Zwischen Revolution und Diktatur
Nach der Überwindung der Inflation erlebte Deutschland in den so genannten Goldenen Zwanzigern eine Phase relativer Stabilität



Das Plakat zeigt drastisch, wie "vaterlandslose Gesellen" und kriegsmüde
Zivilisten der im Ersten Weltkrieg tapfer kämpfenden Truppe in den Rücken fallen
und ihr einen Dolchstoß versetzen.




Ins Bild der "Goldenen Zwanziger" passt nicht das Heer der Arbeitslosen,
Elenden und Ausgestoßenen. Hier stehen sie vor einer Suppenküche an.






Wer genügend von den 1924 ausgegebenen Reichsbanknoten in der Tasche hatte,
konnte gut leben und sich sogar ein Auto vom Typ Brennabor leisten.




Vom Mann und Vater blieben im Ersten Weltkrieg nur eine Todesnachricht
und das Eiserne Kreuz. Heinrich Zille hat auf unnachahmliche Weise das Elend der
"Kinder der Straße" geschildert, wie der Titel eines seiner Bücher lautet.




Zum 10. Verfassungstag 1929 kam ein Fünf-Mark-Stück mit dem Kopf
des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg heraus. (Fotos/Repros: Caspar)


Der Erste Weltkrieg von 1914 bis 1918 forderte auf allen Seiten nach vorsichtigen Berechnungen etwa zehn Millionen Tote, hinzu kommen unzählige Verletzte und bis zur Unkenntlichkeit verstümmelte Soldaten, die auf erbärmliche Weise ihr Leben fristen mussten und bettelnd durch die Straßen zogen. Nicht eingerechnet sind die ins Elend gestürzten und aus der Bahn geworfenen Menschen, die rechten und linken Rattenfängern folgten und so den Keim für weitere Katastrophen legten. Eines der wenig bekannten Ereignisse am Ende des Kriegs war die so genannte Spanische Grippe, die zwischen 1918 und 1920 mindestens 25 Millionen, nach neueren Berechnungen bis zu 50 Millionen Todesopfer forderte. Medizinhistoriker vergleichen die Pandemie mit der Pest von 1348, der etwa ein Drittel der europäischen Bevölkerung zum Opfer fiel.

Obwohl die Seuche auch im deutschen Kaiserreich massenhaft auftrat, wurden Informationen über ihr Auftreten an den Fronten von der Zensur unterdrückt, während man nicht umhin kam, ihre Verbreitung im Inneren des Landes sowie Methoden, sich vor ihr zu schützen, in den Zeitungen zu erwähnen. Man wollte die durch Unterernährung und Krankheiten, aber auch durch die traumatischen Erlebnisse an den Fronten und in der Heimat physisch und psychisch geschwächten Deutschen nicht zusätzlich beunruhigen.

Selbstverständlich wurden die Katastrophenmeldungen über die Seuche, die nur zufällig mit Spanien in Verbindung kam, in den Dienst der Kriegspropaganda gestellt. In den USA, die 1917 in den Kampf gegen Deutschland, Österreich-Ungarn und ihre Verbündeten eingetreten waren, wurde behauptet, die Keime seien von deutschen Agenten verbreitet worden. Unklar ist bis heute, warum besonders viele Menschen von der Grippewelle betroffen waren, die sich zuvor gegen Typhus, Pocken, Tuberkulose und andere Krankheiten hatten impfen lassen. Bis heute sind die Ursachen nicht ganz geklärt. Am Wahrscheinlichsten scheint zu sein, dass die damals neuen Impfungen mit wohl ungeeigneten Stoffen zu der globalen Katastrophe führten.

Versailler Vertrag und Dolchstoßlegende

Nach der Niederlage des deutschen Kaiserreichs im Ersten Weltkrieg und dem Ende der Monarchie im Ergebnis der Novemberrevolution von 1918 wurden die Schuldigen an dem Desaster gesucht, eine Frage, die nach politischem Standpunkt unterschiedlich beantwortet wurde. Im politischen Tageskampf spielte angesichts der bedrückenden Bedingungen des Versailler Friedensvertrags die Dolchstoßlegende eine große Rolle. Danach sei das deutsche Volk, angestachelt von Kommunisten und anderen Vaterlandsverrätern, angeblich der im Felde unbesiegten, bis zuletzt intakten Truppe in den Rücken gefallen und habe so deren Niederlage verschuldet, behaupteten Nationalisten, Alldeutsche, Militaristen, Nazis und andere Gruppierungen. Da sie sich mit den wirklichen Ursachen der katastrophalen Niederlage nicht abfinden wollten, suchten und fanden sie Sündenböcke. In seinem 1922 veröffentlichten Rechtfertigungsbuch "Ereignisse und Gestalten" schrieb Ex-Kaiser Wilhelm II.: "Fürwahr, die heldenmütige Tapferkeit des deutschen Volkes hätte ein besseres Los verdient, als dass sie dem tückischen Dolchstoße von hinten zum Opfer fiel."

Der nach dem überraschenden Tod des Reichspräsidenten Friedrich Ebert 1925 aufgrund einer nicht behandelten Blinddarmentzündung wurde der ehemalige kaiserliche Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg zu seinem Nachfolger gewählt. Entgegen vielfältigen Befürchtungen, er würde die Wiederherstellung der Monarchie anstreben, verhielt er sich mehrer Jahre seinem Eid gemäß loyal gegenüber der Republik und war von den demokratischen Parteien weitgehend anerkannt. Der 1923 zum Außenminister ernannte Gustav Stresemann bemühte sich mit einigem Erfolg um die Aussöhnung mit den ehemaligen "Feindmächten" und half die außenpolitische Isolation des Reiches durch verschiedene Verträge und den Beitritt in den Völkerbund zu überwinden. Dem Deutschen Reich gelang es, dringend zur Konsolidierung der Wirtschaft benötigte Auslandskredite, vor allem solche aus den USA, zu beschaffen. Diese Finanzhilfen trugen für wenige Jahre zur relativen wirtschaftlichen Stabilität des Landes bei.

Aufschwung von Kunst, Kultur und Wissenschaft

Ungeachtet der schweren innenpolitischen Spannungen und gesellschaftlichen Verwerfungen sowie der großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten nach dem Ende des Ersten Weltkriegs war die Weimarer Republik auch von einem ungekannten Aufschwung von Kunst, Kultur, Wissenschaft und Technik gekennzeichnet. Hier seien stellvertretend für viele andere Meister ihres Fachs die Schriftsteller Thomas und Heinrich Mann, Hermann Hesse, Lion Feuchtwanger, Gerhart Hauptmann, Ricarda Huch, Stefan Zweig und Kurt Tucholsky genannt. Bildende Künstler wie Käthe Kollwitz, Max Liebermann, Lovis Corinth, Lionel Feininger, Ernst Barlach und George Grosz machten Furore, Architekten wie Walter Gropius, Hans Poelzig und Peter Behrens kreierten einen neuen Baustil. Musiker wie Richard Strauß und Paul Hindemith und der Regisseur Max Reinhardt, Wissenschaftler wie Albert Einstein und Max Planck und viele andere trugen zum neuen Ansehen des Deutschen Reiches bei. Zwischen 1918 und 1933 gingen etliche Nobelpreise an deutsche Literaten und Forscher, darunter an Max Planck, Albert Einstein, Gustav Hertz, Thomas Mann und Werner Heisenberg.

Die wenigen Jahren zwischen Revolution und Diktatur werden gelegentlich als "Goldene Zwanziger" bezeichnet. Nach der Überwindung der schrecklichen Inflation griff für kurze Zeit ein neues, freieres Lebensgefühl um sich, und es machten großartige Werke der Literatur und bildenden Kunst von sich reden. Spitzenleistungen der Wissenschaft und Technik wurden vollbracht, ebenso bedeutende Erfindungen. Das ursprünglich in angelsächsischen Ländern abwertend gemeinte Logo "Made in Germany" erlangte internationales Ansehen. Film und Rundfunk drangen in ferne Winkel des Reiches, eine neuartige Unterhaltungsindustrie entstand. Das Bedürfnis, ja die Sucht nach Sensationen nahm zu und wurde von Zeitungen und Zeitschriften mit wachsenden Auflagen befriedigt.

Der alte Muff und Mief der Kaiserzeit, die Hohlheit der Etikette, der ganze monarchische Schwulst und der Untertanengeist landeten auf dem Müllhaufen der Geschichte. Die Eliten gaben sich bürgernah, und auf dem Lande wurden feudale Strukturen langsam aufgebrochen, wenn auch nicht beseitigt. Männer und Frauen gingen miteinander ungezwungener um, wenigstens in Berlin und anderen Großstädten. Eisenbahn und Automobil, Zeppelin und Flugzeug, aber auch moderne Nachrichtenmittel ließen Entfernungen schrumpfen. Alles wunderbare Errungenschaften, die die wenigen Jahre vor der Errichtung der NS-Diktatur in ein verklärendes Licht tauchen. Es sollte nicht verschwiegen werden, dass das Bild von den "Goldenen Zwanzigern" nur bedingt zutrifft. Das Gold, das man dieser kurzen Periode angeheftet hat, war dünn, sehr dünn. Denn unter der glänzenden Oberfläche bot sich ein anderes Bild. Wie anders hätte sich in Deutschland 15 Jahre nach der Ausrufung der Weimarer Republik die NS-Diktatur etablieren können.

Verheerende Folgen der Weltwirtschaftskrise

Mit der Weltwirtschaftskrise, die 1929 von den USA ausging und sehr schnell das Deutsche Reich und andere Länder ergriff, spitzte die politische und wirtschaftliche Lage zu. Arbeitslosigkeit und Not griffen um sich, es kam zu Streiks und Unruhen. Nach dem Börsenkrach an der Wallstreet in New York am 25. Oktober 1929, bei dem Wertpapierkurse bis um 90 Prozent fielen, wurden vor allem die amerikanischen Kredite aus Deutschland abgezogen. Das traf die deutsche Wirtschaft bis ins Mark. Sie hatte bisher weitgehend auf Pump gelebt und produziert. Jetzt, da sie die Mittel nicht mehr hatte, mussten Millionen Arbeiter auf die Straße gesetzt werden. Das hatte massenhafte Verelendung, Tristesse und Mutlosigkeit zur Folge. 1932 wurden sechs Millionen Arbeitslose registriert.

Viele existentiell bedrohte, ihrer Lebensgrundlagen beraubte und damit auch von Ansehensverlust betroffene Menschen bis in die Mittelschichten hinein setzten ihre letzten Hoffnungen in Heilsversprechen rechter und linker Agitatoren. Die einen warben für ein "Drittes Reich", in dem die "germanische Herrenrasse" den Ton angibt und Juden keinen Platz haben, die anderen malten ein "Sowjetdeutschland" an die Wand und verschwiegen das Elend und den Hunger im Reich des Josef Stalin. Hitlers NSDAP, die vor allem gegen den Friedensvertrag von Versailles hetzte sowie Juden und Bolschewisten zu Sündenböcken für Niedergang und Elend machte, gewann Zulauf, fasste sogar Fuß in den Parlamenten einschließlich des Reichstags. Bewaffnete Stoßtrupps der Nazis und der Kommunisten lieferten sich blutige Straßenschlachten und versetzten der labilen Republik einen Schlag nach dem anderen. Einen erdrutschartigen Wahlsieg erzielten die Nazis 1930 bei der Reichstagswahl. Nach der SPD wurden sie zweitstärkste Fraktion. Als 1932 erneut eine Reichspräsidentenwahl anstand, bewarb sich Hitler um das Amt, allerdings vergeblich, denn Hindenburg wurde zum zweiten Mal gewählt. Als Hitlers Steigbügelhalter gingen der ehemalige Generalfeldmarschall und seine Kamarilla unrühmlich in die Geschichte ein. .

5. Januar 2017

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