Lenin ist wieder da
Bronzestandbild lädt im Deutschen Historischen Museum in neue Ausstellung zur Russischen Revolution vor hundert Jahren ein



Um das im Pei-Bau des Deutschen Historischen Museums Unter den Linden in Berlin aufgestellte Lenindenkmal ranken sich tolle Legenden, die meisten stimmen aber nicht.



Vor dem Lenindenkmal auf dem Plan in Eisleben wurde in DDR-Zeiten immer wieder die deutsch-sowjetische Freundschaft beschworen, es gab dort Vereidigungen, Jugendweihegelöbnisse und Kundgebungen.





Das 1991 abgebaute und in viele Teile zerlegte Leninmonument auf dem Leninplatz im Berliner Bezirk Friedrichshain wurde im Köpenicker Forst vergraben. Der viele Jahre später freigelegte Kopf wird heute in einer Denkmäler-Ausstellung auf der Spandauer Zitadelle gezeigt.



Verschwunden ist das Bildnis des Sowjetgründers, das an der Fassade einer Schwimmhalle der Sowjetischen, jetzt Russischen Botschaft an der Behrenstraße befestigt war. (Fotos/Repros: Caspar)

Im Foyer des Pei-Baus, der gläsernen Ausstellungshalle des Deutschen Historischen Museums (DHM) Unter den Linden in Berlin, lädt eine 3,20 Meter hohe und 2,9 Tonnen schwere Lenin-Statue aus Bronze zur Sonderausstellung "1917. Revolution. Russland und Europa" ein, die das Museum bis zum 15. April 2018 zeigt. Das DHM hatte die Skulptur des kommunistischen Revolutionärs und Gründers der Sowjetunion, Wladimir Iljitsch Uljanow, dem Schweizerischen Nationalmuseum für dessen Ausstellung "1917. Revolution. Russland und die Schweiz" ausgeliehen.

Wie viele russische politische Emigranten weilte Lenin mehrfach im Schweizer Exil. Er reiste 1917 von dort in einem Eisenbahnwaggon über das Deutsche Reich zurück nach Russland und leitete dort die Oktoberevolution, mit der das politische, wirtschaftliche und kulturelle System im Russischen Reich radikal umgestürzt wurde. Schon bald hieß das ehemalige Zarenreich Sowjetrussland und Sowjetunion, seine Eliten emigrierten entweder ins Ausland oder wurden ohne viel Federlesen umgebracht. Deutsche Behörden hatten mitten im Ersten Weltkrieg Interesse an Lenin und seinen Plänen, weil sie sich ausrechneten und damit auch Recht hatten, dass der Führer der Bolschewiki das Regime des Zaren Nikolaus II. bekämpft und damit die deutschen Chancen an der Ostfront verbessert. Dass die beiden russischen Revolutionen gravierende nationale und internationale Folgen hatten und das eigene System in Schwierigkeiten bringt, konnten sich die deutschen Organisatoren dieser merkwürdigen Kooperation nicht ausmalen.

Im Februar 1917 wurde die Zarenherrschaft gestürzt und zunächst eine bürgerliche Regierung installiert. Im Oktober des gleichen Jahres errichteten mit einem bewaffneten Aufstand die Bolschewiki ihre Diktatur des Proletariats. In der marxistisch-leninistischen Geschichtsschreibung wurde verschwiegen, dass dem nun ausbrechenden roten Terror unzählige Menschen zum Opfer fielen, weil man sie zu Recht oder zu Unrecht für Feinde des Sowjetregimes hielt, für Spione und Saboteure, die alles daran setzen, das Rad der Geschichte zurückzudrehen und den "Roten" den Hals zuzudrehen. Lenin machte seinen Vertrauten Feliks Dzierzynski zum Chef des Allrussischen Außerordentlichen Komitees zur Bekämpfung von Konterrevolution und Sabotage" (Tscheka) ein. Der Gründer der sowjetischen Geheimpolizei, der sich als sowjetischer Jakobiner bezeichnete und wie diese unzählige Regimegegner über die Klinge springen ließ, genoss in der Sowjetunion bis zu deren Ende großes Ansehen und wurde auch in der DDR, namentlich dort von der Stasi, als Vorbild für die Unterdrückung Andersdenkender verehrt. Das 1954 gegründete Wachregiment des MfS schmückte sich mit seinem Namen, Erich Mielkes Leute nannten sich voller Stolz Tschekisten unterschrieben Briefe "Mit tschekistischen Grüßen".

Aus Puschkin als Kriegsbeute nach Eisleben

Nach dem Tod des Staatengründers und dem Machtantritt seines Nachfolgers Josef Stalin wurde ein ungeheuerlicher Kult um Wladimir Iljitsch Lenin entfaltet. Sankt Petersburg hieß nun Leningrad, überall war der Staatsgründer durch Bilder, Parolen und Denkmäler präsent. Da sich Stalin als Erbe von Lenin und Vollender seiner Ideen verstand, lenkte er den Glanz seines Vorgängers auf sein eigenes Haupt. Wer von Lenins Gefolgsleuten bei Stalin in Ungnade fiel und/oder nicht mehr ins politische Konzept passte, wurde zur Unperson erklärt. Bilder wurden retuschiert, unpassende Schriften verboten und vernichtet.

Die jetzt im DHM gezeigte Lenin-Statue wurde von dem russischen Bildhauer Matwej G. Maniser geschaffen und 1926 in Puschkin bei Leningrad aufgestellt, dem heutigen Sankt Petersburg. Die nach dem russischen Dichter Alexander Puschkin benannte Stadt hieß bis 1918 Zarskoje Selo (Zarendorf) und bis 1937 Detskoje Selo (Kinderdorf). Die deutsche Wehrmacht, die Leningrad belagerte, aber die ausgehungerten Einwohner nicht bezwingen konnte, stieß das Standbild 1943 vom Sockel und brachte es als Kriegsbeute nach Eisleben in Sachsen-Anhalt. Dass das Standbild nicht wie vorgesehen eingeschmolzen wurde, nutzte die DDR zur antifaschistischen Legendbildung. In einem "spontanen Zusammenschluss" hätten sowjetische Zwangsarbeiter und Arbeiter der Mansfeld-AG den bronzenen Lenin versteckt und so vor der Vernichtung gerettet. Noch vor dem Einmarsch der Roten Armee wurde die Figur in Eisleben aufgestellt. Die Sowjetunion schenkte sie 1948 der Stadt im Beisein von SED-Chef Walter Ulbricht.

In der Geschichtspropaganda der DDR spielte der Eislebener Lenin als Beispiel für antifaschistische Aktionseinheit zwischen Deutschen und Sowjetbürgern noch während der Naziherrschaft eine große Rolle. Dabei war es purer Zufall und nicht eine antifaschistische Tat, dass die tonnenschwere Bronze, mit anderen zum Einschmelzen bestimmten Figuren, auf dem Bauch liegend die Nazizeit überstand. Wie hätten denn unter Beobachtung der Gestapo stehende Menschen die tonnenschwere Bronze beiseite räumen und für die Zeit nach Hitler aufbewahren können? Entgegen der Heldengeschichte wurde erst nach dem Ende der SED-Herrschaft bekannt, dass der Lenin aus Puschkin zu groß war, um ihn in den Schmelzofen zu stecken. Er blieb einfach liegen.

Kommunistische Legendenbildung

Als sich aber im Frühjahr 1945 abzeichnete, dass die Rote Armee als Nachfolger der zuvor einmarschierten Amerikaner nach Eisleben kommt, haben beherzte Bürger sich des auf der Nase liegenden Sowjetführers entsonnen und dort aufgestellt, wo die Rote Armee vorbei kommt. So kam es, dass der Sowjetführer mit der charakteristischen Schirmmütze Kopf und einer Hand in der Weste am 2. Juli 1945 beim Wechsel der Besatzungstruppen "seine" Rotarmisten begrüßen konnten. Einzelheiten über diesen auf den Eislebener Widerstandskämpfer Robert Büchner zurück gehenden "Geniestreich" schildert Andreas Stedtler in seinem Buch "Die Akte Lenin. Eine Rettungsgeschichte mit Haken" (192 Seiten, Halle: Mitteldeutscher Verlag 2006, ISBN: 3-89812-329-4, 16 Euro). Nach dem Ende der DDR 1990 und als das große Lenindenkmal auf dem Leninplatz, dem heutigen Platz der Vereinten Nationen im Berliner Bezirk Friedrichshain abgebaut war, wurde 1991 auch das Eislebener Standbild demontiert. Die Lutherstadt Eisleben hat es dem Deutschen Historischen Museum als Dauerleihgabe übergeben. Dort stand es lange Jahre mit weiteren Statuen im Foyer des Zeughauses Unter den Linden, in dem das Museum untergebracht ist.

Die Ausstellung "1917. Revolution. Russland und Europa" im Deutschen Historischen Museum nimmt die revolutionären Vorgänge in Russland in den Blick. Sie entstand in Kooperation des Deutschen Historischen Museums mit dem Schweizerischen Nationalmuseum. Am Beispiel ausgewählter europäischer Staaten geht sie der Frage nach, welche Reaktionen und Gegenreaktionen der radikale politische und gesellschaftliche Umsturz von 1917 bis in die 1920-er Jahre des 20. Jahrhunderts hinein hervorgerufen hat. Deutlich wird, dass die Revolution und was folgte zunächst mentalitäts- und kulturgeschichtlich einen Aufbruch in allen Bereichen der Gesellschaft bewirkte. Sie führte zu neuen Formen in Wirtschaft, Bildung und Kultur, förderte nationale, politische und soziale Befreiungsbewegungen, inspirierte Künstler und Kulturschaffende. Allerdings war der Aufbau der neuen Gesellschaft auch von Terror, Gewalt und Repression begleitet. So thematisiert die Ausstellung die Umwälzungen und Ereignisse in Russland und der frühen Sowjetunion ebenso wie Reaktionen und Gegenreaktionen in Deutschland und andern europäischen Staaten.

Mehr als 500 Exponate wurden von über 80 Leihgebern aus Russland, Deutschland, Ungarn, Italien, Polen, Großbritannien und Frankreich der Dokumentation beigesteuert, die vom DHM und dem Schweizerischen Nationalmuseum gemeinsam erarbeitet wurde. Ziel ist es, die Russische Revolution von hundert Jahren als Schlüsselereignis für die Entwicklungen des 20. Jahrhunderts darzustellen und zu zeigen, welchen Einfluss sie auf die Polarisierung der Welt in zwei Lager hatte. Zur Ausstellung erschien ein reich bebilderter Katalog. In Kooperation mit dem Schweizerischen Nationalmuseum ist im Sandstein Verlag bereits ein Essayband erschienen. Das DHM ist täglich von 10 bis 18 Uhr geöffnet, der Eintritt kostet 8, ermäßigt 4 Euro, Besucher unter 18 Jahre haben freien Eintritt.

12. Oktober 2017

Zurück zur Themenübersicht "Ausstellungen, Museen, Denkmalpflege"