DDR waren sehr um ihr Ansehen in der Bevölkerung bemüht. Einerseits gaben sich Ulbricht, Honecker & Co. volkstümlich und kumpelhaft, doch wenn man sich über sie lustig machte, konnten sie sehr böse und überhaupt nicht menschenfreundlich reagieren. Über den Reim "Spitzbart, Bauch und Brille sind nicht des Volkes Wille" dürften der damit charakterisierte Bartträger Walter Ulbricht, seines Zeichens SED-Generalsekretär und stellvertretender Ministerpräsident mit sächselnder Fistelstimme und der Angewohnheit, seinen Aussprüchen ein langgestrecktes "nuuuu" anzufügen, ferner der sich jovial gebende, mit einem mächtigen Bauch versehene Staatspräsident Wilhelm Pieck sowie der den Feingeist und Künstler gebende Brillenträger Ministerpräsident Otto Grotewohl, der 1946 per Handschlag die Fusion der Ost-SPD mit der KPD vollzogen hatte, kaum amüsiert gewesen sein. Der freche Zweizeiler kursierte im Juni 1953 unter streikenden Arbeitern und war auf einem Schild deutlich zu lesen, das diese dem Händeldenkmal auf dem Marktplatz zu Halle an der Saale umgehängt hatten. Ulbricht war als derjenige verhasst, der am 13. August 1961 in enger Abstimmung mit der Sowjetregierung die Mauer und die innerdeutsche Grenze errichten ließ, was ihm den Spitznamen Mauerbauer eintrug. Ihn so zu nennen war natürlich streng verboten, doch das galt auch für Sprüche wie "Lügen haben kurze Beine, Ulbricht hat besonders kleine", galt. Wahlweise konnte man den Reim auch auf andere charakter- und prinzipienlose Funktionäre wie Honecker oder Mielke anwenden. Wenn über den Ministerpräsidenten Willi Stoph gesagt wurde "Stoph bleibt Stoph, da helfen keine Pillen" wusste jeder, was gemeint war. Tollgewordene Kettenhunde, Lügner und Clowns

Zu den besonders gefürchteten Personen der DDR-Geschichte gehörte die Juristin Dr. Hilde Benjamin. Die "rote Hilde", wie man sie insgeheim nannte, war eine Spezialistin für Schauprozesse gegen ehemalige Nazis sowie Spione, Agenten und Diversanten oder Angeklagte, die man für diese hielt. Nicht nur einfache DDR-Bewohner, auch Parteileute und Prominente bekamen es mit der Richterin und - ab 1953 - Justizministerin in der Nachfolge des als "Staatsfeind" abgesetzten Max Fechner zu tun. Wes Geistes Kind sie war, unterstich sie 1954 mit einem empörenden Nachruf auf Stalins blutbefleckten Chefankläger bei den Moskauer Schauprozessen der dreißiger Jahre. "Und so wurde Wyschinski unser Lehrer in der Anwendung des Rechts beim Aufbau des Sozialismus", schrieb Benjamin. Selbst einer Hilde Benjamin dürften die schlimmen Parallelen zwischen Wyschinski nicht entgangen sein. Wie der DDR-Dissident und Jurist Rolf Henrich in seinem Buch "Der vormundschaftliche Staat" von 1989 bemerkt, habe die Prozessführung Wyschinskis, der gewöhnlich in seinen Plädoyers die Angeklagten als "tollgewordene Kettenhunde, Lügners und Clowns, elende Pygmäen, Möpse und Kläffer" zu beschimpfen pflegte, nur im Volksgerichtshof der Nazis ihresgleichen gefunden.

Die führenden Genossen in Ost-Berlin befanden sich nach den Enthüllungen von 1956 über die Verbrechen ihres sowjetischen Idols J. W. Stalin in einer Zwickmühle. Jahrelang hatte man der Bevölkerung eingehämmert, Stalin sei der größte Staatsmann und Feldherr der Gegenwart, der beste Freund des deutschen Volkes und ein Mann ohne Fehl und Tadel, dem allein zu verdanken sei, dass der Hitlerstaat vernichtend geschlagen wurde. Nach der Aufsehen erregenden Abrechnung des sowjetischen Parteichefs Nikita Chruschtschow (Foto links) auf dem XX. Parteitag der KPdSU mit Stalin ließen sich Einzelheiten über den Personenkult, wie man die Verbrechen des Diktators verharmlosend sagte, auf Dauer nicht verheimlichen. Zähneknirschend räumten Ulbricht und seine Genossen ein, es habe in der Sowjetunion unter Stalin "Verletzungen der sozialistischen Gesetzlichkeit" gegeben, doch von Justizwillkür, Massenmord an Regimegegnern, den todbringenden Umsiedlungen und den geheimnisumwitterten Straflagern war nicht die Rede. Erst als 1985 Michail Gorbatschow in der Sowjetunion das höchste Parteiamt antrat, konnte man das Thema offener diskutieren. Bei der unumgänglichen Selbstkritik wurde alles getan, um nicht das eigene System infrage zu stellen.

Der euphemistische Begriff Personenkult wurde nur im Zusammenhang mit der Entlarvung des bisher als "Lenin von heute und Führer des Weltproletariats" vergötterten Stalin benutzt, auf sich selber bezogen ihn Ulbricht und sein Nachfolger Honecker selbstverständlich nicht. Das SED-Politbüro stellte in Abrede, dass es auch in der DDR-Staatspartei solche "Auswüchse" gab. Ulbricht fasste seine "Wende" in der Beurteilung seines großen Vorbildes in den Worten "Stalin ist kein Klassiker mehr" in der Hoffnung zusammen, dass damit dieses Kapitel für die SED abgeschlossen ist. Doch der SED-Chef täuschte sich gewaltig, denn die Diskussion über den Stalinismus und die Stalinisten in der DDR und den anderen "Bruderländern" ging weiter, wenn auch hinter verschlossenen Türen. In der Sowjetunion, der DDR und den anderen Bruderländern ging die Aufarbeitung der Verbrechen von Stalin nur so weit, dass man Stalin mangelnde Bescheidenheit und die Unfähigkeit vorwarf, im Kollektiv zu arbeiten. Erst unter Gorbatschow wurde die Anklage konkret, was dem Oberstalinisten Honecker überhaupt nicht in den Kram passte.

Ich leiste was, die leisten sich was

In einer Pressekonferenz am 15. Juni 1961 wurde der damalige SED-Chef und stellvertretende Ministerpräsident Walter Ulbrich angesichts der Fluchtbewegung von einer westlichen Korrespondentin gefragt, ob der Bau einer "Mauer" bevorsteht. Der Sachse mit der Fistelstimme wehrte ab und erklärte wörtlich: "Ich verstehe Ihre Frage so, dass es in Westdeutschland Menschen gibt, die wünschen, dass wir die Bauarbeiter der Hauptstadt der DDR dazu mobilisieren, eine Mauer aufzurichten. Mir ist nicht bekannt, dass eine solche Absicht besteht. Die Bauarbeiter unserer Hauptstadt beschäftigen sich hauptsächlich mit Wohnungsbau. Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten". Ulbricht log, was das Zeug hielt, denn die mit der sowjetischen Partei- und Staatsführung abgestimmten Abriegelungspläne waren bereits ausgearbeitet und geheime Einsatzbefehle geschrieben. Ulbrichts Mann fürs Grobe, Erich Honecker, war mit der Ausführung betraut und unterließ später keine Gelegenheit, den Bau der Mauer, die die DDR-Propaganda "antifaschistischen Schutzwall" nannte, als Beitrag für den Sieg des Sozialismus zu rechtfertigen. Ulbrichts Lüge verschaffte ihrem Urheber den Spottnamen "Genosse Niemand", doch durfte man den nur hinter vorgehaltener Hand erwähnen und wenn kein Stasi-Spitzel in der Nähe war.

"Ich leiste was, ich leiste mir was" war eine in den 1980-er Jahren verbreitete Parole, mit der bei den DDR-Bewohnern letzte Reserven mobilisiert und ihre, wie es hieß, materielle Interessiertheit stimuliert werden sollten. Der Spruch sagte nichts dazu, was dieses "was" sein soll. Ist es nur das Übliche oder ist es eine herausragende Tat, die Ehre und Geld einbringt und von der man überall spricht? Und "was" überhaupt kann man sich leisten, wenn man "etwas" geleistet hat? Unklar war auch, ob es ein Angebot gibt, aus dem ich mir etwas heraussuchen und leisten kann? Wie so oft, wurden die von "oben" verordneten Politparolen, kaum dass sie im Umlauf waren, dem Spott preisgegeben. In diesem Fall machte der Volksmund aus dem von seinen Erfindern bierernst gemeinten Slogan die schlichte Feststellung "Ich leiste was, du leistest was, die leisten sich was." Offenbar wollte der vieldeutige Spruch der allgemeinen Frustration und dem wachsenden Unmut über die durch schönfärberische Berichte in den Medien begegnen, die jeder Alltagserfahrung Hohn sprachen. Ökonomen haben ausgerechnet, dass Millionen Arbeitsstunden ausfielen, nur weil Werktätige ihren Arbeitsplatz verließen, um sich in die Warteschlangen anzustellen, wenn es irgendwo gerade Südfrüchte oder andere begehrte Erzeugnisse gab. Oft nahmen Leute aus der Provinz lange Fahrten mit der Bahn oder dem Auto in Kauf, um in Ostberlin oder den Bezirksstädten etwas zu ergattern, was bei ihnen zuhause Mangelware war. Manches wurde für einen kleinen Profit weiter verkauft oder wie etwa Autoersatzteile nur auf Vorrat angeschafft, was zu zusätzlichen Engpässen führte.

Frieden schaffen ohne Waffen

"Frieden schaffen ohne Waffen" war ein Slogan der inoffiziellen Friedensbewegung in der DDR. Er richtete sich gegen die Militarisierung des öffentlichen Lebens und die Wehrerziehung und benannte Alternativen zur Friedenssicherung ohne atomare Aufrüstung und Bewaffnung. Angesichts der desolaten Altstädte und der vielen Abrisse von Häusern, die jahrzehntelang nicht in Ordnung gehalten wurden, haben Oppositionelle in der DDR die Parole hinter der vorgehaltenen Hand in "Ruinen schaffen ohne Waffen" verwandelt. Damit wurde die traurige Erfahrung auf den Punkt gebracht und gleichzeitig eine Warnung ausgesprochen, dass die systematische Zerstörung der historischen Bausubstanz nicht hingenommen wird und einer Kulturnation, als die sich die DDR offiziell ausgab, unwürdig ist.

"Arbeite mit, plane mit, regiere mit!" war eine Parole, mit der die Leistungsbereitschaft der Werktätigen in der DDR angestachelt werden sollte. Natürlich wusste jeder, dass er zwar arbeiten und auch mitarbeiten sollte. Aber mitplanen und gar mitregieren? Das taten andere, dieses demokratische Recht ließ sich die Staatspartei SED, die von sich behauptete, alles zu können und alles zu wissen, nicht aus der Hand nehmen, auch wenn weitere gesellschaftliche Kräfte, vor allem die Blockparteien und Massenorganisationen, zum Mittun aufgerufen wurden. Der Staats- und Parteiführung stieß unangenehm auf, dass ihre Untertanen ihren an sozialistischen Patriotismus und Internationalismus appellierenden Slogan kabarettistisch in "Arbeite mit, plane mit, reagiere mit!" oder "Arbeite mit, plane mit, resigniere mit!" verballhornten. Ähnlich war es übrigens mit einer anderen Parole, die von "Wie wir heute arbeiten, werden wir morgen leben" sehr zu Ärger der Staatspartei in "Wie wir heute leben, werden wir morgen arbeiten" umgedreht wurde und damit einen Wunsch vieler DDR-Bewohner jenseits der Parteitagsparolen ausdrückte. Ihnen lag zunächst die Verbesserung der eigenen Lebensumstände am Herzen, und dazu gehörten neben der Versorgung mit lebensnotwendigen Waren und zumutbarem Wohnraum auch die Ausübung der demokratischen Grundrechte, die wahrheitsgemäße Informationspolitik und die Reisefreiheit. Erst wenn diese Ziele erreicht sind, könne man weitergehende Visionen angehen, meinten viele DDR-Bewohner, und manche mögen dabei an Brechts berühmtes Wort gedacht haben, wonach erst das Fressen, dann die Moral kommt, oder sie haben sich der Erkenntnis von Karl Marx entsonnen, wonach das Sein das Bewusstsein bestimmt.

Die Demokratie in ihrem Lauf hält weder Ochs noch Esel auf

Wenige Tage vor seiner Entmachtung lief der gesundheitlich angeschlagene SED- und Staatschef Erich Honecker am 6. Oktober 1989 beim Galaempfang im Berliner Palast der Republik zum 40. Jahrestag der DDR noch einmal zu verbaler Höchstform auf. Während draußen aufgebrachte Berliner "Gorbi, Gorbi" riefen und damit ihre Sympathie für den wichtigsten Ehrengast des Staatsempfangs, den sowjetischen Partei- und Staatschef Michail Gorbatschow, zum Ausdruck brachten, malte drinnen Honecker unbeeindruckt das Bild vom Sieg des Sozialismus in der DDR und weltweit. Dabei fiel ein Satz, der dem Redner sofort um die Ohren gehauen wurde, zumindest außerhalb seines Machtbereichs. "Den Sozialismus in seinem Lauf, hält weder Ochs noch Esel auf" verkündete Honecker, und schon erschien im Westen eine Karikatur mit dem DDR-Machthaber, wie er auf vier Rädern in voller Fahrt dem Abgrund entgegen rast, während Ochs und Esel gleichmütig zuschauen. Der mächtigste Mann der DDR wird neben dem "imperialistischen Klassenfeind" auch die eigenen Untertanen im Auge gehabt haben, die sich seinem Regime verweigerten und die gerade vor dem Palast der Republik von der Stasi und der Volkspolizei zusammengeprügelt wurden. Viele Zuhörer der Geburtstagsrede werden die Parole als eigenständige Schöpfung ihres großen Vorsitzenden beklatscht haben. Vielleicht aber wussten einige, dass Honecker und seine Redenschreiber den Reim aus dem Sprücheschatz der deutschen Arbeiterbewegung entlehnt hatten. Denn schon hundert Jahre zuvor kursierte er in Arbeiterkreisen, und wer von der Polizei dabei erwischt wurde, dass er ihn öffentlich aussprach, bekam Ärger mit der Justiz. Als Bürgerrechtler im Wendeherbst Plakate mit dem Slogan "Die Demokratie in ihrem Lauf hält weder Ochs noch Esel auf" hoch gehalten wurden, wusste jeder, wer gemeint ist.

Die DDR-Führung tauschte zwar Bruderküsse mit dem mächtigsten Mann der Sowjetunion, Michail Gorbatschow, aus. Aber was der Generalsekretär des ZK der KPdSU und Staatspräsident unter dem Motto Glasnost und Perestroika anstrebte, war Honecker & Co. zutiefst zuwider. Beide Begriffe gehörten offiziell zu den Unwörtern in der DDR, wurden aber umso häufiger von der Opposition als Argument für Forderungen nach mehr Demokratie und bessere Lebensverhältnisse verwendet. Viele DDR-Bewohner fühlten sich besonders durch eine Äußerung des damaligen ZK-Sekretärs für Wissenschaft und Kultur, Kurt Hager, provoziert, der im April 1989, sieben Monate vor dem Fall der Mauer, in einem Interview mit dem Hamburger STERN die Veränderungen in der Sowjetunion so kommentierte: "Würden Sie, wenn Ihr Nachbar seine Wohnung neu tapeziert, sich verpflichtet fühlen, Ihre Wohnung ebenfalls neu zu tapezieren?" Diese Formulierung brachte die Ignoranz der Altherren-Riege in der DDR-Führung auf den Punkt. Sie unterstreicht, dass Honecker und Genossen von Veränderungen nichts wissen wollen, ja die Anstrengungen beim "großen Bruder" Sowjetunion als eine Art Schönheitsreparatur abqualifizieren. Der Ausspruch verschaffte dem allgewaltigen Parteiideologen Kurt Hager den Spitznamen "Tapeten-Kutte". Laut Egon Krenz stammte die Formulierung nicht von diesem, er habe aber so viel Parteidisziplin gehabt, dass er nicht öffentlich sagte, dass Honecker ihm diese Metapher ins Manuskript geschrieben hat. In der Wendezeit bezeichnete der in Rente geschickte Kultur-Hardliner Hager gegenüber dem DDR-Fernsehsender Elf 99 die komfortabel eingerichtete Politbürosiedlung Wandlitz als Getto und beleidigte mit diesem unpassenden Vergleich diejenigen, die in den nationalsozialistischen Gettos leiden und sterben mussten.

Sozialismus in den Farben der DDR

Als die DDR in den letzten Zügen lag, sprach SED- und Staatschef Erich Honecker vom "Sozialismus in den Farben der DDR". Wie üblich wurde die Formulierung von den im Zentralkomitee der SED kontrollierten Medien als Inbegriff von Souveränität und Selbstbewusstsein des zweiten deutschen Staates gefeiert, der sich selbstbewusst zu den zehn bedeutendsten Wirtschaftsnationen der Welt zählte. Dass an dieser Einstufung nichts dran war, wusste jeder, man brauchte sich nur die Angebote des Handels, die Gebrechen der Mangelwirtschaft oder die riesige Verschuldung der DDR gegenüber der Bundesrepublik Deutschland anschauen. An der Misere änderte auch nichts, dass das NEUE DEUTSCHLAND und mit ihm tagtäglich Jubelmeldungen über wirtschaftliche Erfolge und wachsende Wettbewerbsergebnisse sowie gefälschte Statistiken verbreiteten, in denen eine Art Gleichstand der DDR-Mark mit der westdeutschen D-Mark und anderen westlichen Devisen behauptet wurde. In Wahrheit war Honeckers Trugbild nichts anderes als Ausdruck von Selbstüberschätzung und Ignoranz gegenüber lebensnotwendigen Reformen, wie sie in der Sowjetunion von Michael Gorbatschow auf den Weg gebracht wurden und in einigen sozialistischen Bruderländern langsam um sich griffen. Der deutsche Altstalinist und seine Clique beobachteten mit großem Misstrauen, was sich beim "großen Bruder" tat, und sie waren nicht gewillt, die DDR ebenso zu verändern, denn das hätte seine Macht und die seiner Clique untergraben und sein, wie er meinte, Lebenswerk zerstört. Also wurde der Popanz von der eigenständigen Entwicklung der DDR aufgerichtet.

24. August 2017

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