Flecke und Zoten an des Königs Tafel
In seinem Privatleben war der immer als glänzend und geistvoll geschilderte "Alte Fritz" alles andere als vorbildlich



Die borussische Geschichtsschreibung und Propaganda trieb um 1900 manche Blüten, wie diese farbige Grafik prägte sie den Mythos vom treusorgenden, nur für das Wohl seiner Untertanen und sorgenden und im Übrigen bescheiden lebenden Königs von Preußen. Hier empfängt Friedrich II. eine Delegation aus einer in Schlesien abgebrannten Stadt und verspricht mit den Worten "Dafür bin ich da" schnelle Hilfe.



Anton Friedrich Büsching, Theologe und Rektor des Gymnasiums zum Grauen Kloster in Berlin, hatte allen Grund, seinem König und Herrn zu grollen. Dieser hielt von den Geistlichen überhaupt nichts und duldete sie nur alle diejenigen, die seinem Regime mehr oder weniger willig ihren Segen erteilten.



Seine in Teilen sicherlich übertriebenes, wohl aus eigener Beobachtung resultierendes Urteil über Friedrich den Großen konnte er erst veröffentlichen, als dieser verstorben war. Viele Biographien haben aus den Beschreibungen mehr oder weniger unkritisch geschöpft. Hier Mutmaßungen über Friedrich und seine Diener, die sich von Frauen fern halten mussten, sowie seinen Umgang mit Generalen.



Als glänzender Feldherr, Schöngeist und treusorgender Landesvater sah sich Friedrich II. von Preußen am liebsten. Der Kupferstich von Daniel Chodowiecki schildert, wie er seinen alten und müden Kampfgefährten General von Zieten zum Sitzenbleiben auffordert. Der hoch gewachsene Mann in der Mitte ist der Thronfolger Friedrich Wilhelm (II..



Ob sich der König von Preußen an seiner Tafel - hier mit Voltaire im Schloss Sanssouci auf einer Grafik von Adolph Menzel - Zoten erlaubte, wird behauptet. Er wird allerdings genau darauf geachtet haben, wem er diese zumuten kann und wem nicht.



Als der König am 16. August 1786 gestorben war, widmeten ihm verschiedene Künstler solche Medaillen, die ihn mit Porträts, Allegorien und Widmungen in den höchsten Tönen loben.



Auf der einfachen Grabplatte mit der Inschrift FRIEDRICH DER GROSSE liegen Kränze und Blumen. Die Kartoffeln erinnern daran, dass der Monarch viel dafür getan hat, dass die Knollen ein Volksnahrungsmittel wurde. (Fotos/Repros: Caspar)

Solange Friedrich II. lebte, tat man gut daran, sofern man in seinem Herrschaftsbereich lebte, sich mit Kritik an seiner Person zurückzuhalten. Zwar munkelte man schon zu Lebzeiten des Großen Königs über dessen Marotten, über seine schäbige Kleidung und die Geruchsfahne, die er mangels Körperpflege hinterließ. Man wusste auch um die Kraftausdrücke, derer sich der "Philosoph von Sanssouci" gelegentlich an seiner Tafel bediente. Erst nach seinem Tod am 17. August 1786 mit 74 Jahren kamen wenig schmeichelhafte Dinge über das Privatleben des "Alten Fritz" ans Tageslicht. In der Regierungszeit von Friedrichs Neffen und Nachfolger Friedrich Wilhelm II. war es nicht mehr lebensgefährlich, sich darüber zu mokieren, dass man nach aufgehobener Tafel an den Speiseresten und anderen Hinterlassenschaften erkannte, wo der König gerade gespeist hatte. Auch dass er seine Diener manchmal schlechter behandelte als seine Hunde und er im Alter das Leben eines Einsiedlers führte, war kein Staatsgeheimnis mehr. In seinem Buch "Charakter Friedrichs des Zweyten, Königs von Preußen" beschrieb Anton Friedrich Büsching, anstatt sich der Gabel zu bedienen, habe er mit den Fingern gegessen, "und Suppen und Brühen flossen auf seine Kleidung, die also sehr fleckig wurde". Nicht rednerischer Schmuck, sondern Wahrheit und Wichtigkeit des Inhalts mache den Wert seines Buches aus, betonte der renommierte Theologe, Geograph und Direktors des Gymnasiums zum Grauen Kloster in Berlin. Es gehe ihm nicht darum, eine Lobrede auf den Friedrich den Großen zu schreiben, "sondern ein gerechtes, also zuverlässiges Gemälde von Demselben zu liefern", heißt es in der Vorrede des 1788 in Halle an der Saale veröffentlichten Buches, aus dem sich spätere Historiker und Anekdotenschreiber bedient haben.

Beim Anblick all der goldstrotzenden, mit riesigen Kosten gebauten und gekauften Hinterlassenschaften von Preußens berühmtestem König tut es gut, auch ein paar Details aus seinem wenig vorbildlichen Privatleben zu erfahren. Büsching, der sich aus eigener Anschauung kritisch über die Abneigung des Königs gegenüber der preußischen Geistlichkeit und der deutschen Literatur äußert, wollte das Ansehen seines toten Landesherrn nicht demontieren. Vielmehr ging es ihm darum, im Interesse der historischen Wahrheit die Licht- und Schattenseiten in dessen langem Leben auszuleuchten. So erfahren wir, dass der König mit wenig Schlaf ausgekommen sei. Früh sei er schon aufgestanden, "um Tonkunst auszuüben und den Waffenübungen der Soldaten beyzuwohnen". Wenn der König zu Bett gehen wollte, habe er sich vor dem Kamin ausgezogen und das Nachtcarmisol angelegt. Er "legte auch selbst die Haartour ab, band sich um den Kopf ein Tuch, und über dasselbe ein Küssen, welches die Stelle der Nachmütze vertrat, und ein Tuch um den Hals; trat ans Bette, ließ die Beinkleider halb auf die Knie falle, und setzte sich alsdann auf das Bette", schreibt Büsching so anschaulich, als ob er selber dabei war. "Sein Favorithund schlief bey Ihm im Bette, aber es war weder ein Mensch noch ein Nachtlicht in seinem Schlafzimmer, wachten alle Nacht zwey gemeine Bediente in dem Vorzimmer, die, wenn er die Klingel bey seinem Bette zog, hineingingen, und seine Befehle vernahmen".

Peinlichkeiten in der Tafelrunde

Friedrich der Große schwitzte laut Büsching in der Nacht, wovon Hemd und Betttuch gezeugt hätten. Neben den Kissen, Matratzen und Bettdecken mussten jeden Morgen am Feuer getrocknet werden. Da der König ein schamhafter Mann war, habe er selbst vor Domestiken "die Entblössung seines Körpers beym Auszug und Anzug" vermieden. Was "in Klistierfällen" nicht verhindert werden konnte, sei ihm nicht angenehm gewesen. "Wenn Er bey gewissen Bedürfnissen der Natur in die Kammer ging, durfte keiner Seiner Leute Ihm in dieselbe nachgehen. Desto unerwarteter waren Seine äusserst freyen Worte und Ausdrücke, in welcher Er, selbst bey der Tafel, keine Ehrbarkeit gebrauchte, insonderheit sie lange währete, sondern alles geradezu bey den natürlichsten Namen nannte. Man muß Ihn sich in solchen Fällen nicht als König, sondern als Soldat gedenken". Mit anderen Worten bediente sich der als "Philosoph auf dem Thron" verehrte Monarch sogar an der Tafel, zu der er vornehme Personen zu laden pflegte, einer Fäkalsprache, die jedem gemeinen Soldaten Ehre gemacht hätte.

Der König hatte, Büsching zufolge, immer sieben bis zehn oder mehr Gäste an seiner Tafelrunde. Sie konnten dort so viel essen wie sie wollten und sich am reichlich eingeschenkten Wein und Champagner gütlich tun. Gelegentlich hat der König den einen oder anderen Gast aufgezogen und in peinliche Situationen gebracht, und da tat man gut daran, sich seinen Ärger nicht anmerken zu lassen. Wenn Familienmitglieder zugegen waren oder ein feierliches Gastmahl gegeben wurde, ließ der König alles auffahren, was seine Küche bot. Solche Essen konnten vier, fünf oder mehr Stunden dauern, und sie waren nicht billig. Regelmäßig hat der König seine Küchenkosten von jährlich 12 000 Talern überzogen. Das war, nebenbei gesagt, der Preis für zwei kostbar mit Brillanten besetzte Tabaksdosen aus Gold oder das Jahresgehalt von zwei preußischen Generalen. Wenn der König erfuhr, dass seine Küche ihr Kostenlimit überzog, konnte er sehr unwillig werden, beglich aber die Schulden, bemerkte Büsching. Es konnte vorkommen, dass Friedrich II. seine Küchenschreiber entließ und einen sogar zur Festungshaft nach Spandau schickte. "Aus gutem und feinem Obst machte Er sehr viel, und konnte es in beträchtlichem Masse geniessen; Er wendete auch jährlich viel Geld an, um es durch die Treibhäuser früh und zur ungewöhnlichen Zeit zu bekommen". Friedrich II. hatte keine Bedenken, für eine Handvoll Kirschen so viel zu bezahlen, wie einer seiner Lakaien oder Kutscher als Jahreslohn erhielt.

Frisches Obst und spanischer Schnupftabak

Außer frisches Obst liebte Friedrich spanischen Schnupftabak, von dem er immer ein paar tausend Pfund vorrätig hatte. "Er trug ständig zwey angefüllte kostbare Tabacksdosen in den Taschen, fünf oder sechs andere stunden auf den Tischen umher, und viel hundert wurden zur Abwechselung in Kasten aufbewahret." Auf kostbare Kleidung legte der König im Alter wohl keinen Wert mehr. Er trug die Uniform des Garderegiments zu Fuß mit einem Achselband und dem silbernen Stern des Schwarzen Adlerordens auf der Brust. Zu besonderen Anlässen zog er eine reich bestickte Galauniform an, doch dass dort Brillantköpfe angenäht waren, gehört laut Büsching in das Reich der Legende. Ein Volk müsse sich glücklich schätzen, "wenn der König und Fürst seine Schweißtropfen und Thränen nicht in Brillianten verschwendet, um mit ihnen zu prangen. [...] Er wollte schlechterdings nicht in der Kleidung groß seyn, wenn er gleich in einem alten, abgetragenen und geflickten Kleide ging. [...] So wenig Er sich als Soldat aus Putz und Schmuck machte, eben so wenig hielt er von der Reinlichkeit; diese Gleichgültigkeit gegen dieselbige nahm mit den Jahren zu und stieg aufs höchste."

Als um 1770 der zahnlos gewordene König aufhörte, auf der Flöte zu blasen, habe er sich zum Zeitvertreib nicht nur die Nägel, sondern auch den Bart mit Scheren abgeschnitten, die er beständig in der Tasche trug, schrieb Büsching weiter. Nur selten habe er sich barbieren lassen. Überhaupt sei der König sehr nachlässig gewesen, was seine Körperpflege betraf. "Er wischte sich zwar alle Morgen mit einer nassen Serviette das Gesicht und die Hände ab, allein dieses wenige Wasser nahm die Unreinigkeiten, welche der viele Schweiß und Schnupftaback ansetzten, nicht hinlänglich weg." Man konnte also die Nähe des Monarchen auch an dessen Geruchsfahne erkennen.

Alte Stiefel neu poliert

Ohne Rücksicht auf sein Ansehen, das er sich als Feldherr, Landesvater und Schöngeist erworben hatte, und im Unterschied zu seinen fürstlichen Zeitgenossen legte der König von Preußen auf sein Äußeres wenig Wert. Er ließ sich nicht porträtieren, und die Bilder, die ihn mit gekrümmtem Rücken zu Pferd zeigen oder am Schreibtisch sitzend und die ihn vor seinen Generalen stehend darstellen, sind allesamt geschönt. Nicht einmal der Dreispitz, den der König nur beim Essen oder in Gegenwart vornehmer Gäste ablegte, entsprach dem, was man von einem Mann seines Standes erwartete. Die weiße Feder an der Kopfbedeckung war Büsching zufolge "selten ohne Schmutz". Außerdem waren die Stiefel ungepflegt, weil er, der König, nicht befahl, "sie zu schwärzen, und noch weniger waren sie glatt angezogen und fest gebunden." In jungen Jahren habe er bei feierlichen Gelegenheiten Schuhe getragen, womit wohl die damals üblichen Schnallenschuhe gemeint waren. "Als ihn der Großfürst von Russland [der älteste Sohn von Katharina der Großen und spätere Zar Paul I., H. C.] besuchte, ließ er sich Camaschen von schwarzen Sammet machen, und zog sie über die runzlichten Stiefeln an, damit es aussehen sollte, als ob Er Schuhe trüge, man kann sich leicht denken, wie dicke seine Füsse in dieser Bekleidung ausgesehen haben".

Überraschend ist, was Anton Friedrich Büsching über den Respekt gegenüber dem am 17. August 1786 verstorbenen König schrieb. Weil es unter seinen Hemden keine guten, sondern nur zerrissene gab, "so konnte keines derselben seinem Leichnam angezogen werden. Man konnte sich aber nicht die Zeit nehmen, ein neues machen zu lassen, also gab der jetzige geheime Kriegsrat Schöning eines von den feinen und noch nicht gebrauchten Hemden her, mit welchem ihn seine Braut beschenkt hatte, und in diesem ist der Leichnam begraben worden. Ich habe diesen mir glaubwürdigen Umstand für wahr befunden, als ich ihn scharf untersuchte."

Bestattet erst 1991 bei seinen Hunden

Mit Blick auf die zum Teil sehr kostspieligen Marotten des im Alter einsam gewordenen Königs, hält Büsching anerkennend fest, es sei genug zu preisen, "daß sie für einen reichen König nur sehr mäßig sind [und] daß weder Chartenspiele noch Frauenzimmerjagd sich darunter befindet. Die Maitressenregierung füllet so, wie die vergeschwisterte Favoritenregierung, die schwarze Chronik der Staaten mit scheußlichen Historien; und ein Landesherr, der sich und seine Unterthanen denselben unterwirft, hat seine Geschichtsschreiber zu fürchten. Aber die Gesellschaft der Windspiele! Ey nun! ist denn wohl ein Mensch, der nicht seine Puppen hat? warum sollte nicht ein grosser Mann an wohlgebauten und schmeichelhaften Hunden ein vernünftiges Vergnügen zu seiner Erholung suchen und finden können?" Zusammenfassend stellt Büsching fest, der König sei ein wahrer Landesvater gewesen, "der seine in einem unvermeidlichen Kriege verwüsteten und verfallenen Provinzen wieder in einen guten Stand setzet; Brodt für die Menschen, Getraide zur Saat, Pferde und Ochsen zur Bestellung der Aecker und zu dem schenket; der die abgebrannten, verfallenen und sonst verwüsteten Häuser und Haushaltungsgebäude auf seine Kosten wieder aufführen lässet…"

Büsching Bemerkung richtete sich in aller Vorsicht auch an den neuen König Friedrich Wilhelm II., der diese an damaligen Höfen übliche und für das Land schädliche Mätressen- und Günstlingswirtschaft pflegte. Rücksichtslos ließ das Allerheiligste im Schloss Sanssouci, nämlich das im Stil des Rokoko gestaltete Arbeits- und Sterbezimmer Friedrichs des Großen, im Sinne des Klassizismus umgestalten und setzte sich auch über den Letzten Willen seines Onkels hinweg, in der Gruft nahe Schloss Sanssouci bei seinen Hunden bestattet zu werden. Stattdessen wurde der Sarg in der Gruft der Potsdamer Garnisonkirche neben dem des Soldatenkönigs Friedrich Wilhelm II. aufgestellt. Erst 1991 konnte der Letzte Wille Friedrichs des Großen erfüllt werden, in der Gruft nahe Schloss Sanssouci neben seinen Hunden bestattet zu werden.

28. Juni 2018

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