Weil er nicht töten wollte
Erinnerungen in Bernau an Soldaten und Deserteure, Hexen und Glockengießer



Im unteren Bereich des auf einer kleinen Stufenanlage stehenden Bernauer Militärdenkmals mit reichem Adlerschmuck und Eisernen Kreuzen in Lorbeerkränzen dankt die Stadt Bernau mit einer Inschriftentafel "ihren tapferen Kriegern".



Das in die mittelalterliche Stadtmauer eingelassene Relief ehrt die in der Naziherrschaft ermordeten Deserteure und Kriegsdienstverweigerer, die nach 1945 von den Gerichten und Behörden mühsam Wiedergutmachung und Rehabilitation erstreiten mussten.



Die Kanonen- und Glockengießerei war ein hoch geachtetes, mühsames Gewerbe, hier dargestellt auf einem Holzschnitt im "Ständebuch" des Jost Ammann von 1568.



In Bernau waren die Produzenten von Kirchenglocken in der Umgebung der Marienkirche tätig. An sie erinnert eine Schriftenplatte am Ort von archäologischen Funden.



Unweit des Henkerhäuschens weist die Stelle auf Hexenverbrennungen in Bernau und nennt auch die Namen derer, die den Tod auf dem Scheiterhaufen erleiden mussten.



Das Thema wurde in Bild und Schrift breit diskutiert. Die Holzschnitte zeigen, wie Frauen, die Hexen sein sollen, Federvieh opfern, um schlechtes, die Mitmenschen schädigendes Wetter herbeizuzaubern. (Fotos/Repros: Caspar)

Wenige Schritte von der spätgotischen Marienkirche und der mittelalterlichen Stadtmauer in Bernau (Landkreis Barnim) erhebt sich an der Mühlenstraße ein eindrucksvolles Kriegerdenkmal aus der Kaiserzeit. Es ehrt Bernauer Soldaten und Offiziere, die in den Befreiungskriegen von 1813 bis 1815 sowie den so genannten Einigungskriegen gegen Dänemark (1864), Österreich (1866) und Frankreich (1870/71) den Heldentod auf dem Feld der Ehre starben, wie man damals sagte. Die 2,60 Meter hohe geflügelte Victoria mit dem Siegeskranz in der hoch erhobenen rechten Hand verschaffte dem Denkmal den Spitznamen "Viktoria". Die Siegesgöttin vermutlich nach einem Modell von Christian Daniel Rauch kommt bei Monumenten dieser Art und Zeit häufig vor und steht so auch auf der Spitze einer Siegessäule im Babelsberger Park. "Gott war mit uns, Ihm sei die Ehre", lautet die Widmung zur Straßenseite hin. Links und rechts sind die Köpfe von Kaiser Wilhelm I. und seinem Sohn Kaiser Friedrich III. zu erkennen. Letzterer folgte 1888 schwerkrank seinem greisen Vater und starb bereits nach 99tägiger Regentschaft, weshalb man ihn auch 99-Tage-Kaiser nannte.

Interesse verdient eine 1953 angebrachte Widmung auf der Rückseite des rund neun Meter hohen Kriegerdenkmals. Sie zitiert den preußischen General und Militärtheoretiker Carl von Clausewitz, dessen Werk "Vom Kriege" und weitere Schriften großen Einfluss auf militärisches Denken und Handeln seiner Zeit hatte und lange nachwirkte, mit folgenden Worten: "Ich glaube und bekenne, daß ein Volk nichts höher zu achten hat, als die Würde und Freiheit seines Daseins; daß es dieses mit dem letzten Blutstropfen verteidigen soll". Da die vergoldete Inschrift hinsichtlich ihres Duktus mit der der anderen Widmungstafeln übereinstimmt, könnte man meinen, dass sie aus der Erbauungszeit des Denkmals stammt. Doch weit gefehlt. Aufklärung gibt der Nachsatz "Zur Erinnerung an die 140jährige Wiederkehr der Völkerschlacht bei Leipzig. Der Demokratische Block der Stadt Bernau". Rechnet man nach, muss die Gedenktafel am oder zum 18. Oktober 1953, dem 140. Jahrestag der Leipziger Völkerschlacht, angebracht worden sein.

Drakonische Strafen angedroht und vollzogen

Zum Thema "Demokratischer Block" ist zu sagen, dass in der Sowjetischen Besatzungszone und der DDR die sich demokratisch gebenden Parteien und Massenorganisationen nicht wirklich unabhängig, sondern in einem "Block" unter der keinen Widerspruch duldenden Führung der SED, der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, zusammengeschlossen und von dieser abhängig waren. Die so genannten Blockparteien erhielten in der friedlichen Revolution 1989/90 in der DDR den wenig schmeichelhaften Namen "Blockflöten". Erstaunlich ist es dennoch, dass sich Bernau wenige Monate nach dem Volksaufstand vom 17. Juni 1953 eine Inschrift leistete, die die Würde und Freiheit eines Volkes betont, wenn auch als Zitat eines berühmten und im Arbeiter-und-Bauern-Staat wegen seiner wirklichen oder vorgeblichen progressiven Haltung zu Militär- und Kriegsfragen geschätzten preußischen Generals. Dass man Clausewitz zitierte und nicht etwa Karl Marx, passt eigentlich nicht in die Zeit, da man anderenorts Schlösser anzündete, abriss oder demolierte und Denkmäler mit Eisernen Kreuzen umstürzte oder wenigstens umwidmete.

Als Kontrapunkt zu dem Siegesmonument ist wenige Schritte näher zur Marienkirche ein Bronzerelief in die Stadtmauer eingelassen. Ein an Armen und Beinen gefesselter, nur mit einer Hose bekleideter Deserteur wird erschossen, die Gewehrkugeln dringen in seinen Körper und das Relief ein. "Weil er nicht töten wollte" ist links und rechts des Mannes mit den verbundenen Augen zu lesen. Eine Inschriftentafel unterhalb dieses von dem Bildhauer Friedrich Schötschel geschaffenen Reliefs klärt auf: "Gewidmet allen Deserteuren und Verweigerern deren Heimat die Mutter Erde ist die im Feind den Menschenbruder erkennen die statt auf Generäle auf den Befehl ihres Gewissens hören die nicht an Ideologien sondern am Leben hängen deren Angst kleiner als ihre Liebe ist Bernau 15. Mai 1998".

Der Ehrung war in Bernau eine intensive Diskussion über die Frage vorangegangen, ob Soldaten ihren Fahneneid brechen und desertieren dürfen und warum es so lange gedauert hat, bis man sie, die sich weigerten, auf andere zu schießen, in der Bundesrepublik Deutschland rehabilitierte und Militärurteile für null und nichtig erklärte. Die massenhafte Erschießung von Fahnenflüchtlingen und Kriegsdienstverweigerern wurde mit der stricken Weisung von Hitler begründet, mit solchen Menschen kurzen Prozess zu machen und keine Gnade walten zu lassen. In seinem Buch "Mein Kampf" legte Hitler unmissverständlich fest: "Es muss der Deserteur wissen, dass seine Desertion gerade das mit sich bringt, was er fliehen will. An der Front kann man sterben, als Deserteur muss man sterben. Nur durch solch eine drakonische Bedrohung jedes Versuches der Fahnenflucht kann eine abschreckende Wirkung nicht nur für den einzelnen, sondern auch für die Gesamtheit erzielt werden."

Bemerkenswerter Fund nahe der Marienkirche

Im Schatten der gotischen Marienkirche liegt ein Findling mit einer eingelassenen Bronzeplatte. Sie berichtet, dass 1999 während der Bauarbeiten am Kirchplatz auf dem ehemaligen Friedhof zwei historische Glockengussanlagen gefunden wurden, ein bis dahin einzigartiger Fund in Brandenburg. Die Grabung förderte neben Resten der Glockenform auch Metallschlacke zutage, ferner eine Dämmgrube sowie die Feuerungs- und Lüftungsanlage. "Vermutlich waren es Wanderhandwerker, die die Glocken für eine Kirche in unmittelbarer Nähe gossen, da ein Transport der Glocken große Schwierigkeiten mit sich brachte. Schon feinste Haarrisse verdarben den Klang", erzählt die Inschrift auf dem Glockendenkmal weiter. Im Straßenpflaster ist die Fundstelle als Mosaik markiert, auch auf der Inschriftenplatte erkennt man Einzelheiten. Stein und Inschrift sind ein seltenes Beispiel, dass im öffentlichen Raum auf eine außergewöhnliche Entdeckung der Archäologen hingewiesen wird.

In zahlreichen Ländern und Städten wurden im Mittelalter bis in die Neuzeit hinein zahlreiche Menschen als angebliche Hexen und Hexer verfolgt und verbrannt. Was sich auf diesem Gebiet in Bernau abspielte, ist Thema einer Gedenkstätte, die Ende 2005 nicht weit vom Denkmal zur Erinnerung an die erschossene Deserteure in der Nähe des so genannten Henkerhauses eingeweiht wurde. Gestaltet von der Malerin und Glaskünstlerin Annelie Grund, hält die aus Glas- und Stahlelementen bestehende Stele jene Frauen und Männer in Erinnerung, die in Bernau und darüber hinaus Opfer massiver Hexenverfolgung waren und damit unschuldig auf dem Scheiterhaufen endeten. Bei ihren Nachforschungen in der Bernauer Stadtchronik stieß die Künstlerin auf Namen und Schicksale von 25 Frauen und drei Männern, die zwischen 1536 und 1658 in Bernau wegen angeblicher Hexerei denunziert, gefoltert und bei lebendigem Leibe verbrannt wurden. Es wird damit gerechnet, dass in Bernau viel mehr Menschen als Hexen verdächtigt und verbrannt wurden, als es Stadtchronik belegt. Im Geheimen Staatsarchiv lassen Akten auf weitere Opfer der Hexenverfolgung schließen.

Angebliches Bündnis mit dem Teufel

Die Gründe für Anklagen und Urteile waren unterschiedlich. Oft spielten Neid, Missgunst und Eifersucht eine Rolle, aber auch unerklärliche Wetterphänomene und Seuchen. Als 1617 der brandenburgische Kurfürst Sigismund Bernau besuchte, sollen Pferde tot umgefallen sein. Da man das Unglück mit Hexerei in Verbindung brachte, wurden 22 Bewohner unter der Anschuldigung, mit dem Teufel im Bunde zu stehen, zum Tod auf den Scheiterhaufen verurteilt. Dass dergleichen bei Volksfesten unter allgemeinem Gelächter des Publikums nachgespielt wird, hat die Künstlerin so gestört, dass sie in der Stadt Befürworter für das mit den Namen der getöteten Frauen und Männer versehene Denkmal fand und es schließlich aufrichten konnte.

Höhepunkt der Hexenverfolgung war nicht, wie man immer annimmt, das angeblich finstere Mittelalter, sondern die Zeit nach 1550, also die Zeit von Reformation und Gegenreformation. Nach sorgfältigen Recherchen in alten Akten haben Historiker, die sich mit der Hexenverfolgung beschäftigt haben, für die Periode vom 15. bis 18. Jahrhundert europaweit rund 60 000 Hexenverbrennungen nachgewiesen. Da die Dunkelziffer unbekannt ist, ist mit weiteren Opfern zu rechnen. Die gelegentlich kolportierte Zahl von einer bis neun Millionen Hinrichtungen in dieser Periode ist sicher zu hoch gegriffen. Doch 60 000 oder neun Millionen oder weniger Hexenverbrennungen - hinter jedem Fall stecken Ängste der Mehrheitsgesellschaft vor Unbekanntem und Unverständlichem. Jeder Anklage gingen Denunziationen und schreckliche Drangsalierungen, aber auch Folter oder wenigstens das Vorzeigen der dazu verwendeten Werkzeuge voran. Natürlich gab es auch Lockangebote, das Verfahren durch Geständnisse und tätige Reue abzukürzen, etwa wenn ein Delinquent Komplizen nennt.

Dass der Hexenwahn auch seine sexuelle Komponente hatte und mit wilden Männerphantasien verbunden war, gehört ebenso in die Betrachtung wie fantasiereiche Versuche verängstigter Zeitgenossen, sich mit Schutzbriefen, Amuletten und anderen Mitteln vor allerlei Teufelszeug und bösem Hexenblick zu bewahren. In der Zeit der Aufklärung ab Mitte des 18. Jahrhunderts hatte der Hexenwahn ein Ende. Die letzte Hinrichtung einer angeblichen Hexe im deutschsprachigen Raum fand 1782 statt.

16. Februar 2018

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