East Side Gallery vor neuen Aufgaben
Bemalte Mauerreste sollen nicht mehr angetastet werden, Stiftung baut ihr Führungsangebot aus



Die Stiftung Berliner Mauer ist sein 1. November 2018 für den Erhalt und die Pflege der East-Side-Gallery einschließlich der zugehörigen öffentlichen Grünflächen verantwortlich und sorgt auch die Vermittlung von Kenntnissen durch Führungen auf diesem besonderen historischen Erinnerungsort.





Von der ursprünglichen Bemalung ist kaum noch etwas vorhanden, beliebte Motive hat man erneuert, andere sich selbst überlassen.



Erich Honecker posiert auf der East-Side-Gallery als Ludwig XVI., dem 1793 der Kopf abgeschlagen wurde. So weit ging man bei dem nach Walter Ulbricht mächtigste Mann in der DDR zwar nicht, aber sein Fall ins Bodenlose im Herbst 1989 war einzigartig. Mehrfach wurde das Wandbild übermalt, die Brille aber blieb.



Wo viel in- und ausländisches Publikum ist, da sind auch Kitsch und Kommerz nicht weit. Hier Verkaufsstände an der East-Side-Gallery unweit der Oberbaumbrückle, die Ost- und Westberlin verband und nur von Leuten mit einer Genehmigung passiert werden durften.



In DDR-Zeiten rauschten dicke Staatslimousinen an der Mauer entlang der Mühlenstraße in Richtung Zentralflughafen Schönefeld und von dort in die Innenstadt. An den Straßenrand bestellte DDR-Bewohner mussten den Gästen mit "Winkelementen" zujubeln.



Dass die Stahlarmierung von Liebespaaren missverstanden wird, die hier Erinnerungsschlösser anbringen, zeigt dieses Foto.



Aus dem Abschnitt an der Niederkirchnerstraße gegenüber der Topographie des Terrors schlugen Mauerspechte Betonbrocken heraus, jetzt hindert sie ein Gitter an weiterer Zerstörung. (Fotos/Repro: Caspar)

Der Berliner Senat und die Stiftung Berliner Mauer haben die Rettung der East Side Gallery besiegelt. Das mit 1,3 Kilometer längste noch erhaltene Teilstück der Mauer gehört seit dem 1. November zur Stiftung Berliner Mauer. Eine weitere Zerstörung der weltweit längsten Open-Air-Galerie ist damit laut Stiftungsdirektor Axel Klausmeier und Berlins Kultursenator Klaus Lederer ausgeschlossen. Die nach dem Fall der Mauer am 9. November 1989 bunt bemalten und beschrifteten Betonsegmente stehen unter Denkmalschutz, die dazugehörigen Grundstücke sind an die Stiftung Berliner Mauer übertragen worden. Für das Gelände am Spreeufer gebe es keinen Bebauungsplan und auch keine Bauvoranfragen mehr, versicherte Klausmeier. Er kündigte an, das Areal zu einer Gedenk-, Bildungs- und Kunststätte auszubauen. Geplant sei unter anderem eine Ausstellung über die Geschichte des Ortes. Jedes Jahr kommen laut Stiftung drei Millionen Besucher zur East Side Gallery. Als in den vergangenen Jahren bemalte Elemente für teure Neubauten herausgetrennt wurden, gab es große Proteste, die aber wenig nutzten.

Bei einem gemeinsam Pressetermin an der East Side Gallery beschrieben Kultursenator Klaus Lederer, Stiftungsdirektor Axel Klausmeier sowie Kani Alavi als Vorsitzender der Künstlerinitiative East Side Gallery e.V., was Besucher und Besucherinnen an der East Side Gallery künftig erwartet und welche Maßnahmen zur Pflege und zum Erhalt des Denkmals East Side Gallery geplant sind, aber auch welche Führungsangebote in deutscher und ausländischer Sprache geplant sind. Axel Klausmeier zufolge soll die East Side Gallery ein Ort werden, "der sowohl als Teil der ehemaligen Grenze Berliner Mauer begreifbar ist als auch die Einzigartigkeit der Kunstaktion von 1990 vermittelt und würdigt. Damit das gelingt, wollen wir den Ort besser als bislang erklären, den Besucherinnen und Besuchern aus aller Welt mehr Orientierung bieten und die Aufenthaltsqualität verbessern, wollen die unterschiedlichen zeitlichen und inhaltlichen Ebenen im Sinne des Denkmalschutzes pflegen und sichtbar machen. Mir ist es dabei wichtig, diesen historischen Ort erst einmal genau zu verstehen; auf Grundlage dieser Erkenntnisse werden wir alle weiteren Vorhaben und Angebote planen. Deshalb haben wir gerade eine umfassende Bestandsdokumentation des Geländes erstellt, pflegen den Austausch mit den schon seit Jahren hier aktiv Beteiligten und werden regelmäßig zu einem Runden Tisch einladen. Nicht zuletzt freuen wir uns dabei auf die partnerschaftliche Zusammenarbeit mit den Künstlerinnen und Künstlern der East Side Gallery."

Neue Führungsformate auch für Gruppen

Klaus Lederer betonte, die originäre Aufgabe der Stiftung Berliner Mauer sei es, die Erinnerungen an die deutsche Teilung wachzuhalten und den Opfern von Mauer und Stacheldraht ein würdiges Gedenken zu bewahren. In Zeiten, in denen wieder von Mauern, von Abschottung und Ausgrenzung gesprochen wird, sei politische Bildung sehr wichtig. "Mit der Übertragung der East-Side-Gallery an die Stiftung sind nun die Voraussetzungen geschaffen, auch zukünftig zu erinnern und aufzuklären, zu zeigen, dass zementierte und militärisch gesicherte Abschottung kein dauerhaftes Mittel gegen den Freiheitswillen des Menschen ist." Drei neue Führungsformate für die East Side Gallery wurden bereits konzipiert und sind für Gruppen buchbar. Dazu gibt es Führungen für Kinder. Zwei weitere Formate, darunter eines in Leichter Sprache, kommen ab Februar 2019 hinzu. Die Gruppenführungen zu verschiedenen thematischen Aspekten stehen in neun Sprachen zur Verfügung und können über die Website eastsidegalleryberlin.de gebucht werden.

Vor den zum Teil neu bemalten, zum Teil abgewitterten Segmenten bauen sich Touristen für Fotos auf. Ganze Busladungen und viele einzelne Besucher kommen, um sich die eigenartige, durch Malerei aufgemotzte Hinterlassenschaft aus finstersten DDR-Zeiten anzuschauen. Bald nach dem Fall der Mauer vor fast 30 Jahren war die Betonwand Schauplatz einer spektakulären Mal- und Sprühaktion. Zahlreiche wirkliche und Möchtegern-Künstler versahen den bis dahin trist-grauen Beton mit Bildern, von denen viele Bau und Fall der Mauer illustrieren, aber auch spektakuläre Fotos wie den Bruderkuss des sowjetischen Staats- und Parteichefs Leonid Breshnew und seines ostdeutschen Genossen Erich Honecker adaptieren. Honecker wurde höchstpersönlich als feudaler Herrscher mit Königsmantel und Federhut dargestellt. Das Bild lehnt sich an eine Vorlage aus der Zeit vor der französischen Revolution an. Sie zeigt den König Ludwig XVI. mit stolzgeschwellter Brust, einen Monarchen, der 1793 unter der Guillotine seinen Kopf verlor. Damit musste Honecker bei seinem vorzeitig beendeten Prozess nicht rechnen. Aber der Fall, den er aus den wolkigen Höhen seines Amtes erlitt, war beträchtlich, und in den Geschichtsbüchern macht der Saarländer mit der Fistelstimme auch keine gute Figur, obwohl ihm das eine Herzensangelegenheit war.

Grenzmauer 75 auch als Sichtblende

Bereits in DDR-Zeiten war die heutige East-Side-Gallery ein öffentlicher Ort. Im Unterschied zu anderen Abschnitten der Mauer war die östliche Seite der Grenzanlagen für jedermann sichtbar. Die vierspurig gebaute Mühlenstraße diente gelegentlich als "Protokollstrecke", auf der Kolonnen mit Staatsbesuchern zwischen dem Schönefeld und der Innenstadt fuhren. Daher wurde die so genannte Hinterlandsicherungsmauer als "Grenzmauer 75" ausgeführt, bestehend aus L-förmigen Fertigteilen, die man mit aufgeschlitzten Abwasserrohren als Übersteigschutz bekrönte. Grau gestrichen, diente der Wall der Unterbindung von Fluchtversuchen, aber auch als Sichtblende, die die eigentlichen Grenzbefestigungen dahinter verbergen und verharmlosen und den Blick auf das andere, im Westen befindliche Ufer verdecken sollte. In den vergangenen Jahren gab es große Anstrengungen, die Bilder der zu den vielbesuchten Berliner Sehenswürdigkeiten gehörenden East-Side-Gallery zu sichern und vor den Unbilden der Witterung zu schützen. Leider geschah das mit mäßigem Erfolg, denn viele dieser zum Teil recht witzigen Malereien sind stark abgewittert oder existieren nicht mehr. Außerdem wurden die nach dem Mauerfall am 9. November 1989 bemalten Segmente, die kein Dach haben, neu überstrichen, so dass man nur noch in der Literatur zum Thema "Berliner Mauer" Aufnahmen von ihrem ursprünglichen Aussehen betrachten kann.

Trotz der überhasteten Beräumung der ehemaligen Grenzanlage ist überall in Berlin noch immer eine einzigartige Erinnerungslandschaft mit mehr als einhundert authentischen Orten erhalten. An der Spitze stehen 25 unter Schutz gestellte Baulichkeiten wie der Tränenpalast, also die mit vielen trüben Erinnerungen verbundene Übergangsstelle am S-Bahnhof Friedrichstraße, die vergitterten Fenster im Haus der früheren Akademie der Landwirtschaftswissenschaften in der Krausenstraße im Bezirk Mitte, die Kunstfabrik im ehemaligen Grenzstreifen zwischen Kreuzberg und Treptow, der Kontrollpunkt in Dreilinden und natürlich die Gedenkstätte an der Bernauer Straße sowie die von "Mauerspechten" zerhackten Betonreste an der Niederkirchnerstraße. Um den Wissensstand über die Mauer in und um Berlin zu verbessern, hat die für den Denkmalschutz zuständige Senatsverwaltung für Stadtentwicklung alles, was heute an die Mauer erinnert, unter der Adresse www.stadtentwicklung.berlin.de ins Internet gestellt. Die Dokumentation erläutert anhand von Bildern, Karten und kurzen Beschreibungen Aufbau, Entwicklung und Verlauf der ehemals 43 Kilometer langen Grenzanlage quer durch Berlin und um die Stadt und zeigt, nach Stadtbezirken gegliedert, die genaue Lage der noch vorhandenen Relikte. Selbstverständlich ist auch die East-Side-Gallery auf der Internetseite vermerkt.

25. November 2018

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