Bagger gegen Weltkulturerbe
Berliner Senat ignoriert mit Bau eines Busbahnhofs am ehemaligen Marstall seit Jahren die Proteste der Anlieger





Der aus der Zeit Wilhelms II. stammende Marstall beherbergte Kutschen und Automobile des kaiserlichen Hofes und war vor einhundert Jahren in der Novemberrevolution Schauplatz dramatischer Ereignisse. Heute geht es dort friedlicher und kulturvoller zu. Allerdings braucht man dafür Ruhe.



Die Figurengruppen auf der Attika des Gebäudetrakts an der Spreeseite deutet an, welche Aufgaben die repräsentative Anlage hatte.



Karl Liebknecht ruft am 9. November 1918 die freie, sozialistische Republik aus, zu sehen auf einem der beiden riesigen Bronzereliefs an der Fassade des Neuen Marstalls, links ruft Karl Marx die Proletarier zum Klassenkampf auf. (Fotos: Caspar)

Trotz andauernder öffentlicher Proteste der Anrainer hat der vom Berliner Senat beauftragte Projektträger jetzt den Baubeginn der Bushalteplätze auf der Spreeinsel direkt vor dem Neuen Marstall, einem Standort der Hochschule für Musik Hanns Eisler Berlin, angekündigt. "Wir sind äußerst konsterniert über die unbeirrte Bekanntgabe des Baubeginns", sagt Rektor Robert Ehrlich. "Die Kurzzeithaltebuchten führen zu einem massiven Verkehrsaufkommen und die extremen Lärm- und Feinstaubbelastungen durch Dieselmotoren. Das ist absolut inakzeptabel für den Unterrichts- und Konzertbetrieb im Gebäude. Ohne Rücksicht auf die berechtigten Interessen der betroffenen Einrichtungen auf der Spreeinsel wird an vor zehn Jahre alten Beschlüssen festgehalten."

Der Hochschulstandort wird durch die Umsetzung der alten Verkehrsplanung des Senats mit zwei großen Haltebuchten direkt vor den Eingängen zum Neuen Marstall erheblich gefährdet. Im Zehn-Minutentakt sollen jeweils vier Reisebusse ihre Fahrgäste ein- und aussteigen lassen. Zu Spitzenzeiten wird mit etwa tausend Personen pro Stunde gerechnet. Zusammen mit dem Lieferverkehr für die Hochschule und für die Zentral- und Landesbibliothek Berlin (ZLB) durch die einzige Einfahrt zum Marstall, die zwischen den beiden geplanten Parkbuchten liegt, entsteht damit eine beträchtliche Gefährdung für alle Verkehrsteilnehmer.

Alle Mitglieder der Interessengemeinschaft Kultur und Bildung Spreeinsel - Humboldt Forum, Berliner Dom, die Staatlichen Museen, Hochschule für Musik Hanns Eisler Berlin, Zentral- und Landesbibliothek Berlin und ESMT-Hochschule Berlin - sind sich einig, dass die alte Verkehrsplanung revidiert werden muss. Die IG Spreeinsel hat vor mehr als einem Jahr der Senatsverwaltung für Verkehr ein aussagekräftiges externes Gutachten vorgelegt, in dem Alternativen für die Lenkung des Reisebusverkehrs im Umfeld der Spreeinsel aufgezeigt und bewertet werden. Dazu hat die Senatsverwaltung bisher keine Stellung bezogen.

Reisebusse stören hier gewaltig

Im September 2018 hatte die IG Spreeinsel die Verantwortlichen in der Landesregierung aufgefordert, die angekündigten Baumaßnahmen vor der Hochschule sofort zu stoppen, da diese für die Eröffnung des Humboldt Forums 2019 keine Relevanz haben. "Mit dem Baubeginn werden nunmehr Fakten geschaffen, die einem sinnvollen und zukunftsträchtigen Umgang mit dem hohen Reisebusaufkommen auf der Spreeinsel entgegenstehen", heißt es in einer Presseerklärung. "In regelmäßigen Abständen hat die IG Spreeinsel das Gespräch mit verschiedenen Akteuren des Berliner Senates gesucht und zuletzt intensiv auf die Gefährdung des Hochschulstandortes hingewiesen. Sämtliche Mitglieder der IG Spreeinsel befürworten das vorgelegte alternative Buskonzept."

Der Neue Marstall an der Ecke Schlossplatz/Breite Straße gehört zu den bedeutendsten Bauten der Kaiserzeit in Berlin und ist zugleich ein wichtiges Denkmal deutscher Revolutionsgeschichte. Für 775 000 Euro wurde vor einigen Jahren die Sandsteinfassade gereinigt und restauriert. Die Mittel für die Arbeiten haben das Land Berlin und der Bund im Rahmen der Entwicklungsmaßnahme "Hauptstadt Berlin - Parlaments- und Regierungsviertel" zur Verfügung gestellt. Das von 1896 bis 1902 nach Plänen des Hofarchitekten Ernst von Ihne erbaute Gebäude für den kaiserlichen Fuhrpark und 300 Pferde erhielt unter anderem neue Schallschutzfenster, um Straßenlärm abzuhalten und optimale akustische Bedingungen für den Musikunterricht und Konzerte zu gewährleisten. Außerdem bekam das Gebäude Vorrichtungen aus spitzen Drähten, um die lästigen Tauben zu "vergrämen".

In der Geschichts- und Traditionspflege der DDR spielte der lange Zeit von der Stadtbibliothek, dem Stadtarchiv und der Neuen Berliner Galerie genutzte Neue Marstall eine große Rolle. Der repräsentative Bau gegenüber dem Stadtschloss hatte in der Novemberrevolution 1918 als Sitz der Volksmarinedivision und Zentrum des Aufstandes gegen das alte monarchistische Regime große Bedeutung. Zwei links und rechts des Eingangsportals angebrachte Bronzereliefs von Gerhard Rommel erinnern seit 1988 an die Novemberrevolution. Das eine Relief zeigt, wie Karl Liebknecht am 9. November 1918 wenige Schritte entfernt von einem der Schlossbalkons die freie, sozialistische Republik ausruft, das andere Relief ehrt Karl Marx gleichsam als geistigen Kopf jenes Aufstandes, der dem Ersten Weltkrieg ein Ende setzte und die Monarchie davon fegte. Da das nach 1945 unter Weglassung des stark beschädigten Figurenschmuckes vereinfacht aufgebaute Marstallgebäude unter Denkmalschutz steht, wurden nach der Wiedervereinigung 1990 die Bronzereliefs als bemerkenswerte Zeugnisse des marxistisch-leninistischen Geschichts- und Traditionsverständnisses in der DDR nicht angetastet, wie manch andere Bildwerke und Denkmäler dieser Art auch.

Siehe Information auf dieser Internetseite vom 17. Oktober 2018



24. Oktober 2018

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